Du bis von dort weggereist, vielleicht nur ein kleines Stück, in die weite Welt hinausgereist und kommst nach einigen Jahren wieder zurück; du siehst dann den grünen Wald umschlossen von einer großen grünen Wiesenstrecke, wo das Heu vor hübschen Bauernhäusern dufttet. Wo bist du? Holsteinborg prangt ja noch hier mit seinen vergoldeten Turmspitzen, aber nicht dicht am Fjord, es liegt tiefer hinein ins Land, du gehst durch den Wald, hin übers Feld, hinab zum Strand – wo ist Glaenö? Du siehst keine Waldinsel vor dir, du siehst das offne Wasser. hat Vaenö Glaenö geholt, auf das es lange wartete? Wann war die Sturmnacht, in der es geschah, in der die Erde zitterte, so daß das alte Holsteinborg viele tausend Hahnenschritte hinein ins Land versetzt wurde? Das war keine Sturmnacht, das war am hellen Sonntag. Die Menschenklugheit legte einen Damm vor das Meer, die Menschenklugheit blies das Binnenwasser fort, band Glaenö an das feste Land, der Fjord ist Wiese geworden mit üppigem Gras, Glaenö ist an Seeland festgewachsen. Der alte Hof liegt, wo er immer lag. Es war nicht Vaenö, das Glaenö holte, es war Seeland, das mit langen Deicharmen zugriff und mit dem Atem der Pumpen blies und die Zauberworte sprach, das Vermählungswort, und Seeland erhielt viele Morgen Land als Brautgabe. Das ist Wahrheit, das ist wirklich, du kannst es sehen, statt es zu hören, die Insel Glaenö ist verschwunden.
An Seelands Küste, gegenüber von Holsteinborg, lagen einmal zwei waldbewachsene Inseln, Vaenö und Glaenö, auf denen waren Kirchdörfer und Höfe; sie lagen nahe am Strande, sie langen einander nahe, nun ist da nur die eine Insel.
Eines Nachts war ein entsetzliches Wetter, das Meer stieg, wie es seit Menschengedenken nicht gestiegen war, der Sturm nahm gewaltig zu, es war ein Wetter wie am Jüngsten Tag, es toste, als ob die Erde risse, die Kirchenglocken kamen in Schwung und läuteten ohne Menschenhilfe.
In dieser Nacht verschwand Vaenö in der Tiefe des Meeres; es war, als ob es diese Insel niemals gegeben hätte. Aber später, in mancher Sommernacht bei stiller, klarer Ebbe, wenn der Fischer draußen war, um Aale zu fangen mit einem Licht vorne im Schiff, sah er mit ordentlich scharfem Blick tief unter sich Vaenö liegen mit seinem weißen Kirchturm und der hohen Kirchenmauer. "Vaenö warten auf Glaenö", sagte die Sage; er sah die Insel, er hörte die Kirchenglocken unten läuten, aber darin irrte er doch, es waren gewiß Töne von den vielen wilden Schwänen, die hier oft auf der Wasserflut liegen; die glucksen und klagen, als hörte man aus weiter Ferne Glockenklang.
Es gab eine Zeit, da sich noch viele alte Leute auf Glaneö jener Sturmnacht erinnerten, und das sie selber als kleine Kinder in der Ebbe zwischen den beiden Inseln gefahren waren, wie man heutzutage von Seelands Ufer nicht weit von Holsteinborg hinüber nach Glaneö fährt, das Wasser reicht nur bis in die Mitte der Räder. "Vaneö warten auf Glaenö", wurde gesagt, und es wurde Sage und Gewißheit.
Mancher kleine Junge oder manches kleine Mädchen lagen in stürmischen Nächten und dachten: "Heute nacht kommt die Stunde, da Vaenö Glaenö holt." In Angst beteten sie ihr Vaterunser, schliefen dann ein, träumten süß – und am nächsten Morgen war Glaenö noch da mit seinen Wäldern und Kornfelder, seinen freundlichen Bauernhäusern und Hopfengärten; der Vogel sang, der Damhirsch sprang; der Maulwurf roch kein Meerwasser, solange er wühlen konnte.
Und doch sind Glaneös Tage gezählt; wir können nicht sagen,wie viele es sind, aber eines schönen Morgens ist die Insel verschwunden.
Du warst vielleicht von noch gestern drunten am Ufer, sahst die wilden Schwäne auf dem Wasser liegen zwischen Seeland und Glaenö, sahst ein Segelboot mit ausgespannten Segeln am Walddickicht vorbeigleiten, du selber fuhrst durch den niederen Wasserstand, es gab keinen andern Fahrweg, die Rosse stampften in das Wasser, es spritzte um die Wagenräder.