Zuerst geschah es auf einem der sieben Monde von Tradia. Die Flüchtlinge machten gerade eine wohlverdiente Pause, und die Nacht brach herein. Mit gerunzelter Stirn beobachtete einer der fahnenflüchtigen Schattenkrieger die Menschenmasse. Er brauchte nicht lange, um zu erkennen, dass sich die Zahl der Flüchtenden verringert hatte. Am Anfang hatten sie die Größe eines kleineren Heers gehabt, doch inzwischen konnten es kaum mehr als 100 ausgelaugte, dreckverkrustete Menschen sein. Hinter ihm waren einige Gruppen von Nachzüglern zu sehen, aber das konnten doch unmöglich alle sein!
Ein gewöhnlicher Mensch hätte sich vermutlich umgedreht, und wäre weiter gelaufen. Die meisten Flüchtlinge taten das auch, doch der entflohene Schattenkrieger blieb stehen. Er gehörte nicht zu den ‚meisten Menschen', und wäre sein Wille nicht so eisern gewesen, so hätte er es gar nicht erst hierhin geschafft. Später sollte sich heraus stellen, dass das die beste Entscheidung gewesen war, seit sie sich aufgemacht hatten um sich der Herrschaft des großen Schattens zu entziehen. Denn kaum hatte sich der Schattenkrieger etwas konzentriert, und stumm über die endlosen Dünen gestarrt, da sah er sie auch schon. Die schwarze, geisterhafte Masse am Horizont, die sich scheinbar langsam, in Wirklichkeit aber mit rasender Geschwindigkeit auf sie zu bewegte.
"Die Schattenkrieger!", brüllte er. Seine Stimme übertönte mühelos die erschöpfte Gruppe. "Sie kommen!" Sekunden später war die Menge auf den Beinen. Einige liefen schreiend durcheinander, andere standen nur ungläubig da. Sie alle wussten, was das bedeutete. Gegen die Schattenkrieger konnten sie nichts ausrichten. Das hatten sie noch nie gekonnt. Sie hatten keine Chance. Eine Sache beachteten sie dabei allerdings nicht: früher hatten sie nie Schattenkrieger an ihrer Seite gehabt...
"Ruhe!" Das war wieder der Schattenkrieger. Früher hatte er seine eigene kleine Armee geleitet, und wusste was zu tun war. "Bleibt ruhig, sonst habt ihr keine Chance! Ich sage euch, bleibt zusammen. Bleibt in der Gruppe, und dann lauft so schnell ihr könnt! Dies ist die letzte Hürde. Wenn wir die überwunden haben sind wir frei." Seine Stimme schallte laut über das kleine Tal zwischen zwei Dünen. Und er hatte recht. Würden sie den Kriegern entkommen können, würden sie gerettet sein. Sie hatten es schon so weit geschafft...sie durften jetzt nicht aufgeben. In der selben Lautstärke befahl der Schattenkrieger schließlich, weiterzulaufen. Eine zu lange Pause durften sie sich nicht erlauben. Die Krieger waren schnell. Sehr schnell, und noch sehr viel gefährlicher. Er selbst blieb noch stehen. Die untergehende Sonne strahlte auf sein verhülltes Gesicht. Nur seine Augen waren zu erkennen. Dunkle, stechende Augen, die in dem purpurnen Licht funkelten. Neben ihn trat eine weitere, verhüllte Gestalt. Es war einer der Schattenkrieger, die mit ihm geflohen waren.
"Wir werden es nie schaffen, gegen sie anzukommen", sagte er leise.
"Wir müssen es schaffen, Khazim" Doch mit diesen Worten konnte er den Krieger nicht beeindrucken. Auch kannte Khazim seinen Anführer, und wusste, wie er in aussichtslosen Situationen reagierte. Und das war eine von ihnen.
"Ein paar Flüchtlinge gegen das ganze Heer des großen Schattens? Ich bitte dich!"
Langsam, um den Moment auszukosten, drehte sich der Schattenkrieger zu Khazim um. Es war, als würde das gesamte Feuer der Sonne in seinen Augen lodern, als er zu dem untergebenen Krieger sprach.
"Sie sind so weit gekommen, sie werden es auch noch schaffen, vor dem Heer zu fliehen. Darauf gebe ich dir mein Wort. Wir werden gewinnen, und wenn es uns alles kosten wird was wir besitzen. Vielleicht sogar unser Leben. Doch wir werden es nicht bereitwillig aufgeben. Wir werden kämpfen!" Das Feuer in seinen Augen verblasste. Er senkte seinen Kopf. Es war Zeit zu gehen. Zu zweit konnten sie nicht kämpfen, und die Flüchtlinge waren schon weit voraus. Sie schienen tatsächlich ihre ganze Kraft zusammengenommen zu haben, um den Kriegern zu entkommen. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, auch wenn Khazim es nicht sehen konnte. Der Wille der Menschen war stark. Es war eben dieser Wille, den man brauchte, um gegen die Schattenkrieger zu kämpfen. Um sich dem ewigen Schatten zu entziehen, und die Gefilde des Lichts zu betreten. Das war ihr Weg. Und den würden sie verdammt noch mal beschreiten!