Sonnenstrahlen brachen sich in der leichten Dünung und ließen das Meer stellenweise glitzern, als bestünde es aus Dutzenden Diamanten. Mitten in dieser blauen Wüste wiegte sich sanft der Rumpf eines Zerstörers und ließ sich sein Oberdeck bescheinen. Vereinzelt lagen Matrosen, die gerade keine Wache hatten, auf den freigegeben Plätzen und versuchten, so viel Sonne wie möglich abzubekommen. Ein paar männliche Marines trainierten mit nacktem Oberkörper auf dem Landeplatz am Achterdeck und gaben vor, die kleine Gruppe von weiblichen Navy-Offizieren zu ignorieren, die sich scheinbar zufällig in der Nähe eingefunden hatte und sie mit teils amüsierten, teils bewunderten Blicken musterten. Es herrschte im Großen und Ganzen eine fast friedliche Stimmung und kaum einer dachte im Moment an den schrecklichen Grund für ihre Anwesenheit an diesem Punkt der Erde.
Zu den wenigen, die es dennoch taten zählte Korvettenkapitän Wolf Ritter, der Erste Offizier des Schiffes. Seit dem Putsch in England und des zurückgeschlagenen Großangriffes auf die restlichen Mitglieder der USE, der United States of Europe, war es die Aufgabe der europäischen Marine, eine Seeblockade gegen das neue britische Reich aufrecht zu erhalten. Bei weitem keine leichte Aufgabe, auch wenn das Reich den Großteil seiner Flotte bereits verloren hatte. Und es zehrte an den Nerven aller, dass ihre Ablösung nun schon seit gut einer Woche überfällig war.
Seufzend wandte sich Wolf nun vom Kartentisch ab und der wachhabenden Radaroffizierin zu. Doch bevor er den Mund öffnen konnte, schüttelte diese mit einem bedauernden Blick den Kopf und schenkte ihm ein entschuldigendes Lächeln. Das erneute Aufseufzen des EO wurde durch die präzise Stimme seiner Kommandantin gerade noch unterbunden. "Wohl noch immer nichts neues?" wollte Kapitän Nina Kaiser von ihrem Ersten wissen. Als dieser nur den Kopf schüttelte, legte sie ihm in einer freundschaftlichen Geste die Hand auf die Schulter und nickte in Richtung der Luke: "Gehen sie sich ausruhen Wolf, ich übernehme die Wache!" "Aber Kapitän, ich ...." wollte Ritter wiedersprechen, wurde jedoch von der erhobenen Hand seiner Vorgesetzten gestoppt. "Das war keine Bitte. Gehen sie schlafen, legen sie sich zu Holler aufs Vorschiff oder trainieren sie mit den Marines" fuhr Kaiser mit einem leichten Lächeln
fort: "Aber gönnen sie sich etwas Erholung. Vor allem nachdem sie es waren, der mir das gleiche angeraten hat." "Jawohl Ma`am" erwiderte Wolf nach kurzem Zögern und brachte nun ebenfalls ein Lächeln auf seine Züge: "Dann werde ich mir mal eine kleine Stärkung in der Offiziersmesse gönnen." Damit übergab Ritter das Kommando und verließ dann die Brücke. Nun war es am Kapitän aufzuseufzen, wenn auch ehrlich empfundener Erleichterung.
"Bitte entschuldigen sie Ma`am" sprach nun im Hintergrund die Radaroffizierin die ranghöhere Waffenleitoffizierin an. "Was gibt es Bauer?"
"Ich will nicht unhöflich sein" begann die jüngere Frau nach kurzem Zögern und einem Blick auf den Rücken der Kapitänin: "Aber mir scheint der Korvettenkapitän hat ein Problem. Mir ist aufgefallen, dass er mich bei unseren letzten Wachen immer vier Lidar-Impulse abschicken ließ. Doch nicht nur zur Feindküste, sondern auch in die andere Richtung." "Er wartete genauso auf die Ablösung wie wir anderen" erklärte die Angesprochene mit leiser Stimme: "Vielleicht sogar etwas mehr. Schließlich gehört er nicht zu den Offizieren an Bord, die unsere lockerere Regelung dazu nutzen, Herz und Schwanz an Bord zu lassen." Durch die letzten Worte, verbunden mit einer Stimme, wie sie eine Mutter benutzte, wenn sie ihre Tochter tadelte, lief die Radaroffizierin knallrot an. Mit einer gemurmelten Entschuldigung und dem Gefühl, bei etwas verbotenem ertappt worden zu sein, wandte sie sich wieder ihrer Konsole zu und setzte ihre Arbeit fort.
Korvettenkapitän Ritter saß inzwischen in der Offiziersmesse und nippte an einer Tasse Tee. Zwar hatte er das Gespräch auf der Brücke nicht mitgehört, doch dafür andere, die sich um das gleiche Thema gedreht hatten. Und Wolf hatte auch schon einige Gerüchte gehört. Dennoch hatten die meisten Besatzungsmitglieder keine Ahnung, auch wenn ein paar Leute mit ihren Ideen der Wahrheit schon ziemlich nahe gekommen waren. Doch er hatte nicht vor, die oder jemand anderen zu korrigieren, zumindest nicht zu dieser Zeit.
Nachdem sich Ritter nun versichert hatte, dass er allein in der Messe war, griff er in die Brusttasche seines Uniformhemdes und förderte ein flaches Lederetui zu Tage. Für einen Moment begnügte Wolf sich damit, dessen Oberfläche zu mustern, dann öffnete er es.
Das Foto an der Innenseite zeigte eine hübsche, hellbrünette Frau, die ihre Arme in die Hüften gestemmt und in die Kamera gelächelt hatte. Sie trug lediglich das Uniformhemd eines USE-Navy Offiziers und auch wenn ein anderer Beobachter vermutlich geglaubt hätte, dass es nicht ihres sei, wusste es Wolf besser. Lächelnd strich er mit seinen Fingern über das Foto und ließ zu, dass ein paar Gefühle durch seinen Panzer aus Professionalität und Disziplin drangen. Er vermisste sie und nur die Aussicht, sie bald wieder zu sehen, konnten diese Anwandlungen restlos unter Kontrolle halten. Auch wenn der Umstand, dass ihr Schiff schon abgelöst worden war, die Zeit für seine Heimkehr knapp werden ließ. Doch noch hatte Ritter die Hoffnung nicht aufgegeben und als nun das Interkom knackte und man ihn auf die Brücke rief, wurde sein Lächeln noch breiter. "Ich liebe dich" flüsterte er leise, bevor er das Etui wieder einsteckte und sich auf den Weg machte.
Die junge Frau war gerade dabei, sich für den Abend umzuziehen, als sich der Türsummer ihres Hotelzimmers meldete. Missmutig trat sie zur Türe und öffnete diese. Davor stand der Kommandant ihres Schiffes und seiner Mine nach zu urteilen, war dies kein Höflichkeitsbesuch. "Ja Sir?" fragte sie mit ruhiger Stimme, während sie innerlich wusste, dass ihr die Antwort alles andere als gefallen würde. Das Gefühl verstärkte sie noch, als ihr Gegenüber eintrat und sie mit einer Geste in Richtung Tisch führen wollte: "Setzten sie sich Linda!" . Doch sie kam der Aufforderung nicht nach und forderte nun mit kalter Stimme: "Was ist los Kapitän?" Der Angesprochene schenkte ihr einen Blick, in den sich Schmerz und tief empfundenes Mitleid mischten und plötzlich verkrampften sich ihre Innereien und kalte Finger tasteten nach ihrem Herz. Sie wollte gerade ihre Frage wiederholen, als ihr Kapitän ein kleines Packet hervor holte, dass er bisher in der linken Hand verborgen getragen hatte. Ohne ein weiteres Wort öffnete er es und holte einen flachen Gegenstand hervor, den er ihr reichte.
Ihr Mund öffnete sich, doch kein Ton kam heraus, als sie das ramponierte Lederetui aus seiner Hand nahm. Eine Ecke fehlte und in der Mitte prangte ein Loch, an dessen Rändern getrocknetes Blut einen farblich abgehobenen Rand bildete. Sie brauchte nicht zu fragen, nur zu genau wusste sie, von wem das Blut stammte. Ein Zittern fuhr durch ihren Körper, als sie einen Schritt zurück gehen wollte und Tränen rannen ihr über die Wangen, als sie das Etui öffnete und sich selbst auf dem stark beschädigten Foto darin erkannte. Sie hatte gehört, dass es zu einem letzten Durchbruch gekommen war, zu einem letzten Aufbäumen der Flotte des britischen Reiches. Doch sie hatte nicht gewusst wo und welche eigenen Einheiten daran beteiligt gewesen waren. Doch nun ....... Nun würde sie ihren Geliebten nie wieder sehen. Der Krieg hatte zugeschlagen und ihr das geraubt, dass zum, Wichtigsten in ihrem Leben gezählt hatte. Er ... war tot.