Auf dem Riesengebirge lebte einmal eine arme Frau, die hatte ein kleines Kind und auch eine große Herde. Die Herde aber gehörte nicht der Frau, sondern sie hütete sie nur. Und da saß sie einmal mit ihrem Kinde in dem Walde und gab dem Kinde Brei aus dem Napfe, und die Kühe weideten unterdessen auf dem Grase. In dem Walde aber waren böse Wölfe, und als die Kühe von dem Gras in den Wald gingen, wo es kühl war und auch viel Gras wuchs, dachte die Frau, der Wolf könnte kommen und könnte die Kühe fressen. Und da gab sie dem Kinde den Napf mit dem Brei und einen hölzernen Löffel dazu und sagte: »Da, Kindchen, nimm und iß; nimm aber den Löffel nicht zu voll.« Und nun stand sie auf und ging in den Wald und wollte die Kühe heraustreiben. Und wie nun das Kind so allein dasaß und aß, kam eine große, große Wölfin aus dem Walde herausgesprungen und gerade auf das Kind los und faßte es mit den Zähnen hinten an der Jacke und trug es in den Wald. Und da die Mutter wiederkam, war kein Kind mehr da, und der Napf lag auf der Erde, aber der Löffel lag nicht dabei; denn den hatte das Kind in der Hand festgehalten. Und wie das die Mutter sah, dachte sie gleich, das hat niemand anders getan als der Wolf, und lief in das Dorf und schrie entsetzlich, daß die Leute herauskämen.
Unterdessen kam ein Bote durch den Wald gegangen, der hatte sich verirrt und wußte nicht, wo er war. Und wie er so durch die Büsche geht und den Weg sucht, hört er etwas sprechen und denkt gleich, da müssen doch wohl Leute sein. Und es sagte immer: »Geh oder ich geb dir eins!« Und wie er nun das Gebüsch voneinandertut und sehen will, was es ist, sitzt ein Kindchen auf der Erde und sechs kleine Wölfe drum herum, die fahren immer auf das Kind zu und schnappen ihm nach den Händen - aber die alte Wölfin war nicht dabei, die war wieder in den Wald gelaufen. - Und wenn ihm nun die Wölfchen nach den Händen schnappen, schlägt das Kind sie mit dem hölzernen Löffel auf die Nase und sagt immer dazu: »Geh oder ich geb dir eins!«