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德语文章选读:Das Fleisch liegt auf sechs Uhr

时间:2010-12-15来源:互联网 字体:[ | | ]  进入德语论坛
(单词翻译:双击或拖选) 标签: 德语文章选读

Wer im "Restaurant Blindekuh" in Zürich essen will, der muss verzichten können. Auf Zigaretten, Feuerzeug, Handy und Uhren mit Leuchtziffernblatt. Eben auf alles, was Licht macht. Denn im "Blindekuh" ist es stockdunkel - eine Idee des Schweizer Blindenbundes. Deshalb bedienen dort auch ganz besondere Kellnerinnen. So wie Janka, 25. Sie ist seit ihrem achten Lebensjahr fast blind. 

 

 

 

Janka, "blinde Bedienung", das hört sich an wie "einbeiniger Steptänzer" - so als wäre es nicht möglich.
Normalerweise arbeiten Blinde am Schreibtisch, im Büro, am Telefon, am Computer, höchstens noch als Klavierstimmer oder Masseur. Jedenfalls nicht als Bedienung. Aber die Blindekuh ist auch kein normales, sondern ein Dunkelrestaurant. Wir haben zwanzig Zentimeter dicke Fensterläden und doppelte, schwarze Vorhänge vor dem Eingang und vor der Küche. Sogar die Durchreiche für die Teller von der Küche in den Speiseraum ist mit zwei Türen gesichert. Bei uns ist es so dunkel, da sehen Sehende gar nichts, nicht mal, wenn sie die Hand direkt vor ihre Augen halten. Also bedienen eben Blinde und stark Sehbehinderte, so wie ich. Die kommen mit der Dunkelheit ein wenig besser zurecht.

Nur ein wenig besser? Sind Blinde nicht ans Dunkel gewöhnt?
Sehende denken immer, Blinde würden in ewiger Nacht leben. Das stimmt aber nicht. Wir spüren Licht und Sonne. Und zwar gerne. Für die wenigsten Blinden ist die Welt schwarz. Und ich kann ja auch noch ein klein wenig sehen, Kontraste, hell und dunkel, ich kann sogar Rot und Blau auseinander halten. Deshalb stresst mich die Dunkelheit beim Bedienen durchaus, ich mag es auch lieber, wenn es hell ist. Aber dann wäre ja der Sinn weg in der "Blindekuh".

Was ist denn der Sinn des Restaurants?
Sehende sollen sich in die Welt von Blinden einfühlen. Und das kann man am besten bei einer ganz normalen Alltagstätigkeit im Dunkeln: Essen, zum Beispiel.

Was ist anders, wenn man blind isst?
Man schmeckt intensiver. Meine Gäste riechen auch schon von weitem, wenn ich mit dem Kaffee ankomme, alle Sinne sind sensibler. Unser Koch muss das auch berücksichtigen, er hält sich mit Salz und Gewürzen sehr zurück - sonst beschweren sich die Gäste und sagen, das Essen sei überwürzt. Nicht so toll ist, dass man nicht sieht, wie groß das Stück ist, das man sich abschneidet, und sich dann ein halbes Schnitzel in den Mund stecken will - und sich dabei bekleckert. Oder dass man nie weiß, was wo und wie viel auf dem Teller ist.

Gibt es da einen Trick, mit dem Blinde solche Probleme lösen?
Viele Blinde lassen sich beim Servieren sagen: "Das Fleisch liegt auf sechs Uhr, die Kartoffeln auf zwölf Uhr, Gemüse auf drei Uhr." Dann wissen sie: Das Fleisch ist am unteren Tellerrand, das Gemüse rechts außen und so weiter. Aber ansonsten muss man halt stochern und tasten. Oder hören, wie voll das Glas schon ist. Oder beim Einschenken den Finger ins Glas reinhalten.

Machen das die Gäste in der "Blindekuh" auch so?
Ich denke schon, ich sehs ja nicht. Viele essen auch einfach mit den Fingern oder sagen, ich bräuchte ihnen kein Glas bringen - sieht ja keiner, wenn sie aus der Flasche trinken...

Geht viel zu Bruch?
Scherben gibts immer wieder. Das ist ziemlich schwierig für uns Bedienungen, denn wir können ja nicht einfach Licht machen und dann alles wegräumen. Also muss man die Scherben ertasten und vorsichtig wegräumen.

Wie finden Blinde sich zurecht?
Wenn Blinde einen unbekannten Raum betreten, müssen sie sich den erst mal ertasten, an den Wänden langgehen und so. Der Speisesaal in der "Blindekuh" ist mir natürlich vertraut, da renne ich in nichts rein oder stolpere. Außer ein Gast streckt einen Fuß aus, passiert immer wieder. Ansonsten gibt es noch so ein paar Tricks: Das Fleischgericht erkennen wir etwa am runden Teller, Fisch ist immer auf eckigen, das vegetarische auf gerippten. Damit wir Bedienungen nicht ineinander reinlaufen, binden wir uns Glöckchen um die Fußknöchel. Und durch den Raum führt eine Schwelle, die man mit den Füßen ertasten kann, vom Eingang zur Bar. Rechts davon stehen sechs Tische, links vier. Und dann kenne ich ja auch die Stimmen meiner Gäste. Die lerne ich im Vorraum kennen und führe sie an den Tisch...

Die Gäste können nicht allein zu den Tischen finden?
Nein, niemals. Wir machen eine Polonaise, die Gäste legen ihrem Vordermann die Hände auf die Schultern, ich bin die erste, und dann gehts zum Tisch. Dann helfe ich ihnen noch zu ihren Stühlen und zeige ihnen, wo das Besteck liegt. Ich führe sie auch wieder raus, wenn sie aufs Klo müssen - auch wenn das manchen peinlich ist.

Gibt es auf dem Klo auch kein Licht?
Doch, doch. Auch in der Küche oder im Eingangsbereich. Nur der Speiseraum ist dunkel. Aber vielen Gästen ist es peinlich, mich zu rufen, weil sie mal müssen. Neulich hat sich, glaube ich, sogar eine ältere Frau in die Hose gemacht - ganz sicher bin ich mir aber nicht... Ich versuche jedenfalls, den Gästen Ängste und Hemmungen zu nehmen.

Du bist also nicht nur Kellnerin, sondern auch noch psychologische Betreuerin.
Das ist auch nötig, denn viele Gäste haben erst mal Angst im Dunkeln. Manche kehren sogar nach ein paar Schritten wieder um oder lassen sich nach ein paar Minuten wieder rausführen. Die ersten paar Minuten sind die schlimmsten - bis das Essen da ist. Dann haben die Leute was zu tun, und dann wirds leichter für sie.

Wie merkst du dir all die Bestellungen? Schreibst du sie auf?
Nein. Manche meiner Kolleginnen benutzen so eine Art Diktiergerät, aber ich verlasse mich ganz auf mein Gedächtnis. Auf das bin ich richtig stolz, ich kann mir problemlos Bestellungen von zwölf Leuten merken.

Bestellungen von zwölf Leuten? Wie machst du das?
Ich glaube, dass Blinde ein besseres Gedächtnis haben. Oder sagen wir lieber: Es ist besser trainiert. Wir können ja nicht einfach noch mal schnell nachschauen, wenn wir eine Telefonnummer vergessen haben. Also müssen wir uns alles merken. Da haben es Sehende wirklich viel leichter.

Wie immer.
Darum bediene ich ja auch so gerne in der "Blindekuh". Hier drehen sich die Rollen um. Hier kann ich mal Held sein. Na ja, Held klingt vielleicht blöd. Aber hier übernehme ich die Führung. 
 

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