Da war einmal der König von den drei goldenen Bergen, ein gar stolzer und mächtiger Herr, der hatte eine wunderschöne Tochter, welche seine grösste und beste Freude war. Damit ihr ja nichts zu Leide widerführe, liess er sie nie aus dem Palaste gehen, ja er verwehrte ihr strenge auch nur je an ein Fenster zu treten und hinaus zu schauen. So folgsam auch die Prinzessin war, so schien ihr dieses Verbot doch zu strenge und als ihr Vater einmal abwesend war, trat sie an das Fenster und sah hinab. Da gingen unten drei Männer vorbei, das waren gewaltige Hexenmeister und dem Könige feindlich gesinnt. Durch einen einzigen Blick bannten sie die Prinzessin, so dass sie augenblicklich den Palast verlassen und ihnen willenlos folgen musste. Sie gingen weit, gar weit fort, ohne sich auch nur um die arme Prinzessin umzusehen, bis sie zu einem Palast kamen, welcher mitten in einem grossen dichten Walde stand. Hier erst richteten sie ihren Blick auf die Prinzessin und sagten zu ihr: "Dies ist unser Schloss und hier musst du so lange bleiben, bis sich dir zu Liebe Einer findet, welcher die drei Marternächte übersteht. Thut dies Einer,so ist dein Bann gehoben und wir müssen dir selbst Wagen und Pferde schicken, um dich heimzuführen." So sprachen sie; dann schickten sie das Mädchen in die Küche und redeten unter sich und Einer sagte: "Käme wirklich Jemand, welcher die drei Nächte überstehen wollte, so ist es gut, dass das Mädchen nicht weiss, wie draussen in der Küche unter der Herdplatte drei Töpfe mit Salben stehen; salbte sie Einen damit und wäre er auch fast schon todt, so würde er doch in wenigen Stunden heil und von allen Schmerzen frei. 0 wie gut ist es für uns, dass sie dies nicht weiss!" So sprach der eine zu den andern und alle drei glaubten, die Prinzessin könne dies unmöglich wissen. Aber sie wusste es doch schon; denn sie hatte an der Thüre das Gespräch belauscht.
Die Prinzessin blieb nun lange Zeit allein im Schlosse; denn die drei Hexenmeister kamen immer nur um Mitternacht und gingen wieder fort, wenn der Tag graute. Einmal kam ein Wanderer in's Schloss, dem erzählte die Prinzessin all ihr Leid und bat ihn, er möge sie erlösen, sie wolle ihn heiraten und er solle auch König von den drei goldenen Bergen werden. Er erklärte sich bereit und blieb im Schlosse. Um Mitternacht kamen die drei Hexenmeister und der erste rief: "Ich wittere Christengeruch, entweder sind sie da oder sie sind dagewesen oder sie werden kommen!" Darauf ergriffen sie den Wanderer, schlugen ihn und schleiften ihn über die Stiege hinab. Da krähte der Hahn und sie liessen ihn für todt liegen und gingen davon. Die Prinzessin eilte mit der Salbe, die sie unter der Herdplatte genommen hatte, sogleich hinab, salbte ihn und trug ihn in's Bett. Als die Sonne aufging, war der Wanderer wieder heil und gesund, aber er hatte den Muth verloren und verliess sogleich das Schloss.
Nicht lange darauf kam ein zweiter Wanderer, aber auch dieser hatte an Einer Nacht genug und ging wieder fort, ohne die Prinzessin zu befreien.
Endlich kam ein dritter, der hiess Gerhard und liess sich von der Prinzessin überreden es zu versuchen. Dieser war muthiger als die beiden ersten und überstand zwei Nächte in derselben Weise, wie jener erste. Aber in der zweiten Nacht hörte die Prinzessin, wie die drei Hexenmeister zu einander sagten: "Wenn er diese Nacht auch übersteht, so bleibt uns nur noch die dritte Nacht; wir müssen daher bei Zeiten darauf denken.“ Sie richteten in der Küche Holz und Stroh und den Bratspiess her, denn sie wollten ihn lebendig braten. Die Prinzessin aber legte, wie es Tag ward, das Holz und das Stroh in das Wasser, den Spiess aber warf sie in einen tiefen engen Schlund. In der dritten Nacht kamen die drei Hexenmeister wieder, hoben den guten Gerhard diesmal ganz sachte aus dem Bette und trugen ihn in die Küche. Aber das nasse Stroh wollte nicht Feuer fangen und sie mussten anderes suchen und die Scheiter wollten auch lange nicht brennen. Als sie nach langer Mühe das Feuer angezündet hatten, fehlte der Bratspiess; doch witterten sie bald, wo er stecke und Einer wand sich mit unsäglicher Anstrengung durch den engen Schlund hinab ihn zu holen. Als sie den Spiess endlich auch hatten und den guten Gerhard eben daran stecken wollten, krähte zum Glücke der Hahn und die drei Heienmeister mussten abziehen.
Am Morgen fand ihn die Prinzessin, dankte ihm und sagte, nun solle er ihr Gemal sein und mit ihr zu ihrem Vater fahren; bald würden die Wagen und die Pferde kommen. Da sagte er: "Ich will ein wenig vorausgehen bis zu jenem Kirchlein auf dem Hügel dort, da will ich dich erwarten." Und er ging und trat in das Kirchlein, sein Dankgebet zu verrichten. Da war aber eine böse Hexe, die wusste um die ganze Sache und weil sie den guten Gerhard um sein Glück beneidete, schlich sie in das Kirchlein und wie er so dakniete, stiess sie ihm eine Zaubernadel in den Rücken, so dass er davon wie todt hinfiel. Bald fuhr die Prinzessin daher; als sie Gerhard für todt liegen sah, bemühte sie sich lange vergeblich ihn in's Leben zurück zu rufen und fuhr endlich unter grossem Wehklagen weiter. Dann zog die Alte wieder die Nadel aus seinem Rücken. Er erwachte und meinte, er habe geschlafen; dann fragte er die Alte, ob sie keinen Wagen gesehen habe. "Ei freilich", erwiederte sie, "da ist gerade die junge Königin von den drei goldenen Bergen vorüber gefahren und wollte Euch auch mitnehmen, aber sie konnte nicht, weil Ihr schliefet!" Da wollte Gerhard verzweifelnd nachlaufen, es war jedoch vergebens. Aber er schwor, er wolle dennoch in das Reich der drei goldenen Berge gelangen.
Er wanderte und wanderte wol zwei oder drei Jahre lang durch einen dichten Wald; da kam er zur Klause eines Einsiedlers und klopfte an die Thüre [Türe]. Der Eremit lag gerade im Gebete; da meinte er, es komme der Satan, welcher ihn versuchen wolle und rief: "Weiche von mir, Versuchung, weiche von mir!" Der Jüngling aber gab nicht nach, bis er öffnete und ihn einliess. Da erzählte er dem Alten seine Geschichte und fragte, wie weit er noch habe bis zum Könige von den drei goldenen Bergen . Der Einsiedler erwiederte: "Da hast du noch weit, sehr weit, aber genau vermöcht' ich es dir nicht zu sagen. Geh nur wieder weiter und dann wirst du wieder zu einem Einsiedler kommen, der ist wol an hundert Jahre alt und frömmer und heiliger als ich, der wird dir bessern Aufschluss zu geben vermögen."
Der Jüngling ging abermals ein Jahr und mehr und kam zum zweiten Einsiedler. Auch dieser rief, als der Jüngling an die Thüre pochte: "Weiche von mir, Versuchung, weiche von mir!" Endlich that er auf und Gerhard erzählte ihm alles. Da sagte der Alte: "Du hast noch einen weiten Weg vor, aber geh und du wirst einen andern Einsiedler finden, der ist alt und der Auflösung nahe und so fromm und begnadigt, dass er alle Tage zwei Mal mit Gott spncht. Er wird dir sagen, was du zu thun hast."
Der Jüngling dankte und wanderte abermals ein Jahr und mehr ; dann kam er zum Einsiedler, der hatte einen so langen weissen Bart, dass er ihm über die Füsse hinaus ging. Er nahm den Jüngling auf und wies ihm ein Lager an, während er selbst die ganze Nacht im Gebete lag. Am Morgen aber sprach er zu Gerhard: "Ich habe mit dem Himmel deinetwegen gesprochen. Bald wirst du an das Ufer eines grossen Meeres kommen; nimm dieses Pfeifchen und wenn du am Meere stehst, so blase hinein. Und auf deinen Ruf werden viele Vögel kommen; tödte sie und zieh ihnen das Mark aus. Dies aber bewahre wol; denn es wird eine Taube kommen. Du setze dich auf ihren einen Flügel, auf den andern lege das Mark und füttere sie, während sie dich über das Meer trägt."
Der Jüngling dankte dem Einsiedler und ging. Bald kam er an das Ufer des Meeres und blies in das Pfeifchen, da kam eine grosse Menge Vögel; davon tödtete er, so viel er konnte und zog ihnen das Mark aus. Nun kam die Taube geflogen, er sezte sich auf ihren einen Flügel, auf den andern aber legte er das Mark und die Taube flog mit ihm über das Meer. "Gib mir zu essen!" rief sie bald. Und er gab ihr einen Theil [Teil] des Markes. "Gib mir zu essen!" rief sie bald wieder und er gab ihr abermals einen Theil. So ging es fort, bis sie alles Mark verzehrt hatte und er war noch auf dem hohen Meere. "Gib mir zu essen!" rief die Taube. "Ich habe nichts mehr", sagte er. "Gib mir zu essen", rief sie wieder, "oder ich lasse dich in's Meer fallen." Entschlossen hielt er ihr zuerst den einen, dann den andern Arm hin, da hieb sie ihren Schnabel in's Bein und sog ihm das Mark aus. Nun aber war das Land erreicht und er ward auf den Boden gesezt. Vor ihm lag die Hauptstadt des Reiches von den drei goldenen Bergen und er hatte gerade sieben Jahre auf der Wanderung zugebracht.