fremdschämen
– sich für das peinliche Verhalten anderer Menschen schämen –
Fremdschämen…
Wenn die Begleitung im Restaurant an allem lautstark etwas auszusetzen hat, eine Extrawurst nach der anderen verlangt und am Ende sage und schreibe fünf Cent Trinkgeld gibt.
Wenn unser deutscher Zimmernachbar im Hotel auf Mallorca in aller Herrgottsfrühe mit zwei schwarz-rot-goldenen Handtüchern zum Schwimmbecken stiefelt, um die besten Liegen zu ergattern.
Wenn jemand im unpassendsten Moment einen unangemessenen Witz erzählt oder sich einfach komplett danebenbenimmt.
Wenn der eigene Mann denkt, bei jeder Gelegenheit unbedingt ein Ständchen bringen zu müssen, obwohl er überhaupt nicht singen kann und keinen einzigen Ton trifft.
Macht sich jemand zum Gespött der Leute, gibt sich der Lächerlichkeit preis, lässt kein Fettnäpfchen aus und blamiert sich bis auf die Knochen, finden wir das entweder unglaublich peinlich oder unendlich lächerlich. Mal schämen wir uns fremd und würden am liebsten im Erdboden versinken, mal empfinden wir Schadenfreude oder lachen uns schlapp über die peinlich bis beschämenden Darbietungen einiger unserer Mitmenschen.
Dabei ist es meist so: Je fremder uns der andere ist, desto weniger schämen wir uns fremd. Je näher er uns steht, desto peinlicher berührt uns die freiwillige oder unfreiwillige eigene Bloßstellung.
Doch Fremdschämen ist auch eine moderne Erscheinung des Zeitgeists, ein Zeitvertreib, der mit Einfühlungsvermögen nicht mehr viel zu tun hat. Statt einfach wegzuschauen, ergötzen wir uns genüsslich an den Peinlichkeiten, die immer mehr Menschen im Fernsehen und in der – nur auf den ersten Blick – virtuellen Welt präsentieren: Fremdschämen als die neue Schaulust für Schaulustige.
Übrigens ist dieses Wort noch nicht so alt. Es wurde erst 2009 in den Duden aufgenommen und war 2010 in Österreich Wort des Jahres. Natürlich haben wir uns auch vorher schon fremdgeschämt, doch da fehlten uns einfach die Worte.