Es war einmal ein Müller, der hatte drei Söhne und eine Tochter. Die Tochter liebte er sehr, aber die Söhne konnte er gar nicht leiden, war stets unzufrieden mit ihnen und machte ihnen das Leben sauer, denn sie konnten ihm nie etwas recht machen. Darüber waren die Brüder sehr bekümmert und wünschten sich weit weg von ihrem Vaterhause und saßen oft beisammen, klagend und seufzend, und wußten nicht, was sie anfangen sollten.
Eines Tages, als die drei Brüder auch so betrübt beisammen saßen, seufzte der eine von ihnen: »Ach, hätten wir nur ein Zwergenmützchen, da wäre uns allen geholfen!«
»Was ist's damit?« fragte der eine von den beiden anderen Brüdern. »Die Zwerge, die in den grünen Bergen wohnen«, erläuterte der Bruder, »haben Mützchen, die man auch Nebelkäpplein nennt, und damit kann man sich unsichtbar machen, wenn man sie selbst aufsetzt. Das ist gar eine schöne Sache, liebe Brüder; da kann man den Leuten aus dem Wege gehen, die nichts von einem wissen wollen und von denen man nie ein gutes Wort empfängt. Man kann hingehen, wohin man will, nehmen, was man will, niemand sieht einen, solange man mit dem Zwergenmützchen bedeckt ist.«
»Aber wie gewinnt man solch ein rares Mützchen?« fragte der dritte und jüngste der Brüder.
»Die Zwerge«, antwortete der Älteste, »sind ein kleines, drolliges Völklein, das gern spielt. Da macht es ihnen große Freude, bisweilen ihre Mützchen in die Höhe zu werfen. Wupps! sind sie sichtbar, wupps! fangen sie das Mützchen wieder, setzen es auf und sind wieder unsichtbar. Nun braucht man nichts zu tun, als aufzupassen, wenn ein Zwerg sein Mützchen in die Höhe wirft, und muß dann rasch den Zwerg packen und das Mützchen geschwind selbst fangen. Da muß der Zwerg sichtbar bleiben, und man wird Herr der ganzen Zwergensippschaft. Nun kann man entweder das Mützchen behalten und sich damit unsichtbar machen, oder von den Zwergen so viel dafür fordern, daß man für sein Leben lang genug hat, denn die Zwerge haben Macht über alles Metall in der Erde, kennen alle Geheimnisse und Wunderkräfte der Natur; sie können auch durch ihre Lehren aus einem Dummen einen Klugen machen und aus dem faulsten Studenten einen hochgelehrten Professor, aus einem Barbuzius einen Doktor und aus einem Advokatenschreiber einen Minister.«
»Ei, das wäre!« rief einer der Brüder. »So gehe doch hin und verschaffe dir und uns solche Mützchen, oder mindestens dir eins, und hilf dann auch uns, daß wir von hier fortkommen!«
»Ich will es tun«, sagte der älteste der Brüder, und bald war er auf dem Wege nach den grünen Bergen. Es war ein etwas weiter Weg, und erst gegen Abend kam der gute Junge bei den Zwergenbergen an. Dort legte er sich in das grüne Gras an eine Stelle, wo im Grase die Kringelspuren von den Tänzen der Zwerge im Mondenscheine sich zeigten, und nach einer Weile sah er schon einige Zwerge ganz nahe bei sich übereinander purzeln, Mützchen werfen und spaßige Kurzweil treiben. Bald fiel ein solches Mützchen neben ihm nieder, schon haschte er danach – aber der Zwerg, dem das Mützchen gehörte, war ungleich behender als er, erhaschte sein Mützchen selbst und schrie: »Diebio! Diebio!« Auf diesen Ruf warf sich das ganze Heer der Zwerge auf den armen Knaben, und es war, als wenn ein Haufen Ameisen um einen Käfer krabbelt, er konnte sich der Menge nicht erwehren und mußte es geschehen lassen, daß die Zwerge ihn gefangennahmen und mit ihm tief hinab in ihre unterirdischen Wohnungen fuhren, davon sie auch selbst »Unterirdische« heißen und genannt werden.
Wie nun der älteste Bruder nicht wiederkam, so bekümmerte und betrübte das die beiden jüngeren Brüder gar sehr, und auch der Tochter war es leid, denn sie war sanft und gut, und es betrübte sie oft, daß der Vater gegen ihre Brüder so hart und unfreundlich war und sie allein bevorzugte. Der alte Müller aber murrte: »Mag der Galgenstrick von einem Jungen beim Kuckuck sein, was kümmert's mich? Ist ein unnützer Kostgänger und Freßsack weniger im Hause. Wird schon wiederkommen, ist ans Brot gewöhnt! Unkraut verdirbt nicht.«
Aber Tag um Tag verging, und der Knabe kam nicht wieder, und der Vater wurde gegen die beiden zurückgebliebenen immer mürrischer und härter. Da klagten die zwei Brüder oft gemeinsam, und der mittlere sprach: »Weißt du was, Bruder? Ich werde jetzt selbst mich aufmachen und nach den grünen Bergen gehen, vielleicht erlange ich ein Zwergenmützchen. Ich denke mir die Sache gar nicht anders als so: Unser Bruder hat solch ein Mützchen erlangt und ist damit in die weite Welt gegangen, erst sein Glück zu machen, und darüber hat er uns vergessen. Ich komme gewiß wieder, wenn ich glücklich bin; komme ich aber nicht wieder, so bin ich nicht glücklich gewesen, und für diesen Fall lebe du wohl auf immer.«
Traurig trennten sich die Brüder, und der mittlere wanderte fort nach den grünen Bergen. Dort erging es ihm in allen Stücken genauso, wie es seinem Bruder ergangen war. Er sah die Zwerge, haschte nach einem Mützchen, aber der Zwerg war flinker als er, schrie »Diebio! Diebio!« und der helle Haufen der Unterirdischen stürzte sich auf und über den Knaben, umstrickte ihn, daß er kein Glied regen konnte, und führte ihn tief hinab in die unterirdische Wohnung.
Mit der sehnsüchtigsten Ungeduld harrte der jüngste Bruder daheim in der Mühle auf des Bruders Wiederkehr, aber vergebens, und wurde dann sehr traurig, denn er wußte ja nun, daß sein mittlerer Bruder nicht glücklich gewesen war, und die Schwester wurde auch traurig, der Vater aber blieb gleichgültig und sagte nur: »Hin ist hin. Wem es daheim nicht gefällt, der wandere. Die Welt ist groß und weit. In meinem Hause hat der Zimmermann ein Loch gelassen. Wenn dem Esel zu wohl ist, geht er aufs Eis, tanzt und bricht ein Bein. Laßt den Gigk in die Welt nur laufen, was grämt ihr euch um den Schlucker? Ich bin froh, daß er mir aus den Augen ist. Aus den Augen, aus dem Sinn!«
Der jüngste Bruder hatte im Ertragen gemeinsamen Leides bisher den Trost gefunden, den solches Ertragen gewährt, als aber nun seine beiden Brüder fort waren, fand er seine Lage ganz unerträglich und sagte zu seiner Schwester: »Liebe Schwester, ich gehe nun auch fort, und schwerlich werde ich wiederkommen, wenn es mir ergeht wie unsern Brüdern. Der Vater liebt mich einmal nicht, und ich kann nichts dafür. Die Scheltworte, die früher auf uns drei niederfielen, fallen jetzt auf mich allein, das ist mir denn doch eine zu schwere Last. Lebe du wohl, und lasse dir es wohl ergehen!«
Die Schwester wollte ihren jüngsten Bruder erst nicht fortlassen, denn sie hatte ihn am allermeisten lieb, allein er ging dennoch heimlich von dannen und überlegte sich unterwegs recht genau, wie er es anfangen wollte, sich ein Zwergenmützchen zu verschaffen. Als er auf die grünen Berge kam, erkannte er bald an den grünen Kringeln im Grase den Ort der nächtlichen Zwergentänze und ihren Spiel- und Tummelplatz und legte sich in der Dämmerung hin und wartete ab, bis die Zwerglein kamen, spielten, tanzten und Mützchen warfen.
Eins derselben kam ihm ganz nahe, warf sein Mützchen, aber der kluge Knabe griff gar nicht danach. Er dachte, ich habe ja Zeit. Ich muß die Männlein erst recht sicher und kirre machen. Der Zwerg nahm sein Mützchen, das ganz nahe bei dem Knaben niedergefallen war, wieder. Es dauerte gar nicht lange, so fiel ein zweites Mützchen neben ihn – ei, dachte der Knabe, da regnet's Mützchen – griff aber nicht danach, bis endlich ein drittes ihm gar auf die Hand fiel; wupps dich, hielt er's fest und sprang rasch empor. »Diebio! Diebio! Diebio!« schrie laut der Zwerg, dem das Mützchen gehörte, mit feiner, gellender Stimme, die durch Mark und Bein drang, und da wimmelte das Zwergenvolk herbei und wurde ihm der Knabe unsichtbar, weil er das Mützchen hatte, und konnte ihm gar nichts anhaben. Und allesamt erhoben sie ein klägliches Jammern und ein Gewinsel um das Mützchen, er solle es doch um alles in der Welt wieder hergeben.
»Um alles in der Welt?« fragte der kluge Knabe die Zwerge. »Das wäre mir schon recht! Aus dem Handel könnte etwas werden. Will aber erst sehen und hören, worin euer ›Alles‹ besteht. Vorerst frage ich: Wo sind meine beiden Brüder?«
»Die sind drunten im Schoß des grünen Berges!« antwortete der Zwerg, dem das Mützchen gehört hatte.
»Und was tun sie da?«
»Sie dienen!«
»So? Sie dienen – und ihr dient nun mir. Auf! Hinab zu meinen Brüdern! Ihr Dienst ist aus, und eurer fängt an!«
Da mußten die Unterirdischen dem irdischen Menschen gehorsam sein, weil er Macht über sie erlangt hatte durch das Mützchen. Welche Macht in und unter manchen Mützen und Mützchen steckt, ist ganz unbeschreiblich.
Die bestürzten und bekümmerten Zwerglein führten nun ihren Gebieter an eine Stelle, wo sich eine Öffnung in den grünen Berg fand, die tat sich klingend auf, und es ging rasch hinein und hinunter. Drunten waren herrliche und unermeßlich weite Räume, große Hallen und kleine Zimmer und Kämmerchen, je nach des Zwergenvolkes Bedarf, und nun verlangte der Knabe gleich, ehe er sich nach etwas anderem umsah, nach seinen Brüdern. Die wurden herbei gebracht, und der jüngste sah, daß sie in Dienertracht gekleidet waren, und sie riefen ihm wehmütig zu: »Ach, kommst auch du, lieber guter Bruder, unser jüngster! So sind wir drei nun doch wieder beisammen, aber in der Gewalt dieser Unterirdischen, und sehen nimmermehr wieder das himmlische Licht, den grünen Wald und die goldenen Felder!«
»Liebe Brüder«, erwiderte der jüngste. »Harret nur, ich vermeine, das Blättlein soll sich wohl wenden.«
»Herrenkleider und Prunkgewande für meine Brüder und mich!« herrschte er den Zwergen zu, hielt aber wohlweislich das werte Mützchen in der Hand fest, als seinem Befehle augenblicklich gehorsamet wurde und das Umkleiden vor sich ging. Nun befahl der Zwergengebieter eine Tafel mit auserlesenen Speisen und trefflichen Weinen, dann Gesang und Saitenspiel nebst Ballett und Pantomime, in welchen Künsten die Zwerge das Ausgezeichnetste leisten, was einer nur sehen kann, dann kostbare Betten zum Ausruhen, dann Illumination des ganzen unterirdischen Reiches, dann eine gläserne Kutsche mit prächtigen Pferden bespannt, um in den grünen Bergen überall herumzufahren und alles Sehenswerte in Augenschein zu nehmen. Da fuhren die drei Brüder durch alle Edelsteingrotten und sahen die herrlichsten Wasserkünste, sahen die Metalle als Blumen blühen, silberne Lilien, goldene Sonnenblumen, kupferne Rosen, und alles strahlte von Glanz und Pracht und Herrlichkeit.
Dann begann der Gebieter Unterhandlung mit den Zwergen über die Zurückgabe des Mützchens und legte ihnen schwere Bedingungen auf. Erstens einen Trank aus den köstlichsten Heilkräutern, die mit allen ihren Kräften den Zwergen nur zu wohl bekannt sind, für seines Vaters krankes Herz, daß es sich umkehre und Liebe zu den drei Söhnen gewinne. Zweitens einen Brautschatz, so reich wie für eine Königstochter, für die liebe Schwester. Drittens einen Wagen voller Edelsteine und Kunstgeräte, wie sie nur die Zwerge zu verfertigen verstehen, einen Wagen voller gemünztem Geld, weil das Sprichwort sage: Bares Geld lacht, und die Brüder gern auch lachen wollten, und endlich noch einen Wagen für die drei Brüder, höchst bequem eingerichtet, mit Glasfenstern, und zu diesen drei Wagen alles Nötige, Kutscher, Pferde, Geschirre und Riemenzeug.
Die Zwerge wanden sich und krümmten sich bei diesen Forderungen und taten so erbärmlich, daß es einen Stein erbarmt haben würde, wenn ein Stein ein Menschenherz hätte; es half ihnen aber all ihr Gewinsel nichts.
»Wenn ihr nicht wollt«, sagte der Gebieter, »so ist es mir auch recht, so bleiben wir da; es ist ja recht schön bei euch; ich nehme euch allesamt, wie ihr seid, eure Mützchen; dann seht, was aus euchwird, wenn man euch sieht – tot werdet ihr geschlagen, wo sich nur einer von euch blicken läßt. Noch mehr! Ich fahre hinauf auf die Oberwelt und sammle Kröten, die geb ich euch dann, jedem eine, vorm Schlafengehen, mit ins Bette.«
Wie der Gebieter das Wort Kröten aussprach, stürzten alle Zwerge auf ihre Knie nieder und riefen: »Gnade! Gnade! Nur das nicht! Um alles in der Welt! Nur das nicht!« denn die Kröten sind der Zwerge Abscheu und Tod.
»Ihr Toren!« schalt der Gebieter. »Ich verlange gar nicht ›alles in der Welt‹, ich habe euch die allerbescheidenste Forderung gestellt, ich könnte ja unendlich mehr verlangen, allein ich bin ein grundguter Knabe. Ich könnte ja alles nehmen, und das Mützchen und die Herrschaft über euch fort und fort behalten, denn so lange ich das Mützchen hätte, würde ich ja, das wißt ihr wohl, nicht sterben. Also, ihr wollt meine drei kleinen Bedingungen gewähren? Nicht?«
»Ja, ja, hoher Herr und Gebieter!« seufzeten die Zwerglein und gingen ans Werk, alles Begehrte herbeizuschaffen und alle Gebote zu vollziehen.
In der Mühle des alten greulichen Müllers droben war nicht gut sein. Als der jüngste Bruder auch davongegangen war, griesgrämelte der Müller: »Nun – der ist auch fort – bleibt auch aus, wie das Röhrenwasser – so geht es – das hat man davon, wenn man Kinder großzieht – sie wenden einem den Rücken zu. Nun ist nur noch das Mädchen da, mein Augapfel, mein Liebling.«
Der Liebling aber saß dort und begann zu weinen.
»Weinst schon wieder!« murrte der Alte, »denkst, ich soll denken, du weinst um deine Brüder? Um den Gauch weinst du – um den Liebhaber, der dich freien will. Ist so leer und ausgebeutelt wie ein Mehlsack – er hat nichts, du hast nichts, ich habe nichts, haben wir alle dreie nichts. Hörst du was klappern? Ich höre nichts. Die Mühle steht, schlechter kann es nicht stehen um eine Mühle, als wenn sie steht. Ich kann nicht mahlen, du kannst nicht heiraten, oder wir halten Bettelmanns Hochzeit. Wie?« Solcherlei Reden hatte die Tochter täglich anzuhören und verging fast im stillen Leid.
Da kamen eines schönen Morgens Wagen gefahren, einer, zwei, drei, und hielten vor der Mühle, kleine Kutscher fuhren, kleine Lakaien sprangen vom Tritt und öffneten den Schlag des ersten Wagens, drei junge hübsche Herrchen stiegen aus, fein gekleidet, wie Prinzen.
Dienerschaft wimmelte um die andern Wagen, lud ab, packte ab, schnallte ab, Kisten, Kasten, Kassetten, Toiletten, schwere Truhen, trugen alles in die Mühle. Stumm standen und staunend der Müller und seine Tochter.
»Guten Morgen, Vater! Guten Morgen, Schwester! Da wären wir wieder!« riefen die drei Brüder. Jene starrten sie verwundert an.
»Trink uns den Willkommen zu, lieber Vater!« rief der Älteste, nahm aus eines Dieners Hand eine Flasche, schenkte einen überaus künstlich gearbeiteten Goldpokal voll edlen Trankes und hieß den Vater trinken. Dieser trank und gab den Pokal weiter, und alle tranken. Dem Alten strömte Wärme in das kalte Herz, und die Wärme wurde zum Feuer, zum Feuer der Liebe. Er weinte und fiel seinen Söhnen in die Arme und küßte sie und segnete sie. Und da kam der Geliebte der Tochter und durfte auch mittrinken und auch küssen.
Darüber fingen vor Freude die Mühlräder, die so lange still gestanden, an, sich rasch zu drehen, um und um, um und um.