Eine kleine Scheere lag am Fenster einer jungen Gräfin und ließ sich von der schönen Morgensonne bescheinen. Sie war sehr hübsch und hatte ein paar Ringe vom feinsten Elfenbein.
– Nein, wie schön ich doch bin! rief sie aus, wenn ein Sonnenstrahl recht hell auf sie schien, daß es durch die ganze Stube blitzte. Man sollte glauben, ich sei von purem Gold!... Aber was sage ich! Stahl ist ja noch viel edler als Gold, denn so wie ich blitzt kein Gold auf der ganzen Welt!... Aber ich bin auch eine sehr vornehme Scheere, und ich kann wohl sagen, daß meine Freundin, die junge Gräfin, recht viel von mir hält!
Während sie so da lag, kam die Stubenmagd herein. Sie sah die schöne Scheere, auf welche sie schon längst ein Auge geworfen hatte, blickte vorsichtig im Zimmer umher, um sich zu überzeugen, ob sie auch allein sei, nahm die Scheere und steckte sie in die Schürzentasche. Weg war sie!
– Willst Du mich wohl wieder hinlegen! rief die Scheere. Ich werde Dir doch nichts nutzen können, denn ich bin es gar nicht gewohnt, mit so groben Händen umzugehen; ich breche sogleich entzwei, wenn mich ein andrer als meine Freundin, die Gräfin, anfaßt.
Aber die Stubenmagd hörte sie nicht und so blieb sie denn in der dunklen Schürzentasche, bis sie oben in der Bodenkammer in einen noch dunkleren Koffer eingeschlossen wurde. Da lag sie bis zum Sonntag, wo sich die Stubenmagd anputzte, die Scheere wieder in die Tasche steckte und ausging.
Eine Stunde darauf befand sie sich in einer ganz andren Gegend der Stadt und in den Händen einer jungen Stickerin.
– Ach, das ist ja eine kleine prächtige Scheere! rief diese, sie betrachtend und fuhr mit den Fingern in die beiden schönen Elfenbeinringe.
– Ja, das will ich meinen! sagte die Scheere; aber viel Nutzen werden Sie nicht von mir haben, denn ich bin nur gewohnt, mit sehr vornehmen Fingern umzugehen, und wenn meine Freundin, die Gräfin, wüßte – – –
– O, das wollen wir doch sehen! sagte die Stickerin und benutzte sie gleich bei ihrer Arbeit. Siehst Du, fuhr sie fort, es geht ganz gut, und wir werden auch schon Freundinnen werden!
– Das glaube ich nicht, antwortete die Scheere, denn wir haben eine zu ungleiche Erziehung; und dann ist auch das Zeug, das Sie hier sticken, lange nicht zart genug; so grobe Arbeit bin ich gar nicht gewohnt!
Aber es ging Alles doch recht gut und die Scheere fügte sich endlich in ihr Schicksal.
– Was Sie für ein niedliches Wesen sind! sagte eines Tages der Stickpfriem, der neben ihr auf dem Tische lag und auch ganz hübsch war, denn er war von ganz blitzblankem Stahl und hatte einen Kopf von rothen Corallen, in welchen ein Gesicht geschnitten war. Auch hatte er Augen, in denen ein paar vergißmeinnichtblaue Perlen saßen.
– Ja, man findet meines Gleichen auch so leicht nicht! antwortete die Scheere stolz.
– Ich bin aber auch nicht übel, fuhr der Stickpfriem fort; sehen Sie nur, wie schlank und blank ich bin, und dann betrachten Sie nur mein Gesicht; es hat recht aristokratische Züge, nicht wahr!
– Es ist mir nur zu roth, antwortete die Scheere; im Uebrigen sind Sie ganz passabel.
– Meinen Sie nicht, daß wir ein recht hübsches Paar geben würden? fragte der Stickpfriem.
– Ein Paar? Wohin denken Sie? rief die Scheere. Nein, wenn ich mich hätte verändern wollen, so hätte ich es schon längst thun können.
– Ei, sind Sie denn so spröde, meine Gnädige? fragte der Stickpfriem.
– Nein, das nicht; aber ich will mich nicht übereilen, denn verheirathen kann ich mich jederzeit; es fehlt mir, Gott sei Dank, nicht an Anträgen!
– Wenn das nur gewiß ist! sagte der Stickpfriem zweifelnd.
– Was Sie sich denken! rief die Scheere sehr vornehm. Ich habe schon so viel Anträge gehabt, daß ich sie gar nicht zählen kann; noch ganz zuletzt bei meiner Freundin, der Gräfin, mußte ich einen solchen ablehnen. Der Vater der Gräfin hatte nämlich sieben ganz feine und noble Rasirmesser, die wohnten alle in einem Hause, das inwendig ganz mit rothem Sammet austapezirt und mit einem großen Trumeau versehen war. Es waren sieben Brüder, alle von sehr guter Herkunft; der Eine hieß Lundi, der Andre Mardi, der Dritte Mecredi u. s. w. Alle wollten sie mich gern haben, und namentlich ist der Jüngste, er heißt Samedi, recht unglücklich um meinetwillen geworden; aber ich wollte keinen Unfrieden zwischen den Brüdern anstiften, sonst hätte ich ihn wohl genommen, denn Platz hätte der junge Samedi in seinem hübschen Häuschen wohl noch für eine Frau gehabt. Der Arme ist nun aus Gram ganz rostig geworden, zu gar nichts mehr zu gebrauchen und wird es wohl nicht mehr lange machen.
Dem armen Stickpfriem that dieser Korb recht weh. Er wiederholte noch einmal seinen Antrag, bekam aber wieder eine abschlägliche Antwort. Das schmerzte ihn so, daß er klare Thränen vergoß und sich seine beiden blauen Vergißmeinnichtsaugen aus dem Kopfe weinte. Jetzt war er also blind, und da sie sehr herzlos war, konnte er nicht einmal erwarten, daß die Scheere ihn jetzt aus Mitleid nehmen werde.
Vierzehn Tage hindurch verschloß er den Gram in seiner Brust, dann aber konnte er es nicht länger aushalten.