Von den früheren Zeiten wußte niemand mehr. Da gab es wohl die schöne Sage von dem wundersamen Jahrmarkt, an welchem jede Seele in Faldum sich wünschen durfte, was sie mochte. Aber daran, daß an jenem Tage auch der Berg entstanden sei, wollte kein Mensch mehr glauben. Der Berg, das war gewiß, stand von Anbeginn der Dinge an seinem Ort und würde in Ewigkeit dastehen. Der Berg war die Heimat, der Berg war Faldum. Aber die Geschichte von den drei Mädchen und von dem Geiger, die hörte man gern, und zu allen Zeiten gab es hier oder dort einen Jüngling, der bei verschlossener Tür sich tief ins Geigenspiel verlor und davon träumte, einmal in seinem schönsten Liede so zu vergehen und dahinzuwehen wie der zum Himmel gefahrene Geiger.
Der Berg lebte still in seiner Größe dahin. Jeden Tag sah er fern und rot die Sonne aus dem Weltmeer steigen und ihren runden Gang um seinen Gipfel tun, von Osten nach Westen, und jede Nacht denselben stillen Weg die Sterne. Jedes Jahr umhüllte ihn der Winter tief mit Schnee und Eis, und jedes Jahr zu ihrer Zeit suchten die Lawinen ihren Weg, und lachten am Rand ihrer Schneereste die helläugigen Sommerblumen blau und gelb, und die Bäche sprangen voller, und die Seen blauten warm im Licht. In unsichtbaren Klüften donnerten dumpf die verlorenen Wasser, und der kleine runde See zu oberst auf dem Gipfel lag schwer mit Eis bedeckt und wartete das ganze Jahr, um in der kurzen Zeit der Sommerhöhe sein lichtes Auge aufzutun und wenig Tage lang die Sonne und wenig Nächte lang die Sterne zu spiegeln. In dunklen Höhlen standen die Wasser, und läutete das Gestein im ewigen Tropfenfall, und in geheimen Schlünden wuchsen die tausendjährigen Kristalle treulich ihrer Vollkommenheit entgegen.
Am Fuße des Berges und wenig höher als die Stadt lag ein Tal, da floß ein breiter Bach mit klarem Spiegel zwischen Erlen und Weiden hin. Dorthin gingen die jungen Menschen, die sich liebhatten, und lernten vom Berg und von den Bäumen die Wunder der Jahreszeiten. In einem andern Tale hielten die Männer ihre Übungen mit Pferden und Waffen, und auf einer steilen, hohen Felsenkuppe brannte in der Sommersonnwendnacht jedes Jahres ein gewaltiges Feuer.
Die Zeiten rannen dahin, und der Berg beschützte Liebestal und Waffenplatz, er bot den Sennen Raum und den Holzfällern, den Jägern und den Flößern; er gab Steine zum Bauen und Eisen zum Schmelzen. Gleichmütig sah er zu und ließ gewähren, wie das erste Sommerfeuer auf der Kuppe loderte, und sah es hundertmal und wieder manche hundert Male wiederkehren. Er sah die Stadt da unten mit kleinen stumpfen Armen um sich greifen und über die alten Mauern hinauswachsen; er sah die Jäger ihre Armbrüste vergessen und mit Feuerwaffen schießen. Die Jahrhunderte liefen ihm dahin wie Jahreszeiten, und die Jahre wie Stunden.
Ihn kümmerte es nicht, daß einmal im langen Lauf der Jahre das rote Sonnwendfeuer auf der Felsenplatte nicht mehr aufglühte und von da an vergessen blieb. Ihm schuf es keine Sorgen, als im langen Lauf der Zeiten das Tal der Waffenübungen verödete und auf der Rennbahn Wegerich und Distel heimisch wurden. Und er hinderte es nicht, als einmal im langen Lauf der Jahrhunderte ein Bergsturz seine Form veränderte und daß unter den davongerollten Felsen die halbe Stadt Faldum in Trümmern liegenblieb. Er blickte kaum hinab, und er nahm nicht wahr, daß die zertrümmerte Stadt liegenblieb und nicht wieder aufgebaut wurde.