Stephanie Laier aus Dielheim bei Heidelberg ist 15 Jahre alt und die einzige Motocross-Spitzenfahrerin in Deutschland. Wie ist es, immer gegen Männer zu fahren? Wir fragten sie bei ihrem zweiten großen Hallenrennen in der Münchner Olympiahalle.
Stephanie, du siehst etwas mitgenommen aus, was ist passiert?
Supercross in der Halle hat einen ganz anderen Schwierigkeitslevel als Motocross im Freien. Die Strecke verläuft viel enger, und dann gibt es da noch das Waschbrett.
Das Waschbrett?
Das ist eine Streckenpassage mit mehreren kleinen Erdwellen in kurzen Abständen. Ich bin schon im ersten Training gestürzt. Ich hatte mir vorgenommen, dieses Mal im Hauptrennen dabei zu sein, vielleicht sogar in die Punkte zu fahren, doch dieses beschissene Waschbrett... Hier in München liegt mir die Strecke nicht besonders, der Naturboden ist sehr weich und deshalb auch schnell mit tiefen Spuren und Rillen gezeichnet. Da wird es dann noch schwieriger, das Gleichgewicht zu halten.
Jetzt bist du an der Schulter bandagiert. Kannst du dich erinnern, wie der Sturz heute Vormittag zustande kam?
Meine Rundenzeiten waren nicht schlecht. Daraufhin habe ich einfach mehr riskiert, weil ich gut im Rhythmus war. An einer der letzten Wellen im Waschbrett wollte ich mit mehr Gas ein paar Meter gutmachen, doch dann bin ich bei der Landung mit dem Hinterrad im weichen Untergrund hängen geblieben. Was dann kommt, ist reine Physik: Du gräbst dich ein, wie es die Crosser nennen. Ein Gefühl, wie wenn man gegen eine Wand fährt. Nach dem abrupten Abbremsen überschlägst du dich nach vorne, und manchmal, wie in meinem Fall, erlebst du noch eine Überraschung in Form deines Motorrads, das angesegelt kommt. Die Sanitäter stellten eine Prellung der Schulter und vielleicht einen Anriss fest. Morgen muss ich zu allererst ins Krankenhaus zum Röntgen.
Wie wird man eigentlich Motocross-Fahrerin? Geht man einfach irgendwann zum Üben in die Kiesgrube?
Nein, also, bei mir hat alles damit angefangen, dass mein Vater mich zum Rennen mitgenommen hat. Früher ist er selbst mal gefahren. Und das hat mir so gut gefallen, dass ich unbedingt eine eigene Maschine haben wollte. Zum vierten Geburtstag bekam ich ein Motorrad geschenkt und ging dann auf meiner Heimstrecke beim CRT Dielheim trainieren. Weil es erst ab 5 Jahren erlaubt ist, Rennen zu fahren, habe ich ein Jahr lang nur trainiert. Meine Eltern glaubten, dass mein Interesse so schnell verfliegen würde, wie es gekommen war, aber da haben sie falsch gedacht. Zuerst bin ich fünf Jahre 50ccm gefahren, dann 80ccm und nun das dritte Jahr die 125ccm Klasse für das Team Millennium.
Und du bist immer das einzige Mädchen?
Ja, ich kenne es nicht anders, als mit Männern zu fahren. Keine Ahnung, ob es leichter wäre, wenn es in Deutschland, so wie in den USA, eine eigene Frauenklasse geben würde. Meistens wird besonders auf mich hingewiesen. Aber da ich in meiner Rennserie die einzige Starterin bin, finde ich es schon gerechtfertigt, dass ich mehr Interesse auf mich ziehe. An meinem Beispiel können die Zuschauer mal sehen, dass Mädchen nicht nur für Tennis oder Volleyball geeignet sind. Alle denken, Crossfahren sei zu gefährlich für Frauen. Das stimmt nicht: Es ist nur gefährlich.
Ist die angesprochene Gefahr auch der Kick?
Das Geilste sind die Sprünge. Das kann ich kaum beschreiben, was da passiert. Vor dem Absprung hast du ein flaues Gefühl im Bauch, weil du nicht über das Hindernis schauen kannst. Während des Fluges begeistert es mich einfach, frei und bodenlos zu sein, die zwei bis drei Sekunden Dauer, über allen anderen zu fliegen. Außerdem mag ich das Kribbeln vor dem Start. Dort herrscht immer Platzknappheit. Die vielen Gedanken und das mulmige Gefühl gehen spätestens nach dem Start weg. Dann gibt es nur noch den Blick nach vorne, Vollgas und das Anbremsen in der ersten Kurve, denn die ist beim Supercross die wichtigste. Du musst dir die Ideallinie auf der kurzen Startphase erkämpfen, denn die Platzierungen dort sind rennentscheidend.
Versuchst du auch deine Freundinnen und andere Mädchen von deinem Sport zu überzeugen?
Ja, weil Motocross einfach sehr viel Spaß macht, auch wenn man nur hobbymäßig fahren will. Aber das Risiko und die Verletzungsgefahr schrecken doch die meisten ab, dagegen haben mich schon viele Jungs darauf angesprochen, die das toll finden und gerne mal ein paar Runden drehen wollen.
Akzeptieren dich die Fahrer als gleichwertige Konkurrentin?
Das teilt sich etwas auf. Die Jungs in meinem Alter haben schon echt Probleme damit, dass ich in derselben Klasse fahre, und wenn ich dann noch schneller bin, fangen sie schon mal an, unangenehm zu werden, und treiben ihre pubertären Spielchen. Diejenigen, die vor mir im Ziel sind, lachen auch manchmal demonstrativ über ihre Konkurrenten, die nach mir ankommen. Die älteren Fahrer sind viel freundlicher: Einige geben mir sogar Tipps oder trösten mich, wenn es mal nicht so läuft.
Du gehst noch zur Schule, wie sieht dein Alltag aus?
Vormittags habe ich Unterricht, nachmittags wird trainiert. Minimum zweimal pro Woche wird Motorrad gefahren, ansonsten trainiere ich Kondition und Muskeln mit Inlineskating oder Mountainbiking; aber auch da mag ich am liebsten Downhill.
Und Volleyballspielen wäre dir wohl etwas zu vernünftig...
Ballspiele interessieren mich nicht. Ich mag eher andere Sachen, die sich nicht jeder traut. Für mich passiert bei Extremsportarten viel mehr. Beim Hallencross kommt dann noch die Atmosphäre dazu. Das ist ein großes Spektakel, das man live erleben muss. Meine Selbsteinschätzung reicht von "Idealist" bis "leicht wahnsinnig".
Kommst du viel rum durch deinen Sport?
Ja, meistens bin ich mit meinen Eltern von Rennen zu Rennen unterwegs. Wir haben ein Wohnmobil, in dem ich oft mit meinem Vater sitze und mir seine Ratschläge anhöre. Manchmal nervt mich seine ewige Kritik. Aber wenn er mich lobt, obwohl ich schlecht war, bringt das auch nichts.
Mal was anderes: Reparierst du dein Motorrad selbst?
Nö, ich finde zwar die wichtigsten Teile an meinem Motorrad und kenne deren Bedeutung, aber rumschrauben tut nur mein Vater. Ich muss ja erst noch den Motorrad-Führerschein machen, wie jeder andere auch. Da soll man angeblich auch noch einiges dazulernen.
Text und Photo: Olaf Unverzart