»Ich will sie gar nicht, ich wollte euch nur auf die Probe stellen; aber ihr seid gehorsame Kinder«, sprach Klopfstock. »Und nun soll sie selbst sagen, bei wem sie leben will.« Sie aber wollte es nicht sagen; da sagte der König: »So rede doch und schäme dich nicht.« Da machte sie ein spitzes Mäulchen und sprach: »Im Wald, bei den Glockenblumen, bei den Vögeln, bei dem Trilltrall will ich wohnen«, und da umarmte sie Trilltrall, und die Brüder waren es alle zufrieden. Da gab ihr Trilltrall auch das Glöckchen wieder, worüber sie sehr froh ward. Pumpam aber nahm ein großes Messer und schnitt sein Königreich in zwei Teile und fragte den Klopfstock: »Rücken oder Schneide?« Da sagte er: »Schneide.« Und Pumpam gab ihm die Hälfte, die an der Schneide des Messers lag. Klopfstock teilte das wieder in fünf Teile und gab jedem seiner Söhne ein Stück. Piffpaff legte sich einen Schützenplatz auf seinem Stück Königreich an, Pitschpatsch einen schönen Fischteich, Pinkepank einen botanischen Garten, Gripsgraps baute sich eine Einsiedelei und lebte fromm darin, und Trilltrall legte sich einen Tiergarten und eine Vogelhecke auf seinem Stück Königreich an. Klopfstock aber ward Geheimer Fünffünftelschulmeister, zog im ganzen Land herum und hielt Geheime Fünffünftelschule. Als alles fertig war, ließ Pumpam die ganze Geschichte an die große Glocke hängen und tüchtig läuten, und da habe ich sie auch gehört.
Das Märchen von dem Schulmeister Klopfstock und seinen fünf Söhnen
Es war einmal ein Mann, der hieß Klopfstock und hatte fünf Söhne: der erste hieß Gripsgraps, der zweite hieß Pitschpatsch, der dritte hieß Piffpaff, der vierte hieß Pinkepank, der fünfte hieß Trilltrall.
Der gute Klopfstock hatte seine Söhne sehr lieb und wollte sie gerne etwas Rechts lernen lassen; aber bei ihm war Not in allen Ecken, das Dorf, wo er Schulmeister war, war abgebrannt und die Schule auch, und die Bauern auch, und die Schuljungen auch; er war mit seinen fünf Söhnen allein übriggeblieben.
Er setzte sich also auf einen Stein mitten in dem abgebrannten Dorf, und seine fünf Söhne traten um ihn her, und er sprach zu ihnen: »Herzliebe Jungen! ich bin plötzlich ein armer Mann geworden, und so gern ich euch auch zu gelehrten Leuten aufziehen wollte, fehlen mir doch alle Mittel dazu; denn erstens kann ein leerer Magen nicht viel Gelehrtes sagen, und zweitens sind mir alle meine ABC-Bücher in der Schule verbrannt. Ich muß euch daher in alle Welt schicken, daß ihr euch selbst etwas versucht; ihr seid schon große Bursche und müßt sehen, wo ihr Herrn findet, denen ihr dienen und bei denen ihr etwas lernen könnt. So lebet denn wohl, ein jeder folge seinem Beruf, und nach einem Jahr besucht mich wieder, da will ich euch examinieren, ob ihr etwas gelernt habt. Bis dahin will ich sehen, ob ich aus dem herumliegenden Holz mir wieder eine Hütte zusammengebaut habe, damit ich euch beherbergen kann.« Da sagten die Söhne: »Wir wollen treulich tun, was du uns befohlen; aber du hast gesprochen: ›Ein jeder folge seinem Beruf‹ – was ist dann nun der Beruf?« Da wußte der Schulmeister nicht gleich, was er sagen sollte, was Beruf sei, und rieb sich lange die Stirn. Endlich sagte er: »Beruf kommt her von rufen: was euch ruft, das ist euer Beruf.« Da fragten die Söhne wieder: »Aber, Vater! was ruft uns dann?« und der Schulmeister sagte: »Euer Name ruft euch.« Da sagten die Söhne wieder: »Ihr, Vater, heißt Klopfstock, Euer Name ist Klopfstock, was ist nun Euer Beruf?« Da wurde der Vater ungeduldig und sagte: »Ein Narr kann mehr fragen, als zehn gelehrte Leute beantworten können; ja, mein Name ist Klopfstock, und mein Beruf ist Klopfstock, nämlich ich soll so dumme Narren mit dem Stocke recht ausklopfen« – und da nahm er seinen Stock und wollte seinen Söhnen einen Denkzettel mitgeben; aber sie nahmen die Beine auf die Schultern und liefen, so schnell sie konnten, davon.
Als sie ein Stück Wegs zurückgelegt hatten, war es Abend, und sie legten sich in einem Walde nieder und redeten davon, was doch jeder für einen Beruf haben möchte. Da hörten sie auf einmal Leute sprechen, die vorbeigingen. Einer sagte zum andern: »Viele Mühe hat es gekostet, bis wir hinaufkamen, dann ging es aber auch lustig, gripsgraps.« Kaum hatte Gripsgraps seinen Namen nennen hören, als er von seinen Brüdern aufsprang und zu ihnen sagte: »Gripsgraps heiß ich, Gripsgraps rufts mich, Gripsgraps ist mein Beruf, zu dem mich Gott im Himmel schuf; übers Jahr sehen wir uns wieder beim Vater.« Da sagten sie sich Lebewohl, und er eilte den Leuten nach, die von Gripsgraps gesprochen hatten.
Gegen Morgen hörte der jüngste Bruder Trilltrall die Vögel im Wald so trillern und trällern, da sagte er zu den andern: »Lebt wohl, liebe Brüdern! Trilltrall heiß ich, Trilltrall rufts mich, Trilltrall ist mein Beruf, wozu mich Gott im Himmel schuf.« Und da nahm er Abschied und lief tiefer in den Wald.
Als sie noch weiter gingen, kamen sie auf eine Wiese; da stand eine Menge Volks und schoß mit der Büchse nach der Scheibe, und das ging immer: piffpaff. Da sagte der eine Bruder: »Piffpaff heiß ich, Piffpaff rufts mich, Piffpaff ist mein Beruf, zu dem mich Gott im Himmel schuf.« Und da nahm er auch Abschied und ging zu den Schützen.
Die zwei andern gingen durch die Stadt, da hörten sie auf einmal pinke pank, pinke pank klingen, und guckten sich um, da stand ein Apotheker und stieß im Mörser pinke pank, pinke pank. Da nahm der eine Bruder Abschied vom andern mit den Worten: »Pinkepank heiß ich, Pinkepank rufts mich, Pinkepank ist mein Beruf, zu dem mich Gott im Himmel schuf«, und ging zum Apotheker.
Da war nun der Bruder Pitschpatsch allein, und da kam er an einen Fluß und wollte überfahren und rief den Schiffleuten jenseits zu: »Hol über! hol über!« Die setzten sich in den Kahn und die Ruder gingen pitsch patsch, pitsch patsch. Da sprang er freudig in den Kahn und sagte: »Pitschpatsch heiß ich, Pitschpatsch rufts mich, Pitschpatsch ist mein Beruf, zu dem mich Gott im Himmel schuf«, und blieb bei den Schiffleuten.
Als das Jahr herum war, hatte sich der Schulmeister Klopfstock seine Hütte bereits wieder aufgebaut bei einem großen schattigen Baum, und als der Tag herankam, an welchem seine Söhne wieder aus der Fremde kommen sollten, setzte er eine Schüssel voll Kartoffeln auf den Tisch und Bänke drum herum; da pochte es an der Türe, und vier seiner Söhne kamen anständig und wohlgekleidet herein, nur Trilltrall fehlte noch. Er umarmte sie alle vier und fragte, wo denn Trilltrall sei, da sprachen sie: »Der steht vor der Türe und schämt sich, weil er so häßlich aussieht.« Da ging der Vater hinaus und sah den Trilltrall unter einem Baum stehen. Er sah ganz wild und lumpig aus, die Haare waren ihm so lang gewachsen, und er war ganz braun im Gesicht und redete kein Wort als st! st! still! horch! still! wozu er den Finger auf den Mund legte. Da sagte der Vater: »Laßt den armen Schelm stehen, er ist ein Narr geworden; wir wollen ihm hernach ein paar Kartoffeln hinausbringen; kommt und eßt.« Da setzten sie sich zu Tisch und aßen, und der Vater fragte den Ältesten: »Gripsgraps! was hast du gelernt in der Fremde?« Da sagte dieser:
»Gripsgraps heiß ich,
Gripsgraps riefs mich,
Gripsgraps ist mein Beruf,
Zu dem mich Gott im Himmel schuf.
Vater! ich habe lernen Gripsgraps machen und bin ein so geschickter Dieb, daß ich alles zu stehlen weiß, und läge es unter hundert Schlössern verschlossen! Auch kann ich mit zwei Dolchen an einem steilen Turm hinaufklettern, wie auf einer Leiter!«
»O! du unglücklicher Sohn!« rief der Vater aus, »was für eine gottlose Kunst hast du gelernt; ich bitte dich um Gotteswillen, lege dich bei Zeiten auf etwas anderes, sonst wirst du lernen ohne deine zwei Dolche an den lichten Galgen hinaufsteigen! – Aber was hast du gelernt?« sagte er zu dem Zweiten, und dieser sagte:
»Piffpaffheiß ich,
Piffpajf riefs mich,
Piffpaffist mein Beruf,
Zu dem mich Gott im Himmel schuf.
Ich bin zu den Schützen gekommen und habe so vortrefflich schießen gelernt, daß ich einer fliegenden Schwalbe das Aug aus dem Kopfe herausschießen kann.«
»Das läßt sich hören«, sagte der Vater, »das ist ein ehrliches Handwerk, da kannst du uns manchen Braten auf der Jagd schießen; Gott segne dich dafür.« Dann sagte er zu dem Dritten: »Was hast du denn erlernt?« Der antwortete:
»Pinkepank heiß ich,
Pinkepank riefs mich,
Pinkepank ist mein Beruf,
Zu dem mich Gott im Himmel schuf.
Ich habe den Apotheker hören im Mörser pinkepank stoßen und bin ein Apotheker geworden und kenne ein Kräutchen, damit kann ich die Toten lebendig machen.«
»Gelobt sei der Herr!« sagte der Vater, »du hast etwas Herrliches gelernt; du kannst uns allen helfen, und wenn deine Kunst eintrifft, so sind wir die reichsten Leute auf der Welt.« Nun fragte er den Vierten: »Was hast denn du erlernt?« Der sagte:
»Pitschpatsch heiß ich,
Pitschpatsch riefi mich,
Pitschpatsch ist mein Beruf,
Zu dem mich Gott im Himmel schuf.
Ich habe die Ruder der Schiffleute hören pitschpatsch im Wasser machen, und da bin ich ein Schiffer und ein Schiffbaumeister geworden und habe gelernt ein Schifflein zu bauen, welches so geschwind fährt wie eine Schwalbe, die über das Wasser hinstreicht.«
»Vortrefflich!« sagte der Schulmeister, »du hast eine ehrbare gute Kunst gelernt, und wir können einmal auf deinem Schiffe um die ganze Welt herumreisen und eine ganz neue Welt entdecken.«
Nun rief der Schulmeister zur Türe hinaus: »Nun, Trilltrall! komme herein und esse und erzähle, was du Gutes in der Fremde gelernt hast. Ich glaube schier, du hast dich auf die Bärenhäuterei gelegt, weil du so wild und zottig aussiehst.«
Der gute Trilltrall aber sagte nichts und winkte immer mit der Hand: st! st! sie sollten kein Geräusch machen. Darüber ärgerte sich der Vater und sagte zu seinen andern Söhnen: »Wir wollen nur fertig essen, der närrische Kerl weiß nicht, was er will.« Nun aßen sie lustig auf, was da war, und erzählten sich, was sie alles mit ihren Künsten erringen wollten. Da patschte Trilltrall unter dem Baum auf einmal fröhlich in die Hände und schrie aus: »Juchheisa! Viktoria! nun ist alles richtig« – und kam vergnügt in die Stube gesprungen.
»Was ist richtig? Ich glaube, in deinem Kopfe ist es nicht richtig«, sagte der alte Klopfstock. »Pfui! wie siehst du aus, wie die Erde so schwarz, man könnte auf dir ackern und säen; zu essen ist auch nichts mehr da; warum bist du nicht gekommen, als ich dich gerufen?« – »Seid nicht böse, Vater«, erwiderte Trilltrall, »aber es ist doch alles richtig.« – »Nun, womit ist es denn richtig?« fragte der Schulmeister ungeduldig. »Das will ich euch hernach erzählen«, erwiderte Trilltrall, »erst muß ich essen; aber ich sehe, es ist nichts mehr da; nun muß ich mich selbst umsehen.« Da lief er zur Türe hinaus in des Schulmeisters Garten und kam mit einem großen Kohlkopf wieder, in den er wie in einen Apfel biß.
Der Vater und die Brüder mußten recht über ihn lachen, daß ihm der rohe Kohl so schmeckte. »Ja, du mein Gott!« sprach Trilltrall, »man muß viel lernen auf der Welt; ländlich, sittlich« – und auf einmal schnappte er mit dem Maul so heftig nach einer dicken Fliege, die durch die Stube schnurrte, daß er beinahe den Tisch umgestoßen hätte. »Delikat!« sprach er, »es war eine spanische, die erhitzt mir den Magen, da kann ich den Kohl besser vertragen; habt ihr denn gar keine Spinnen hier, Vater?«
»O du Abscheu!« sprach der Schulmeister, »willst du gar Spinnen essen!« – »Ihr wißt nicht, was gut ist, lieber Vater! weil Ihr es noch nicht versucht habt. Hat der heilige Johannes Heuschrecken in der Wüste gegessen, so wüßte ich nicht, warum ich so stolz sein sollte, die Spinnen zu verschmähen.« Da sprach Klopfstock: »Nun, ich bin recht begierig, was du magst erlernt haben, ich glaube gar das Einsiedlerhandwerk.«
»Du hast es beinahe getroffen, lieber Vater!« erwiderte Trilltrall; »aber das lernt sich sehr leicht; nun höre: du sagtest, wir sollten unserm Beruf nachgehen, und da ich fragte, was der sei, sagtest du: Was euch ruft, das ist euer Beruf. Wie ich nun durch den Wald ging und die tausend Vögel so trillern und trällern hörte, dachte ich:
Trilltrall heiß ich,
Trilltrall rufts mich,
Trilltrall ist mein Beruf,
Zu dem mich Gott im Himmel schuf.
und ging dem Gesang der Vögel immer weiter nach bis in den tiefen, tiefen Wald; und je dunkler und dichter der Wald ward und je höher die Felsen, je lauter rief es mich und je stärker ward mein Beruf; denn die Vögel trillerten und trällerten immer lebendiger, und so kam ich endlich an einen ganz einsamen stillen Fleck, und da war ein hoher Fels und ein schöner Quell und ein recht angenehmer Rasenplatz, und ringsum standen die höchsten Eichen, Buchen, Birken, Linden, Tannen und Fichten durcheinander; und da es schon Abend war und die Sonne unterging, setzte ich mich an einen Eichenstamm dem Felsen gegenüber und zog das Stück Brot aus der Tasche, welches ich noch von dem übrig hatte, das Ihr jedem von uns mitgegeben, und aß.
Nun kamen auf einmal eine ganz erstaunliche Menge Vögel scharenweise von allen Seiten angeflogen und nahmen von den großen Bäumen Besitz und fingen ein solches Trillern und Trallern an, daß man hätte denken sollen, jedes Blättchen auf allen Bäumen fange an zu singen. Auf einmal aber geschah ein lautes Pfeifen dazwischen, und alle waren so plötzlich still, als wäre ihnen die Pfeiferei allen vor dem Schnabel auf einmal mit einem scharfen Messer abgeschnitten, gerade so, als wenn du sonst in der Schule mit dem Bakel auf den Tisch schlugst und Silentium! riefst, liebster Vater! Und nun fing einer allein an zu pfeifen und dann pfiffen alle mit; aber gar nicht durcheinander, sondern alle das Nämliche und sehr schön im Takt, und nach den verschiedenen Stimmen pfiffen sie die Melodie des Abendlieds: »Nun ruhen alle Wälder«, worüber ich in das größte Erstaunen geriet und endlich leise anfing mitzupfeifen. Da sie den letzten Vers gepfiffen hatten, waren sie ein paar Minuten still, als beteten sie für sich, und dann war wieder ein ganz außerordentliches Gezwitscher durcheinander, als wünschten sich die Vögel gute Nacht, worauf sie auseinander in die verschiedenen Bäume nach ihren Nestern flogen.
Ich war durch diese wunderschöne und verständige Musik der Vögel ganz nachdenklich geworden und faßte schon den Entschluß, dort wohnen zu bleiben, bis ich ihren Gesang recht verstehen gelernt. Weil aber die Gegend sehr wild war, so wollte ich doch die Nacht nicht an der Erde zubringen, denn ich hörte manchmal in den Büschen rasseln, als wenn allerlei wilde Tiere da herumstreiften. Kaum war ich nun auf den Baum gestiegen, als ich von einem benachbarten Baum ein großes Tier herunterkommen sah, welches ich aber wegen der Nacht nicht recht erkennen konnte, es kroch auf allen Vieren nach der Quelle und trank. Nun kam auch noch ein großes wildes Schwein, welches ich an seinem Grunzen erkannte, an das Wasser, und da es sich in den Bach wälzen wollte, ärgerte sich das andere Tier und grunzte auch ein wenig, gerade als wenn es mit ihm zanke, daß es ihm das Bächlein trübe mache. Das Schwein aber ließ sich nicht stören, da gab ihm das andere Tier eine ganz gewaltige Ohrfeige, so daß das Schwein mit großem Klagegeschrei in den Wald fortlief.
Mit großem Erstaunen hatte ich dieses angesehen und war nicht wenig erschrocken, als das Tier gegen meinen Baum herkam und auf ihn hinaufzuklettern begann. Ich zitterte am ganzen Leibe und dachte: Ach, du mein Gott! was wird es mir erst für eine Ohrfeige geben! In dieser großen Angst fing ich an, höher im Baum hinaufzuklettern; als das Tier nun meine Bewegung hörte, begann es zu bellen wie ein Hund, und kroch immer hinter mir drein. Das Tier schien die Zweige des Baumes besser zu kennen als ich; denn es tat keinen Fehltritt und bellte immer hinter mir drein: ich aber kam auf immer dünnere Zweige, und auf einmal sah ich vor mir ein Paar große feurige Augen; es knappte eine Eule mit ihrem Schnabel gegen mich und schlug mit den Flügeln, und dicht hinter mir war das große bellende Tier. Ich wußte nicht mehr wohin, um mich zu retten; der Ast brach unter mir, und plumps fiel ich mit großem Geprassel von Zweig zu Zweig hinab an die Erde.
Zum guten Glück hatte ich mir keinen besonderen Schaden getan; aber meine Angst war ganz entsetzlich, und ich hatte den Mut nicht, mich im mindesten zu rühren oder einen Laut von mir zu geben. Ich blieb ruhig liegen, wo ich hingefallen war, und lauerte ganz scharf, ob das schreckliche Tier mir nachkommen würde. Es kam aber nicht, bellte nur noch eine Zeitlang hinter mir her und wurde hernach ganz ruhig. Da aber durch das Herumkriechen in dem Baum die Vögel aufrührerisch geworden waren, so hörte ich hie und da ein Gepfeife in den Bäumen und einen, der sehr seltsam pfiff, wie ich noch nie etwas gehört. Sodann wurden sie alle nach und nach stille.
Ich rührte mich nicht und hörte nach einer Weile ein ganz entsetzliches Schnarchen, als wenn man Holz säge. Ach, dachte ich, was muß das Tier für ein abscheulich großes Maul haben, das so gewaltig schnarchen kann! Nun ging der Mond über dem Walde auf und goß seinen wunderbaren Glanz durch die Bäume; da blickte ich mit Angst in das Gelaube des Baumes hinein, von dem ich gefallen war, um etwas zu erkennen, wie das Tier aussähe, weil ich in meinem Leben nichts von einem Tiere gehört hatte, das einem Wildschweine eine Ohrfeige gäbe und dann wie ein Hund bellend in den Bäumen herumlaufe. Bald sah ich seinen schwarzen Schatten in einem Astwinkel liegen, wo es schnarchte; aber es wehten so lange Haare herum, daß ich es nicht erkennen konnte. Indem ich so hinaufsah, hatte ich einen neuen Schrecken: das Tier streckte sich und gähnte ganz entsetzlich uah, uah, und nieste so heftig, daß die Eicheln wie ein Hagelwetter mir auf die Nase rasselten. Aber ich wagte nicht, mich zu rühren, und wie groß war mein Erstaunen, als ich das Tier auf einmal mit lauter heller Stimme folgendes schöne Lied singen hörte:
Komm, Trost der Nacht, o Nachtigall!
Laß deine Stimm mit Freudenschall
Aufs lieblichste erklingen;
Komm, komm und lob den Schöpfer dein,
Weil andre Vöglein schlafen sein
Und nicht mehr mögen singen:
Laß dein Stimmlein laut erschallen,
Denn vor allen
Kannst du loben
Gott im Himmel hoch dort oben.
Obschon ist hin der Sonnenschein
Und wir im Finstern müssen sein,
So können wir doch singen
Von Gottes Güt und seiner Macht,
Weil uns kann hindern keine Nacht,
Sein Lobe zu vollbringen:
Drum dein Stimmlein laß erschallen,
Denn vor allen
Kannst du loben
Gott im Himmel hoch dort oben.
Echo, der wilde Wiederhall,
Will sein bei diesem Freudenschall
Und lasset sich auch hören;
Verweist uns alle Müdigkeit,
Der wir ergeben alle Zeit,
Lehrt uns den Schlaf betören;
Drum dein Stimmlein laß erschallen,
Denn vor allen
Kannst du loben
Gott im Himmel hoch dort oben.
Die Sterne, die am Himmel stehn,
Sich lassen zum Lobe Gottes sehn
Und Ehre ihm beweisen;
Die Eul auch, die nicht singen kann,
Zeigt doch mit ihrem Heulen an,
Daß sie Gott auch tu preisen;
Drum dein Stimmlein laß erschallen,
Denn vor allen
Kannst du loben
Gott im Himmel hoch dort oben.
Nur her, mein liebstes Vögelein!
Wir wollen nicht die Faulsten sein
Und schlafend liegen bleiben;
Vielmehr, bis daß die Morgenröt
Erfreuet diese Wälder öd,
In Gottes Lob vertreiben;
Laß dein Stimmlein laut erschallen,
Denn vor allen
Kannst du loben
Gott im Himmel hoch dort oben.«
»Ei, das war sein Lebtag kein wildes Tier, welches dieses Lied sang!« rief da der Schulmeister Klopfstock aus, und Trilltrall sagte: »Ihr habt gut reden, lieber Vater! Ihr habt es nicht gesehen auf allen Vieren ans Wasser kriechen, dem Wildschwein die Ohrfeige geben und dann auf dem Baum herumbellen; freilich, als es das schöne fromme Lied so recht aus Herzensgrund durch den Baum sang, in welchen der Mond hineinschien wie in eine schöne Kirche, und als Echo, der wilde Wiederhall, und die liebe Frau Nachtigall auch sangen zu diesem Freudenschall, und der Quell lieblicher rauschte und der Wald andächtiger lauschte, da zogen die Wölkchen am Himmel nicht mehr so schnell, und der Mond ward noch einmal so hell, und alle meine Angst besänftigte sich; meine Seele, welche gewesen war wie ein Meer, in welches ein großer Felsen hineinstürzte, verwirrt und trüb voll niederschlagender Wellen, wurde nach dem ersten Verse schon wie ein See, in den ein Fisch, den ein Geier herausgeraubt, frisch und gesund wieder hineinfällt; und nach dem zweiten Vers wie ein See, auf welchen ein singender Schwan niederfliegt und schimmernde Gleise zieht; und nach dem dritten Vers wie ein See, in welchen eine vorüberreisende Taube ein Zweiglein von dem friedlichen Ölbaum fallen läßt; und nach dem vierten Vers wie ein See, in den ein vorüberziehendes Lüftlein ein Rosenblatt weht; und nach dem fünften Vers war es mir, als sei ich wie ein müdes Bienlein, das über den See fliegen wollte und gar nicht weiter konnte und in großer Angst war, da es zum Wasser herabfiel, auf dieses Rosenblatt gefallen, und als schiffe ich sicher und ruhig auf dem Rosenblättlein hinüber und lande jenseits in einem blumenvollen Garten, aus dem mir die Nachtigallen entgegenschmetterten; mein Herz war so ruhig wie ein Spiegel, in dem sich der Mond anschaut und vor dem der Friede sang:
Ach, hört das süße Lallen
Der kleinen Nachtigallen!«
Nach diesen Worten sagte Gripsgraps: »Du bist doch ein recht närrischer Kerl, mein lieber Trilltrall! Du siehst so zottig aus wie ein Zeiselbär und sprichst dabei wie Honig so süß; warum sagst du nicht, es sei dir so ängstlich gewesen als mir, da ich zum erstenmal Gripsgraps machte?«
»So war es mir nicht«, sagte Trilltrall, »denn ich hatte nichts Böses getan; ach, lieber Gripsgraps! du hast ein schlimmes Handwerk; aber ich hoffe, wir werden es bald nicht mehr nötig haben.« – »Gott gebe es!« sagte Gripsgraps und ward ganz ernsthaft.
»Ich kann mir recht denken«, sagte Piffpaff, »wie dir am Anfang bange war; es war dir gewiß so wie mir damals, als ich mich verschworen hatte, einem schlafenden Kinde einen Apfel aus der Hand zu schießen, den ihm seine Mutter geschenkt hatte. Der Apfel hatte so rote Bäckchen wie es selbst, und es hatte ihn darum an sein Herz gedrückt. Ach, wie war ich in Ängsten! aber ich konnte es nicht lassen, ich mußte schießen; ich zitterte am ganzen Leibe; ich drückte los – paff – da lag das Kind, und ich stürzte auch mit dem Bogen zusammen. Es war mir, als falle ein Berg auf mich; aber wie war mir, da das Kind mich an den Locken zupfte und vor mir stand und weinend sagte: ›Nun mußt du mir einen andern Apfel geben, du hast einen Pfeil meinem Apfel durch die roten Bäckchen geschossen; ach, mein Apfel! mein Apfel!‹ – O! so selig war da niemand wie ich, als es mir den von dem Pfeil durchspießten Apfel reichte! Seht, da trag ich ihn zum ewigen Andenken in meinem Köcher.« Piffpaff zog den Apfel mit dem Pfeile aus dem Köcher, und die Tränen standen ihm dabei in den Augen. Trilltrall umarmte ihn und sprach: »Es freut mich sehr, lieber Bruder! daß deine frevelhafte Kühnheit dich so reut; aber es war mir nicht wie dir damals, denn du hattest dich zu einem abscheulichen Wagstück entschlossen. Ach! du treibst ein sehr gefährliches Handwerk, wenn du solchen bösen Gelüsten nachgiebst; aber ich hoffe, du wirst es bald nicht mehr nötig haben.« Da wurde Piffpaff ganz rot und sprach: »Ich will so etwas nie wieder tun; darum trage ich diesen Pfeil mit dem Apfel immer in meinem Köcher«, und nun schob er diesen Pfeil wieder zu den andern Pfeilen.
»Ich kann mir deine Angst recht denken«, sagte Pinkepank, »es muß dir gerade gewesen sein wie mir in der Apotheke. Da sollte ich einmal Pillen machen für eine kranke Mutter, deren Kind zu mir kam und sprach: ›Ach! lieber Herr Subject! gebe Er mir etwas recht Gutes und Süßes für die Mutter, das ihr gut schmeckt und sie recht bald gesund macht; denn wenn sie nicht bald gesund wird, so kann sie nicht spinnen, und wenn sie nicht spinnt, kriegt sie kein Garn, und wenn sie kein Garn kriegt, kann ich und die Schwestern keine Strümpfe stricken, und können wir keine Strümpfe stricken, so können wir keine verkaufen, und können wir keine verkaufen, so kriegen wir kein Geld, und kriegen wir kein Geld, so kann die Mutter kein Brot kaufen und müssen wir alle verhungern‹. Da wollte ich dem Kind etwas recht Gutes geben und griff unter den Arzneibüchsen hin und her und holte weißen Zucker aus einer Büchse, in dem rollte ich die Pillen hin und her und gab sie dem Kind und ließ es selbst ein Messerspitze voll ablecken, worauf es sagte: ›Ach! das ist süß, das wird der Mutter sehr gut schmecken. Wenn sie gesund wird, Herr Subject! will ich Ihm ein Paar Strümpfe mit roten Blumenzwickeln und oben einen Sternenrand darum stricken‹, worauf es fröhlich die Apotheke hinauslief. Als ich die Büchsen wieder an ihre Stellen ordnen wollte, o du allmächtiger Gott! in welches Elend kam ich! Ich las, daß auf der Büchse, aus der ich geglaubt hatte weißen Zucker zu nehmen, mit großen Buchstaben stand: ›Bleizucker‹, welcher ein weißes Gift ist, das ganz wie Zucker aussieht. Wie ein Rasender stürzte ich die Türe hinaus und rannte durch alle Straßen nach dem Kinde und fragte überall nach dem Kinde, denn ich wußte nicht, wo es wohnte; ach! und niemand hatte es gesehen; ich konnte es nicht finden. Jetzt wird die Mutter die Pillen schon gegessen haben und gestorben sein von dem Gift, dachte ich, und das Kind wird auch gestorben sein, dem ich eine Messerspitze voll davon gab. In solcher Verzweiflung rannte ich zum Tore hinaus und kam an eine kleine verfallene Kapelle. Allerlei wilde Kräuter wuchsen um den kleinen zerbrochenen Altar, der drin vor einem Kreuze stand; wie ein Verzweifelter kniete ich da nieder und rang die Hände und betete zu Gott, er möge sich meiner erbarmen und möge die arme Mutter und das Kind am Leben erhalten. Indem ich so betete, raschelte neben mir etwas in den Kräutern, und ich sah da eine Eidechse, die auf einem Stein lag und sich hin und her wand, als habe sie große Schmerzen, und andere kleine Eidechschen saßen um sie herum, als wären sie sehr traurig; ach! da fiel mir die Mutter mit den Kindern wieder recht in die Seele, und als die kranke Eidechse auf einmal ganz still wurde und tot von dem Stein herabfiel, schrie ich: ›O weh! o weh! jetzt ist sie tot; ach! die gute Mutter, der ich aus Unachtsamkeit Gift statt Zucker geschickt, ist jetzt gewiß tot‹, – und da betete ich wieder recht innig zu Gott. Sieh! da raschelte es an der andern Seite, und ich sah die kleinen Eidechschen Blätter von einem Kraute abbeißen, welches da in großer Menge wuchs, und sah, daß sie mit den Blättern zu der toten Eidechse hinliefen und ihr Saft davon in den Mund flößten, und sah, daß die tote Eidechse davon wieder lebendig wurde und frisch und gesund davonlief und die Jungen hinter ihr drein. Wie ein Blitz lief es mir durch die Seele, ich wollte die Mutter aufsuchen, und wenn sie auch schon begraben wäre, so wollte ich sie wieder mit diesem Kraut lebendig machen. Ich nahm viel von dem Kraut und lief schnell in die Stadt zurück und fragte von Haus zu Haus, konnte sie aber nirgend finden. Als ich am andern Tor endlich bei dem Torwärter fragte, sagte er mir, daß heute morgen ein solches Kind, wie ich gesagt, vom Lande in die Stadt gekommen sei und ihn nach der Apotheke gefragt habe; daß es auch bald wieder hinausgegangen sei, aber daß er nicht wisse, wohin. Da war meine Angst wieder so groß als vorher, und ich lief nach der Apotheke zurück und wollte nun auch von dem nämlichen Gift essen, um zu sterben. Ich stürzte nach der Büchse hin und riß sie auf und aß in der Verzweiflung alles, was darin war. Aber auf einmal kam der Apotheker heraus mit einer großen Süßholzwurzel in der Hand und kriegte mich beim Schöpfe zu fassen und prügelte mich ganz abscheulich und rief immer dabei: ›O! du naschhafter Zuckerschlecker! da hast du auch Süßholz dazu, du Bengel! Erst läufst du den ganzen Tag auf der Straße herum und kömmst abends nach Haus und schleckst mir noch dazu die Zuckerbüchse aus; da nimm Süßholz, Süßholz dazu!‹ und dabei prügelte er immer darauf los. Ich aber rief immerzu: ›O! Herr Prinzipal! schlagen Sie mich tot, um Gotteswillen, schlagen Sie mich tot, wenn das Gift mich nicht schon umbringt.‹ Der Herr Prinzipal aber war schon ganz müd und sprach: ›Was redest du von Gift, du Narr!‹ – ›Ei!‹›sagte ich, ›war denn kein Bleizucker in der Büchse, es steht ja darauf geschrieben?‹ – ›Nein, es war Zucker drin‹, sagte der Prinzipal; ›ich werde dir Bleizucker dahin stellen, du unachtsames Naschmaul! daß du mir die Leute vergiftest; ich habe alle solche Sachen unter Schloß und Riegel liegen, damit kein Unglück geschieht, und in allen Büchsen, wo hier Gift drauf geschrieben steht, ist nichts als weißer Zucker, damit ihr mir das Naschen sein lasset.‹
Ihr könnt euch mein Entzücken denken bei dieser Nachricht; ich kriegte meinen Prinzipal bei den Ohren zu fassen und küßte und drückte ihn vieltausendmal und tanzte wie ein Narr mit ihm in der Apotheke herum, so daß er anfing um Hülfe zu rufen, weil er glaubte, ich sei rasend geworden. Da kam die Apothekerin herzugelaufen und schlug die Hände über dem Kopf zusammen über den Spektakel, und der Mann schrie zu ihr: ›O Quassia! liebe Quassia! gieb ihm Süßholz.‹ Da nahm Frau Quassia die Süßholzwurzel wieder und prügelte auf mich los, so erbärmlich, daß ich den Prinzipal fahren ließ und so in der Apotheke herumsprang, daß alle Büchsen auf den Brettern tanzten und die Mörser zu klingeln anfingen. Bratsch! fiel eine große Flasche mit Jalap an die Erde und eine andere mit Oxymel simplex hintennach; sie ließen mich los und eilten, ferneres Unglück zu verhüten. Ich aber rannte so gegen die Türe, daß ich alle Fenster einstieß und den König Salomo, der als Schild an der Türe stand, über den Haufen rannte. Wie unsinnig flog ich zur Stadt hinaus nach der kleinen Kapelle und kniete nieder vor dem kleinen Altar und betete die ganze Nacht, bis ich vor Müdigkeit einschlief.
Am andern Morgen konnte ich von dem vielen genossenen Süßholz meinen Rücken kaum bewegen; da nahm ich von dem Kraut, was neben mir wuchs, und rieb mir den Rücken damit, und auf einmal war ich frisch und gesund. Da betrachtete ich das Kraut recht genau und nahm mir Samen davon mit und Blätter, und spazierte fort, in die Welt hinein.
Als ich einige Tage fortgezogen war, kam ich in einen Wald, da hörte ich ein Kind außerordentlich weinen; ich ging nach der Gegend hin, und da sah ich dasselbe kleine Mägdlein an der Erde sitzen und an einem großen Strumpfe stricken und immer dazu weinen. Ich trat näher und sah, daß es einen kleinen Hund im Schoße liegen hatte und bitterlich auf ihn niederweinte. ›Liebes Kind!‹ sagte ich, ›ach, die Mutter ist gewiß gestorben, weil du so weinst?‹ Da sprang aber das Mägdlein auf und sprach: ›Ach nein, lieber Herr Subject! die Mutter ist frisch und gesund von Seinen guten Pillen, und die Strümpfe für Ihn sind auch gleich fertig; ich habe Tag und Nacht gestrickt; sehe Er die schönen roten Zwickel‹ – und da breitete sie einen schönen fertigen Strumpf vor mir aus. ›Ziehe Er den nur gleich an; indes stricke ich den andern fertig.‹ Ich setzte mich hin, den Strumpf anzuziehen, und während ich meine Schuhe auszog und den Staub herausschüttelte, fragte ich: ›Aber, Kind! warum hast du denn so geweint?‹ Da fing die Kleine, die über meine Ankunft ihren Kummer vergessen hatte, wieder an zu weinen und sagte: ›Ach, lieber Herr Subject! ich wollte zu Ihm in die Stadt und wollte Ihm danken und Ihm die Strümpfe bringen, den einen wollt ich unterwegs fertig stricken; da nahm ich auch unser treues Hündchen Wackerlos mit, das krank war, und wollte Ihn bitten, Er solle dem Hündchen doch eine von seinen Pillen geben, ich wollte Ihm ein Paar Winterhandschuhe von Seidenhasenhaaren dafür stricken; ach, und denke Er sich, als ich bis hierher kam, wollte das treue Hündchen Wackerlos nicht mehr fort. Ich nahm es auf meinen Schoß und setzte mich hier hin, und da sah es mich traurig an und wedelte ein bißchen mit dem Schwanz und streckte sich; ach, und jetzt ist es still und ist tot. Ach! wäre Er nur eher gekommen, da hätte Er ihm vielleicht helfen können; aber jetzt geht es wohl nicht mehr?‹ Dabei sah mich das gute Mägdlein in großen Sorgen an; ich aber hatte den einen Strumpf schon angezogen und sprach: ›Wir wollen es versuchen, liebes Kind!‹ Da brachte sie mir das Hündlein Wackerlos geschwind herbei; ich nahm von meinen Kräutern und drückte ihm Saft davon in den Mund, da tat es die Augen auf; noch ein wenig Saft, da wedelte es ein bißchen mit dem Schwanz; noch ein wenig Saft, da leckte es mir die Hände und sprang an dem guten Mägdlein freudig in die Höhe, welches gar nicht aufhören wollte, mir zu danken. Aber schnell setzte es sich hin und strickte den Strumpf aus, während das Hündchen Wackerlos mir alle seine Künste vormachte: Apportieren, Suchverloren, Aufwarten, Bitten, Schildwachstehen, über den Stock Springen, wie spricht der Hund, Tanzen, sich tot Stellen, nach welchem letzten Kunststück das Hündchen immer zu mir kam und mir die Hände leckte, um mir zu danken, daß ich es lebendig gemacht. ›Nun bin ich fertig‹, sprach das Mägdlein und rief den Wackerlos, und der mußte mir den Strumpf bringen. Ich zog diesen Strumpf auch an, und diese Strümpfe stehen mir recht hübsch, an Sonn- und Feiertagen werdet ihr sie an meinen Beinen sehen. Darauf brachte mich das Mägdlein zu seiner Mutter, die mir nochmals sehr dankte; den andern Tag aber machte ich mich auf die Reise hieher und habe unterwegs noch einige Menschen lebendig gemacht mit meinem Kraut.«
»Deine Geschichte, lieber Pinkepank«, sagte Trilltrall, »war sehr rührend, aber meine Angst und Überraschung war doch ganz anders als die deinige in der Apotheke; denn du hattest ein böses Gewissen und glaubtest durch Unachtsamkeit jemanden vergiftet zu haben, der Hülfe bei dir suchte. Aber ich bin versichert, so etwas wird dir nie mehr geschehen.« – »Gewiß nicht«, sagte Pinkepank, »die große Angst und das viele Süßholz haben mich auf ewig gewarnt.«
»Alle die Brüder«, begann nun Pitschpatsch, »haben von großer Angst geredet, um sie mit deinem Schrecken vor dem vermeinten wilden Tiere zu vergleichen, so muß ich denn auch einmal einen rechten Schrecken von mir erzählen: Ich fuhr einstens in einem kleinen Boote auf das Meer hinaus zu fischen, und ein anderer Fischer, ein sehr rauher und harter Mann, den ich kannte, war auch ausgefahren; ich konnte sein Boot von weitem erkennen. Ich warf mein Netz aus und tat einen guten Fang; besonders war ein großer Fisch dabei, der sich sehr wehrte und mit dem Schwanz um sich schlug; ich gab ihm deswegen eins mit dem Ruder auf den Kopf und schnitt ihm den Bauch auf. Stellt euch meine Verwunderung vor, als ich einen schönen goldenen Ring in seinem Magen fand. Ich steckte ihn freudig an den Finger und wollte eben mein Netz zum zweiten Male auswerfen, als ich zwischen meinem Schiffchen und dem des andern Fischers das Meer große Wellen hervorwerfen sah, aus welchem Strudel ein Meerfräulein hervortauchte, das schöne, lange, grüne Haare hatte und ein goldenes Perlenkrönlein auf dem Haupt und eine Menge Muscheln und Korallen um den Hals. Es rang die Hände und weinte sehr beweglich; ich sah, daß es sich dem Boote des bösen Schiffers näherte, und weil ich schon ahndete, daß das arme Meerfräulein nichts Gutes bei ihm zu erwarten habe, ruderte ich gegen jenen Schiffer zu. Aber ich hatte ihn noch nicht erreicht, als er dem Meerfräulein, welches weinend gegen sein Schiff schwamm, einen kleinen Spieß, den er, um Walfische zu töten, bei sich führte, in die Seite warf. Das arme Meerfräulein stieß einen herzzerreißenden Schrei aus und wollte untertauchen; aber sie konnte nicht mehr recht schwimmen, weil sie verwundet war, und wendete sich nun nach meinem Boote, das ich ihr mit angestrengtem Ruderschlage entgegentrieb. Der böse Schiffer fuhr mit ebenso großer Gewalt hinter ihr drein. Schon war sie meinem Schifflein nah und streckte die Arme, um Rettung flehend, gegen mich aus, und ich sah das rote Blut aus ihrer Wunde rieseln und sich mit dem Meerwasser vermischen, da rief sie aus: ›Ach! um des allmächtigen Gottes willen, vor welchem auch du mein Bruder bist, flehe ich dich an: rette mir mein junges Leben!‹ Da tat sie mir so leid, daß ich sie in mein Boot hereinzog und sie zu meinen Füßen bettete; aber nun war mir der böse Schiffer auch so nahe gekommen, daß ich ihm nicht mehr entfliehen konnte. ›Pitschpatsch!‹ rief er aus, ›gieb mir mein Meerfräulein, oder ich schlage dich mit dem Ruder tot!‹ – ›Ich kann sie dir nicht geben‹, antwortete ich, ›denn sie hat eine Zuflucht im Namen Gottes bei mir gesucht, und ich habe ihr meinen Schutz im Namen Gottes versprochen; auch hast du kein Recht an sie, da du sie nur verwundet, ich aber sie gefangen.‹ Hier kamen wir in einen heftigen Streit, während welchem unsere aneinandergehakten Schiffe von einem heftigen Sturm in die offene See getrieben wurden. Ich bot dem bösen Schiffer meinen ganzen Fischzug für das Meerweib, er verlangte immer mehr; er wollte auch mein Netz und endlich mein Boot, und wenn ich sagte: ›Ach! das kann ich nicht‹, so wimmerte das Meerfräulein immer zu meinen Füßen: ›Gieb! gieb! um Gottes willen, gieb!‹ so gestand ich auch dieses zu. Nun trieb uns der Wind gegen eine Sandbank, und da stieß mich der böse Schiffer aus meinem Boot hinaus und warf mir das arme Meerfräulein nach. Ich flehte ihn um Gottes willen an, er möge mich hier nicht zurücklassen, ohne Fahrzeug mitten im weiten Meer, auf der wüsten Sandbank; er wollte mich aber nicht mitnehmen, es sei denn, daß ich ihm den Ring geben wolle, den er an meinem Finger glänzen sah. Es war derselbe, den ich in dem Fische gefunden. Schon war ich im Begriff, ihm den Ring zu übergeben, als das Meerfräulein heftig aufschrie: ›Mein Ring! mein Ring! um Gottes willen, mein Ring!‹ und sich nach mir aufrichtete und mir den Ring entriß. Da wollte der böse Schiffer nach ihr schlagen; aber ich trat ihm entgegen, und wir rangen miteinander. Er war viel stärker als ich und warf mich zu Boden. Da rieb das Meerfräulein den Ring heftig und schrie in die See hinein mit einer Stimme scharf wie die Waffe eines Schwertfisches:
Korali, hilf, Mord und Weh!
Margaris stirbt über See!
Da hoben sich die Wellen haushoch und schlugen über die Sandbank hin, und eine Welle riß den bösen Schiffer, der mir eben mit seinem Ruder die Brust einstoßen wollte, von mir weg und schleuderte ihn weit in die Wogen hinaus. Auch beide Boote wurden fortgerissen, und die See beruhigte sich wieder. Nun saß ich mit dem verwundeten Meerfräulein einsam und allein auf der Sandbank; keine Hülfe nah und fern; die Nacht kam heran, ich sah kein Land rings umher, und mein Tod war gewiß. ›Unglückseliges Meerfräulein!‹ sprach ich, ›in welches Elend hast du mich gebracht! Ohne Boot muß ich hier verhungern oder von den Wellen verschlungen werden um deinetwillen, und wenn du noch ein Mensch wärest; aber dein Leib, der sich von den Hüften hinab in einen schuppichten Fischschwanz verwandelt, macht mich schaudern, wenn ich dich ansehe.‹ – ›O, du armer Pitschpatsch!‹ sagte sie, ›ärgere dich nicht, daß du menschlich an mir gehandelt hast; und was meinen Leib angeht, so bedenke, daß mir deine gespaltenen nackten Beine, die in der Mitte geknickt sind, auch eben nicht sehr schön vorkommen; tue lieber das Gute, das du mir erwiesen, ganz: ziehe mir den Speer aus der Wunde und sauge mir das Blut aus und verbinde mich.‹ Ich fand ihre Worte recht vernünftig und tat, was sie von mir begehrte. Während ich das Blut aus ihrer Wunde sog und sie verband, sang sie mit einer bezaubernd lieblichen Stimme:
Süß ist mein Blut, süß ist mein Blut,
Nun wird dir das Meer nicht mehr bitter sein;
Auf stiller und auf wilder Flut
Wirst du nun der seligste Ritter sein;
Du wirst schwimmen, segeln, tauchen,
Wirst kein Schiff, kein Ruder brauchen;
Zu Füßen dir der Sturm sich schmiegt,
Und deinen Winken folgt Welle und Wind,
Das weite Meer so treu dich wiegt,
Als eine Mutter je wieget ihr Kind.
Wer aus Meerweibs Wunden trinket,
Nimmer dem sein Schifflein sinket.
Ihr Gesang war so lieblich und rann mir wie ein süßes Bächlein durch das Ohr, und ums Herz ward mir so kühl, als wenn man im heißen Sommer in klaren Wellen sich badet. Da zerrannen mir alle Gedanken, und mir war, als sänke ich immer tiefer und tiefer hinab. Ich war entschlafen, und das Meerfräulein zog mich durch die Wellen hinab, und ich konnte darin atmen wie in blauer Himmelsluft; da sah ich den Leib des bösen Schiffers in den Zweigen eines roten Korallenbaumes hängen, und häßliche Meerungeheuer fraßen sein Herz. Als wir auf den Grund des Meeres kamen, pochte das Meerfräulein an einer Türe von Perlmutter an und rief:
Korali, auf! tu auf die Tür!
Margaris deine Braut ist hier.
Da antwortete der Meermann:
Ich tu nicht auf das Perlentor,
Margaris meinen Ring verlor.
Meerfräulein:
Ich bringe den Ring, den Schiffer auch,
Der ihn gefunden in Fisches Bauch.
Meermann:
Den Fischer schlag ich mit Steinen tot
Und häng ihn in die Korallen rot.
Meerfräulein:
Er hat gegeben sein Ruder und Netz,
Daß er mich wieder in Freiheit setz.
Meermann:
So geb ich ihm Ruder und Netz so gut,
Das Fehlschlag nie noch Fehlzug tut.
Meerfräulein:
Er hat gegeben sein Fischerboot,
Zu retten mich aus Todesnot.
Meermann:
So lehr ich ihn bauen ein solches Schiff,
Das führt über Sand und Felsenriff.
Meerfräulein:
Aus meiner Wunde saugte sein Mund
Das süße Blut, da ward ich gesund.
Meermann:
So soll er nun atmen im bittern Meer,
Als ob es die lichtblaue Himmelsluft war.
Nun machte der Meermann das Perlmuttertor auf und umarmte seine Braut sehr freundlich; aber sie mußte ihm vorher den Ring zeigen, den sie nachlässig von jenem Fisch hatte verschlingen lassen, in dessen Leib ich ihn wiederfand. Der Meermann verwies ihr ihre Nachlässigkeit und sagte ihr: ›Dieser Ring ist bezaubert, und hättest du ihn nicht wiedergebracht, so wäre ich gestorben.‹ Als sie ihm aber erzählte, welche große Schmerzen und Angst sie ausgestanden, mußte der gute Meermann vor großer Teilnahme weinen und erwies ihr tausend Gutes. Mir dankte er nun recht von Herzen und gab mir alles, was er mir versprochen; erstens: ein Ruder ganz von Fisch, Schildkrot und Perlmutter, das einen nie müde macht, sondern je mehr man rudert, desto kräftiger; zweitens: ein Netz von grünen Meerfräuleinshaaren, in das die Fische mit der größten Freude hineinspringen; dann baute er mir ein Schiff aus Binsen mit Fischhaut überzogen und mit beweglichen Floßfedern wie ein Fisch, und so leicht, daß es wie eine Schwalbe über das Wasser streift. Die Gabe aber, unter dem Wasser wie auf der Erde zu leben, habe ich, seit ich die Wunden des Meerfräuleins aussaugte.
Als er mir alles das geschenkt hatte, wollte er, ich sollte auf seiner Hochzeit bleiben; aber ich sagte ihm, daß der Tag herannahe, an dem ich meinen Vater besuchen müsse, und da sagte er: ›Das geht freilich vor‹; und legte mir noch die schönsten Muscheln, Perlen und Korallen in das Schiff, und ich mußte mich hineinsetzen; er aber und das Meerfräulein faßten es an beiden Seiten, und so stieg es leise, leise mit mir dem lieben Sonnenlicht entgegen; das Schifflein kam an einem ganz einsamen, von Gebüschen versteckten Felswinkel an die Oberfläche des Wassers, der Meermann und seine Braut umarmten mich mit Tränen und baten mich, wenn ihnen Gott ein kleines Meersöhnchen schenke, sein Taufpate zu werden. Ich versprach es ihnen von Herzen, wenn sie es mir anzeigen wollten, worauf sie unter den freundlichsten Versicherungen ewiger Dankbarkeit in den Wogen verschwanden. Mein herrliches Schifflein voll der größten Kostbarkeiten habe ich in der einsamen Bucht ganz im Schilf versteckt, daß es kein Mensch finden kann als ich, und so bin ich hieher gereist, Euch, lieber Vater! und die Brüder wieder zu sehen.«
»Deine Geschichte, lieber Pitschpatsch! war recht schön«, sagte Trilltrall, »und deine Angst vor dem bösen Schiffer ging schnell vorüber und ward reichlich belohnt, weil du einem armen Geschöpfe Hülfe geleistet.«
»Aber«, sagte der Schulmeister, »ich dächte, Trilltrall, du erzähltest weiter; noch immer wissen wir nicht, was für ein wildes Tier es war, welches das schöne Lied an die Nachtigall sang, das dich so sehr erfreute.« Da fuhr Trilltrall fort:
»Ich war von dem schönen Lied und der Nachtigall und dem Widerhall so erfreut, daß, als sie aufhörten, ich mich aufrichtete und auf den Baum losging, um den Sänger zu bitten, er möge wieder anheben; aber kaum machte ich einiges Geräusch, so fing es auch gleich an, wieder wie ein Hund zu bellen, und warf noch dazu mit abgebrochenen dicken Zweigen nach mir, davon mich einer so derb auf die Nase schlug, daß ich laut zu schreien anfing: ›Ach Gott! ach Gott! meine Nase!‹ und auf dieses mein Geschrei war das Wesen wie der Blitz vom Baum herunter, und ich konnte so geschwinde nicht entlaufen, daß es mich nicht mit beiden Armen umfaßte und ausrief: ›Ach! ich bitte tausendmal um Verzeihung, ich habe es nicht gern getan!‹ und dabei tappte es mir mit so harten knöchernen Fingern, an welchen lange krumme Nägel waren, an der Nase herum, daß es mich nicht weniger schmerzte als der niederfallende Zweig. ›Wer bist du denn?‹ fragte ich, ›daß du so ganz voller Haare bist und bald wie ein Vogel pfeifst, bald wie ein Hund bellst, auf den Bäumen herumkletterst wie eine wilde Katze, auf allen Vieren zum Bächlein trinken gehst und dann wieder so schöne Lieder singst? Bist du denn ein ordentlicher Christenmensch und kein wildes Tier?‹ – ›Ich bin‹, erwiderte er mir, ›der Holzapfelklausner, und lebe seit achtzig Jahren hier allein im Wald und bin ein Vogelsprachforscher und habe hier eine hohe Schule der Vogelsprache, welche mein eigentliches Hauptfach ist; und beschäftige ich mich nebenbei mit der Sprache der wilden Schweine und Katzen und habe hier in der Einsamkeit alle Sitten und Gebräuche der wilden Tiere angenommen, um mich in ihrer Gesellschaft als ein Mann von Anstand und Erziehung aufführen zu können; da nun, seit ich hier lebe, kein Mensch sich hier hat sehen lassen, so habe ich, da du auf dem Baume herumkrochst, geglaubt, du wärest eine wilde Katze, welche mir meine Studenten, die Vögel, wegfressen wollte, und drum bellte ich wie ein Hund, um dich zu verjagen.‹ Nun sagte ich ihm, wer ich sei, und daß ich Trilltrall heiße, und daß Trilltrall mein Beruf sei, und daß ich ebendeswegen mich in den wilden Wald begeben hätte, um die Vogelsprache zu erlernen. ›Brav‹, sagte er, ›sehr brav, da bist du nun gerade an den rechten Mann gekommen, und ich freue mich auch recht sehr, daß ich einen Menschen gefunden, welchem ich meine große Gelehrsamkeit überlassen kann; denn ich bin schon sehr alt und werde nicht lange mehr leben. Du kannst dann nach meinem Tode die Schule hier fortsetzen und besonders darauf wachen, daß die Vögel hier reines Vogeldeutsch reden und keine französischen Wörter einmischen.‹ Mir war das alles sehr angenehm; der Morgen kam heran, und ich besah mir nun den Klausner bei Tage. Da wunderte ich mich nicht, daß ich ihn für ein wildes Tier gehalten, denn er sah aus wie ein uralter Affe und war ganz von seinen weißen Haupt- und Barthaaren bedeckt. Da er mit den Vögeln ein schönes Morgenlied gesungen, sagte er ihnen Lebewohl. ›Sie haben jetzt Ferien‹, sprach er zu mir, ›weil sie Nester bauen, Eier legen und Junge ausbrüten müssen, da kann ich dich einstweilen im ABC unterrichten.‹
So lebte ich denn eine Zeitlang mit dem Klausner ruhig und lernte fleißig. Vieles Essen und Trinken hinderte uns nicht, wir aßen nichts als Wurzeln und Kräuter, besonders aber Vogelfutter: Mücken, Spinnen, Käferchen, Ameiseneier, Wachholderbeeren usf., und ich mußte besonders immer das Lieblingsfutter des Vogels essen, dessen Mundart und Sprache ich gerade lernte, wie mir denn die Wiedehopfsprache am allerschwersten fiel, weil sie sehr schmutzige Küche halten. Wir waren bis zu der Krametsvogelsprache gekommen, und ich steckte eben in einem dichten Wachholderbusch und aß Beeren, um mich vorzubereiten, als ich in der Nähe folgendermaßen sprechen hörte: ›Ach! warum bin ich von der Seite meines königlichen Herrn Vaters weg hier in das Gebüsch gegangen!‹ klagte eine gar liebliche Prinzessinnenstimme; ›ach! jetzt bin ich verirrt, und Ihro Majestät, mein Vater, der König Pumpam, wird mich nicht wiederfinden!‹
Da antwortete eine plumpe Stimme: ›Allergehorsamste, untertänigste Prinzessin Pimperlein! Der schwarze Feldprediger, welcher mit der Kuhglocke, als sie Ihnen von Ihrem kohlrabenweißen Hals herabfiel, auf und davon ging, ist nach dieser Seite der unvernünftigen Wildnis entflohen; Sie haben mir befohlen, den Dieb mit Ihnen zu verfolgen; anfangs ging das gut, solange wir den Klang der Glocke hörten, die er trug, aber nun stehen die Ochsen am Berg; ich höre nichts und sehe nichts, ich weiß keinen Weg als den in Küche und Keller und Bett, und hier ist nichts von solchen angenehmen Anlagen zu sehen.‹
Nach diesen Worten kamen sie an mir vorüber, und ich sah die allerschönste Prinzessin von der Welt. Sie hatte ein graues Reisekleid mit Gold gestickt an, das bis an die Knie aufgeschürzt war, und dazu rotsaffianene Stiefel mit goldenen Spornen, und auf dem Kopfe hatte sie einen grünen Hut, auf welchem eine kleine goldene Krone blinkte; mit ihr ging ein untersetzter Mann mit Jacke und Beinkleidern von allen möglichen Farben, einen weißen trichterförmigen Hut und eine Pritsche in der Hand; er sah so närrisch aus, daß man ihn ohne Lachen nicht ansehen konnte. Aber ich kümmerte mich gar nicht um ihn, denn ich konnte gar kein Auge von der allerschönsten Prinzessin Pimperlein wenden.
Als die Prinzessin die vielen blauen Glockenblumen sah, die an diesem Orte der Wildnis wuchsen, rief sie aus: ›Ach! wie viele schöne blaue Glöckchen, welche artige Pimperlein! aber sie geben keinen Klang; sowas habe ich nie gesehen; hier will ich mich hinsetzen und mir einen Kranz flechten. Gehe du, lieber Hanswurst! und sieh dich um, ob du niemand findest, der uns den Weg zu der Landstraße zurück zeigen kann. ‹ – › Prinzessin Pimperlein‹, sagte der närrische Hans, ›wenn hier ein Bär kommt und frißt Sie wie einen Honigfladen auf, so müssen Sie es selbst verantworten, wenn ich Sie verlasse.‹ – ›Gehe und folge meinem Befehl‹, sprach sie, ›und störe mich nicht in meinen Betrachtungen.‹ Da sagte er: ›Ich bin kein Stör, ich bin der Reisemarschall, und wollte gerne der Pimperlein Befehlen folgen; aber ich weiß nicht, wo sie hingegangen sind, sie mögen sich auch verirrt haben wie wir.‹ Da sagte Pimperlein: ›Gehe dort nach jenen alten Eichen, ich sehe Fußstapfen im Sand, die dahin führen, und suche dort einen Wegweiser.‹ Da sagte der Narr: ›Wenn Sie sich so auf Schuhschlappen verstehen, Prinzessin, so ist uns geholfen.‹ – ›Wieso?‹ sagte Pimperlein, und er antwortete: ›Wir wollen dann hier wohnen bleiben und Schuhflickerei treiben und den wilden Tieren die Schuhe flicken. Das nährt seinen Mann, denn wenn ich auf meine fünf Zehen trauen darf, sind dies hier Bärenpfoten und keine Menschentritte.‹ Nun ward Prinzessin Pimperlein ungeduldig und befahl ihm, kein Wort mehr zu sprechen und hinzugehen, wie sie befohlen. Da wusch sich der Narr seine Hände im Bach, machte eine tiefe Verbeugung und ging den Fußtritten nach. Die Prinzessin aber machte sich einen Kranz von Glockenblumen und sang dazu:
Silberglöckchen klingen schön,
Wenn sie spielen in dem Wind:
Pim pim Pimperlein;
Aber schöner anzusehn
Doch die Glockenblümchen sind,
Läuten sie den Frühling ein.
Rabe fliege immer hin,
Der mein Glöckchen mir geraubt,
Pim pim Pimperlein;
Glockenblümchen sollen blühn
Künftig um mein blondes Haupt,
Friede läuten sie mir ein.
Eh das Glöckchen ich verlor,
Tönt' es, wo ich stand und ging:
Pim pim Pimperlein;
Und jetzt hört kein menschlich Ohr,
Wenn ich durch die Wiese spring,
Glockenblümchen schweigen fein.
Die Prinzessin gehet dort,
Sprach gleich jeder, wenn es klang:
Pim pim Pimperlein;
Jetzt kann ich an stillem Ort
Lauschen auf der Vögel Sang,
Glockenblümchen klingt nicht drein.
Ach! wie war die Welt so kalt,
Als ich immer hören mußt:
Pim pim Pimperlein;
Vöglein singt im stillen Wald,
Herzchen pocht in selger Brust,
Seit die Glockenblümchen mein.
Dies Liedchen sang die liebe Jungfrau mit so süßer Stimme, daß alle Vöglein schwiegen und lauschten, daß der Quell leiser murmelte und horchte, und die blauen Glockenblumen neigten sich freundlich zu ihr, um gebrochen zu werden.
Der närrische Hans aber war mit furchtsamen Schritten bis an eine alte hohle Eiche gegangen, in welcher der Holzapfelklausner ganz zusammengedrückt saß, so daß nur sein weißer Bart wie ein Wasserfall heraushing und seine lange Nase hervorsah, worüber der Hanswurst vor Schrecken mit einem lauten Geschrei sechs Burzelbäume bis zu den Füßen der Prinzessin zurück schlug. ›Ach!‹ rief er aus, ›dort der Eichbaum hat einen Ziegenbock gefressen, der Bart hängt ihm noch aus dem Maule; nun wird er uns beide auch verzehren.‹ Da sah die Prinzessin nach der Eiche und sprach: ›0 du furchtsamer Diener! ich sehe an der langen Nase, daß es ein Mensch ist; gehe hin und frage ihn, wer er ist.‹ Da ging der Hans hin und machte einen langen Hals gegen den Klausner und sprach:
Nase groß und Bart nicht klein!
Einen schönen Gruß von Pimperlein
Bringe ich und frag euch beide:
Ob ihr ordentliche Menschenleute.
Da brummte der Klausner mit dunkler Stimme und zog die Worte gewaltig lang:
Ich bin ein alter Waldbrudererere.
Hans lachte und sagte zu Pimperlein, in dem er die Worte auch sehr lang zog:
Er sagt, er sei ein kalter Stallbrudererere.
Da sprach Pimperlein:
Geh hin und frage noch einmal:
Was soll in diesem Felsental
Wohl ein alter Stallbruder machen?
Das ist gesprochen um zu lachen.
Hans ging wieder hin und sprach:
Nase groß und Bart nicht klein!
Der Prinzessin Pimperlein
Ein Stallbruder zum Lachen ist;
Ich soll fragen, wer du bist.
Da brummte der Klausner wieder sehr lang:
Ich bin ein alter Eremitetete.
Da sprach Hans zu Pimperlein:
Er sagt, er sei ein alter Scherenschmiedetete.
Da sprach Pimperlein:
Geh hin und frage noch einmal:
Was soll in diesem Felsental
Wohl tun ein alter Scherenschmied?
Die Krebse bringen ihre Scheren mit.
Hans fragte nun wieder: Nase groß und Bart nicht klein!
Die Prinzessin Pimperlein
Glaubt nicht an den Scherenschmied,
Sag mir, wer du bist, ich bitt.
Da schnurrte der Klausner wieder:
Ich bin ein alter Einsiedlererere.
Und Hans sagte wieder zu Pimperlein:
Er sagt, er sei ein kalter Leimsiedererere.
Da sprach Pimperlein:
Geh hin und frage noch einmal:
Was soll in diesem Felsental
Ein alter Leimsieder wohl machen?
Das ist gesprochen um zu lachen.
Da fragte Hans wieder, und der Einsiedler sprach:
Ich bin ein alter Anachoretetete.
Da fragte Hans wieder und der Klausner sprach:
Ich bin ein alter Einödererere.
Hans sprach:
Er sagt, er ist ein alter Neuntötererere.
Die Prinzessin ließ fragen, wovon er hier lebe, und der Klausner sprach:
Ich esse Blätter und Gräslein.
Hans sagte:
Er ißt Vetter und Bäslein.
Der Klausner sagte ungeduldig nochmals:
Ich esse Blätter und Gras,
Wurzeln und Kräuter,
Pilze, Schwämme und Beeren,
Käfer, Grillen und Mücken.
Und Hans schnatterte ihm nach:
Er ißt Bretter und Glas,
Schurzfell und Schneider,
Filze, Kämme und Bären,
Schäfer, Brillen und Krücken.
Da ward der Klausner und ich und die Prinzessin Pimperlein zugleich sehr unwillig gegen den Hanswurst, der alle Worte verdrehte, und wir traten alle zugleich hervor: der Klausner aus der hohlen Eiche, ich aus dem Wachholderbusch, und Pimperlein von ihren Glockenblumen, um ihn auszuprügeln; aber er sprang wie ein Hase über den Bach und lief in den Wald, und wir selbst waren so übereinander erstaunt, daß wir ihn laufen ließen. Als der Klausner der Prinzessin nun erzählt hatte, daß er Doktor der Vogelsprache und ich sein Student sei, faßte sie einen guten Mut und sprach: ›Ich bin die Prinzessin Pimperlein und zog mit meinem Vater Pumpam, dem König von Glockotonia, hier durch den Wald; wir waren ausgereist, um den großen goldenen Glockenschwengel zu suchen, der neulich bei einem großen Wettgeläute aus der Hofglocke losriß und über die Stadt hinaus in die weite Welt flog. Ich war mit dem Hanswurst hinter dem Zug des Königs etwas zurückgeblieben, da stieß ich mit meiner Krone gegen einen Zweig und riß mir die kleine goldene Klingel von der Krone, welche immer die Kronprinzessin von Glockotonia tragen muß und darum Pimperlein heißt; das Glöckchen blieb am Baume hängen, und während wir es mit Steinen herabwerfen wollten, kam ein Rabe geflogen und trug das Glöckchen im Schnabel weg. Da wir es immer klingeln hörten, sind wir dem Klang nachgezogen bis hierher, wo der Ton auf einmal verschwand. Nun habe ich mich von meinem Vater Pumpam verirrt, und weiß nicht, wo hinaus in diesem wilden Wald. Kannst du wohl, lieber Einsiedler! da du die Vogelsprache verstehst, von den Vögeln erfragen, ob sie den Raben nicht mit meinem Silberglöckchen gesehen haben, und ob sie den Weg wohl wissen, wo mein Vater hingezogen?‹ – ›Ich will sie gleich zusammenrufen, teuerste Prinzessin!‹ sagte der Einsiedler, und winkte mir, ihm zu helfen; da stiegen wir auf zwei Bäume und fingen an mit allen Vogelstimmen zu locken, und da kamen die Vögel heran von allen Seiten, worüber Pimperlein sich sehr freute; der Einsiedler fragte nun die Vögel, ob sie den Raben nicht gesehen hätten mit dem Glöckchen, und wo der König hingezogen sei. Da wußten die Vögel alle nichts, außer ein Rabe, der erzählte: sein Kamerad, der andere Rabe, sei mit dem Glöckchen auf das Schloß des Nachtwächterkönigs Knarratschki geflogen, das auf einem hohen Felsen im Meere liege, und auf dem sich auch der goldene Glockenschwengel befinde, der bei dem Geläute zu Glockotonia aus der Glocke gerissen und dort hingeflogen sei. Der König Pumpam sei auch dahin unterwegs, und wenn ihm die Prinzessin Pimperlein folgen wolle, so sei er bereit, ihr den Weg zu zeigen.
Der Einsiedler machte der Pimperlein diese guten Nachrichten bekannt, worüber sie sehr erfreut war und sich gleich entschloß, dem Raben zu folgen. Sie rief darum den Hanswurst, sich fertigzuhalten; der kam nun mit großem Geklapper aus den Büschen gelaufen; denn er hatte sich alle Taschen mit Haselnüssen gefüllt, und seine Finger und sein Mund waren schwarz von Heidelbeeren, die er gegessen. Die Prinzessin Pimperlein dankte dem Einsiedler, der ihr eine frische Honigwabe auf die Reise mitgab, sehr; ich gab ihr noch eine Menge der schönsten Glockenblumen mit, die ich mitsamt der Wurzel und Erde dem Hanswurst in seinen trichterförmigen Hut pflanzte, worüber sie sich sehr freute; sie schenkte darauf dem Einsiedler eine goldene Schnupftabaksdose, worauf ihr Portrait mit Brillanten besetzt war, und mir schenkte sie einen brillantenen Ring mit ihrem Namenszug von ihren Haaren. Wir küßten ihr beide mit Tränen den Saum ihres Rocks, da schrie der Rabe: ›Marsch! marsch! es ist Zeit, wir haben gar weit.‹ Sie reichte uns die Hände, und wir weinten bitterlich, da sie fortging.
Ich aber lief noch ein gutes Stück Wegs mit und bog ihr die verwachsenen Zweige auseinander, daß sie bequemer gehen sollte. Ich hatte mich schon sehr weit von unserer Heimat entfernt, als auf einmal eine Schnepfe geflogen kam und mir sagte: ich sollte geschwind zurückkommen, der Klausner sei nicht gar wohl; da empfahl ich mich der Pimperlein nochmals untertänigst und wünschte Glück auf die Reise; sie erlaubte mir, ihr die Hand zu küssen, und lud mich ein, sie einmal in Glockotonia zu besuchen, worauf wir uns trennten.
Ich weinte bis nach Haus, so lieb hatte ich die freundliche Pimperlein gewonnen. Da ich bei dem Klausner ankam, fand ich ihn mit Hacke und Spaten beschäftigt, eine Grube zu machen. Er rief mir zu: ›Hilf, Trilltrall! hilf!‹ und gab mir den Spaten; ich gehorchte ihm stillschweigend, denn wir sprachen selten mit einander; aber dann und wann unter dem Graben sah ich traurig fragend nach ihm, da legte er den Finger auf den Mund und winkte mir, auf die Stimmen der Vögel achtzugeben. Da schrie ein Käuzlein sehr betrübt einige Mal auf der hohlen Eiche, das schauerte dem Klausner durch Mark und Bein und ging mir wie ein Messer durchs Herz. Die Vöglein auf den Bäumen wurden ganz still und verkrochen sich und drückten sich ängstlich zusammen und flüsterten sich einander in die Ohren. Da streckte auf einmal der Specht den Kopf aus seinem Nest hervor und fragte:
Sagt mir, was der Kauz so schreit?
Da guckte die Turteltaube aus dem Nest und sprach:
Kauz schreit: Klausner, es ist Zeit!
Und nun schrie der Dompfaff:
Kauz schreit: Grab dein Grab bereit.
Worauf der dicke Bülow rief:
Kauz schreit: Fünf Schuh lang, drei breit.
Da rief die Amsel gar neugierig:
Eine Grube? Ei, wozu?
Da sprach ein Starmatz sehr ernsthaft:
Ei nun, zu der ewigen Ruh.
Nun fragte eine Schwalbe sehr betrübt:
Wer drückt ihm die Augen zu?
Da antwortete eine Lerche:
Liebe Freundin! ich und du.
Die Nachtigall aber sagte:
Nein, ihr Freunde, ich es tu;
Schwalb und Lerche soll ihn wecken
Zu dem ewgen Himmelslicht,
Ich muß ihm die Augen decken,
Wenn sein Herz im Tode bricht.
Wir haben manche fromme Nacht
Mit Gottes Lob vereint durchwacht,
Drum drücke zu der ewgen Ruh
Ich ihm die lieben Augen zu.
O Klausner! lieber Klausner mein!
Grab deine Grube nicht zu klein,
Laß Platz für die Frau Nachtigall
Und ihres Leidenliedes Schall.
Da der Klausner und ich diese rührenden Worte der lieben Nachtigall hörten, flossen uns die Tränen stromweis herab; das Grab war fertig, der Einsiedler stieg hinein, und ich sprang ihm nach und drückte ihn heftig an mein Herz. ›Ach!‹ rief ich aus, ›lieber Herr und Meister! ich lasse dich nicht, ich halte dich fest in meinen Armen! nein, nein, du mußt bei mir bleibend.‹ Der Klausner aber drückte mich von sich und sprach:
Troll, Trilltrall! aus dem Grabe
Dich, nimm mir nicht den Raum,
Den ich drin nötig habe
Für mich und meinen Traum.
Ich sehne mich nach Stille,
Der grelle Vogelschrei,
Das grause Tiritille,
Das bunte Dudeldei
Macht mir so angst und bange,
Macht mir den Kopf ganz dumm,
Ich hört es gar zu lange;
Geh raus, ich bitt dich drum.
Da stieg ich aus dem Grabe heraus und sprach:
Ach, lieber Meister! saget,
Warum auf einmal so?
Ihr seid gar hochbetaget,
Doch wart Ihr frisch und froh.
Da sprach er sehr ernsthaft zu mir und mit einem Eifer, den ich nie an ihm früher bemerkt hatte, woraus ich sah, daß er ein starkes Fieber hatte:
Ich schnupfte aus der Dose
Der guten Pimperlein,
Da ward mir sehr kuriose
In dem Gehirne mein.
Da sagte ich zu dem guten Klausner:
Ach, Meister hocherfahren!
Du hast dich nicht geschont,
Du bist seit langen Jahren
Das Schnupfen nicht gewohnt.
Der Klausner antwortete mir hierauf strafend:
So spricht allein der Schwache,
Allein der Feige gern
Und hält von ernster Sache
Sich so entschuldgend fern.
Manch Kind will sich nicht waschen
Und nennt das Wasser kalt,
Doch giebts etwas zu naschen,
Da kömmt ein jedes bald.
Arznei wills Kind nicht nehmen,
Schiebt immer auf die Stund
Und steckt doch ohne Schämen
Den Zucker in den Mund.
Doch endlich bringt die Stunde
Den sauern Apfel heiß,
Ist auch kein Zahn im Munde,
So heißt es doch: Nun beiß!
Mein Stündlein ist gekommen
Mit Prinzeß Pimperlein,
Tabak hab ich genommen,
Der ging durch Mark und Bein.
Ich mußt gleich einem Riesen
Mit prasselnder Gewalt
So ganz entsetzlich niesen:
Der Fels kriegt einen Spalt.
Das Echo brach in Stücke,
Der wilde Wasserfall
Fuhr in sich selbst zurücke
Von meiner Nase Schall.
Es fuhren in die Wurzeln
Die Eichen tiefer ein,
Und aus den Lüften purzeln
Sah ich die Vögelein.
Da fing ich an zu hören,
Da fing ich an zu sehn,
Daß wir gar vieles lehren
Und wenig doch verstehn.
Die ganze Vogelsprache
Nebst der Grammatika
In meinem Tränenbache
Ich da ersaufen sah.
Wie Butter an der Sonnen
In lauter Ach und Weh
Ist mir allda zerronnen,
Das Vogel-ABC.
Am Himmel sah ich brennen
Buchstaben lichterloh,
Da könnt ich wohl erkennen
Ein großes A und O.
Und nun will ich mich strecken,
Wie mancher andre lag,
Kein Vogel wird mich wecken
Bis an den Jüngsten Tag.
Da legte sich der Einsiedler der Länge lang in das Grab; der Abend war herangekommen; die Vöglein sammelten sich rings in den Bäumen; aber sie zwitscherten nicht wie gewöhnlich fröhlich durcheinander, sie waren ganz still und guckten traurig auf den Klausner herab in das Grab. Da fing er nach seiner Gewohnheit an, das Abendlied zu singen: ›Nun ruhen alle Wälder‹ – und die Vöglein sangen alle gar lieblich mit, worüber er einzuschlafen schien. Ich kniete neben ihm und weinte, und als die Vögel alle verstummt waren, kam die Nachtigall auf die Brust des Klausners geflogen; sie rupfte sich mit dem Schnabel ein Flaumfederchen aus und legte es ihm auf den Mund, und weil das Federchen sich gar nicht bewegte, hörte ich sie sagen: ›Ach! er atmet nicht mehr, das Federchen regt sich nicht von seinem Atem; ach! der gute Klausner ist tot!‹ Da flog sie auf einen Zweig gerade über das Grab des Klausners und fing so traurig an zu singen und immer heftiger und kläglicher, bis ihr nach einem tiefen Seufzer ihr treues Herzchen zersprang und sie zu dem Klausner tot herunter in das Grab fiel.
Am andern Morgen streuten die Vöglein Kräuter und Blumen auf ihn, und ich bedeckte ihn mit Erde; aber seinen langen weißen Bart ließ ich aus der Erde heraushängen, denn der Wind bat mich gar sehr darum, weil seine Kinder, die kleinen Sommerlüftchen, gar gern mit diesem Bart spielten; auch wollte sich die Grasmücke ein Nestchen hineinbauen. Als ich alles dieses verrichtet hatte, fiel mir ein, daß der Tag herangekommen sei, daß ich mich bei dir, liebster Vater! mit den Brüdern wieder einfinden sollte. So nahm ich, was mir der Klausner zurückgelassen hatte: die Dose mit dem Bild der Prinzessin Pimperlein; nahm von den Vögeln freundlichen Abschied und bat sie, mich aufzusuchen, wenn es was Neues gäbe.
Als ich nun hierher kam, saß der Vogel Bülow, auch Pfingstdrossel genannt, auf dem Baum und hat mir eine Nachricht gebracht, die mich so sehr betrübt als erfreut. Der Rabe, der die gute Prinzessin Pimperlein und den Hanswurst zu dem Nachtwächterkönig Knarratschki führen wollte, wo ihr Glöckchen und ihr Vater sein sollte, war ein Betrüger. Der König Pumpam war nicht dort, der böse Knarratschki kam über den See geflogen und trug die Pimperlein auf seinen hohen Felsen, wo sie den ganzen Tag sitzen muß und dem Knarratschki, der seinen Kopf in ihren Schoß legt, eins singen muß, bis er einschläft; denn er schläft bei Tag, weil er nachts die Nachtwächter regieren muß. Der Hanswurst aber muß den ganzen Tag am See stehen und mit seiner Pritsche hineinschlagen, damit die Frösche nicht schreien und den Knarratschki nicht aufwecken. Der Knarratschki will dem König Pumpam auch die Prinzessin Pimperlein nicht wiedergeben, weil ihm der goldne Glockenschwengel, der aus der Glocke zu Glockotonia losriß und bis auf diesen Felsen flog, seine Gemahlin, die Königin Schnarrassel, totgeschlagen. Nun hat aber der König Pumpam in aller Welt bekannt machen lassen, wer ihm seine Tochter Pimperlein freimache, der solle sie zur Gemahlin und sein halbes Königreich dazu haben, und das ist es, was der Vogel Bülow erzählt, und warum ich so fröhlich ausrief: ›Es ist richtig! es ist alles richtig!‹ denn ich denke, wir wollen nicht lange zögern, sondern uns gleich alle miteinander aufmachen und die Prinzessin und das halbe Königreich gewinnen. Seht nur einmal hier das Bild der Pimperlein auf der Dose.« Da zeigte er allen die Dose herum, und sie waren alle erfreut über die Schönheit und Freundlichkeit der Prinzessin; aber keiner wollte aus der Dose schnupfen, weil es dem Klausner so schlecht bekommen war.
Alle Brüder und der Vater Klopfstock waren es zufrieden, sogleich sich auf die Reise zu machen. Der Schulmeister zog seinen schwarzen Rock an und nahm sein spanisches Rohr in die Hand und schloß die Türe zu, und so gingen sie fort. Trilltrall führte sie, Gripsgraps sagte: »Ich will sie dem Knarratschki schon wegholen, und den Felsen sollt ihr mich mit meinen zwei Dolchen hinauflaufen sehen, besser als eine Katze.« Pitschpatsch sagte: »Über die See soll euch mein Schifflein führen geschwind wie der Wind.« Piffpaff sagte: »Ich will dem Knarratschki eins auf die Pelzmütze schießen, daß er sein Lebtag daran denken soll.« Pinkepank sagte: »Und ich will euch mit meinem Kraut bei der Hand sein, wenn einem ein Unglück geschieht.« Klopfstock aber war ganz gewaltig froh und erzählte weitläufig, wie er gleich Geheimer Ober-Hof- und Landschulmeister werden wollte, wenn sie nur erst das Königreich hätten.
Unter diesen Reden kamen sie nach mehreren Tagereisen an den See. Da suchte Pitschpatsch sein künstliches Binsenschiff, das ihm der Meermann Korali geschenkt, und fand es noch gar schön in dem Schilf versteckt und alle die Perlen und Muscheln drin. »Die wollen wir der Prinzessin zur Hochzeit schenken«, sagte er; »munter! munter! eingestiegen!« Da stiegen sie ein, er ruderte, und mit jedem Ruderschlag flog das Schiff eine Meile weiter in den See.
Bald kamen sie an einen hohen steilen Felsen mitten in der See, an dessen Fuß der arme Hanswurst immer ins Wasser schlug, daß die Frösche nicht schreien sollten, weil Knarratschki oben schlief. Der arme Schelm hatte keine andere Wohnung als ein altes zerlöchertes Nachtwächterhorn, das Knarratschki an den Felsen gehängt hatte, und aus welchem er wie eine Schnecke herausguckte. Als er den Trilltrall erblickte, machte er tausend Freudenbezeigungen und winkte immer mit dem Finger auf dem Mund, man solle sich still halten.
Nun fuhren sie dicht mit dem Schifflein an den Fuß des Felsen, der wie eine hohe Mauer steil vor ihnen in die Höhe stieg. Da machte sich Gripsgraps fertig, den Felsen hinaufzuklettern; er schürzte sich die Ärmel auf, nahm in jede Hand einen Dolch, und alle Brüder waren sehr neugierig, zu sehen, wie er hinaufkommen würde. Das machte er aber mit wunderbarer Geschicklichkeit also: er stieß den Dolch in der rechten Hand in eine Felsspalte und hob sich an ihm in die Höhe, dann stieß er den zweiten Dolch in der Linken etwas höher in den Fels und hob sich an diesem etwas höher, dann zog er den ersten Dolch mit der rechten Hand aus dem Felsen und stieß ihn wieder etwas höher in eine Steinritze und hob sich wieder höher hinan, worauf er den zweiten Dolch wieder höher steckte und so fortfuhr, bis er hinaufkam. Als seine Brüder und sein Vater ihn so schweben sahen, waren sie sehr besorgt um ihn und knieten in das Schifflein und beteten: Gott möge ihm glücklich hinaufhelfen.
Da er in der Mitte des Felsens an dem Dolch der linken Hand schwebend hing und eben den andern Dolch mit der Rechten höher einschlagen wollte, kam er in große Gefahr. Er stach nämlich in ein Adlernest, das in einer Felsenritze war, und zwei große Adler stürzten heraus und hackten und bissen auf ihn, so daß er vor Schrecken den Dolch aus der rechten Hand herab in das Meer fallen ließ. Ach! in welcher Not war da Gripsgraps: mit der linken Hand an dem Dolche festgehalten, schwebte er über der entsetzlichen Meerestiefe, mit der Rechten mußte er sich gegen den grimmigen Adler wehren und konnte nicht rückwärts und nicht vorwärts. Als die Brüder dieses sahen, stürzte sich Pitschpatsch gleich auf den Grund des Meeres, um den herabgefallenen Dolch wiederzuholen, und Piffpaff legte gleich einen Pfeil auf seine Armbrust und schoß den einen Adler herunter, daß er halb tot in das Schifflein fiel. Da ging Trilltrall zu ihm, und der Adler sagte ihm in der Adlersprache: »Ich habe wohl den Tod verdient, denn ich habe das Glöckchen der Prinzessin Pimperlein gestohlen; meine Frau, die zu Besuch ausgeflogen ist, hat es anhängen; sie will immer etwas vor andern Adlersfrauen voraushaben an Putzwerk und Geschmeide und hat mich zu dem Diebstahl beredet. Der Rabe, der droben noch nach dem Manne hackt, ist mein Knecht, welcher die Prinzessin Pimperlein bei dem Klausner belogen und sie in die Gefangenschaft des Riesen Knarratschki gebracht hat.« So sprach er und starb.
Nun kam Pitschpatsch aus dem Meer heraus und brachte den Dolch wieder, den legte Piffpaff auf seine Armbrust und schoß ihn so geschickt gegen den Raben, der immer noch auf den armen schwebenden Gripsgraps loshackte, daß er diesen Verräter durchbohrte und an den Fels festnagelte. Nun hatte Gripsgraps den Dolch wieder und setzte seinen halsbrechenden Weg glücklich fort bis hinauf. Pinkepank aber drückte dem toten Adler ein wenig von seinem Kräutlein Stehauf in die Wunde, und er ward wieder lebendig; worauf Trilltrall zu dem Adler sagte: »Sieh, durch unsere Kunst warst du getötet, durch unsere Kunst bist du wieder lebendig. Wenn du mir versprichst, sogleich deine Frau hierherzubringen, daß sie uns das Glöckchen der Prinzessin Pimperlein bringt, so wollen wir dir das Leben und die Freiheit schenken.« Das versprach der Adler und schwur bei seinen Schwungfedern. Da sagte Trilltrall: »Schwöre höher!« Da sprach der Adler: »Ich schwöre bei meinen Klauen.« Da sagte Trilltrall: »Schwöre höher.« Da sprach der Adler: »Ich schwöre bei meinem Schnabel.« – »Noch höher schwöre«, sagte Trilltrall. »Ei! du verstehst es«, sprach der Adler; »ich schwöre bei dem doppelten Adler des heiligen, deutschen, römischen Reichs, bei dem doppelten Hals, bei den zwei Köpfen, bei den zwei Kronen, bei Zepter, Schwert und Reichsapfel.« – »Gut!« sagte Trilltrall, »aber schwöre noch höher.« Der Adler aber guckte ihn an, lachte und sprach: »Höher geht es nicht, das weißt du wohl.« – »Ja, ich weiß es«, erwiderte Trilltrall, »halte deinen Schwur!« und da ließ er ihn fliegen.
Bald kehrte der Adler mit dem Glöckchen im Schnabel zurück, aber seine Frau war nicht bei ihm, und er sagte zu Trilltrall, sie schäme sich zu kommen, weil er ihr ihre große Eitelkeit verwiesen habe. Da schenkte ihm Pitschpatsch einige Muscheln für sie zum Halsschmuck, wofür er sehr dankte und davon flog. Als Gripsgraps auf den Felsen hinaufkam, sah er nichts als ein großes Nachtwächterhäuschen darauf, aus welchem er die Prinzessin Pimperlein folgendes Lied singen hörte, wozu der Riese Knarratschki schrecklich schnarchte: §§§
Schnarch! Knarrasper, schnarche!
Schnarrassel schnarcht im Sarge;
Der Glockenschwengel schlug sie tot.
Der grobe Riese mir gebot,
Zu singen ihm bei trocknem Brot,
Vom Morgen- bis zum Abendrot.
O! weite See, schick mir ein Boot,
Das mich erlöst aus meiner Not.
Schnarch! Knarrasper, schnarche!
Schnarrassel schnarcht im Sarge.
Auf meinem Knie sein breiter Kopf,
Mein Arm gebunden an seinen Zopf,
Vor meinen Augen sein kahler Schopf,
Sein schnarchend Maul ein schwarzer Topf,
Sein roter Bart, sein dicker Kropf,
O, dazu sing ich armer Tropf!
Schnarch! Knarrasper, schnarche!
Schnarrassel schnarcht im Sarge.
Am Abend geht mein Elend los,
Er hebt den Kopf aus meinem Schoß
Und gibt mir manchen Rippenstoß;
In Eselsmilch muß einen Kloß
Ich kochen von isländschem Moos
So wie ein Schmiedeamboß groß.
Schnarch! Knarrasper, schnarche!
Schnarrassel schnarcht im Sarge.
Und hat er diesen Kloß im Schlund,
Brummt er: Das ist der Brust gesund;
Und setzt das Tuthorn an den Mund,
Ut, ut, bläst er, da heult sein Hund,
Da bebt der Fels bis auf den Grund,
Und also gehts von Stund zu Stund.
Schnarch! Knarrasper, schnarche!
Schnarrassel schnarcht im Sarge.
Er singt und ist recht drauf vernarrt,
Scharf wie ohn Schmalz ein Karrnrad knarrt,
Hart rasselnd mit der Hellepart
Er rappelnd übers Pflaster scharrt,
Rapp, rapp, die Klapperratsche schnarrt.
Daß mir das Blut in Adern starrt.
Schnarch! Knarrasper, schnarche!
Schnarrassel schnarcht im Sarge.
Zu seinem Horn und Rasselschall
Hör lärmen ich auch Knall und Fall
Auf Erden die Nachtwächter all,
Auf Straß und Mauer, Turm und Wall;
Denn, ach! hier in dem Widerhall
Ist dieses Volks Regierungsstall.
Schnarch! Knarrasper, schnarche!
Schnarrassel schnarcht im Sarge.
O! Sternennacht so still vertraut,
Wo Mondlicht in die Blümlein taut,
Wo Schlaf ein buntes Schloß mir baut,
Wo Traum mir durch das Fenster schaut,
Bunt wie der Bräutigam zur Braut,
Wie bist du hier so wild und laut!
Schnarch! Knarrasper, schnarche!
Schnarrassel schnarcht im Sarge.
Ohn Flötenspiel, ohn Harfenklang,
Ohn Glock und Klingel ting tang tang
Muß singen ich den Schlafgesang
Dem Mann, vor dem mir angst und bang,
Und Sonn und Mond gehn ihren Gang.
Ach Gott! wie wird die Zeit mir lang!
Schnarch! Knarrasper, schnarche!
Schnarrassel schnarcht im Sarge.
Pumpam, mein Vater, wohnet weit,
Das Meer ist tausend Meilen breit
Und bitter wie mein Herzeleid,
Und noch viel bittrer ist die Zeit.
Ach! ist kein Ritter denn bereit,
Der mich erlöst aus Einsamkeit!
Während diesem Gesang war Gripsgraps rings um die Hütte herumgegangen und hatte einige große Brummfliegen und ein paar Heuschrecken und Grillen und Hummeln gefangen; dann machte er die Hüttentüre leise, leise auf und flüsterte der armen Pimperlein, die vor Freuden zitterte, ganz sachte ins Ohr: »Sing immer fort und laß mich nur ruhig machen.« Nun betrachtete er den abscheulichen Knarrasper erst recht; er sah dick, groß, breit, zottig und verdrießlich aus, wie ein alter Bär; er hatte ein paar kahle große Fledermausflügel an den Schultern, und hinten an seinem Kopf einen dicken langen Zopf, den er um den Arm der Pimperlein gebunden hatte, daß sie ihm nicht fortlaufen sollte. Seinen Kopf legte er auf ihren Schoß und schnarchte und blies mit der Nase, daß der Staub und Sand von der Erde in die Höhe flog. An der Wand hing sein Nachtwächterhorn, so groß, daß ein Mann drin schlafen konnte; daneben hing seine Nachtwächterratsche, so groß wie eine Stubentüre, und in der Ecke stand seine Helleparte.
Das Horn verstopfte ihm Gripsgraps, die Ratsche zerbrach ihm Gripsgraps, die Helleparte versteckte ihm Gripsgraps, damit er keinen Lärm machen konnte, wenn er erwachte. Der Knarrasper hatte ein paar dicke Haarlocken über den Ohren, da steckte ihm Gripsgraps die Brummfliegen, Heuschrecken, Grillen und Hummeln hinein und machte die Locken hinten und vornen zu.
Wenn sie nun drin schnurrten und grillten, glaubte er, Pimperlein singe immer fort. Aber Pimperlein schwieg nun still. Gripsgraps band den Zopf von ihrem Arm und knüpfte ihn an den goldenen Glockenschwengel, der hinter ihr an der Wand lehnte. Nun holte Gripsgraps einen alten rußigen kupfernen Kessel, in welchem Pimperlein dem Knarrasper immer abends den Kloß kochen mußte, und Pimperlein mußte leise, leise aufstehen, und Gripsgraps schob dem Knarrasper den rußigen Kessel unter den Kopf, so daß er ruhig fortschnarchte, als liege er noch auf Pimperleins Schoß. Nun nahm Gripsgraps die Prinzessin Pimperlein und setzte sich mit ihr in den Kübel, mit welchem dem Hanswurst sein Essen vom Felsen herabgelassen wurde, und ließ sich schnell mit ihr hinab in das Schifflein.
Ach! wie waren der Schulmeister und die Brüder froh, denen schon der Hals vor lauter Hinaufsehen wehtat, als sie den Gripsgraps mit der Pimperlein ankommen sahen. Der Hanswurst sprang mit gleichen Füßen aus seinem Horn in das Schiffchen, Gripsgraps und Pimperlein stiegen auch hinein, alle Brüder küßten ihr die Hände, außer Pitschpatsch, der schlug mit seinem Ruder so kräftig ins Wasser, daß das Schifflein wie ein Pfeil von dem Felsen wegflog.
Aber sie waren nicht lange gefahren, als sie in eine große Not kamen. Knarrasper hatte nicht lange geschlafen, nachdem Gripsgraps mit der Pimperlein fort war. Die Tierchen, welche ihm Gripsgraps in die Locken gesteckt, waren herausgekrochen, die Fliegen, Grillen und Heuschrecken auch, und waren zur Türe hinausgeflogen oder gehüpft; die Hummel aber hatte sich auf seine rote Nase gesetzt. Wie sie nun nicht mehr vor seinen Ohren brummten und sangen, glaubte er, Pimperlein singe nicht mehr, und sprach halb im Schlaf: »Pimperlein! Pimperlein! singe los, oder ich gebe dir einen Rippenstoß.«
Da aber immer kein Pimperlein sang und ihn die Hummel recht tüchtig in die Nase stach, weil sie sich ärgerte, daß er so pustete, ward er zornig und wollte mit geballter Faust auf Pimperlein schlagen; aber er schlug so heftig auf den rußigen kupfernen Kessel, daß er ein entsetzliches Auweh! ausstieß. Der Kessel brummte wie eine große Glocke, und er wollte im höchsten Zorn aufspringen; aber sein Zopf war an den großen Glockenschwengel gebunden, und er riß sich abscheulich an den Haaren. Er machte sich mit Mühe los, er rannte auf dem ganzen Felsen herum: da war kein Pimperlein hinten, kein Pimperlein vornen. Aber auf der weiten See drauß sah er das Schifflein schwimmen. »Ha! ha!« sagte er, »kommst du mir so, so komm ich dir so«, und griff nach seiner Helleparte; aber er konnte sie nicht finden. Da sprach er:
Auf einen rußigen Kessel gelegt,
Das ist ein schöner Spaß!
An den Glockenschwengel gebunden,
Das ist ein schöner Spaß!
Die Helleparte gestohlen,
Das ist ein schöner Spaß!
Da wollte er seine Ratsche nehmen, die war zerbrochen;
Die Ratsche zerbrochen,
Das ist ein schöner Spaß!
Nun wollte er in sein Horn stoßen und alle Nachtwächter zusammenrufen, aber es war ganz verstopft, und er blies sich fast die Backen entzwei. Da schrie er:
»Dem Nachtwächterkönig das Horn verstopft,
Das ist ein garstiger Spaß!
Aber warte, Pimperlein! ich will dich mit deinem Räuber treffen. Der Glockenschwengel deines Vaters Pumpam hat mir, als er hierher flog, mein Weib Schnarrassel totgeschlagen; nun soll er ihm seine Tochter Pimperlein und ihren Räuber auch totschlagen.« – Da nahm er den großen Glockenklöpfel auf die Schulter, spannte seine großen Fledermausflügel aus und flog, flatter, flatter, flatter, über die See hin, dem Schiffchen nach.
»Ach! um Gotteswillen, da kömmt der Knarrasper«, schrie Pimperlein und legte sich glatt in das Schiff nieder, daß er sie nicht sehen sollte. Der Knarrasper aber kam wie eine schwarze Wolke geflogen und sang mit fürchterlicher Stimme:
Hört ihr Herren, und laßt euch sagen,
Der Knarrasper bringt den Klöppel getragen,
Der ihm Schnarrassel sein Weib erschlagen;
Nun geht es der Pimperlein an den Kragen.
Pimperlein bewahre dein Lebenslicht,
Wenn dir der Klöppel den Hals zerbricht.
Ach, da kniete der Schulmeister und die Brüder um Pimperlein und beteten weinend um Hülfe, Pitschpatsch ruderte schnell; aber Piffpaff spannte seinen Bogen und sagte: »Pitschpatsch! halte ein wenig still, daß ich sicher zielen kann.« Da hielt Pitschpatsch still, da war Knarrasper gerade über dem Schiff, paff schoß Piffpaff los, dem Knarrasper mitten durch das Herz, und patsch fiel er mitsamt dem Glockenklöpfel tot in das Schiff herunter, das er mit seinen ausgebreiteten Fledermausflügeln ganz zudeckte.
Anfangs waren die Brüder alle still vor Angst und Schrecken, weil der Knarrasper über ihnen lag. Zuerst rührte sich der Schulmeister und sprach: »Ach Gott, meine Kinder! lebt ihr noch?« Da sprach Pitschpatsch: »Ja! aber der Kopf tut mir weh.« Da sagte Trilltrall: »Meine Hand ist verstaucht.« Dann sprach Gripsgraps: »Meine Nase blutet.« Dann sagte Piffpaff: »Mein Ohrläppchen ist geschwollen.« Dann sprach Pinkepank: »Ich habe ein Loch im Kopf.« – »Ach!« schrie der Hanswurst, »ach weh und aber weh und ach! ich bin ein elender Krüppel, ich werde nicht mit dem Leben davonkommen, o weh! o weh! o weh!« – »Ei! was fehlt dir denn?« schrieen sie alle; da fing er an entsetzlich zu lamentieren und sprach: »Ach! meine Pritsche ist mir zerbrochen, und es ist mir ein Knopf von der Jacke gesprungen.« – Da fingen sie alle an über ihn in ihrer Herzensangst zu lachen, Trilltrall aber sagte: »Lachet nicht, Pimperlein redet kein Wort, Pimperlein ist gewiß tot; geschwind, geschwind, werft den Knarrasper hinaus, daß wir sie finden können.« Da legten sie sich alle auf Hände und Füße und stemmten sich mit dem Rücken gegen den Knarrasper und drückten, upp, schupp, upp, und patsch fiel er über das Schiff hinaus ins Wasser und ging unter.
Aber welches Elend sahen sie da! der große Glockenklöpfel war mitten in das Schiff auf die Prinzessin Pimperlein gefallen und hatte sie mausetot geschlagen. Da jammerten die Brüder und der Vater und der Hanswurst und rissen sich die Haare aus. Pinkepank aber sagte: »Zieht sie nur unter dem schweren Glockenschwengel hervor, ich will schon helfen.« Da zogen die Brüder sie hervor, und Pinkepank drückte ihr ein wenig Saft von seinem Kräutlein Stehauf in ihren rosenroten Mund, und sie sprang auf und war frisch und gesund.
Da war Freude an allen Ecken; pitschpatsch, pitschpatsch ging das Ruder, und sie waren bald am Land. Da machte Pitschpatsch sich vier Räder an sein Schiff, und Trilltrall rief sechs Bären aus dem Wald und versprach einem jeden einen großen Pfefferkuchen, wenn sie sich wollten vorspannen lassen und sie alle nach Glockotonia fahren. Sie waren es zufrieden, und die Reise ging geschwind fort.
Ach! wie verwunderten sich die Leute in Glockotonia über die wunderbare Kutsche mit den Bären bespannt. Hanswurst aber lief voraus zum König und erzählte ihm alles; der kam ihnen mit allem seinem Hofstaat entgegen, außer mit den Glöcknern, die hatten zuviel zu tun, denn sie mußten mit allen Glocken läuten, und zu Glockotonia hat jedes Haus eine Glocke, jede Türe eine Schelle, jeder Mensch eine Klingel am Hals und jedes Tier ein Glöckchen. Das war ein entsetzlich lustiges Pimpam, Tingtang, Bimpim, Klingkling. Nur der Hofglöckner ging in Trauer bei dem König, weil der Hofglockenklöpfel verloren war. Aber da er ihn im Schifflein liegen sah, trug er ihn gleich weg und hängte ihn in die große Glocke und fing auch nun an zu läuten: pumpam.
Da umarmte Pumpam die Tochter und den Schulmeister und die Brüder, welche alle bei ihm frühstücken mußten. Worauf er sagte: »Nun muß ich Wort halten, ich habe dem meine Tochter versprochen, der mir sie wiederbringt, und mein halbes Reich; wer soll sie aber haben, da ihr ein Vater und fünf Söhne seid?« Da sprach Gripsgraps: »Ich habe sie vom Fels geholt.« – Da sagte Piffpaff: »Ich habe den Knarrasper getötet.« – Da sagte Pitschpatsch: »Ich habe euch im Schiff hingefahren.« – Da sagte Pinkepank: »Ich habe sie mit dem Kräutlein Stehauf lebendig gemacht.« – Da sagte Trilltrall: »Ich habe sie sehr lieb, und habe euch die Nachricht gegeben, wo sie sei.« – Da sagte Klopfstock: »Ich bin euer aller Vater, mir gebührt sie.« – »Ja«, sagten die Söhne, »Ihr sollt sie haben.«