Der demografische Wandel betrifft auch Deutschland. Weil es bereits zu wenig Altenpflegekräfte gibt, werden gezielt immer mehr im Ausland angeworben und in Deutschland ausgebildet – eine nicht immer leichte Aufgabe.
Deutschland muss sich – wie auch viele andere Staaten in Europa – darauf einstellen, dass in Zukunft immer mehr ältere als jüngere Menschen dort leben. Und viele dieser Älteren werden auf Pflege angewiesen sein. Nach Experteneinschätzung wird im Zuge des demografischen Wandels in Deutschland die Zahl der Pflegebedürftigen bis 2030 auf rund 3,4 Millionen steigen. Wenn sie nicht von Familienangehörigen oder Freunden betreut werden, sind sie auf die Hilfe von ausgebildeten Fachkräften angewiesen. Bereits jetzt aber gibt es einen großen Mangel an Altenpflegerinnen und Altenpflegern. Stellen bleiben wegen zu weniger Bewerber unbesetzt. Daher werden inzwischen weltweit gezielt Altenpflegekräfte angeworben – wie etwa in Vietnam. Ende 2013 startete die deutsche Bundesregierung ein Modellprojekt. Zunächst sollen 100 Vietnamesinnen und Vietnamesen in einem Jahr zu Altenpflegekräften ausgebildet werden. Dazu gehört der Besuch einer Berufsschule, begleitender Sprachunterricht und die Arbeit in einer Pflegeeinrichtung. Zu der Gruppe aus Vietnam gehört auch die 24-jährige Mai. Sie hatte mit Anfangsschwierigkeiten zu kämpfen:
„Die erste Zeit in Deutschland war nicht leicht für mich, weil alles ganz neu für mich war. Außerdem habe ich nicht so gut Deutsch verstanden und gesprochen. Deshalb hatte ich manchmal Heimweh und fühlte ich mich einsam.“
In der für sie fremden deutschen Kultur fühlte Mai sich zunächst nicht zuhause. Ihr fiel der Anfang in Deutschland schwer, obwohl sie schon einen sechsmonatigen Intensivsprachkurs am Goethe-Institut in Hanoi sowie ein interkulturelles Training absolviert hatte. Außerdem verfügte sie bereits über Erfahrungen im vietnamesischen Gesundheitswesen. Reinhild Renée Ernst von der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GIZ sieht folgende Gründe für die Anfangsschwierigkeiten der ausländischen Auszubildenden:
„Viele waren noch nie in einem anderen Land vorher, und sie mussten vor allem erst mal diese deutsche Sprache lernen. Und das ist ‘ne große Hürde, wenn man mit A2 im zweiten Jahr eine verkürzte Ausbildung beginnt. Und das, obwohl sie alles qualifizierte Krankenpflegerinnen sind, sehr viel Wissen mitbringen. Dennoch war es ‘ne große Hürde, die sie nehmen mussten.“
Reinhild Renée Ernst verwendet ein Bild aus der Leichtathletik, um die Situation der Vietnamesinnen und Vietnamesen zu verdeutlichen: Wie Sportler, die über Hindernisse springen müssen, standen auch die ausländischen Auszubildenden vor einer großen Hürde, die sie überwinden, nehmen, mussten. Sie mussten nicht nur eine fremde Sprache lernen, sondern auch – mit nur geringen Sprachkenntnissen auf A2-Niveau – eine zeitlich verkürzte Ausbildung machen. Denn wer schon Erfahrungen in einem Gesundheitsberuf nachweisen kann, wird in zwei Jahren zur Altenpflegerin beziehungsweise zum Altenpfleger ausgebildet. Normalerweise dauert die Ausbildung ein Jahr länger. Ab 2015, wenn das Folgeprojekt startet, soll der Deutschkurs für die ausländischen Auszubildenden insgesamt ein Jahr dauern und auf B2-Niveau enden. Jochen Mager, der ein Seniorenzentrum in Stuttgart leitet, sieht trotz aller Anfangsschwierigkeiten optimistisch in die Zukunft und stellt fest:
„Wir tun jetzt schon alles dran, eine Bleibekultur zu entwickeln, und ich glaube, dass wir für die Zukunft da auf ‘nem sehr guten Weg sind, als ‘n Baustein die vietnamesischen Auszubildenden hier nach Deutschland zu holen. Wir werden unsere ganzen Probleme insgesamt mit Vietnamesen oder mit Chinesen oder mit Spaniern oder sonstwie sicherlich nicht lösen können. Aber die Zuwanderung aus Vietnam, die Ausbildung und die Kooperation mit Vietnam, die sehe ich unter ‘nem sehr guten Stern.“
Jochen Mager erklärt, dass er und sein Team versuchen, alles dafür zu tun, damit sich die vietnamesischen Auszubildenden so wohl fühlen, dass sie auch dauerhaft in Deutschland bleiben wollen. Sie tun alles dafür, eine Bleibekultur zu entwickeln. Auch die Zusammenarbeit mit dem vietnamesischen Außenministerium empfindet Jochen Mager als positiv, oder wie er redensartlich formuliert: Sie steht unter einem sehr guten Stern. Zwar findet Jochen Mager, dass die Ausbildung von Zuwanderern nur ein gewisser Bestandteil, ein Baustein, zur Lösung des Problems ist. Aber die Entwicklung geht seiner Meinung nach in die richtige Richtung: Man ist auf einem sehr guten Weg. Skeptischer ist Anna Koniecko-Sippel vom Bayerischen Roten Kreuz:
„Es reicht nicht aus. Wir haben auch eine Ausbildungsoffensive gestartet. Wir haben eigene Klassen ausgebildet für unsere Gesellschaft. Und wir stellen fest, dass wir das weiter nicht tun können, weil wir nicht genügend Bewerbungen haben beziehungsweise, wenn sie ausgebildet werden, streben sie nach Höherem.“
Anna Koniecko-Sippel ist der Ansicht, dass die Bemühungen nicht ausreichen. Obwohl ihre Organisation, ihre Gesellschaft, eine Ausbildungsoffensive gestartet und seit Jahren Altenpflegefachkräfte etwa aus Kroatien, Polen, Bosnien und Vietnam angeworben hat, melden sich nicht genug Bewerberinnen und Bewerber. Und viele derjenigen, die ausgebildet werden, wollen anschließend nicht im Altenpflegeberuf arbeiten, sondern etwa studieren. Sie streben – wie sie es formuliert – nach Höherem. Das liegt vor allem an der mangelnden Attraktivität des Berufs. Altenpflegerinnen und Altenpfleger werden trotz der anspruchsvollen und anstrengenden Arbeit vergleichsweise schlecht bezahlt. Der Mangel an Altenpflegekräften kann nach Ansicht von Dennis Ostwald vom Wirtschaftsforschungsinstitut WifOR in Zukunft auch eine Gefahr für die gesamte deutsche Wirtschaft darstellen:
„Wenn wir also die alten Menschen nicht mehr pflegen können, weil wir Fachkräfteengpässe haben, dann hat das natürlich auch Ausstrahlungswirkungen auf andere Branchen. Denn auch die anderen Branchen haben ja Fachkräfteengpässe. Und überlegen Sie sich mal, wenn dann irgendwann gesagt wird: ‚Wir wollen ‘ne 32-Stunden-Woche im Tarifvertrag haben, weil wir vier Stunden noch unsere Eltern pflegen wollen?‘“
Übung
Welche Aussage aus dem Text stimmt? Wähle eine passende Antwort aus.
Es gibt in Deutschland unter anderem so wenige Pflegekräfte, weil …
die Arbeitslöhne den schweren Arbeitsbedingungen nicht entsprechen.
kein richtiger Bedarf an Pflegekräften besteht.
nur ausgebildete Medizinerinnen und Mediziner in diesem Bereich tätig sein dürfen.
Vietnamesen werden vor allem deshalb nach Deutschland geholt, weil sie …
besonders schnell die deutsche Sprache lernen.
eine medizinische Ausbildung in Deutschland bekommen können.
in der Regel schon Vorkenntnisse im Pflegeberuf haben.
Die Pflegekräfte aus Vietnam haben vor allem Probleme damit, dass …
andere Angestellte ihnen gegenüber unfreundlich sind.
ihnen Fachkenntnisse fehlen.
Sprache und Kultur für sie neu sind.
Das verkürzte Ausbildungsprogramm ist so geplant, dass …
die Pflegekräfte gleich mit ihrer Arbeit beginnen können.
die Auszubildende anschließend ein Studium beginnen können.
die Pflegekräfte auch in ihrer Heimat tätig sein können.
Die Notlage im Pflegebereich führt dazu, dass …
die Zahl der Altenheime sinkt.
auch in anderen Wirtschaftbereichen oft Fachkräfte fehlen, weil Menschen ihre Angehörigen pflegen.
ältere Menschen früher sterben müssen.
Das Modellprojekt hat einen Nachteil: Die angeworbenen ausländischen Pflegekräfte …
verdienen so wenig, dass sie in ihr Heimatland zurückkehren.
verdrängen deutsche Pflegekräfte vom Arbeitsmarkt.
wollen irgendwann nicht mehr in dem Beruf arbeiten.