Eine arme Bäuerin arbeitete an einem heißen Sommertag recht emsig auf dem Feld. Dabei wurde sie durstig, fand aber weit und breit kein Wasser. Als sie jedoch zu einem Weidenbaum kam, hörte sie ein Bründl rauschen. Schnell bückte sie sich, um zu trinken. In diesem Augenblick aber stieg eine Blase im Wasser hoch, die immer größer wurde und schließlich platzte. Eine wunderschöne Wasserjungfrau trat aus ihr hervor und sagte zu der Bäuerin:
"Du wirst bald einen Sohn bekommen. Ich will dessen Patin sein. Hier hast du eine Kastanie, die hebe zwanzig Jahre lang auf. Ist diese Zeit vorüber, dann soll dein Sohn zu dem Bründl herkommen und die Kastanie hineinwerfen. Ich werde wieder erscheinen und deinen Sohn glücklich machen."
Ehe sie zurück ins Wasser schwebte und in der Tiefe verschwand, gab sie der Bäuerin Geld, das für viele Jahre reichte.
Die Bäuerin bekam bald darauf einen Buben und nannte ihn Josef. Als Josef zwanzig Jahre alt war, nahm er die Kastanie, ging damit zum Bründl und warf sie hinein. Da brauste es in der Tiefe auf, die Blase stieg wieder in die Höhe, und als sie platzte, stand die wunderschöne Wasserjungfrau vor ihm.
Josef wußte sich vor Staunen nicht zu fassen, nahm sich aber bald ein Herz und sagte: "Liebe Patin, heute habe ich meinen zwanzigsten Geburtstag und bin zu Euch gekommen, wie Ihr es gewünscht habt."
"Ja, mein Kind", erwiderte die holde Fee, "hier hast du einen Beutel mit Geld, damit kaufe einen Wagen voll Wein, einen Wagen voll Weizen und einen Wagen voll Brot. Den Wein gib dem Riesen, der dir begegnen wird, den Weizen den Tauben, die dir zufliegen, und das Brot den Raben, wenn sie darum betteln. Hierauf fährst du zur gläsernen Brücke, dort wirst du ein Mädchen sitzen sehen. Sein Kopf ist so groß wie ein Bottich, du darfst dich aber nicht schrecken oder gar zurückkommen. So, jetzt habe ich dir alles gesagt. Mach deine Sache gut, es wird dein Glück sein!"
Nach diesen Worten verschwand die Wasserfee in den Fluten, und das Bründl lag wieder ruhig da.
Josef kaufte den Wein, den Weizen und das Brot und machte sich gleich auf den Weg.
Zuerst begegnete ihm der Riese und bat ihn: "Hast du nichts für mich?"
Und Josef antwortete: "Hier ist eine Fuhre Wein, die ist für dich bestimmt."
Der Riese ließ sich das nicht zweimal sagen, doch bevor er mit dem Wein davonfuhr, sprach er: "Wenn es dir schlecht geht, so denk an mich!"
Am andern Tag kamen die Tauben und fragten: "Josef, hast du nichts für uns?"
"Da habt ihr einen Wagen Weizen", erwiderte er.
Nun sagten die Tauben: "Wenn es dir schlecht geht, so denk an uns!"
Am Tag darauf flogen ihm die Raben zu und krächzten: "Josef, hast du nichts für uns?"
Und Josef gab ihnen den Wagen mit Brot. Die Raben dankten ihm und sagten: "Wenn es dir schlecht geht, so denk an uns!"
Am vierten Tag kam er in aller Frühe zur gläsernen Brücke. Wirklich saß davor das Mädchen mit dem großen Kopf. Bei seinem Anblick erschrak Josef gewaltig und wagte sich keinen Schritt weiter. Als ihn das Mädchen jedoch zu sich heranwinkte, schloß er die Augen und trat zu ihr hin.
Da packte ihn das häßliche Mädchen und trug ihn über die gläserne Brücke. Drüben stand ein wunderschönes Schloß, das in allen Farben funkelte. Die Jungfrau führte Josef in das prächtige Gebäude und wies ihm ein Zimmer an, in dem er von nun an wohnen sollte. Sie sprach: "Hier hast du den Schlüssel zu den Getreidekammern. Du sperrst sie auf und schaufelst den Weizen auf einen großen Haufen. Es sind viel tausend Metzen, aber um Mitternacht mußt du mit der Arbeit fertig sein, denn da komme ich nachschauen."
Josef sperrte eine Kammer nach der andern auf und fand wirklich riesige Mengen von Weizen auf dem Erdboden verstreut. Flink nahm er Besen und Schaufel und griff fleißig zu. Aber es wurde schon halb zwölf Uhr nachts, und er hatte erst einen kleinen Haufen beisammen. Nicht einmal der achte Teil der Arbeit war getan.
Da sagte er: "Meine lieben Tauben, kommt mir zu Hilfe!" Und siehe da, im Nu waren alle zur Stelle und gurrten: "Leg dich nur ins Bett, Josef, wir werden schon allein fertig!"
Und wirklich, kaum hatten sie die Arbeit begonnen, war sie auch schon bewältigt. Darauf verschwanden die Tauben wieder.
Nach Mitternacht klopfte es an die Tür.
"Josef, mach auf!" rief das Mädchen.
Er öffnete, und die Jungfrau trat ein. Da fiel ihm auf, daß ihr Kopf um einen Eimer kleiner geworden war.
Das Mädchen betrachtete mit Wohlgefallen den großen Weizenhaufen, lobte die schnelle Arbeit und sagte dann: "Du bist recht fleißig gewesen, gegessen hast du aber gar nichts! In der Mauer dort ist ein Kästchen, und hier gebe ich dir den Schlüssel dazu. Du wirst Fleisch und Brot, und was du sonst noch magst, in dem Kästchen finden. Greif wacker zu und stärke dich, denn du stehst wieder vor einer schweren Probe - du mußt morgen zwischen elf und zwölf Uhr nachts in meinem großen Saal alle Lichter auslöschen!"
In der nächsten Nacht um elf Uhr sperrte er den großen Saal auf und fand darin Tausende und Tausende von Lichtern, die in allen Farben strahlten. Sogleich begann er, die Lichter auszublasen. Als er aber in der Mitte des Saales war, sah er sich um und bemerkte zu seinem Schrecken, daß die gelöschten Lichter aufs neue emporflammten. Da geriet er in Zorn, suchte einen Prügel und schlug die Lichter alle um. Als er aber wieder in der Mitte des Saales war und sich umdrehte, sah er sie wieder alle brennen. Nun erinnerte er sich der Raben und rief: "Alle meine Raben, kommt mir zu Hilfe!"
Im selben Augenblick rauschte es im Saal, die Raben umkreisten Josef und krächzten: "Leg dich nur ins Bett, wir werden alles für dich besorgen!" Darauf schlugen sie kräftig mit den Flügeln, und im Nu waren alle Lichter erloschen.
Um Mitternacht klopfte wieder das Mädchen an die Tür und rief: "Josef, mach auf!"
Und als die Jungfrau eintrat, sah Josef, daß ihr Kopf nur mehr so groß wie ein Eimerfaß war.
"Du bist recht fleißig gewesen", sagte sie. "Doch nun höre, was bis zur nächsten Mitternacht geschehen sein muß. Im Hof draußen liegt ein großer Stein, aus dem mußt du mir einen schönen Wassertrog hauen. Gelingt dir das bis zur angegebenen Stunde, so hast du mich erlöst. Dann wird die gläserne Brücke ganz aus Silber sein, und ich bin die schönste und reichste Braut der Welt. Jetzt aber muß ich wieder fort und mich zur Brücke setzen - erst nach deiner Arbeit kann ich zu dir zurückkommen."
Josef nahm einen scharfen Krampen zur Hand, dazu einen mächtigen Meißel und begann zu werken. Als er eine lange Zeit so gearbeitet und nicht einmal die kleinste Scharte in den Stein geschlagen hatte, rief er in seiner Not: "Lieber Riese, komm mir zu Hilfe!"
Da kam der Riese mit schrecklichem Gepolter daher und sagte nur: "Leg dich ins Bett!"
Und es dauerte nicht lang, da war der Wassertrog fertig.
Im gleichen Augenblick krachte die gläserne Brücke in allen Fugen und stand als silberne da.
Das Mädchen aber erhob sich, ging ins Schloß und legte sich zufrieden zur Ruhe.
Am Morgen aber kam sie als Prinzessin an Josefs Tür und sagte: "Josef, jetzt bist du König, und wenn du mich nicht zu deiner Frau haben willst, bleibe ich deine Hofdame."
Doch Josef lachte und erwiderte: "Ich habe mich für dich geplagt, jetzt will ich dich auch zur Frau haben!"