Ein neues Bild des Kosmos - zu verdanken einem ungleichen Paar: stark kurzsichtig der eine, stark nasenlos der andere. Und ganz nebenbei bewies der Nasenlose: wer viel Bier trinkt, sollte sich erleichtern. Autorin: Christiane Neukirch
Der 4. Februar des Jahres 1600 ist eine Sternstunde der Astronomie. An diesem Tag treffen in Prag zwei der Größten dieser Zunft zusammen. Der eine stammt aus Dänemark, der andere aus Deutschland. Die beiden könnten gegensätzlicher nicht sein. Und doch ersteht aus ihrer Verbindung ein neues Weltbild.
Tycho und Johannes
Tycho Brahe, der Däne, ist Spross einer adeligen Familie. Als Jugendlicher wird er Zeuge einer Sonnenfinsternis. Mit Beharrlichkeit erfüllt er sich schließlich seinen Traum, und weit mehr noch: Der König gibt ihm Geld, die größte und modernste Sternwarte der Zeit zu bauen.
Johannes Kepler dagegen wird in eine verarmte schwäbische Familie hineingeboren. Mit vier Jahren fängt er sich die Pocken ein; von da an kann er nie wieder gut sehen. Er studiert evangelische Theologie, ein noch junges Fach: die Reformation liegt erst zwei Generationen zurück. Im Jahr 1600 arbeitet er als Mathematiklehrer in Graz, als ihn die Gegenreformation aus der Stadt vertreibt. Er sucht nach einer neuen Bleibe.
Tycho Brahe hat soeben die Stelle als Mathematiker am kaiserlichen Hof zu Prag angetreten. Er braucht einen Assistenten. Da kommt ihm der junge Kepler gerade recht. Der kurzsichtige Kollege kann ihm zwar am Teleskop keine Hilfe sein, aber er ist ein glänzender Mathematiker. Leicht ist die Zusammenarbeit nicht, vor allem für Kepler. Sein Vorgesetzter ist ein berüchtigter Choleriker. Bei einem Duell in seiner Jugend hat Brahe sich buchstäblich eine goldene Nase verdient. Den Streit um eine mathematische Formel focht er nicht mit Worten, sondern mit dem Säbel aus - und ist seitdem um eine Nasenlänge kürzer. Eine metallene Prothese ersetzt ihm den fehlenden Gesichtspunkt. Da der jüngere Kepler in vielen astronomischen Fragen anderer Ansicht ist als sein Chef, gibt es oft Streit. Brahe enthält seinem Assistenten viele seiner Rechercheergebnisse vor, das macht Keplers Arbeit doppelt schwer.
Eine Frage der Etikette
Knapp zwei Jahre nach dem ersten Treffen stirbt Brahe. Sein Tod ist noch Jahrhunderte später gefundenes Fressen für die Verschwörungstheoretiker. Fand man doch in einer Haarprobe eine hohe Dosis Quecksilber. "Kepler vergiftet Brahe" ist als Schlagzeile schaurig schön. Um dem Geunke ein Ende zu bereiten, exhumiert man 2010 Brahes Skelett und stellt fest: Gift war nicht die Todesursache. Vielmehr wurde Brahe vermutlich Opfer der Hofetikette. Bei einem kaiserlichen Bankett trank er viel Bier, durfte sich aber keinesfalls erlauben, auf die Toilette zu gehen, bevor Seine Majestät dies getan hatte. Die kaiserliche Blase war wohl robuster als seine. Ein Blasenriss oder eine Nierenentzündung besiegelten Brahes Schicksal. In den zehn Tagen, die ihm noch zum Leben blieben, regelte er unter anderem seine berufliche Nachfolge.
Kepler bekam den Posten. Seine Aufgabe war es jetzt, Brahes astronomische Datenbank fertigzustellen. Aufgrund von Brahes Messungen, gekoppelt mit Keplers neuen Berechnungen, erblickte eine bahnbrechende Erkenntnis das Sonnenlicht. Dass nämlich Mars - und somit alle Planeten - nicht eine Kreisbahn um die Sonne zieht, sondern eine Ellipse. In einem zentralen Punkt konnte Kepler aber nun Brahe widerlegen. Brahe hatte noch die Erde als Zentrum des Planetensystems gesehen. Kepler hatte schon immer dagegengehalten: es ist die Sonne. Diese Erkenntnis, die das alte Weltbild aus den Angeln hob, konnte Kepler nun vom Chefsessel aus vertreten.