Wo China ist, weißt du, und dass die Chinesen ein altes, kluges Volk sind und lange vor uns Europäern das Schießpulver kannten und die Seide und das Porzellan, das weißt du auch, nicht wahr?
Und wie das feinste, kostbarste, chinesische Porzellan, war des Kaisers schönes Töchterlein Kirschblüte. Sie hatte die kleinsten Füße im ganzen Reiche. Wenn die Füße der anderen jungen Mädchen so klein waren wie Teeschalen, so waren ihre so klein wie Puppenschälchen. Ihre Hände waren so schmal wie Lilienblätter und ihre Lippen so rot wie Mohnblüten. Sie hatte alles was man sich wünschen kann und bekam jeden Tag noch etwas dazu.
„Wie langweilig ist es“ sagte sie zu den Hofdamen „weiß denn keine von euch eine neue Geschichte?“. Nein, keine wusste eine neue Geschichte. „Darf ich eurer Hoheit das Märchen vom Drachen erzählen?“ fragte die erste Hofdame „der den goldenen Ring hütete? – „und die Prinzessin bekam und König wurde – Nein, sage ich, nein, jedes Wort davon kenne ich, ich will es nicht hören!“ – „Oder die Geschichte von der Wunderblume?“ schlug die Zweite vor. „die ein verzaubertes Mädchen war und – und – Ach, ihr langweilt mich, ihr wisst gar nicht, wie ihr mich langweilt!“ – „Oder die Erzählung von…“ bekann eine Dritte schüchtern – „Nichts, gar nichts“ schrie die Prinzessin „ich kann euch nicht mehr hören, nicht mehr sehen, geht, geht!“.
Die Hofdamen trippelten erschrocken aus dem Saale und ließen die Prinzessin allein. Die saß auf dem Throne, stampfte mit dem kleinen Fuße und zerriss ihr seidene Schärpe. „Eine Geschichte will ich haben, eine neue Geschichte!“.
Als der Kaiser, ihr Vater davon hörte, befahl er, man möge im ganzen Schlosse fragen, ob niemand eine neue Geschichte wüsste. Das Küchenmädchen sagte, es wisse eine. Die Prinzessin befahl, das Küchenmädchen sogleich zu holen. Es war eine rechte Küchengeschichte. Was hätte es auch anders sein sollen?
„Die Vornehmste in unserer Küche ist die Teekanne; und weil sie so vornehm ist, kommt sie zu jedem Feste zuletzt. Wenn alle Lampions brennen und die Küchenleute längst beisammen sind, kommt sie mit ihren sechs Töchtern, den Teeschalen, herein gewackelt. Ja, wirklich, sie wackelt und ihre Töchter wackeln auch, denn sie sind alle wohlgenährt und tragen sieben Röcke übereinander. Der Besen, der ganz neu war, und von Vornehmheit nichts wusste, fing hellauf zu lachen an.“
„Lachen? Was ist das?“ fragte die Prinzessin. „Das weiß ich nicht, das kann man nur tun“ meinte das Küchenmädchen. „So tue es!“ befahl die Prinzessin. Aber das Küchenmädchen wurde rot und verlegen und hätte um keinen Preis lachen können. „Lache!“ schrie die Prinzessin „Lache! Ich will es!“. Das Küchenmädchen fing nun an zu weinen und die Prinzessin lief voll Zorn zu ihrem Vater und klagte ihm ihren Ärger. „Sei still, mein Kind“ tröstete der Kaiser „ich weiß zwar nicht was Lachen ist, aber wir werden es schon erfahren.“
Er ließ sogleich den Ministerrat einberufen und fragte die Herren, was sie vom Lachen wüssten. Keiner wusste etwas. Nein, sie hatten noch nie davon gehört. Auch die Hofdamen kannten es nicht. Man fragte die Mandarinen und die Gelehrten und die Priester. Sie alle kannten das Lachen nicht. Die Prinzessin wurde ungeduldig. „Ich will es wissen und ich will es wissen!“ rief sie.
Man fragte endlich die Diener, aber auch die waren viel zu vornehm und zu würdig, als dass sie gewusst hätten, was lachen sei. So glaubte man endlich, das Küchenmädchen habe gelogen und wüsste selber nichts vom Lachen.
„Sieh, mein liebes Kind, was ich dir schenke“ sagte der Kaiser und führte seine Tochter in das Porzellanzimmer. Die Wände waren Bäume mit Zweigen und Blättern aus feinsten durchbrochenen Porzellan. Darin saßen bunte Vögel, die zu singen begannen, wenn man sie mit dem Finger berührte. An den Zweigen hingen Glöckchen, wie Blumen geformt und farbig wie die schönsten Blüten. Sie klangen, wenn man vorüberging. Man brauchte sie nicht zu berühren, sie waren so fein, dass ein Lufthauch sie zum Klingen brachte. Schmetterlinge klappten ihre zarten Flügel auf und zu, über die blaue Decke zogen rosige Wölkchen und Vögel flogen mit gebreiteten Schwingen darunter hin. Das alles war aus Porzellan, aus den feinsten chinesischem Porzellan. „Sehr schön, liebster Vater“ dankte die Prinzessin „Aber weist du schon was Lachen ist?“.
Das wusste der König nicht, aber er schenkte der Prinzessin am nächsten Tage ein Vogelhaus, voll von Rosenkakadus und Paradiesvögeln, voll der schönsten Gold- und Silber- und Diamantfasanen. Sie strich ihrem Vater über die Wange und fragte: „Was lachen ist, weißt du noch nicht, liebes Väterchen?“. Der Kaiser hätte sein halbes Land gegeben, wenn einer der Prinzessin das Lachen gezeigt hätte.
Er schenkte ihr am nächsten Tage den schönsten Garten der Welt. Darin wuchsen die herrlichsten Lilien, stolze Weiße und glühende Feuerfarbene, Tigerlilien und gefleckter Türkenbund. Die Pfingstrosen blühten in allen Farbenstufen, vom strahlenden Weiß bis zum leuchtenden Rot und die Schwertlilien bildeten ganze Wälder voll spitzer stahlfarbener Blätter, darüber die Blüten schwebten, wie riesige Falter. Natürlich gab es auch Springbrunnen und Vögel und Drachen aus Porzellan. Es war ein schöner Garten, aber die Prinzessin blickte nur gelangweilt darüber hin und mahnte: „Das Lachen, Vater, hast du vergessen?“. Wie hätte er vergessen können? Er dachte Tag und Nach nichts anderes. Es war der erste Wunsch, den er seinem Kinde nicht erfüllen konnte und er war unglücklich darüber. Was hätte er der Prinzessin noch schenken können, da ihr das Schönste nicht gefiel?
Die Diener zogen ihre Schuhe mit den dicken Filzsohlen aus und gingen auf bloßen Füßen, weil die Prinzessin nichts hören wollte. Sie saß allein im großen Saale und schaute nur fragend auf, wenn der Vater herein kam. Wenn er dann den Kopf schüttelte, sah sie weiter vor sich hin und rührte sich nicht. Da versprach der Kaiser dem sein Reich und die Prinzessin, der ihr zeigen konnte, was Lachen sei.
Es kamen viele Menschen, aber lauter einfache Leute: Bauern und Soldaten, Handwerker und Händler, und alle meinten, sie könnten der Prinzessin zeigen, was Lachen wäre. Aber wenn sie im Saale standen und alle die ernsten Gesichter sahen, die Räte und die Hofdamen, den König und die Prinzessin, da verging ihnen das Lachen und sie zupften verlegen an ihren Zöpfen und zählten die Edelsteinplatten des Fußbodens, bis der Kaiser sagte: „Der Nächste!“
Eines Tages war die Prinzessin arg durstig und wollte eine Schale heißen Tees. Du meinst, das wäre nichts für Durst? Versuche es nur, dann wirst du denken, was für kluge Leute die Chinesen sind!
Da der Diener vor überstürzter Eile weggelaufen war, ohne den Tee, musste der Küchenjunge die Schale in den Saal tragen. Er hielt sie auf einer goldenen Platte vor sich hin und trat ein. Da stand eben wieder einer und zupfte an seinem Zopfe. Die Prinzessin schaute ihn gelangweilt an und dem Kaiser liefen zwei Falten von der Nase bis zum Mund und die Enden seines Schnurrbartes hingen ihm bis zu den Knien.
Der Küchenjunge blieb stehen und hätte beinahe den Tee ausgeschüttet, weil es in seinem Inneren gluckste vor Lachen. Aber er nahm sich zusammen und schaute die Räte an. Die machten noch trübseligere Gesichter und eines war länger als das andere. Sie waren so komisch in ihrem übertriebenem Ernste, dass es den Küchenjungen rüttelte vor innerlichem Lachen. Er presste die Lippen fest aufeinander und sah auf die Hofdamen.
Die saßen auf ihren goldenen Sesseln und pressten das Kinn auf die Brust, dass ihre Haarknoten alle gerade in die Luft ragten und die langen Nadeln wie die letzten Schwanzfedern gerupfter Hühner in die Höhe standen.
„Ha, ha, ha!“ platzte der Küchenjunge heraus. Er konnte sich nicht mehr helfen. Und richtig hatte er den Tee verschüttet. Aber das war ihm gleich, er schaute die langen Gesichter alle an und lachte, lachte, er konnte gar nicht aufhören zu lachen.
Die Hofdamen hoben die Köpfe, die Räte zogen die langen Gesichter in die Breite, der König schmunzelte und die Prinzessin lachte silberhell heraus. „Was war das?“ fragte sie. „Das kribbel, krabbelt so angenehm! Das habe ich noch nie empfunden.“ – „Was war das?“ fragte der König. „Was war das?“ flüsterten die Hofdamen und die Räte schauten fragend um sich.
Gleich konnte der Küchenjunge nicht antworten. Erst musste er sich auslachen. Dann sagte er: „Lachen nennt man das! Wisst ihr das nicht?“ Ach Lachen!