Mit viel Phantasie haben sich die Gäste verkleidet, am 18. Februar 1881, beim Faschingsfest der Münchner Kunstakademie. Lustig sind die Eskimos, die stilecht Heringe grillen. Bis ein Kostüm Feuer fängt.
Auf dem alten Südfriedhof in München steht ein ungewöhnlicher Gedenkstein, verwittert, übermannshoch und etwas vom Weg zurückgesetzt. Man muss ein paar Schritte über die von modrigem Laub bedeckte Wiese gehen. Auf dem Stein sind die verblassten Bilder von neun jungen Männern zu sehen, alle mit dem gleichen Sterbe-Datum: dem 18. Februar 1881.
Legendäre Akademiefeste
In den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts hat das Königreich Bayern zwar politisch nichts mehr zu melden, München aber erlebt seine kulturelle Blüte. Gekrönte Häupter reißen sich um Porträt-Sitzungen bei Münchner Künstlern, und die Akademie der Bildenden Künste lockt Studenten aus ganz Europa an. Die wollen nicht nur studieren, sondern auch feiern. Die aufwendigen Kostümfeste der Akademie sind berühmt. Am Faschingswochenende 1881 steigt im größten Vergnügungspalast der Stadt, in Kils Kolosseum, ein Fest mit buntem Motto: „Eine Reise um die Welt“ sollen die Gäste an diesem Abend erleben. Die Säle sind exotisch dekoriert, kleine Studenten-Gruppen stellen Szenen fremder Völker dar.
Gleich den ersten Raum betritt man durch einen chinesischen Turm, der bis zur Decke reicht. Schwarzbezopfte Söhne des Himmels kredenzen Tee. Daneben: ein Indianer Tipi, eine mit Moos ausgelegte skandinavische Fischerhütte und bei den amerikanischen Trappern gibt’s Gin und Brandy. Im türkischen Serail, einen Saal weiter, schenken zwei Muselmanen Kaffee aus und gewähren gegen Trinkgeld einen kurzen Blick hinter den Vorhang, in den Harem.
In der Ecke eines Säulenganges sitzen zwölf Kunst-Studenten als Eskimos verkleidet in einer Schneelandschaft. Die angehenden Bildhauer haben aus Pappmaché ein Iglu nachgebaut, mit Gips und Holz riesige Eisberge geformt und sich selbst in Jute, Watte und Schafsfelle gewickelt. Der Schweiß rinnt den dick eingepackten Eskimos über die Stirn, während sie über einer flackernden Talgfunzel Herings-Stückchen grillen.Kurz vor Mitternacht drängen sich rund dreitausend Festgäste im Kolosseum. Es ist ein Lärmen und Tanzen, Lampions blinken, Girlanden flattern ... .
Löschversuche mit Bier und Wein
Dann geht es ganz schnell. Einer der verkleideten Studenten kommt dem offenen Feuer zu nah, ein Ärmel fängt an zu brennen. Mit einem Schreckens-Schrei stürzen sich die anderen auf ihn, um die Flammen zu ersticken, fangen aber selbst Feuer. Wie lebende Fackeln rennen sie durch den Saal, Flammen schießen aus den Perücken, Funken stieben aus den Stoffen. Umstehende Festgäste schütten sofort Bier, Wein, Champagner über sie, was man gerade zur Hand hat. Andere halten das Ganze für einen Spaß, eine spektakuläre
Show-Einlage. Die große Masse aber bekommt gar nichts mit. Die Musik der beiden Kapellen übertönt die Schmerzensschreie der jungen Männer, die sich in Todesqualen auf dem Boden wälzen.
Eine Massenpanik bleibt aus. Wie durch ein Wunder springt das Feuer nicht auf Vorhänge und Girlanden über. Während die rauschende Ballnacht weitergeht, schafft man die schwer Verletzten und Sterbenden nach draußen.