„I du mein Gott, i du mein Gott!“ jammerte der Pfahl. „Das war also die Goldwespe, die hier war. Und ich elender Pfahl habe sie hereingelassen! Dann ist das Unglück ja bereits geschehn... was soll ich nur anfangen, was soll ich nur anfangen!“
„Herr Gott!“ rief die Nachtigall, die noch an der Grabwespe schmatzte. Und „Herr Gott!“ sagten der Fliederstrauch, der Goldregen, der Jasmin und der Rotdorn, denn sie fanden alle, daß sie noch nie etwas so Fürchterliches erlebt hätten.
Der alte Pfahl war ganz gelähmt vor Kum[S. 46]mer und neigte sich mehr und mehr. Mit jedem Tag bekam er einen neuen kleinen Riß, und es war leicht zu sehen, daß es zu Ende mit ihm ging. Die Sträucher und die Nachtigall sprachen freundlich auf ihn ein und trösteten ihn, so gut sie konnten; denn sie meinten alle, es sei ein so lieber alter Pfahl. Einer von ihnen erdachte sich einen Plan, wie man sich an der Goldwespe rächen könnte. Die Nachtigall wurde dazu auserkoren, aufzupassen, wenn die Jungen des Räubers aus dem Ei gekommen sein könnten; dann sollte sie sie mit dem Schnabel herausziehen und fressen.
„Das werd’ ich tun!“ versprach die Nachtigall feierlich. „Ihr könnt euch auf mein Wort verlassen!“
Aber am Tage darauf, nachdem dieser Beschluß gefaßt worden war, entdeckte die Nachtigall plötzlich, daß es Herbst geworden sei. Keiner der Sträucher und der andern Vögel konnte es verstehen. Sie alle fanden, daß es noch der schönste Sommer sei. Aber die Nachtigall erklärte, man habe keine Insekten mehr zur Verfügung, die zu fressen sich lohnte. Noch vor dem Abend war sie mit ihren Jungen nach Süden geflogen, und die Sträucher hatten nichts anderes zu tun, als dazustehn und den Pfahl anzustarren und von dem Fürchterlichen zu schwatzen, das sich in seinem Innern vollzog.
Im nächsten Frühjahr flogen eine Menge niedlicher kleiner Goldwespen aus dem Loch hervor. Sie tummelten sich im hellen Sonnenschein und verschwanden dann in der Luft.
Der alte Pfahl stand noch eine Weile und wartete darauf, ob nicht doch auch das Junge der[S. 47] Grabwespe hervorkommen würde. Aber es kam nicht.
Da stürzte der Pfahl auf den kleinen Hügel hin und zerfiel in lauter morsche Stücke. Die Sträucher ließen ihre Blüten auf ihn herabrieseln, damit er ein anständiges Begräbnis bekam.
„Ein merkwürdiger alter Pfahl!“ sagten sie zueinander.
Und als die Nachtigall von ihrer Reise ins Ausland zurückkehrte und das Ende der Geschichte erfuhr, sang sie ein Liedchen auf dem Grabe des alten Pfahls.