Der Bauer war Schweinehändler und musste deswegen oft weite Reisen machen, um das Geschäft zu besorgen. Die Kinder, welche doch noch zu jung waren, um sich selbst überlassen zu werden, brauchten Aufsicht. Ganz fremden Leuten wollte er sie nicht anvertrauen, daher nahm er wieder ein Weib. Scheinheilig und hinterlistig erfüllte sie in Gegenwart des Mannes den Kindern ihre leisesten Wünsche; war hingegen der Mann verreist, so quälte sie dieselben auf alle mögliche Weise. Sie mussten die härtesten Arbeiten verrichten und bekamen dafür mehr Schläge als zu essen.
Dies mochte so ein Jahr gedauert haben. Klagten die Kinder beim Vater, so glaubte ihnen derselbe nicht, da sein Weib vor ihm immer anders handelte. Die Stiefmutter sah aber immer ängstlich dem Heranwachsen von Zuckerkandl und Moriandl entgegen, da diese, wenn sie einmal verständiger würden, leicht den Hass der Stiefmutter ahnden würden. Den Kindern gehörte nämlich der Bauernhof, weil der ihrer Mutter Eigentum war; ferner hatten sie als die ersten Kinder des Vaters Vermögen. Die Stiefmutter hatte mittlerweile auch ein Knäblein erhalten, das wegen seines rotlockigen Haars Glühwürmchen hieß. Da ereignete sich eines Tages, dass ein Brief kam, in welchem eine Testamentsabschrift enthalten war, laut welcher die Kinder zu Alleinerben der überaus reichen Muhme, »der Rotbeißerin«, eingesetzt waren.
Da wusste nun die Stiefmutter vor lauter Galle nicht, was sie tun sollte. »Die Hundsbrut muss alles haben«, sagte sie, »während mein liebes Glühwürmchen dereinst nichts als Bettelbrocken bekommen wird; aber so wahr ich lebe, dem muss abgeholfen werden. Mein Glühwürmchen muss alles haben, und sollte ich mein Leben daransetzen.«
Sie sann hin und her und fand kein anderes Mittel, als durch Mord ihren Zweck zu erreichen. Sie zog daher andere Saiten auf und behandelte die Kinder zuvorkommender als je, auch in Abwesenheit ihres Mannes.
Das fiel unserem Zuckerkandl, einem gescheiten Burschen, auf; er suchte sich daher beizeiten auf die Seite zu machen.
Der Vater musste gerade einen Monat verreisen, und eine solche Abwesenheit kam den Plänen der Stiefmutter gut zustatten. Sie erwartete nur den günstigen Augenblick, beide auf die Seite zu schaffen.
Zuckerkandl hatte eines Tages eine Vorahnung; es wurde ihm so bang im Haus, und er bat daher die Stiefmutter, ob er nicht die einige Stunden entfernte Großmutter besuchen dürfe.
Mit Freuden erlaubte sie ihm das, denn er musste über den sogenannten Saufgraben gehn, eine tiefe Schlucht, die ihren Namen von den verunglückten Betrunkenen führte, die über den schmalen Weg gegangen und in die Schlucht gefallen waren. Zuckerkandis Großmutter war Metschenkerin; sie pflegte Zuckerkandl gewöhnlich einige Gläschen zu geben, und da Zuckerkandl diesen gern trank, so konnte er, wie die böse Mutter meinte, sehr leicht auch in die Schlucht fallen. Doch sie hatte sich verrechnet. Zuckerkandl ging, erzählte seiner Großmutter die üble Behandlung, äußerte auch seinen Verdacht und bat sie, ihn bis zur Rückkehr des Vaters zu behalten.
Die Großmutter ahnte gleich, welchen Zweck die Stiefmutter haben könnte. Sie beschloss daher, die Stiefmutter auf die Probe zu stellen und abzuwarten, was sie beginnen würde.
In der Zeit war der Sohn eines Gärtners vom Dach tot heruntergefallen, und die Großmutter ließ ihn in den Saufgraben legen, damit es scheine, als ob Zuckerkandl hineingestürzt wäre. Ihn selbst versteckte sie in ihrem Haus.
Unterdessen war es der verlassenen Moriandl gar traurig zumute, und sie wurde krank. Die Stiefmutter zeigte sich darüber sehr betrübt und lief von einem alten Weib zum andern.
Endlich kam sie voller Freude nach Hause und sagte zu Moriandl: »Liebes Herzchen, dir wird geholfen, die Rosskopfin-onerlmirlsepp hat mir ein Mittel angeraten, das gewiss hilft. Du sollst nämlich in den Dörrofen Zwetschgen und Kletzen einklauben, und dabei kannst du essen, soviel du willst.«
Das Mittel gefiel Moriandl sehr gut, denn wie oft musste sie in dem großen Ofen arbeiten und durfte keine einzige essen. Diesmal stieg sie gern hinein, obgleich er ungewöhnlich heiß war, und klaubte Zwetschgen und Kletzen ein. Der Schweiß rann ihr vom Körper, und endlich fiel sie ohnmächtig nieder.
Die Stiefmutter nahm die Entseelte aus dem Ofen und bettete sie in einen Sarg. Dann rannte sie mit Zetergeschrei im Ort hin und her und rief alle Leute zusammen und teilte ihnen unter Tränen mit, dass ihr liebes gutes Kind, die Moriandl, gestorben sei. »Kommt, schaut sie an, sie ist ganz entstellt.«
»Das glaub' ich«, sagten alle, »sie ist ohne Sterbesakramente gestorben.«
Niemand wollte hingehen und sie anschauen, um nicht verschrien zu werden. Der Totenbeschauer, ein ebenso abergläubischer Mensch, wagte es auch nicht, in das Leichenzimmer einzutreten, da ihm ein Geruch entgegen schlug, den die Stiefmutter absichtlich verbreitet hatte. »Ich glaub's schon, dass sie ganz tot ist«, sagte er, »gebt's mir nur mein Geld.«
Alle übrigen Zeremonien vollzog sie, ohne Aufsehen zu erregen, das doch bei Dorfbewohnern bald da ist.
Mittlerweile kam der Vater nach Hause, und sein Schmerz war grenzenlos, als er den Tod seiner Kinder erfuhr: denn die angebliche Leiche Zuckerkandis fand man im Saufgraben. Der Verborgene hatte aber erfahren, dass man ihn für tot halte, und seine Großmutter fand es für gut, ihn noch nicht sehen zu lassen. Sie suchte dagegen dem plötzlichen Verschwinden Moriandls nachzuforschen. Zuckerkandl erfuhr den Tod seiner Schwester, ging einige Tage nachher auf den Friedhof und betete dort.
»Moriandl«, rief er, »Moriandl, warum bist du gestorben?«
Und die bekannte Stimme Moriandls rief: »Zuckerkandl!«
Das war ihm ein so unheimlicher Ton, dass er schauderte und die Flucht ergriff.
Atemlos kam er zur Großmutter, der er die sonderbare Begegnung erzählte.
Diese sagte: »Geh morgen noch einmal auf den Friedhof und rufe. Wenn die Stimme dir antwortet, so bleib tapfer stehen und frage: 'Was willst du, lieb Schwesterlein?'«
Am anderen Tag ging Zuckerkandl, von seiner Großmutter mit Kreuzen und Partikeln (Reliquien) und Bildern versehen und in Weihwasser gebadet, dass der böse Feind keine Macht habe, wirklich auf den Friedhof. Er rief: »Moriandl!«
Und unheimlich ertönte es: »Zuckerkandl!«
Dieser bekreuzte sich und fragte, wie ihn die Großmutter gelehrt hatte: »Was willst du, lieb Schwesterlein?«
Und er vernahm: »Lieb Brüderlein, meine Stiefmutter hat mich in den Backofen gesperrt und umgebracht. Geh zum Väterlein, er solle getröstet sein! Sag ihm von dem Weib, die hat wollen unser Geld; drum musst' ich lassen mein junges Leben. O weh! O weh!«
Der Wehruf verhallte, und die Stimme verstummte. Zuckerkandl lief zurück und erzählte alles seiner Großmutter. Dann begab er sich zum Vater, der ihn tot geglaubt hatte. Wie sehr erschrak nun die Stiefmutter, deren Ränke jetzt an das Tageslicht kommen sollten. Der Vater war über die Maßen froh, wenigstens ein Kind wiederzuhaben. Zuckerkandl erzählte ihm nun alles bis aufs kleinste und verschwieg auch die Begegnung auf dem Friedhof nicht.
Da wurde der Bauer grimmig böse, und ohne Gnade und Barmherzigkeit schleppte er die Stiefmutter zum Richter. Das Gericht verurteilte sie zum Tod. Da sie sich an Kindern so schwer versündigt hatte, so soll sie von der Dorf Jugend zu Tode gesteinigt worden sein.