Ein Künstler muss - erstens - vom Markt entdeckt werden und sich dann - zweitens - so verhalten, wie es dieser erwartet. Wer dagegen rebelliert, wird bestraft. Das hat Martin Kippenberger erlebt, geboren am 25. Februar 1953.
Ein Mann steht in der Ecke. Seine Hände liegen auf dem Rücken ineinander ohne den Körper zu berühren. Bequem ist anders. Der Mann senkt den Kopf. Hosenträger kreuzen sich über dem weiß-blau karierten Hemd, ziehen den Popo einer grauen, perfekt gebügelten Hose nach oben. Martin, ab in die Ecke und schäm Dich lautet der Titel der lebensgroßen Skulptur aus Gießharz. Martin Kippenberger erschafft sie 1989. Da ist der am 25. Februar 1953 geborene Dortmunder 36 Jahre alt.
Workaholic mit brennender Rakete im A ...
Dass er Künstler sein will, weiß Martin Kippenberger, seit er zehn ist. Dank seiner zeichnerischen Experimentierlust, seiner Schaffensdichte und seiner Allgegenwart in der Kunstszene nimmt er mit Ausstellungen in Köln, Essen, Rotterdam, Wien und New York die ersten Hürden des Kunstmarkts. Der labelt ihn froh als Wiederentdecker der Malerei - doch hatten die Kunstvermarkter dabei genau hingesehen?
Offenbar nicht: Kippenberger malte, ja, UND fotografierte, schauspielerte, produzierte Musik, entwarf Romane, bastelte Collagen, Installationen. Als ihn diese Genres beengen, sprengt er sie: Er beauftragt Ghostwriter, über ihn zu schreiben, lässt Plakatmaler seine Motive vollenden, veranstaltet Happenings - alles gerät ihm zur Kunst. Und alles verbindet er, wie seine Titel zeigen, zynisch mit seiner konsumgierigen Gegenwart: Helmut Newton für Arme. Tankstelle Martin Bormann. Ertragsgebirge. Nur eines verträgt der Workaholic nicht: Langeweile. Er habe eine brennende Rakete im A... oder womöglich nur ein brennendes Frankfurter Würstchen, lachte Kippenberger über seinen nimmer stillstehenden Schaffensdrang.
Der Markt aber brauchte Stillstand, auch Stil genannt. Er wollte die großen Formate des Malers, nicht aber eine ironische Aufarbeitung des Dritten Reichs, wollte Skulpturen, doch keinen Gekreuzigten als Frosch, wollte Ein- statt Vieldeutigkeit. Schon gar nicht vertrugen die Kunstverkäufer, dass Kippenberger bloßstellte, wie innig Kunstmarkt und Markenwelt sich verschwistert hatten.
Also sah die Kritik hinter Kippis Selbstporträts Selbststilisierung statt Parodie, vermisste künstlerisches Wollen und schrieb Kippenbergers oszillierende Werke nieder. Mit seinem Selbstbildnis als Eckensteher entlarvt Kippenberger diese Ablehnung. Umsonst! Während ausländische Kuratoren die Spannung, die aus der gezielten Flüchtigkeit seiner Arbeiten entsteht, zu schätzen wissen, verwehren die Kasseler Documenta und der deutsche Pavillon der Biennale di Venezia dem Künstler die Teilnahme.
Posthum ein Heiliger des Kunstmarkts
Wundert es, dass Kippenberger daraufhin Arbeiten erschafft, die für den Kunstmarkt unverwertbar sind? 1993 beginnt er sein untergründigstes Werk: ein Metro-Net. Der erste U-Bahn-Eingang liegt auf der Kykladeninsel Syros. 1995 kommt ein Ausgang, fern von Griechenland, im kanadischen Dawson City aus der Erde. Speziell für die Kunstszene sieht Kippenberger gar eine transportable U-Bahn-Station vor - das Nonplusultra an Bewegung. Doch lässt er die Station aus Aluminium zerdrücken. Aus ist’s mit der Reise! Gut gelaunt entblößt er so den Stillstand des Kunstmarkts.