Jeder Mensch erhält bei seiner Geburt einen Namen und nimmt damit später auch am gesellschaftlichen Leben teil. Namen haben also die Funktion, Individuen zu repräsentieren und die einzelnen Personen zu unterscheiden. Aber in der antiken chinesischen Gesellschaft hatten die Namen eine noch breitere Bedeutung.
In der langen chinesischen Geschichte gehörte die Kultur der Familiennamen zu den wichtigsten Bestandteilen des materiellen und geistigen Lebens der chinesischen Nation. In den Bereichen Politik, Kultur und Gesellschaft spielten die Namen eine äußerst bedeutsame Rolle. Laut archäologischen Dokumenten lebten schon vor über 1 Million Jahren Chinesen auf dem Boden des heutigen China. Allerdings begann die Geschichte der Familiennamen erst in der matriarchalischen Gesellschaft vor ca. 5000 bis 6000 Jahren. Merkmale der matriarchalischen Gesellschaft sind, dass den Großfamilien Frauen vorstehen und diese bei allen wichtigen Angelegenheiten die Entscheidungen treffen. Ehen durften nur zwischen Mitgliedern verschiedener Sippen und niemals innerhalb einer Sippe geschlossen werden. Um die Blutsverwandtschaft nachvollziehen zu können, mussten die Familien differenziert werden können. Als Identifizierungsmerkmal der gemeinsamen Blutverwandtschaft wurden Familiennamen (xing) eingeführt.
Gu Yanwu, ein Gelehrter aus der Qing-Dynastie (1644-1911), forschte über Familiennamen im antiken China und hat insgesamt 22 verschiedene gefunden, wobei im Laufe der Zeit einige Familiennamen mit dem Verschwinden der Sippen auch ausgestorben sein könnten. Die heute überlieferten Familiennamen können sich ebenfalls stark verändert haben. Vor ca. 4000 bis 5000 Jahren vollzog sich in China der Wechsel von der matriarchalischen zur patriarchalischen Gesellschaft, was auch den Übergang von der Stammes- zur Klassengesellschaft darstellte. Diese Übergangsperiode war gekennzeichnet durch gegenseitige Beeinflussung und Kämpfe unter den verschiedenen Sippen. Diese durch Sieg und Unterwerfung geprägte Epoche führte zur Entstehung der Klassengesellschaft. Verdienten Gesellschaftsmitgliedern wurden neue Lehengebiete zugeteilt und ihnen erlaubt dort zusammen mit ihren Familienmitgliedern, Untergebenen und Kriegsgefangenen zu siedeln, wodurch neuer Lebensraum erschlossen wurde. Diese neuen Siedler trugen verschiedene Familiennamen, bekamen jedoch nach Erhalt der neuen Lehengebiete ein neues Identifizierungsmerkmal, das eng in Zusammenhang mit den Gebieten stand, nämlich die Herkunftsbezeichnung (shi).
Im 3. Jahrhundert vor Christus nach der Vereinigung Chinas durch die Qin-Dynastie wurden die Familiennamen (xing), die aus der matriarchalischen Gesellschaft stammten, mit der Herkunftsbezeichnung (shi) aus der patriarchalischen Gesellschaft zusammengeführt. Während der 2000-jährigen chinesischen Feudalgesellschaft wechselten sich mehrere Dutzend Dynastien ab und bei jedem Wechsel entstanden neue Lehengebiete, die neue Familiennamen hervorbrachten. Die Familiennamen kennzeichneten die Klassenzugehörigkeit und es entwickelte sich eine einzigartige Kultur der Familiennamen, die über Generationen tradiert wurde. Die Ahnenforschung stellt einen wichtigen Teil dieser Kultur dar.
Auch heute noch pflegen Überseechinesen ebenfalls die Tradition der Ahnenforschung auf dem chinesischen Festland. Die chinesische Namenskultur ist als ein besonderes historisches Produkt der antiken chinesischen Gesellschaft bereits zu einem Bestandteil des riesigen Kulturschatzes Chinas geworden. Ihre Erforschung liefert neue Perspektive auf die chinesische Kultur. Durch das Studium der Herkunft, der Unterschiede und der Verbindung der Familiennamen können Rückschlüsse auf Besonderheiten beim Wechsel verschiedener Gesellschaftsformen gezogen werden und die konkrete Betrachtung der Familiennamen ist bei der Erforschung der Rolle der Blutverwandtschaft im Rahmen der Gesellschaftsentwicklung nützlich.
In den chinesischen Namen spiegeln sich kurz gesagt viele Merkmale des antiken China wider wie z.B. das autokratische System, die Familienstruktur der Gesellschaft sowie die ethischen und moralischen Normen, weshalb sie immer mehr Beachtung durch akademische Kreise erlangen.