72 Stunden seines Lebens verbringt der Mensch im Fahrstuhl - ausreichend Zeit, auf engstem Raum Kollegen nahezukommen. Doch so genau wollen wir Mitesser und speckige Krägen gar nicht sehen.
Der Geschäftsmann - im beigen Jackett und mit adrett gestutztem Schnauzer - steigt nach seinem Termin in den Fahrstuhl. Er ist entspannt, die Besprechung ist gut gelaufen. Doch dann: Warmes Blut tropft von oben auf seine linke Schulter, es ist noch warm. Er wendet sich suchend zur Decke. Da fällt ihm plötzlich kopfüber eine Leiche entgegen.
Diese Szene entstammt dem niederländischen Gruselschocker "Fahrstuhl des Grauens", einem Juwel unter den Trash-Horror-Filmen. So wie auch "Abwärts", "Fahrstuhl zum Schafott" oder "Der Tote im Fahrstuhl" geht es nur um ein Thema: Wie in der kleinen Kabine und im dazugehörigen finstren Schacht Menschenleben zerstört werden.
Ein kleiner, sehr öffentlicher Raum
Dabei bräuchten die Regisseure für ihre Horrorstreifen gar nicht zu solch dramaturgischen Kniffen wie Platzangst, Mord und Totschlag greifen, um Schrecken zu verbreiten. Ein kritischer Blick in deutsche Büro-Fahrstühle wäre vollkommen ausreichend. Dort werden zwar nicht Menschenleben zerstört - aber oft genug Karrieren. Ein einziger, falscher Satz kann die nächste Beförderung zunichtemachen.
Trotzdem ist in der Job- und Ratgeberliteratur viel öfter von der Kaffeeküche und dem Kopierzimmer die Rede als vom Aufzug. Als entscheidende Büro-Örtlichkeit wird er total unterschätzt. Dabei verbringt jeder Mensch im Durchschnitt 72 Stunden seines Lebens in einem Fahrstuhl. Da in dieser Rechnung Eskimos und Aborigines bereits inbegriffen sind, fährt der deutsche Durchschnitts-Angestellte wohl mindestens drei Mal so viel.
Leberwurstbrot zum Frühstück
Der Büro-Fahrstuhl ist ein kleiner, aber dafür sehr öffentlicher Raum. Dort treffen Welten aufeinander, die sonst völlig getrennt voneinander existieren. Der Vorstandsvorsitzende begegnet der Reinigungskraft, der Abteilungsleiter lernt den Praktikanten kennen. Wenn sich alle auf drei Quadratmetern zusammendrängeln, erfordert das höchste Disziplin, denn der natürliche Anstandsabstand von mindestens 70 Zentimetern ist unangenehm unterschritten.
Die Fahrgemeinschaft könnte die Situation nun schweigend erdulden und in Stille ausharren. Dieses Verhalten lässt ausreichend Zeit, die Mitfahrer zu mustern. Denn dämlich die Decke anzustarren oder stumpf die Schnürsenkel zu mustern, gelingt nur den wenigsten. Die anderen Passagiere sind viel zu interessant. Oft genug kommt man sich sogar so nahe, dass man auch Mitesser und Nasenhaare studieren kann - und riecht, dass das Gegenüber Leberwurstbrot zum Frühstück hatte.
Mitfahrer mit Platzangst
Manche können die Nähe jedoch so schlecht ertragen, dass es zu Übersprunghandlungen kommt. Um die Stille zu durchbrechen, greifen Kollegen immer wieder zu dem wenig originellen Satz: "Letzte Woche erst ist der stecken geblieben." Mitfahrer mit Platzangst packt dann das kalte Grausen, sie steigen beim nächsten Halt sofort aus. prompt kommt dort der nächste Reisegenosse um die Ecke gespurtet. "Nehmen Sie mich noch mit?"
Doofe Frage, was sollte man sonst tun? "Nein, ich würde lieber alleine fahren, damit ich vor dem Spiegel in Ruhe meine Haare ordnen kann" - Respekt vor allen, die sich trauen, diese Wahrheit auszusprechen.
Dann doch lieber übers Wetter plaudern: "Ganz schön kalt geworden." "Ja, jetzt ist Herbst." "Mmh, schönen Tag dann noch." Danke fürs Gespräch. Nur wenige beherrschen die Kunst, sich in angeregtem Ton über solche Nichtigkeiten auszutauschen - und sich dabei nicht anmerken zu lassen, dass sie wissen, dass auch die anderen wissen, wie unangenehm die Situation ist.
Verpflichtende Rundmail
Verbreitet ist auch die Unsitte, beim Aussteigen doch noch schnell einen Satz loswerden zu wollen. Dazu stellt sich der Kollege in die Tür und nichts geht mehr. Dieses Verhalten erinnert an den Reflex im Badeurlaub, schon vor dem Frühstück die Liegen am Pool mit Handtüchern zu blockieren.