Er hatte Freunde, einen Beruf und war durch alle Regionen des Südpazifiks getourt. Dann trennte er sich von den zermürbenden Annehmlichkeiten der Moderne, reif für die Insel. Autor: Rainer Firmbach
"Eine hoch gewachsene, hagere Gestalt, mit ausgemergelten, gotischen Gesichtszügen, die Haut tiefbraun verbrannt und sommersprossig, mit Augen, die lustig und wachsam, dadurch besonders lebendig wirkten, die Hosen ausgefranst, auf dem Kopf ein alter, ausgebuffter Sombrero..."
Reif für die Insel
So beschrieb ein Freund den Mann, der in die Tat umsetzte, wovon so viele Menschen träumen: Einmal allein auf einer einsamen Insel zu leben. Doch was für Tom Neale, so hieß dieser kauzige Robinson, als romantische Episode begann, entwickelte sich bald zu einer lebenslänglichen Leidenschaft: 25 Jahre lang hauste er schließlich auf einem abgelegenen Südseeatoll namens Suwarow - freiwillig, ein Eremit am Ende der Welt. Neale zu seinem Motiv:
"Ein Schriftsteller namens Frisbie, dem ich auf Tahiti begegnet war, hatte mich auf diese verrückte Idee gebracht. Ich war also nicht der klassische Schiffbrüchige wie bei Defoe. Ich hatte nur vor, mein eigenes Leben zu leben."
Es ist der 7. Oktober 1952, als sich der exotische Aussteiger mit einem Minimum an Ausrüstung - mit Kleidung, Bettwäsche, Werkzeug, Angelschnüren, einer winzigen Apotheke, einem Transistorradio, 2 Katzen und einer Handvoll Büchern - auf dem damals noch unbewohnten Eiland aussetzen lässt. Doch der 1902 in Wellington auf Neuseeland als Sohn eines Grubenarbeiters geborene Neale ist alles andere als ein eigenbrötlerischer Menschenfeind. Er hat sich in der Zivilisation bewährt, hat seinen Beruf ausgefüllt, hat Freundschaften geschlossen. Er ist durch alle Regionen des Südpazifiks vagabundiert, hat als Kohlentrimmer, Kesselflicker und Kolonialwarenhändler gearbeitet. Tom Neale ist 50, als er wohlüberlegt aus der Alltagsroutine ausbricht und sich von den, wie er sagt, "zermürbenden Annehmlichkeiten der Moderne" trennt, aber er nimmt auf die Insel mit, was ihm gut dünkt an dieser Welt:
Selbstdisziplin, Kultur und ein offenes Herz für die Schönheit der Natur. Neale entdeckt eine halb verfallene Holzbaracke mit einer intakten Zisterne, ein Überbleibsel aus der Zeit des Krieges, als Suwarow als Funkstation diente, und richtet sich dort häuslich ein. Mit der Machete rodet er allmählich die Urwaldwildnis, findet wilde Hühner und züchtet sie, lebt von Brotfrucht, Bananen, Kokosnüssen und gebratenem Fisch. Im Laufe der Jahre übersteht er ein lebensgefährliches Tropenfieber, die Begegnung mit einem Tigerhai und einen fürchterlichen Hurrikan. Aber nichtsdestotrotz empfindet Neale seine spartanische Do-it-yourself-Wirtschaft und das Zeitmass, in dem sich sein monotones Leben bewegt, zunehmend als paradiesisch. Er schreibt:
"In einer Sturmnacht las ich im Schein der Laterne Aldous Huxleys utopischen Roman „Schöne Neue Welt“. Ich verglich diese Horrorvision mit meinem Leben und sagte zu mir: Tom, du hast es richtig gut auf deiner kleinen Insel."
Das Gesetz der Natur
Als der Weltumsegler Rollo Gebhard Ende 1976 zum zweiten Mal Suwarow anlief, hatte Tom Neale sich seit seinem ersten Besuch kaum verändert: Er war der einfache, bescheidene Mensch und offenherzige Freund geblieben. Doch Fischpiraten hatten mit ihren Fangflotten wiederholt die Lagune geplündert. Neale wirkte deshalb sehr bedrückt und philosophierte:
"Die Habgier zerstört unsere Welt. Wir Menschen haben vergessen, dass die Natur es ist, die unser Leben nach ihren uralten Gesetzen beherrscht. Niemand kann daran etwas ändern."