Es waren einmal zwei Bauern in einem Dorf, ein reicher und ein armer, die lebten miteinander in beständigem Zwist; vor Gericht standen sie öfter zusammen als in der Kirche und im Wirtshaus. Endlich wurde es dem Richter in der Stadt zu dumm und er sagte: "Nach den Gesetzen des Landes endet jeder Rechtsstreit im siebenten Jahr, und das trifft nun bei euch zu. Wer von euch beiden mir morgen sagen kann, was das Schönste, Stärkste und Reichste auf Erden ist, der gewinnt den Prozeß." Und schon stan- den sie draußen und machten ein dummes Gesicht.
Obgleich sie nach dem Richterspruch nunmehr in Frieden leben mußten, ging jeder allein dem Dorfe zu und sann und sann und sann. Und als der Reiche seinen Hof betrat, da war er mit sich im reinen: "Das Schönste ist mein Weib, das Stärkste sind meine Ochsen, und das Reichste bin ich."
Der Arme war auch nicht sehr gescheit, und es fiel ihm nichts ein; ja, wenn der Richter hätte wissen wollen, was das Schwächste, Ärmste und Dümmste auf Erden ist, da hätte er in seiner ganzen Erbärmlichkeit vor den Richter treten mögen und klagen: "Herr, das bin ich." So kam er sterbensmatt und zu Tode betrübt heim, und sein kluges Töchterlein meinte, er habe den Prozeß verloren. Sie bemühte sich, ihn aufzurichten, und versprach, über die Nacht das Rätsel zu lösen.
Am Morgen sagte die Tochter zum Vater: "Im Traum erschien mir der Richter, und mit seiner Hilfe fand ich die Lösung der Aufgabe. Ich meine das Schönste sei der Frühling in der Natur und im Menschenleben, das Stärkste die Erde, die alles birgt und trägt und hervorbringt, und das Reichste der Herbst mit seinen Gaben." - "Wird schon recht sein, wenn ich mir's nur merke", sprach der Vater, nahm Stock und Hut und ging zur Stadt.
Beim Richter kamen die Gegner zusammen. Als sie eingelassen wurden, trat der reiche Bauer siegesbewußt vor und erklärte dem Richter ungefragt: "Das Schönste ist mein Weib, das Stärkste sind meine Ochsen, und das Reichste bin ich. Den Prozeß habe ich gewonnen." Aber der Richter wehrte ab und fragte den armen Bauer, was er zu sagen habe. "Ich meine", sagte der, "das Schönste sei der Frühling, das Stärkste die Erde und das Reichste der Herbst."
Freudig überrascht klopfte der Richter dem armen Bauer, dem er im stillen längst recht gegeben hatte, auf die Schulter und sprach: "Du hast das Richtige getroffen und damit den Prozeß gewonnen. Der andere zahlt die Kosten und ist gewiß froh, daß der Streit ein Ende hat. Geht in Frieden heim!"
Ein langes und ein breites Gesicht schoben sich zur Tür hinaus, das breite aber wurde nochmals zurückgerufen, und der Richter fragte freundlich: "War die Lösung von dir oder von jemand anderem?" Und der ehrliche arme Teufel antwortete: "Herr Richter, meine Tochter hat mich so gut beraten."
Da lobte der Richter die Klugheit des Mädchens und fügte hinzu: "Ich wünsche mir schon lange eine kluge Frau; ist deine Tochter so gut und so schön, wie sie gescheit ist, so will ich sie gern heiraten." - "Gut ist sie wohl", versetzte der Bauer, "aber ob sie schön ist, das müßt Ihr schon selbst beurteilen. Kommt mit oder ruft sie her!"
"Ich kann vom Richterstuhl nicht fort", meinte scherzhaft der Angeredete, "sonst setzt sich ein anderer drauf; und hierherkommen darf deine Tochter nur, wenn sie es zustande bringt, hier zu erscheinen, ohne ein Hälmchen oder ein Steinchen zu berühren und ohne ein Tragtier oder einen Wagen zu benützen."
Die Aussicht auf eine so vornehme Verwandtschaft trieb den Bauer zu höchster Eile an, und als die Tochter ihren Vater hochrot im Gesicht und sehr erregt heimkehren sah, fragte sie besorgt, ob sie etwa schlecht geraten hätte. "Nein", jubelte der Mann, "alles recht, ich hab' gesiegt, und vielleicht wirst du noch Frau Richterin, wenn du in die Stadt zu kommen vermagst, ohne ein Hälmchen oder ein Steinchen zu berühren und ohne ein Tragtier oder einen Wagen zu benützen." - "Nichts leichter als das, Ihr tragt mich halt hinein" - und so geschah es auch.
Der ungewöhnliche Aufzug weckte Spott und Mitleid, aber Kind und Vater scherten sich nicht drum, und als sie vor den Richter kamen, da gefiel die Jungfrau ihm so sehr, daß er sie flugs zum Weibe nahm. Nur eines bat sich der Bräutigam aus: daß sie niemand, der vor ihm einen Prozeß zu führen hatte, irgendeinen Rat erteilen dürfe.
Herr Richter und Frau Richterin lebten lange glücklich miteinander, und der Ruf von ihrer Weisheit wuchs mit jedem Tage; es war allgemein bekannt, daß die Frau an den besten Rechtssprüchen ihres Mannes großen Anteil hatte. Da geschah es, daß jener reiche Bauer, der im Rechtsstreit mit dem Vater der Frau Richterin unterlegen war, neuerdings in einen schweren Prozeß verwickelt wurde. In seiner Not wagte er, die kluge Frau um ihren Rat zu fragen, und sie in ihrer Güte gab dem Flehen des einstigen Gegners endlich nach und er gewann.
Dem Richter war es augenblicklich klar, daß jemand Gescheiterer dem einfältigen Bauer geholfen hatte, und der, obwohl ihm strengstes Stillschweigen auferlegt war, verriet die gute Frau. Im höchsten Zorn befahl der Richter seiner unfolgsamen Gattin, das Haus für immer zu verlassen.
Voll Demut fügte sich die Frau und bat nur noch den Gatten: "Laß uns das letztemal zusammen essen und erlaube mir, daß ich, was mir am liebsten ist, in meine arme Heimat mitnehme!" Beides wurde ihr gewährt. Die kluge Frau bot ihre ganze Kochkunst auf, bereitete ein köstlich Mahl und rührte einen harmlos süßen Schlaftrunk ein. Beim Essen fiel kein Wort. Das verwirrte den schon halb versöhnten Richter gar sehr; und um seine Verlegenheit nicht merken zu lassen, aß und trank er in einem fort, und in der Stille schlief er nach Tisch ein. Darauf hatte die Frau ihren Plan gebaut. Mit Hilfe des Knechtes lud sie den Schlafenden sanft auf den bereitstehenden Wagen und fuhr mit ihm davon, denn er war ihr Liebstes.