Gut sein - oder gut leben können. In diesen Zwiespalt gerät Shen Te, der "gute Mensch von Sezuan". Bertolt Brecht arbeitet an dem Stück im Exil, und während des Krieges, am 4. Februar 1943, hat es Premiere. Das Ende bleibt offen.
Es gibt viele Möglichkeiten, sich in unserer Gesellschaft mal eben als guter Mensch hervorzutun. Man kann seine Solidarität mit den Armen dieser Erde durch aufrüttelnde Statusmeldungen auf Facebook kundtun, oder sie fix in die Welt hinaus twittern.
So weit, so folgenlos. Schwieriger wird es im nicht-virtuellen Leben. Wenn einen auf dem Weg zur Arbeit andere gute Menschen anhalten, mit der Bitte um Unterschriften und Spenden für Pandabären und kleine Kinder. Wer jetzt weich wird, dem drohen monatliche Bankeinzüge für den guten Zweck, regelmäßige "Infoanrufe", sprich: nichts als Scherereien! Und die will in einer kapitalistischen Gesellschaft niemand haben - das meinte zumindest Bert Brecht.
Einer allein hat keine Chance
In seinem Theaterstück "Der gute Mensch von Sezuan" ist die Gesellschaft am Abgrund, nur ein einziger Mensch kümmert sich noch um die Nöte der anderen, die Hure Shen Te. Sie wird prompt zur Auserwählten der Götter. Denn die himmlische Obrigkeit ist beunruhigt. Wo sind die Guten Menschen auf Erden? Shen Te soll mit ihrer Weichherzigkeit beweisen, dass die göttliche Weltordnung immer noch funktioniert.
Doch Shen Te scheitert. Ihr Bedürfnis zu helfen und ihr naives Vertrauen in die Mitmenschen machen sie zum Opfer skrupelloser Schmarotzer. Die Götter? Sie lehnen es ab, Shen Te aus der Misere zu helfen. Bloß keine Scherereien mit dem einzigen guten Menschen, den man in Sezuan finden konnte.
Brecht schrieb das Stück über die selbstlose Hure Shen Te während des zweiten Weltkriegs im Exil. Am 4. Februar 1943 wurde es in Zürich uraufgeführt, als abgründiges Märchen, das den Zuschauern die Wandlung des "guten Menschen" in ein kaltes Maskengesicht vorführte. Denn Shen Te bleibt zu ihrem Selbstschutz schließlich nur eine Wahl: Immer öfter setzt sie sich eine Maske auf und wird zu Shui Ta, ihrem herzlosen Vetter, der sich rücksichtslos den eigenen Vorteil sichert. Sezuan droht den einzigen guten Menschen zu verlieren, den es hat ...
Brecht hofft auf Sichuan
Das exotische Sezuan war für den Dichter Brecht eine Art Fantasieort, der, so meinte er, für jeden Platz auf der Welt stehen konnte, an dem Menschen sich gegenseitig ausbeuteten. Als dann, zwei Jahre nach der Premiere, die Volksrepublik China ausgerufen wurde, bekam die reale Provinz Sezuan, bzw. Sichuan, auch für Brecht ein ganz anderes Gewicht: Hier würden von nun an andere Prinzipien gelten, als die ausbeuterischen des Kapitalismus. Aber auch Jahrzehnte nach der Machtergreifung der Kommunisten leiden viele Menschen in Sichuan immer noch in bitterer Armut, und von der boomenden Hauptstadt Chengdu mit ihren Shoppingmalls wäre der Dichter wohl ebenfalls enttäuscht.