„Siehst du, mein lieber Däumling,“ begann der Rabe, „ich habe schon sehr lange auf der Welt gelebt. Gutes und Schlimmes ist mir widerfahren, und mehrere Male bin ich sogar von den Menschen gefangen gehalten worden; dadurch habe ich nicht allein ihre Sprache verstehen lernen, sondern ich habe mir auch viel von ihrer Gelehrsamkeit zu eigen gemacht. Und jetzt kann ich behaupten, daß es im ganzen Land keinen Vogel gibt, der so gut Bescheid über deine Stammesgenossen wüßte wie ich.
Einmal saß ich viele Jahre lang ununterbrochen in einem Käfig bei einem Obersteiger hier in Falun, und in seinem Hause erfuhr ich das, was ich dir jetzt erzählen will.
In alten Zeiten wohnte hier in Dalarna ein Riese mit seinen beiden Töchtern. Als nun der Riese alt war und fühlte, daß er sterben mußte, ließ er seine Töchter vor sich kommen, um sein Besitztum zwischen ihnen zu teilen.
Sein Hauptreichtum bestand in einigen ganz mit Kupfer angefüllten Bergen, und diese wollte er seinen Töchtern schenken. ‚Aber ehe ich euch die Erbschaft übergebe,‘ sagte der Riese, ‚müßt ihr mir versprechen, jedweden Fremdling, der euern Kupferberg entdeckt, totzuschlagen, ehe er seine Entdeckung irgend einem andern Menschen mitteilen kann.‘
Die älteste der beiden Riesentöchter war wild und grausam, und sie versprach ohne Zögern, dem Gebot des Vaters Folge zu leisten. Die andre aber hatte ein weicheres Gemüt, und der Vater sah, daß sie überlegte, ehe sie das Versprechen gab. Deshalb vermachte er ihr nur ein Drittel der Erbschaft; und die älteste erhielt also gerade noch einmal so viel wie die jüngste.
‚Auf dich kann ich mich verlassen wie auf einen Mann, das weiß ich,‘ sagte der Riese, ‚und deshalb erhältst du den Bruderteil.‘
Gleich darauf starb der Riese, und lange Zeit hielten die beiden Töchter gewissenhaft ihr Gelübde. Mehr als ein armer Holzfäller oder Jäger entdeckte das Kupfererz, das an mehreren Stellen ganz an der Oberfläche der Berge lag; aber kaum war er zu Hause angelangt und hatte den Seinigen mitgeteilt, was er gesehen hatte, als ihm auch schon ein Unglück zustieß. Entweder wurde er von einem stürzenden Baum erschlagen oder unter einem Bergsturz begraben. Nie hatte er Zeit, einem andern Menschen zu zeigen, wo der Schatz in der Wildnis zu finden war.
Die Geschichte von der Grube zu Falun Die Geschichte von der Grube zu Falun
(Zu Seite 268)
Zu jener Zeit war es allgemein Brauch im Lande, daß die Bauern im Sommer ihr Vieh weit hinein in die Wälder auf die Weide schickten. Die Hirtenmädchen zogen mit aus, sie zu bewachen, sie zu melken und Butter und Käse zu bereiten. Und damit die Leute und das Vieh ein Obdach [269] in der Einöde hätten, rodeten die Bauern mitten in der Wildnis ein Stück Wald um und errichteten ein paar kleine Blockhäuser, die sie Sennhütten nannten.
Nun aber hatte einmal ein Bauer, der am Dalälf im Kirchspiel Torsång wohnte, seine Sennhütten drüben am Runnsee errichtet, wo der Boden so steinig war, daß ihn bis dahin niemand urbar zu machen versucht hatte. In einem Herbst begab sich der Bauer mit zwei Lastpferden nach der Viehweide, um beim Heimschaffen des Viehs, der Butterfässer und der Käslaibe zu helfen. Als er das Vieh zählte, bemerkte er, daß einer der Geißböcke ganz rote Hörner hatte.
‚Was hat denn der Geißbock Kåre für merkwürdig rote Hörner?‘ fragte der Bauer die Sennerin.
‚Ich weiß nicht, was es ist,‘ antwortete das Mädchen. ‚Den ganzen Sommer hindurch ist er jeden Abend mit solchen roten Hörnern zurückgekommen. Er glaubt gewiß, das sei schön.‘
‚Meinst du?‘ fragte der Bauer.
‚Ach, dieser Bock ist eine eigensinnige Kreatur; ich mag ihm die roten Hörner noch so oft abreiben, sofort läuft er wieder davon und macht sie sich von neuem rot.‘
‚Reibe die rote Farbe noch einmal ab,‘ sagte der Bauer. ‚Dann will ich sehen, woher er sie bekommt.‘
Kaum hatte das Mädchen die Hörner abgerieben, als der Bock auch schon wieder rasch in den Wald hineinsprang. Der Bauer lief hinter ihm her, und als er den Bock einholte, rieb dieser eben seine Hörner an einigen roten Steinen. Der Bauer hob die Steine auf, leckte und roch daran und war überzeugt, daß er hier Erz gefunden hätte.
Während er noch dastand und über die Sache nachdachte, rollte dicht neben ihm ein Felsblock den Berg herunter. Der Bauer sprang auf die Seite und rettete sich, der Bock Kåre aber wurde getroffen und erschlagen; und als der Bauer den Abhang hinaufschaute, sah er ein großes, starkes Riesenweib, das eben im Begriff war, einen zweiten Felsblock auf ihn herunter zu wälzen.
‚Was tust du denn?‘ rief der Bauer. ‚Ich habe doch weder dir noch den Deinigen etwas zuleide getan.‘
‚Das weiß ich wohl,‘ erwiderte die Riesin. ‚Aber ich muß dich umbringen, weil du meinen Kupferberg entdeckt hast.‘ Sie sagte dies mit so betrübter Stimme, wie wenn sie den Bauern ganz gegen ihren Willen töten müsse, und so faßte sich dieser ein Herz und knüpfte ein Gespräch mit ihr an. Da erzählte sie ihm von dem alten Riesen, ihrem Vater, von dem Versprechen, das sie hatte geben müssen, und von der Schwester, die den Bruderteil bekommen hatte.
‚Ach, es ist mir in der Seele zuwider, wenn ich die armen unschuldigen Tröpfe, die meinen Kupferberg entdecken, immer gleich umbringen muß, und [270] ich wünschte, ich hätte die Erbschaft gar nicht angetreten,‘ sagte die Riesin. ‚Aber was ich versprochen habe, muß ich halten.‘ Und damit machte sie sich wieder an dem Felsblock zu schaffen.
‚Habe es nur nicht gar so eilig!‘ rief der Bauer. ‚Mich brauchst du deines Versprechens wegen nicht umzubringen, denn ich habe ja das Kupfer nicht entdeckt; der Bock ist es gewesen, und ihn hast du doch schon erschlagen.‘
‚Meinst du, ich könnte mir daran genügen lassen?‘ fragte die Riesentochter mit zweifelnder Stimme.
‚Ja, sicherlich,‘ antwortete der Bauer. ‚Du hast dein Versprechen treulich gehalten, mehr kann niemand von dir verlangen.‘ Und er redete ihr so verständig zu, bis sie ihn wirklich am Leben ließ.
Zu allererst zog der Bauer nun mit seinem Vieh heimwärts. Dann ging er hinunter in den Bergwerkdistrikt und dingte sich da ein paar Bergleute. Diese halfen ihm, an der Stelle, wo der Bock erschlagen worden war, nach dem Erz zu schürfen. Im Anfang hatte er Angst, er würde noch nachträglich erschlagen; aber die Riesentochter war der ewigen Bewachung ihres Kupferbergs überdrüssig geworden, und deshalb tat sie ihm nie etwas zuleid.
Die Erzader, die der Bauer entdeckt hatte, lief an der Oberfläche des Berges hin. Das Ausbrechen des Erzes war deshalb weder eine schwierige noch eine mühselige Arbeit. Der Bauer und die Knechte schleppten Holz aus dem Walde herbei, schichteten große Holzstöße auf dem Kupferberg auf und zündeten sie an. Von der Hitze zersprang das Gestein, und nun konnten sie leicht zu dem Erz gelangen. Hierauf läuterten sie das Erz so lange immer wieder in einem andern Feuer, bis sie das reine Kupfer von allen Schlacken befreit hatten.
In früheren Zeiten verwendeten die Leute noch viel mehr Kupfer zum täglichen Gebrauch als heutzutage. Kupfer war deshalb eine sehr gesuchte, nützliche Ware, und der Bauer, dem die Grube gehörte, wurde bald ein steinreicher Mann. Er baute sich einen großen prächtigen Hof, und die Grube nannte er nach dem Bock das Kårerbe. Wenn er nach Torsång in die Kirche fuhr, war sein Pferd mit Silber beschlagen, und bei der Hochzeit seiner Tochter ließ er aus zwanzig Tonnen Malz Bier brauen und zehn große Ochsen am Spieße braten.
Zu jener Zeit blieben die Leute meistens ruhig daheim, jeder in seinem eigenen Bezirk, und die Neuigkeiten verbreiteten sich nicht so hurtig wie jetzt. Aber das Gerücht von der Kupfergrube drang doch allmählich zu vielen Menschen, und wer nichts Wichtigeres zu tun hatte, machte sich auf den Weg hinauf nach Dalarna. Auf dem Kårerbe wurden alle bedürftigen Wanderer gut aufgenommen. Der Bauer nahm sie in seinen Dienst, gab ihnen einen guten Lohn und ließ sie Erz für ihn graben. Es gab genug, ja übergenug Erz, und je mehr Leute der Bauer beschäftigte, desto reicher wurde er.
[271]
Eines Abends, so geht die Sage, kamen vier starke Männer mit dem Bergmannspickel über der Schulter zum Kårerbe gewandert. Sie wurden freundlich aufgenommen wie alle andern, aber als der Bauer sie fragte, ob sie für ihn arbeiten wollten, verneinten sie es rundweg.
‚Wir wollen auf eigene Rechnung Erz graben,‘ sagten sie.
‚Ihr wißt doch wohl, daß der Erzberg mir gehört?‘ fragte der Bauer.
‚Wir wollen gar nichts aus deiner Grube holen,‘ entgegneten die Fremden. ‚Der Berg ist groß; und an dem, was frei und unbeschützt in der Wildnis liegt, haben wir ebensoviel Anrecht wie du.‘
Mehr wurde nicht über die Sache geredet, und der Bauer bezeigte den Fremden auch jetzt noch alle Gastfreundschaft. Früh am nächsten Morgen zogen die Fremden zur Arbeit aus; eine Strecke weiterhin fanden sie wirklich Kupfererz und fingen an, es auszubrechen. Nachdem sie so ein paar Tage gearbeitet hatten, kam der Bauer zu ihnen heraus.
‚Der Berg ist sehr reich an Erz,‘ sagte er.
‚Ja, da müssen noch viele Leute fleißig sein, bis dieser Schatz gehoben ist,‘ erwiderten die Fremden.
‚Das weiß ich wohl,‘ sagte der Bauer, ‚aber ich meine doch, ihr solltet mir von dem Erz, das ihr ausbrecht, eine Abgabe zahlen, denn mir habt ihr es zu verdanken, daß ihr überhaupt hier arbeiten könnt.‘
‚Wir wissen nicht, was du damit sagen willst,‘ entgegneten die Männer.
‚Nun, ich habe doch den Berg durch meine Klugheit erlöst,‘ sagte der Bauer. Und dann erzählte er den Fremden von den beiden Riesentöchtern und dem Bruderteil.
Die Männer hörten aufmerksam zu; aber was sie sich aus der Erzählung merkten, war etwas ganz andres, als was der Bauer gemeint hatte.
‚Ist es auch gewiß, daß die andre Riesentochter gefährlicher ist als die, mit der du zusammengetroffen bist?‘ fragten sie.
‚Jawohl, und sie würde euch nicht verschonen,‘ lautete die Antwort des Bauern.
Damit verließ er die Männer, beobachtete sie aber doch noch aus der Ferne. Nach einer Weile sah er, daß sie ihre Arbeit einstellten und in den Wald hineinwanderten.
Als an diesem Abend der Bauer mit seinen Leuten beim Abendessen saß, drang plötzlich lautes Wolfsgeheul aus dem Walde heraus. Und durch das Heulen der wilden Tiere hindurch ertönten menschliche Hilferufe. Rasch sprang der Bauer auf, aber die Knechte schienen keine Lust zu haben, ihm zu folgen. ‚Es geschieht dem Diebsgesindel ganz recht, wenn es von den Wölfen zerrissen wird,‘ sagten sie.
‚Wer in Not ist, dem muß man beistehen,‘ sagte der Bauer und begab sich rasch mit allen seinen fünfzig Knechten in den Wald.
Dort sahen sie gleich ein großes Rudel Wölfe, die umeinander sprangen und sich um eine Beute balgten. Nachdem die Knechte die Wölfe auseinandergejagt [272] hatten, lagen vier menschliche Körper auf der Erde, die so entsetzlich zugerichtet waren, daß man sie nicht hätte erkennen können, wenn nicht vier Bergmannspickel daneben gelegen hätten.
Nach diesem Ereignis verblieb der Kupferberg im Besitz des einen Bauern bis an dessen Tod. Hierauf übernahmen ihn die Söhne; diese ließen die Grube gemeinsam bearbeiten; alles Erz, das im Laufe des Jahres gewonnen worden war, wurde in Haufen geteilt, um diese das Los geworfen, und dann schmolz jeder das Kupfer in seiner eigenen Hütte aus. Sie alle wurden mächtige Bergleute und bauten sich große stattliche Höfe. Nach ihnen kamen deren Erben an die Reihe; diese öffneten neue Grubenschächte und vermehrten den Erzgewinn. Mit jedem Jahre nahm die Grube an Umfang zu, und immer mehr Bergwerkleute hatten teil daran. Die einen wohnten ganz in der Nähe, andre hatten ihre Höfe und Schmelzöfen im ganzen Bezirk ringsumher. Es entstand allmählich eine Anzahl Dörfer, und alles zusammen bekam den Namen Großer-Kupferbergwerkbezirk.
Nun darf man aber eins nicht vergessen. Das Erz lag an der Oberfläche des Berges, und man konnte es herausbrechen wie die Steine aus einem Steinbruch. Mit der Zeit aber nahm das ein Ende, und nun waren die Grubenarbeiter gezwungen, das Erz tief unter der Erde zu suchen. Mit Hilfe von tiefen Schächten und langen, gewundenen Gängen mußten sie sich in die dunkeln Eingeweide der Erde hineinwühlen, dort ihre Minen legen und das Erz heraussprengen. Das Sprengen ist an und für sich ein sehr mühseliges und schweres Stück Arbeit, und sie wird noch beschwerlicher, weil der Rauch nicht abziehen kann; dazu kommt dann noch das Herausschaffen des Erzes auf steilen Leitern. Je tiefer es ins Innere der Erde hineinging, desto gefährlicher war die Arbeit. Manchmal drangen reißende Wildwasser aus einem Winkel in die Grube hinein, manchmal stürzte die Decke über den Arbeitern zusammen. Dadurch war die Arbeit in der großen Grube schließlich [273] so berüchtigt, daß sich niemand freiwillig dazu hergeben wollte. Nun bot man zum Tode verurteilten Verbrechern und vogelfreien Menschen, die den Wald unsicher machten, an, ihnen ihre Missetaten zu vergeben, wenn sie Grubenarbeiter in Falun werden wollten.
Seit vielen, vielen Jahren hatte niemand mehr daran gedacht, den Bruderteil zu suchen. Aber unter den vogelfreien Männern, die zum Großen Kupferberg kamen, gab es auch solche, die ein ordentliches Abenteuer mehr schätzten als ihr Leben, und sie streiften oft im Walde umher, in der Hoffnung, den andern Kupferberg, den Bruderteil, zu finden.
Wie es allen denen, die suchten, erging, weiß niemand, aber eine Geschichte von ein paar Grubenarbeitern hat sich noch erhalten. Diese Arbeiter kamen eines Abends ganz spät zu ihrem Herrn und erzählten, sie hätten eine gewaltige Erzader im Walde entdeckt. Sie hätten den Weg bezeichnet, und am nächsten Tage wollten sie ihrem Herrn die Ader zeigen. Aber der nächste Tag war ein Sonntag, und an diesem Tag wollte der Herr nicht in den Wald und Erz suchen; statt dessen ging er mit allen seinen Leuten in die Kirche. Es war Winter, und die ganze Schar nahm ihren Weg über den Varpansee. Auf dem Hinweg ging alles gut, aber auf dem Rückweg gerieten jene beiden Männer in eine Wake und ertranken. Da begannen die Leute sich an die alte Sage von dem Bruderteil zu erinnern, und sie raunten einander zu, diese Männer seien ganz gewiß darauf gestoßen.
Um die Schwierigkeiten bei der Grubenarbeit nach Möglichkeit zu heben, ließen die Bergwerkbesitzer erfahrne Bergleute aus dem Auslande kommen; und diese fremden Meister unterrichteten die Leute in Falun, Fahrkünste in die Gruben zu bauen, mit denen man das Wasser herauspumpen und das Erz heraufwinden konnte. Die Fremden glaubten nicht so recht an die Sage von den Riesentöchtern: aber das wollten sie gerne glauben, daß sich irgendwo in der Nähe noch eine mächtige Erzader finden könnte, und sie suchten auch eifrig danach. Eines Abends kam denn auch ein deutscher Obersteiger in das Gasthaus bei der Grube und sagte, er habe den Bruderteil gefunden. Aber der Gedanke an den großen Reichtum, den er jetzt gewinnen würde, machte ihn vollständig verwirrt und unzurechnungsfähig. An demselben Abend hielt er ein großes Gelage in dem Wirtshaus; er trank und tanzte und spielte, und schließlich entstand Streit und Schlägerei, und der Deutsche wurde von einem seiner Saufkumpane erstochen.
Aus dem Großen-Kupferbergwerk wurde noch immer so viel Erz gebrochen, daß diese Grube für die reichste im ganzen Lande galt. Sie war nicht allein für die nächste Umgebung eine Quelle unversiegbaren Reichtums, – auch die Abgaben, die davon erhoben wurden, waren in schweren Zeiten eine große Hilfe für das schwedische Reich. Durch die Grube entstand nach und nach die Stadt Falun, die Grube selbst galt für eine Merkwürdigkeit ersten Ranges und war so nutzbringend, daß selbst die Könige nach Falun zu reisen pflegten, um sie zu sehen, ja, [274] sie nannten sie geradezu das Glück und die Schatzkammer des Sveareiches.
Einer der letzten, der den Bruderteil sah, war ein junger Faluner Bergmann aus einer vornehmen, reichen Familie, der einen Hof und einen Schmelzofen in der Stadt besaß. Er wollte eine schöne Bauerntochter von Leksand heiraten, und so machte er sich eines Tages dorthin auf den Weg. Er brachte seine Werbung vor; sie aber sagte, wenn er sich nicht entschließen könnte, von Falun wegzuziehen, wolle sie ihn nicht heiraten. In Falun liege der Rauch aus den Schmelzöfen dick und drückend über der Stadt, und es werde ihr schon ganz schwer ums Herz, wenn sie nur daran denke.
Der Bergmann hatte das Mädchen sehr lieb, und auf dem Rückweg war er tief betrübt. Er hatte von jeher in Falun gewohnt, und es war ihm noch nie der Gedanke gekommen, es könnte jemand schwer fallen, da zu leben. Als er sich aber jetzt der Stadt näherte, erstaunte er über die Maßen. Aus der großen Grubenöffnung, aus den hundert Schmelzöfen ringsum wallte ein schwarzer, beißender Schwefelrauch heraus und hüllte die ganze Stadt wie in einen Nebel ein. Der Rauch hinderte die Pflanzen am richtigen Wachstum, kahl und öde lagen die Felder ringsumher. Überall sah der Bergmann von schwarzen Kohlenschuppen umgebene Schmelzöfen, aus denen die Flammen herausschlugen, und zwar nicht allein hier in der Stadt und in deren nächster Umgebung, sondern in der ganzen Umgegend bei Grycksbo, bei Bengtsarvet, bei Bergsgården, bei Stennäset, bei Korsnäs, in Vika, selbst bis nach Aspeboda. Ja, nun verstand er es: wer gewohnt war, im hellen Sonnenschein an den grünen Ufern des glänzenden Siljansees zu wohnen, der konnte hier unten nicht gedeihen.
Der Anblick der Stadt stimmte ihn noch trauriger, als er schon vorher gewesen war. Er hatte keine Lust, gleich nach Hause zu gehen, sondern wich vom Wege ab und wanderte in den Wald hinein. Hier streifte er den ganzen Tag umher, ohne daran zu denken, wohin er ging.
Gegen Abend stand er plötzlich vor einer Bergwand, die wie lauteres Gold glänzte, und als er näher hinsah, entdeckte er, daß der Glanz von einer großen Kupferader herrührte. Zuerst freute er sich über die Entdeckung; aber dann fiel ihm die Sage von dem Bruderteil ein, der schon so vielen zum Verderben gereicht hatte, und da erschrak er im tiefsten Innern. ‚Heute bin ich wirklich vom Unglück verfolgt,‘ dachte er. ‚Vielleicht muß ich nun auch noch das Leben lassen, weil ich den Reichtum hier entdeckt habe.‘
Rasch wendete er sich ab und machte sich auf den Heimweg. Nach einer Weile begegnete er einer großen starken Frau. Sie sah aus, als könnte sie die ehrfurchtgebietende Mutter eines Bergmanns sein; aber er konnte sich nicht erinnern, sie je gesehen zu haben.
‚Ich möchte wohl wissen, was du im Walde vorgehabt hast, denn ich habe dich den ganzen Tag darin umherstreifen sehen?‘ sagte die Frau.
[275]
‚Ich habe mich nach einem Bauplatz umgesehen, denn das Mädchen, das ich liebe, will nicht in Falun wohnen,‘ antwortete der Bergmann.
‚Hast du nicht im Sinn, Erz aus dem Kupferberg zu brechen, den du vorhin entdeckt hast?‘ fragte sie weiter.
‚Nein, ich muß die Grubenarbeit aufgeben, sonst bekomme ich das Mädchen, das ich liebe, nicht.‘
‚Nun, dann halte dein Wort, und es wird dir nichts Böses widerfahren,‘ sagte die Frau; und damit verließ sie ihn.
Er aber beeilte sich, das zu verwirklichen, was er nur aus Not als Ausrede gesagt hatte. Er gab die Grubenarbeit auf und baute sich weit entfernt von Falun einen Hof. Da hatte sie, die er liebte, nichts mehr gegen seine Werbung; sie wurde seine Frau und zog mit ihm.“
Damit endigte die Erzählung des Raben. Der Junge hatte sich wirklich die ganze Zeit wach erhalten, trotzdem aber hatte er sein Werkzeug nicht besonders fleißig gehandhabt.
„Nun, wie ging es dann später?“ fragte er, als der Rabe zu sprechen aufgehört hatte.
„Ach, seit jener Zeit ist es mit dem Kupfergewinn rückwärts gegangen. Die Stadt steht allerdings noch, aber die alten Schmelzöfen sind nicht mehr da. Die ganze Gegend ist mit alten Bergmannshöfen übersät, aber die darin wohnen, müssen Land- und Forstwirtschaft betreiben. Die faluner Grube ist nächstens erschöpft, und es wäre jetzt notwendiger als je, daß man den Bruderteil fände.“
„Ob wohl dieser Bergmann, von dem du eben erzählt hast, der letzte gewesen ist, der ihn gesehen hat?“ fragte der Junge.
„Sobald du ein Loch in die Wand gehauen und mich befreit hast, werde ich dir sagen, wer dieser letzte gewesen ist,“ antwortete der Rabe.
Der Junge fuhr zusammen und begann sein Stemmeisen wieder rascher zu handhaben. Es war ihm gewesen, als ob Bataki dies letzte in einem merkwürdig bedeutungsvollen Ton gesagt hätte, beinahe wie wenn er dem Jungen zu verstehen geben wollte, er selbst, der Rabe, habe die große Erzader gesehen. Mochte er wohl eine Absicht gehabt haben, als er ihm diese Geschichte erzählt hatte?
„Du bist gewiß viel in dieser Gegend umhergestreift?“ fragte der Junge, um etwas Näheres zu erfahren. „Und während du über die Berge und Wälder hingeschwebt bist, hast du gewiß allerlei gefunden?“
„Allerdings, und ich könnte dir viel Merkwürdiges zeigen, wenn du nur erst mit dieser Arbeit fertig wärest,“ sagte der Rabe.
Jetzt hackte der Junge mit einem Eifer darauf los, daß die Späne nur so flogen. Ganz gewiß hatte der Rabe den Bruderteil gefunden!
„Da ist es nur schade, daß du als Rabe gar keinen Nutzen aus dem Reichtum ziehen kannst,“ sagte der Junge.
„Ich spreche jetzt nicht weiter über die Sache, bis ich sehe, ob du wirklich [276] ein Loch zustande bringst, durch das ich hinausschlüpfen kann,“ entgegnete Bataki.
Der Junge arbeitete und arbeitete; schließlich wurde das Eisen ganz heiß in seiner Hand. Er glaubte, die Absicht des Raben zu erraten. Dieser konnte doch nicht selbst Erz ausbrechen, und da hatte er gewiß im Sinn, seine Entdeckung ihm, Nils Holgersson, zu vermachen. Das war das glaubwürdigste und natürlichste. Aber wenn der Junge dann das Geheimnis kannte, dann wußte er, was er tat: sobald er seine menschliche Gestalt wieder erlangt hätte, würde er hierher zurückkehren, den großen Reichtum zu heben. Und wenn er dann genug Geld erworben hätte, kaufte er das ganze Kirchspiel Westvemmenhög und baute sich da ein Schloß, so groß wie Vittskövle. Und eines schönen Tages lüde er dann den Häusler Holger Nilsson und dessen Frau aufs Schloß ein. Wenn diese ankämen, stünde er auf der Freitreppe und sagte: „Bitte, treten Sie ein und tun Sie, als ob Sie zu Hause wären!“ Sie erkennten ihn natürlich nicht, sondern fragten sich nur immer wieder, wer denn der feine Herr sei, der sie eingeladen habe. Und dann fragte der feine Herr: „Würden Sie nicht gerne auf so einem Schlosse wie diesem hier wohnen?“ – „Doch, das versteht sich von selbst, aber das ist nichts für uns,“ antworteten sie. – „Doch, doch, Sie sollen das Schloß hier als Zahlungsstatt bekommen für den großen weißen Gänserich, der im vorigen Jahre davongeflogen ist,“ antwortete dann der feine Herr .....
Der Junge bewegte sein Eisen immer hurtiger. Das zweite, wozu er sein Geld anwenden würde, wäre, für das Gänsemädchen Åsa und Klein-Mats ein neues Häuschen auf der Heide von Sunnerbo zu bauen. Natürlich ein viel schöneres und größeres als das alte. Und dann wollte er den ganzen Tåkern kaufen, und dann .....
„Jetzt muß ich deinen Fleiß tatsächlich loben,“ sagte der Rabe. „Ich glaube, das Loch ist schon groß genug.“
Und der Rabe konnte sich wirklich hindurchzwängen. Der Junge folgte ihm, und da sah er Bataki ein paar Schritte entfernt auf einem Stein sitzen.
„Jetzt werde ich mein Versprechen halten, Däumling,“ begann Bataki in höchst feierlichem Ton, „und dir sagen, daß ich selbst den Bruderteil gesehen habe. Aber ich möchte dir nicht raten, ihn zu suchen, denn ich habe mich viele Jahre lang abgemüht, bis ich ihn gefunden hatte.“
„Ich dachte, du würdest mir zur Belohnung für meine Hilfe zeigen, wo er ist,“ sagte der Junge.
„Ach, Däumling, du mußt doch schrecklich schläfrig gewesen sein, während ich von dem Bruderteil erzählte,“ sagte Bataki. „Sonst könntest du so etwas nicht erwarten. Hast du denn nicht gehört, daß alle, die offenbaren wollten, wo der Bruderteil sich befände, das Leben eingebüßt haben? Nein, mein Freund, Bataki hat in seinem langen Leben gelernt, den Mund zu halten.“
Damit breitete Bataki seine Flügel aus und flog davon.
Dicht neben der Schwefelküche schlief Mutter Akka; aber es dauerte eine [277] gute Weile, bis der Junge zu ihr trat und sie weckte. Er war verstimmt und betrübt, weil er um den großen Reichtum gekommen war, und er hatte jetzt das Gefühl, als habe er nicht das geringste, worüber er sich freuen könnte.
„Im übrigen glaube ich gar nicht an die Geschichte mit den Riesentöchtern und ebensowenig an die Wölfe und an das trügerische Eis,“ sagte er vor sich hin. „Natürlich sind die armen Grubenarbeiter, als sie die reiche Erzader mitten im wilden Wald entdeckten, vor lauter Freude ganz von Sinnen gekommen und haben deshalb später den rechten Platz nicht mehr finden können. Und dann hat sie die Enttäuschung so vollständig überwältigt, daß sie einfach nicht mehr leben konnten. Denn ganz so ist es mir jetzt zumute.“