Einfach mal dekadent sein, in der Verschwendung schwelgen, eintauchen in ein Bad aus purer, köstlicher Schokolade. Gibt es nicht? Gab es sehr wohl einmal: sprudelnd und blubbernd in einem Londoner Park. Autorin: Prisca Straub
Noch nie hat es in den Kensington Gardens im Herzen von London einen solchen Besucherandrang gegeben. 50.000 sind gekommen - und sie alle wollen sich berauschen an einem Stück spektakulärer Maßlosigkeit: Mitten im üppigen Grün des Parks steht ein gut drei Meter breites, kreisrundes Bassin. Bis an den Rand gefüllt mit einer tiefbraunen, glänzenden Masse. Am Nachmittag des 19. Juli 1994 ist es dann endlich so weit: Der Schokoladen-Springbrunnen springt an!
Schoki Marsch!
Am nächsten Morgen sind Helen Chadwick und ihr wollüstiger Springbrunnen in aller Munde: Doch die junge Britin experimentiert nicht nur mit Schokolade, sondern auch mit Küchenabfällen, Tierhäuten und Innereien. Sie hat dekorative Arrangements aus Schweinedärmen geschaffen. Und giftig-bunte Werke aus abgeschnittenen Lämmer-Zungen. Chadwick erzeugt Brechreiz und verführt zugleich. Beim Anblick einer Dose mit wimmelnden Fischködern, gesteht sie den Reportern, gerate sie in Entzücken.
Gulp
Und dann natürlich - ihre berühmten "Piss-Flowers". Ein Dutzend hüfthoher, blitzweißer Blumen mit fein verästelten Kelchen. Für die fragilen Gebilde hatte Helen Chadwick wochenlang die Hosen heruntergelassen: Die Hohlräume, die ihr warmer Urinstrahl im Tiefschnee hinterließ, goss sie erst mit Gips aus - und dann in Bronze. Zerbrechlich wie fein gesponnenes Zuckerwerk. Darf diese Künstlerin in die renommierte Tate-Gallery? Ins feine Victoria and Albert Museum? Aber ja doch! Denn die Londoner sind begeistert von der Erotik mit Ekel-Effekt!