Höher und weiter wollten schon die Skiadler auf Deutschlands erster Großschanze. Im Vergleich zu heute fielen ihre Höhen und Weiten damals, nun ja, eher relativ aus. Um nichts geringer jedoch waren Mut und Ausdauer der Flugpioniere auf Brettern.
Es ist verblüffend, wie sehr sich menschliche und tierische Verhaltensweisen mitunter ähneln. Nehmen wir als Beispiel die Auerhahnbalz. Da wirbt der Hahn mit einem eindrucksvollen Tanz und einem stimmungsvollen Balzgesang um die Gunst des Weibchens. Sein Testosteronspiegel erreicht das Hundertfache des Normalwerts. Mithilfe von Flügelschlägen schafft es der Vogel, der sich sonst vorwiegend zu Fuß fortbewegt, bis zu zwei Meter hoch zu springen -
eine sportliche Leistung, die die Angebalzte gehörig beeindruckt.
Gehüpft wie gesprungen
Auch bei den Menschen versucht es der Balzende mit Hüpfen und Springen.
Mit dem Sackhüpfen fängt es an, dann folgt, meist im Rahmen des Schulsports, das Hoch- und das Weitspringen. Ferner wird in unseren Tagen unter Zuhilfenahme allen möglichen Geräts gesprungen, nicht nur mit dem Stab, sondern auch mit dem Skateboard und dem Fahrrad, ja sogar mit Motorrädern und Autos. Die Königsdisziplin aber ist das Skispringen; nirgendwo sonst werden Sprünge von derart beeindruckender Weite vollführt. Und niemals lassen die Springer in ihren Bemühungen nach, Rekord um Rekord aufzustellen.
Aus heutiger Sicht mutet es geradezu lächerlich an, wenn man liest, welche Sprungweiten auf der ersten Großschanze Deutschlands erzielt wurden.
Sie befand sich nicht etwa in den Alpen, sondern im Erzgebirge, in dem Städtchen Johanngeorgenstadt genauer gesagt. Dort hatte man zuerst eine kleinere Schanze errichtet; am 30. Dezember 1923 war sie eröffnet worden, doch fand sie der lokale Wintersportverein bereits nach wenigen Jahren zu klein. Also nahm er den Bau einer neuen Schanze in Angriff, der besagten Großschanze. Von ihr aus sprang der damalige Deutsche Meister Erich Recknagel sage und schreibe 51, und nach einer Vergrößerung der Anlage 62 Meter weit. 62 Meter ... ein Klacks, wenn man es mit den Leistungen vergleicht, die heutzutage vollbracht werden.
Beim Skifliegen etwa. Da flog der Finne Harri Olli im Februar 2009 in Oberstdorf sage und schreibe 225 Meter weit! Zwei-hun-dert-fünf-und-zwanzig! Das sind 223 mehr, als der Auerhahn schafft!
Wie der Auerhahn halt!?
Nein, halt, Kommando zurück. Dieser Vergleich hinkt jetzt wirklich hinten und vorn, und zwar nicht nur deshalb, weil Olli weit und der Auerhahn hoch springt.
Mensch und Auerhahn unternehmen ihre Anstrengungen aus ganz unterschiedlichen Motiven. Das wird nicht zuletzt daran deutlich, dass bei diesen Vögeln wirklich nur er springt. Die Auerhenne schaut zu. Beim Menschen dagegen hüpfen und springen - egal, um was es geht - inzwischen auch die Frauen.
Seit den Winterspielen 2014 in Sotschi ist das Skispringen der Damen sogar als eigene olympische Disziplin anerkannt.
Bitte, dagegen ist an sich nichts einzuwenden. Klar sollte man sich bloß darüber sein, dass es der Auerhahn vergleichsweise leicht hat. Der hüpft ein, zwei Mal im Jahr seine zwei Meter, und damit bekommt er, was er will. Der Mann hingegen? Sein Testosteronspiegel schießt beim Anblick einer attraktiven Frau gleichfalls in die Höhe - aber womit soll er noch werben? Womit die Angebalzte beeindrucken? Mit einem stimmungsvollen Balzgesang? Ah, vergiss es!
Auerhahn müsste man sein …