Im tiefen Blau leuchtet der Himmel und Frau Sonne schüttet mit strahlendem Gesicht ganze Eimer ihres Goldvorrates zur Erde hernieder. Da schau: Wie es wogt, das glänzende Ährenfeld! Und was sich die schlanken Halme alles zu erzählen wissen; was sie alles ausplaudern mögen, wenn sie so ihre Köpfe zueinanderneigen und leise Zwie-sprach halten! Ja, ja, der Wind ist ein gar neugieriger Geselle. Immer zudringlicher neigt er sich herab, immer dreister fährt er in die heimliche Unterhaltung. Doch umsonst ist sein Liebeswerben! Nur um so heimlicher klingt's von Ähre zu Ähre. Was braucht auch solch ein täppischer Bursche alles zu wissen! Da könnten sich die Plauschenden noch leichter der Gesellschaft anschließen, die allerdings einen Stock weiter unten haust, die aber doch mehr Verständnis für ihre Freuden und Leiden hat: Frau Kornblume mit ihrem Bäschen, dem Fräulein Kornrade, und dem kleinen, schüchternen Nichtlein, dem Frauenspiegel, oder gar dem stattlichen Herrn von Mohn in seiner prächtig roten Uniform. Ja, mit dem ließe es sich doch eher plaudern; denn der ist einem kleinen Klatsch durchaus nicht abgeneigt. Aber schließlich ist's doch am besten, man bleibt hübsch für sich und trägt den Kopf recht hoch; je leerer er ist, desto besser läßt sich's machen.
Und während es in den Ähren leise raunt und die Blumen mit süßem Echo einstimmen, kommt des Weges daher ein kleines Menschenkind. Hans heißt es; doch ist's noch nicht allzulange, da man ihn Hänschen gerufen. Der kleine Bursche aber dünkt sich schon ein ganzer Mann zu sein, wie er so daherschreitet und mit seinen Blauaugen das reife Kornfeld des Vaters beguckt. Ziemlich hoch muß sich das Köpflein heben, wenn es die stolzen Ähren bewundern will. Dafür nicken ihm in vertrauter Nähe Kornblümlein und Mohn entgegen.
Da, das ist willkommene Beute! Was soll der welke Plunder, den die kleinen Hände vorhin auf der Wiese abgepflückt haben zum duftigen Strauß für Mutters Tisch? Kaum erkennt er mehr die farbige Pracht, die ihn vorerst so entzückt hatte. Ein Wurf und die welken Blumen liegen im Staub. Hans ist schon am Rande des wogenden Saatfeldes. Der kleine Räuber reißt mit nimmersatten Händen Blümlein um Blümlein ab, und weil's immer von neuem blau und rot zwischen dem glänzenden Korngold herausleuchtet, lockt es den Burschen weiter und weiter hinein; schon längst hat das Halmenmeer ihn verschlungen.
Mühsam schreitet der kleine Fuß vorwärts; doch ob auch die Ähren unwillig über ihm rauschen, ob ihm auch manche zornig ins heiße Gesicht schlägt, immer noch leuchtet's blau und rot und gelb! Also weiter, immer weiter!
Da erstarrt plötzlich dem kleinen Frevler das Blut. Ein wildes, zorniges Klagen rauscht durch das Feld, und gerufen von ihren mißhandelten Schützlingen ist sie herbeigeeilt aus ihrem Palast, die Kornfee, um das Menschenkind zu strafen. Das wirft die Blumen aus den zitternden Händen, die sich bittend zu der hohen Frau erheben. Golden erglänzt das lange Haar, das über einen scharlachroten Mantel herniederwallt. Und die großen, ernsten Augen wetteifern im schimmernden Blau mit dem Kornblumenkranz, der das Haupt bedeckt.
Das neigt sich hernieder zu dem kleinen Knirps, der aus furchtsamen Augen scheu auf die seltsame Erscheinung starrt. Und schon will sich das Angstgefühl in heißen Tränlein lösen, die langsam über die runden Wangen rollen. Da ergreift die hohe Frau die kleine Kinderhand; die goldenen Haare umschlingen ihn wie ein schützender Mantel, und im Brausen und Sausen des wogenden Ährenfeldes fliegen sie dahin, weit, weit.
Bei dem Fluge ist Hans Hören und Sehen vergangen. Als er wieder zu sich kommt, reißt er weit die Blauaugen auf. Ist er im Märchenland? Solch Wunder hat er doch nimmer erschaut!
Ein lieblicher Kinderreigen schwingt sich da vor ihm auf und ab, und die süße Melodie, nach der sich all das regt und bewegt, schwebt von den duftenden Sträuchern und Bäumen nieder. Das flötet und zwitschert und jubiliert in den Zweigen.
Da macht sich der kleine Bursche los von der Hand, die ihn hierher gebracht; die ernsten Augen antworten dem fragenden Blick milde Gewährung. Und schon haben ihn die holden Kinder umfaßt und lassen ihn teilnehmen an ihrem freudevollen Spiel. Doch wie Hans näher zusieht und seine Gefährten genau betrachtet, fällt's ihm wie Schuppen von den Augen. Was da zu seiner Rechten sich wiegte und tanzte, war ja ein Heckenröslein im duftigen rosa Kleidchen, und als er es etwas unsanft in seiner Neugierde anfaßte, da gab es ihm einen herzhaften Stich in die vorwitzige Hand. Darüber wollten sich die kecken Hahnenfüßlein schier zu Tode lachen.
Nun fingen die Maiglöcklein an, gar lieblich zu läuten, und die Gänseblümchen tanzten dazu einen Ringelreihen, bei dem sie Hans in die Mitte nahmen. Der wußte zuletzt nimmer, wohin er schauen sollte, und durch die Kinderseele zog ein großes Freuen.
Doch da nahte sich die stille Frau und führte den leise Widerstrebenden mit sich fort in einen großen, weiten Garten. Ohne Blumen aber! Doch nein: Blümlein sah er wohl, doch jedes war ganz für sich allein. Eine Menge kleiner grüner Hügel lag da vor seinen fragenden Blicken, und auf jedem dieser Gräbchen stand eine Blume, aber nicht frisch und fröhlich aus den Blumenaugen in die sonnige Weite schauend, nein, blaß und welk, das müde Köpfchen zur Erde neigend.
Und als der angstvoll fragende Blick die Lösung des Rätsels heischte, da wies die hohe Frau mit ernstem Antlitz auf das Gräberfeld.
»Siehst du nun, was du unbedacht getan? Fröhlich spielten die Blumenkinder, im Sonnenschein sich ihres Daseins freuend, bis du sie mit rauhen Händen und plumpen Füßen grausam getötet hast. Und hier liegen nun die zarten Blumenleichen, und trauernd halten die Schwestern Wache auf den kleinen Gräbern!«
Da rannen heiße Tränen über das leidvolle Kindergesicht. Und wie sich Hänslein die nassen Augen trocknete, da stand plötzlich der Vater vor ihm.
»Haben wir dich endlich, kleiner Ausreißer? Nimm dich in acht, daß dich die Kornfee nicht einmal behält! Hast ihr wieder eine Menge Ähren zertreten und einen ganzen Busch ihrer Lieblingsblumen abgerissen!«