Sehr erstaunlich: Charles Darwin hat "Über die Entstehung der Arten" geschrieben, ohne das Wort Evolution zu verwenden. Es ist ihm wohl erst später eingefallen, für sein zweites Buch, das am 24. Februar 1871 erscheint.
Angenommen wir sitzen vor einem Kreuzworträtsel, gesucht ist ein Name mit sechs Buchstaben: "Verfechter der Nützlichkeit von Regenwürmern". Keine Idee? Na gut, andere Umschreibung: "Erforscher der Mimik und der Gemütsbewegungen der Tiere". Immer noch nicht? Jetzt aber: "entwickelte die Evolutionstheorie". Natürlich! Darwin, wer sonst.
Evolutionstheorie in der Schublade
Charles Darwin und die Evolution. Diese beiden Begriffe sind in unserem Gedächtnis untrennbar miteinander verschweißt. Das war nicht von vornherein absehbar. Erstens wäre es beinahe nicht dazu gekommen, dass Darwin seine Theorie überhaupt veröffentlichte, und zweitens gab es noch jemand anderen, der zur gleichen Zeit die gleiche Idee hatte.
Gedanken über die Artenvielfalt der Tier- und Pflanzenwelt hatte sich Darwin schon früh gemacht. Auf seiner Reise zu den Galapagos-Inseln in den 1830er Jahren traf er auf eine Flora und Fauna, die artenreicher kaum sein konnte.
Die verschiedenen Ausprägungen brachten Darwin ins Grübeln. Weshalb gab es diese Arten, und weshalb hatten ähnliche Geschöpfe bestimmte Merkmale durch die sie sich unterschieden? Darwin folgerte, dass sich jene Merkmale über Generationen verändern, als Anpassung an die Umweltbedingungen.
Das war neu. Bislang war man der Ansicht, dass es alle Arten von Anfang an unverändert gegeben habe. Darwin schrieb seine Beobachtungen und Folgerungen nieder; doch schienen ihm seine Überlegungen zu roh und überdies zu kühn für den Geist seiner Zeit, um sie an die Öffentlichkeit zu bringen. Denn eines war klar. Seine Ideen würden das gültige Weltbild gehörig erschüttern.
Das unfertige Manuskript verschwand in der Schublade und wäre vielleicht für immer darin geblieben, wenn Darwin nicht eines Tages im Sommer 1858 einen Brief erhalten hätte. Der Brief kam von einer entlegenen Insel im malaiischen Archipel. Absender war Alfred Russell Wallace, Brite wie Darwin und ein besessener Sammler und Forscher. Wallace äußerte in kurzen, klaren Worten genau das, was Darwin vermutet hatte, aber auf 200 Seiten nicht recht hatte auf den Punkt bringen können. Darwin war beeindruckt und verstört. Was tun? In Panik, dass seine jahrzehntelange Arbeit hinter dem Ruhm des Konkurrenten verschwinden könnte, ließ er schon wenige Tage später seine These einem kleinen Gremium von Wissenschaftlern vorstellen; der Fairness halber zusammen mit der von Wallace. Letzterer erfuhr davon auf seiner Insel erst viele Monate später - und reagierte mit einem Dankesschreiben.
Erst mal ohne "Evolution"
Dann machte sich Darwin flugs an die Vollendung seines Manuskripts.
Das Ergebnis: ein Buch - oder besser gesagt DAS Buch der Evolutionstheorie "Über die Entstehung der Arten". Wer es liest, mag jedoch überrascht sein: die Evolution kommt im gesamten Text nicht vor! Die Theorie war schon geboren, nur das passende Wort fehlte noch, das Schlüsselwort für das Tor zu einer neuen wissenschaftlichen Ära.
Doch ein kleiner Hinweis findet sich ganz am Ende des Buchs: "evolved" lautet das allerletzte Wort darin - also: "entstanden". Dieses letzte Wort hat wohl in Darwins Gehirn nachgehallt und zu gären begonnen. Zwölf Jahre später, am
24. Februar 1871, kam es schließlich in die Welt: in Darwins zweitem Werk zum Thema, mit dem Titel "Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl". Ein weiteres Jahr später wurde die Evolution auch in der neuen Auflage des ersten Buches nachgefügt und trat ihren Siegeszug an, bis in unsere Biologiebücher und Kreuzworträtsel.