Alle guten Kinder, Mädchen und Knaben, denen er es erzählte, nehmen sich gar sehr in acht vor dem schlimmen Amor, aber er läßt sie doch an seinem Narrenseil tanzen, denn er ist ein durchtriebener Schelm! Wenn die Studenten von den Vorlesungen kommen, läuft er neben ihnen in einem schwarzen Rock mit einem Buch unter dem Arm. Sie erkennen ihn nicht, gehen mit ihm Hand in Hand und glauben, daß er auch ein Student sei, aber dann sticht er ihnen einen Pfeil in die Brust. Wenn die Mädchen vom Prediger kommen, oder wenn sie im Kirchengange stehen, so ist er auch hinter ihnen. Ja, zu allen Zeiten ist er hinter den Leuten her! Er sitzt in dem großen Kronenleuchter im Theater und brennt lichertloh, und die Leute glauben, es sei eine Lampe, aber später merken sie etwas ganz anderes. Er läuft in des Königs Garten umher und auf den Wällen! Ja, er hat sogar einmal deinen Vater und deine Mutter mitten ins Herz geschossen! Frag sie nur danach, dann wirst du schon hören, was sie sagen. Ja, er ist ein schlimmer Knabe, dieser Amor. Du solltest lieber nichts mit ihm zu tun haben! Er ist hinter allen her. Denke nur einmal, er schoß sogar einmal mit einem Pfeil auf die alte Großmutter; aber das ist lange her, seit es geschah, doch vergißt sie es nie. Pfui, der schlimme Amor! Aber nun kennst du ihn und weißt, was für ein unartiger Knabe er ist.
Es war einmal ein alter Dichter, ein richtiger guter, alter Dichter. Eines abends, als er zu Hause saß, zog ein schreckliches Unwetter draußen herauf. Der Regen strömte hernieder, aber der alte Dichter saß warm und gut an seinem Kachelofen, wo das Feuer brannte und die Äpfel brutzelten.
»An den Armen, die in diesem Wetter draußen sind, bleibt kein Faden trocken!« sagte er, denn er war ein guter Dichter.
»O, mach mir auf! Mich friert, und ich bin ganz naß!« rief ein kleines Kind draußen. Es weinte und klopfte an die Tür, während der Regen strömte und der Sturm an allen Fenstern rüttelte.
»Du armer Kleiner!« sagte der alte Dichter und ging, um die Tür zu öffnen. Da stand ein kleiner Knabe; er war ganz nackend, und das Wasser triefte aus seinen langen, gelben Haaren. Er zitterte vor Kälte, und wäre er nicht hereingekommen, hätte er sicherlich in dem bösen Wetter umkommen müssen.
»Du armer Kleiner!« sagte der alte Dichter und nahm ihn bei der Hand. »Komm nur zu mir, ich werde dich schon wärmen! Wein und einen Apfel sollst du auch bekommen, denn du bist ein prächtiger Junge!«
Das war er auch wirklich! Seine Augen sahen wie zwei klare Sterne aus, und ob auch das Wasser aus deinen gelben Haaren floß, ringelten sie sich doch. Er sah wie ein kleines Engelskind aus, war aber bleich vor Kälte und zitterte über den ganzen Körper. In der Hand hatte er einen herrlichen Flitzbogen, aber der war ganz vom Regen verdorben; alle Farben von den schönen Pfeilen liefen ineinander bei dem nassen Wetter.
Der alte Dichter setzte sich an den Kachelofen, nahm den kleinen Knaben auf den Schoß, drückte das Wasser aus seinem Haar, wärmte seine Hände in seinen und kochte ihm süßen Wein. Da kam er wieder zu sich, sprang auf den Fußboden hinunter und tanzte um den alten Dichter herum.
»Du bist ein lustiger Knabe!« sagte der Alte. »Wie heißt du?«
»Ich heiße Amor!« antwortete er, »kennst du mich nicht? Da liegt mein Flitzbogen! Mit dem schieße ich, mußt du wissen! Sieh, nun wird es gut Wetter draußen. Der Mond scheint!«
»Aber dein Flitzbogen ist verdorben!« sagte der alte Dichter.
»Das wäre schlimm!« sagte der kleine Knabe, nahm ihn auf und betrachtete ihn. »O, der ist schon wieder trocken, der hat keinen Schaden gelitten! Die Sehne sitzt ganz stramm! Nun werde ich ihn probieren!« Dann spannte er ihn, legte einen Pfeil auf, zielte und schoß dem guten, alten Dichter mitten ins Herz. »Da kannst du sehen, daß mein Bogen nicht verdorben war« sagte er, lachte ganz laut und lief davon. Der unartige Knabe! So auf den alten Dichter zu schießen, der ihn in seine warme Stube genommen hatte, so gut zu ihm gewesen war und ihm den herrlichsten Wein und die besten Äpfel gegeben hatte.
Der gute Dichter lag auf dem Fußboden und weinte. Er war wirklich gerade ins Herz getroffen, und so sagte er: »Pfui! Ist der Amor ein unartiger Knabe! Das will ich allen guten Kindern erzählen, damit sich in acht nehmen können und nie mit ihm spielen, sonst spielt er ihnen übel mit!«