In der Nacht, während der Zweifüßler schlief, stand das Schaf da und dachte nach. Da tauchte aus dem Gebüsch der Kopf des Rindes auf, und kurz darauf war auch der Hirsch zur Stelle und das Pferd und die Ziege und viele von den andern Tieren.
„Worauf ist unser Feind denn nun verfallen?“ fragte das Rind. „Der Sperling erzählt, daß der Zweifüßler dich angebunden und dir die Wolle abgeschoren habe.“
„Der Sperling hat weiß Gott die Wahrheit gesagt!“ antwortete das Schaf. „Sieh doch nur, wie nackend ich bin! Mein Lämmchen hat er aufgegessen, und morgen will er auch noch meinen Mann fangen. Allerdings hat er mir Gras gepflückt, so daß ich mich sattgefressen habe.“
„Grauenhaft!“ rief das Rind aus. „Aber wir haben ja eigentlich nichts anderes erwartet. Kannst du dich nicht losreißen?“
„Ich habe es versucht,“ erzählte das Schaf. „Aber es geht nicht. Je mehr ich zerre, desto fester zieht sich die Schlinge um meinen Hals zusammen. Ich bin gefangen und bleibe gefangen.“
„Knechtschaft ist schlimmer als der Tod,“ sagte[S. 48] der Wolf. „Ich will deinem zweiten Lamm den Dienst erweisen, es zu fressen.“
Im Nu hatte er sich auf das Lamm gestürzt und ihm den Hals durchgebissen. Das Schaf schrie, der Zweifüßler erwachte und lief hinaus, und alle Tiere eilten fort.
„Du hast wohl geschlafen, Treu,“ sagte er. „Morgen müssen wir dem Unglück abzuhelfen suchen. Das fehlte gerade, daß ich für den Wolf Schafe einfangen und sie für ihn mästen sollte.“
Und am nächsten Morgen fand er einen Ausweg.
Zwei Tage später fing der Zweifüßler in seiner Schlinge den Widder. Er fuhr fort zu jagen, und binnen kurzem war auch die Kuh gefangen und der Stier und das Kalb. Der Pferch wurde zu klein, so daß ein größerer gebaut werden mußte. Die ganze Familie lief hinaus, um Gras zu holen, und konnte doch nie genug herbeischaffen. Die Tiere in der Hürde brüllten.
Das Schaf meinte: „Wißt ihr — offen ge[S. 49]standen: Das Leben hier hat eigentlich doch seine Vorzüge. Da draußen auf der Wiese schwebte man ja in beständiger Gefahr — vor dem Löwen und dem Wolf, vor der Schlange und dem Adler, von dem Zweifüßler selber ganz zu geschweigen.“
„Das mag alles sein,“ sagte die Kuh. „Aber ich kann die Art nicht leiden, wie die Frau Zweifüßler an meinem Euter zieht. Und ich fürchte, sie werden mich eines schönen Tages schlachten wie die andern Tiere. Es sind unser auch bald zu viele hier drinnen.“