Als Karl zum Fenster hinaus schaute, konnte er nicht ahnen, in welcher Weise sich ihre Wege kreuzen würden. Sein Blick ruhte auf dem Alten Turm aus dem frühen 14. Jahrhundert. In der späten Nachmittagssonne strahlte das denkmalgeschützte Bauwerk eine besondere Ruhe aus.
Zur gleichen Zeit saß Sheryll im ICE von Köln nach Frankfurt. Seit der Fertigstellung der neuen Schnelltrasse beträgt die Fahrtzeit nur noch 77 Minuten. Aber sie achtete nicht auf die Geschwindigkeit. Ihre Gedanken kreisten um die Fertigstellung des Projekts. Auch sie konnte nicht ahnen, in welcher Weise sich ihre Wege kreuzen würden.
Wie er wohl in Natura aussehen würde, der alte Turm aus dem frühen 14. Jahrhundert? Sheryll hatte für dieses Projekt gekämpft - obwohl sie im Büro auf schwere Widerstände stieß. "Ein denkmalgeschützter Turm - noch dazu aus dem 14. Jahrhundert, und dann, das ganze Fachwerk - Kindchen, da haben Sie sich aber was vorgenommen." Egal, der Kampf gegen die Männerwelt war gewonnen - und Sheryll war auf dem Weg zu "ihrem" Projekt. Nur noch wenige Minuten, dann würde der Zug Frankfurt erreichen. Sheryll packte ihre Zeichnungen und Unterlagen zusammen, und machte sich bereit für den Ausstieg. "Meine Damen und Herren, in wenigen Minuten erreichen wir Frankfurt am Main", tönte es aus dem Lautsprecher. Sie zog ihren Mantel über, und ging zum Ausstieg. Am Bahnhof sollte sie abgeholt werden - so stand es in dem Fax, das ihre Firma erst gestern spät erreichte.
Erwartungsvoll ging sie zum Ausgang. "Ms. Brighton, ich bin ihr Chauffeur, Herr Walter", so stellte sich ihr ein wenig merkwürdiger Mann vor. "Bitte, der Wagen steht da vorne". Sheryll stieg in den Wagen. "Es ist nicht sehr weit", bemerkte der Mann während er den Wagen startete - "wenn alles glatt geht sind wir in dreißig Minuten da". Sheryll murmelte: "Ist schon in Ordnung".
Sie fuhren durch eine reizende Landschaft - vorbei an Eichenwäldern, riesigen Alleen und prächtigen Seen. Sheryll geriet ins Träumen als eine Männerstimme sie aus ihren Träumen riss. "Ms. Brighton, jetzt sind wir gleich da". "Oh, was? - ja, ja", antwortete sie verlegen.
Der Wagen fuhr einen Kiesweg hinauf - und da stand "er" in voller Pracht - der Turm, ihr Projekt.
Herr Walter parkte den Wagen, und bat Sheryll einen Moment zu warten, während er so, wie er scherzend sagte, "den Hausherren" über die Ankunft informieren wolle.
Sheryll packte ihre Tasche unter den Arm, und wollte gerade einige Schritte zum Turm laufen - als Herr Walter und Karl aus dem Haus kamen. Ihr stockte fast der Atem, als sie Karl sah. Karl ging es ähnlich. "Du - hier " - das kann doch nicht sein ….", stammelte Karl fasst wie ein Pennäler.
"Ja, und?" ….
"Jetzt komm erst mal mit ins Haus, da können wir Weiteres besprechen", sagte Karl. Plötzlich war es wieder da, das tiefe Gefühl, das Sheryll für Karl empfand - obwohl sie damals verheiratet war, und wusste es darf nicht sein.
Karl war inzwischen ein erfolgreicher Schmuckdesigner geworden, und hatte sich seinen Wunsch vom eigenen Turm verwirklicht. Sheryll inzwischen geschieden - Mutter zweier Kinder und erfolgreiche Architektin.
"Weißt du, dass ich dich nie vergessen konnte", fing Karl an …. ich habe dir damals gesagt ‚man trifft sich immer zweimal im Leben' - aber jetzt lasse ich dich nie wieder gehen."
Ein tiefes Gefühl von Wärme und Geborgenheit breitete sich in Sherylls Herz aus. Auch sie wusste, endlich nach langer, langer Zeit, zu Hause angekommen zu sein. Zu Hause angekommen, aus endlosen Träumen erwacht - glücklich.