Er bescherte Deutschland einst ein Fußballmärchen, Rahn schoss und er ließ ihn schießen: Trainer Sepp Herberger - nicht ganz Kaiser, aber trotzdem eine Fußballlegende. Autor: Johannes Roßteuscher
Vom unvergleichlichen Franz Beckenbauer gibt es viele wunderbare Sätze.
Etwa: "We call it a Klassiker". Gesagt vor einem Länderspiel gegen England in München - das übrigens 1:5 verloren ging. Oder den Satz, aus dem die ganze Lässigkeit des bayerischen Kaisers spricht, gesagt unter anderem vor dem WM-Finale 1990 gegen Argentinien: "Geht’s naus und spuits Fuaßboi!" Nicht jeder aber kennt die Parallele zu einem anderen wunderbaren Satz, von einem anderen Fußballlehrer - den die Menschen zwar nie Kaiser nannten, aber immerhin Chef: "Geht raus und werdet Weltmeister."
Sie taten's.
Dem Fritz sein Wetter
Die Mannen um Fritz und Otmar Walter, Helmut Rahn, Toni Turek und wie klangvoll nachkriegsdeutsch sie alle hießen. Gingen raus auf den nassen Rasen des Berner Wankdorf-Stadions und wurden Weltmeister. Schlugen die unschlagbaren Ungarn; schufen das Wunder von Bern; erfanden das deutsche Wirtschaftswunder und überhaupt: verhalfen einer ganzen Nation, die ziemlich zurecht ein paar Jahre am Boden gelegen war, wieder auf die Füße. "Das Spiel dauert 90 Minuten," pflegte der Chef, also Sepp Herberger, zu sagen. Wie wahr: Der Siegtreffer durch Rahn fiel in der 84. Minute.
Bundestrainer, Bundeskanzler
Auf die Welt kommt dieser Josef Herberger 1897 in Mannheim-Waldhof, einem Arbeiterquartier. Vater stirbt früh, Sohn wird mit 13 bereits Maurergehilfe, dann Fabrikarbeiter, Fußballer, Nationalspieler, Trainer.
In den 30er Jahren wird Herberger Reichstrainer, mit dem Hakenkreuz auf der Brust, NSDAP-Mitglied. Man könnte sagen: mitgemacht, aber nicht zu sehr. Eine gewisse Aufmüpfigkeit während der Braunen Jahre wird ihm von mehreren Seiten attestiert. Nach dem Krieg entnazifiziert und bald schon Bundestrainer.
Bundestrainer, Bundeskanzler, das klingt nicht nur ähnlich, der Posten ist vielleicht auch ähnlich wichtig. Adenauer war der Alte, der die Westintegration vorantrieb, Herberger der Chef, der die moralische Basis für Aufschwung und Wirtschaftswunder lieferte.
Ganz harmlos unnational lief all das allerdings nicht ab. Schon im Wankdorf-Stadion sangen die deutschen Fans die erste statt der dritten Strophe des Deutschlandlieds. Herberger selbst bezeichnete den Triumph gegen Ungarn als "Endsieg". Wiewohl: "Nach dem Spiel ist vor dem Spiel" oder auch: „Das nächste Spiel ist immer das Schwerste.“ Einen Triumph wie Bern konnte Herberger nicht mehr wiederholen. Bei der WM 1958 wurde die deutsche Mannschaft noch Vierter, 1962 in Chile flog sie im Viertelfinale raus.
Danach gab es viel Kritik am Trainer, die nicht mehr recht abebben wollte, und Sepp Herberger kündigte selbst seinen Rücktritt an. 1964, am 12. Mai wurde er offiziell verabschiedet. In Hannover, vor einem Länderspiel gegen Schottland, seinem letzten in Deutschland. Das Spiel endete 2:2.