Ein Hirt weidete auf der Wiese seine Schafe. Es war ein heißer Sommertag, und die Herde verlief sich in den benachbarten Wald, um vor der Hitze geschützt zu sein. Als sich der Hirt vergebens bemüht hatte, die Schafe zusammenzutreiben, wurde er zornig, und die Herde sich selbst überlassend, ging er fort in die weite Welt.
Der Schäfer war das Gehen gewohnt, daher dauerte es gar nicht lange, und er stand vor dem Tor der Hauptstadt, die er noch nie gesehen hatte. Ihm kam daher vieles wunderbar vor, und er blieb oft mit aufgesperrtem Mund stehen wie die Kuh vor der neuen Stalltür. Unter anderem gewahrte er einen Mann mit blauen Beinkleidern und weißem Rock.
Erstaunt über solche Kleidung, fragte er einen Nebenstehenden: »Freund, könnt Ihr mir nicht sagen, was das dort für ein Herr ist, der blaue Beinkleider und einen weißen Rock trägt?« »Das ist ein Soldat«, erwiderte der Gefragte.
»Soldat? Was ist denn das, ein Soldat?« fragte abermals der Hirt.
»Der Soldat steht im Dienst des Königs, wofür er Geld bekommt; er muss Wache stehen und in den Krieg ziehen«, sagte der Städter.
»So ein Stand möchte mir gefallen«, erwiderte der Schäfer. »Könnte ich wohl Soldat werden?«
»Das versteht sich, und Ihr kämet dem König gerade recht, denn jetzt braucht er viele Leute, da es mit dem benachbarten König wahrscheinlich zum Krieg kommt.«
Nachdem der Hirt noch über verschiedenes gefragt hatte, ging er ins königliche Schloss und ließ sich anwerben. Schon am anderen Tag schritt der neugebackene Soldat stolz durch die Straßen der Hauptstadt und bildete sich auf seine Kleidung etwas ein.
Kaum konnte unser Soldat ein wenig mit dem Gewehr umgehen und bald rechts, bald links sich drehen, so kam schon die Reihe an ihn, Wache zu stehn, und zwar in der Nacht. Dies hätte ihn nicht eingeschüchtert, denn er war kein Hasenherz, aber es stand diesmal, wie er von einem Kameraden hörte, das Leben auf dem Spiel. Der Soldat sollte nämlich beim »Teufelsfelsen« von elf bis zwölf Uhr wachen, und um diese Zeit trieb dort der Teufel sein Unwesen, und der hatte schon manchen wachehaltenden Soldaten in Stücke zerrissen. Der Hirt wurde ganz außer sich und dachte nach, wie er dieser Gefahr entkommen könne. Während seine Kameraden zu Mittag in der Kaserne ihr Mahl verzehrten, machte sich der Schäfer unbemerkt reisefertig und verließ so schnell, als es eben ging, die Stadt. Außerhalb derselben begegnete er einem Greis, welcher den Soldaten nach der Ursache seiner Eile befragte. Der Hirt, gewöhnt, offen und wahr zu reden, vertraute sein Vorhaben dem alten Mann.
Dieser sprach: »Mein Sohn, du begehst eine schlechte Tat, indem du wegläufst; kehr zurück, stell dich auf den gefürchteten Posten, vergiss nur nicht, mit dem geweihten Bajonett einen Kreis um dich zu ziehen. Folgst du meinem Rat, so wird dir kein Haar gekrümmt.«
Die Worte des Alten gingen dem jungen Ausreißer zu Herzen. Er machte rechtsum und schritt in die Stadt zurück.
Es hatte noch nicht elf geschlagen, als unser Soldat schon bei dem »Teufelsfelsen« stand, und da er nach dem Rat des Greises einen Kreis um sich gezogen hatte und auf diese Weise seine Haut den Krallen und Zähnen des Teufels entzog, harrte er mutvoll der Dinge, die da kommen sollten. Um elf Uhr kam der böse Geist und rannte auf die Wache los.
Vor dem Kreis angelangt, konnte er nicht weiter und schrie vor Zorn schnaubend: »Komm heraus, sonst zerreiße ich dich!« — Der Soldat gab weder eine Antwort, noch rührte er sich von der Stelle. Der Teufel rief dasselbe noch zweimal, aber umsonst; hierauf sprach er gelassen: »Du bist der erste, der meiner Macht Trotz geboten hat. Für diese Tat sollst du einen Lohn von mir haben. Komm mit mir!«
Der Soldat besann sich eine Weile und folgte dann dem Teufel. Dieser schritt rasch auf eine Stelle des Felsens zu, und dort schlug er mit einer goldenen Rute auf den Felsen, welcher sogleich aufsprang. Beide traten in das Innere ein. Hier zeigte der Teufel dem erstaunten jungen Soldaten eine Menge Gold, Silber und schöne Perlen.
Als beide sich verabschiedeten, übergab der Teufel dem Hirten drei wertvolle Sachen und sprach: »Brauchst du Geld, so komm zu diesem Felsen, schlage mit der goldenen Rute, die ich dir da schenke, auf denselben, und er öffnet sich dir, worauf du so viel von den Schätzen nehmen kannst, als du nötig hast. Dieses Fläschchen enthält eine Flüssigkeit von der Beschaffenheit, dass ein mit derselben befeuchtetes Schloss sich sogleich öffnet. Das dritte ist diese schwarze Wurzel. Legst du sie auf ein Häuflein Geld, so wird augenblicklich das gerecht erworbene von dem ungerecht erworbenen geschieden.« Nachdem der Teufel dies gesagt hatte, verschwand er.
Der Soldat wollte sich auf seinen Posten begeben, jedoch es stand schon ein anderer Wache. Er ging nun zu seinem Vorgesetzten und erzählte, wie es ihm ergangen war. Da er sich nun ohne große Mühe genug Geld verschaffen konnte, kündigte er dem König den Dienst und führte von nun an ein bequemes Leben, vergaß aber dabei die Armen nicht. So schenkte er seinem Schuhmacher, der sehr bedürftig war, für jedes Putzen der Stiefel einen Dukaten. Der arme Schuhmacher pries auch, wohin er nur immer kam, die große Freigebigkeit seines Wohltäters.
Eines Morgens sprach der reiche Schäfer zum Schuhmacher, welcher eben die Stiefel gebracht hatte: »Ich habe dir schon viel Gutes getan, aber es ist noch zuwenig. Ich will dich zu einem reichen Mann machen; komm daher heute zu mir, wenn es dunkel geworden ist.«
Vor Freude außer sich, verließ der Schuhmacher den Schäfer und hatte nun nichts Eiligeres zu tun, als allen Leuten, denen er begegnete, das ihm bevorstehende Glück auszuposaunen. Einer erzählte es dem andern, und so ging die Nachricht durch die Stadt, bis es selbst der König erfuhr.
Dieser ließ den Schuhmacher vor sich rufen, und nachdem er ihn über die Sache genau befragt hatte, sprach er: »Ich werde dich auch reich machen, wenn du mich heute anstatt deiner mit dem Schäfer gehen lässt und mir deine Kleider borgst.«
Der Schuster willigte ein und versprach, darüber zu schweigen. Als es dunkel wurde, begab sich der verkleidete König zum Schäfer, welcher ihn schon erwartete. In der Dunkelheit blieb der König unerkannt. Beide gingen nun in das Haus eines wegen Betrug und Wucher berüchtigten Kaufmanns. Mit dem Zauberwasser befeuchtet, sprangen alle Schlösser auf, und so gelangten sie bis zur Kasse. Nachdem diese geöffnet war, legte der Schäfer die schwarze Wurzel auf das Geld, und siehe da — fast die Hälfte des Geldes, nämlich das ungerecht erworbene, flog heraus und wurde vom König aufgefangen, da ihm der Schäfer zurief: »Greif nur zu! Nimm, soviel du kannst!«
Als beide das Haus des Kaufmanns verließen, sprach der verkleidete König: »Jetzt gehen wir wohl in die königliche Schatzkammer, nicht wahr?«
»Hast du denn nicht schon genug an diesem, dass du noch mehr verlangst? Ich war noch nicht drinnen und gehe auch heute nicht hinein«, antwortete der redliche Schäfer. Der König ließ ihm aber keine Ruhe, bis er nachgab und seine Schritte zum Schatzhaus richtete.
Im Innern desselben angelangt, legte der Schäfer abermals die schwarze Wurzel auf das aufgespeicherte Geld, aber nichts rührte sich von der Stelle. Der König horchte gespannt, bis der Schäfer ihm befehlen werde, zuzugreifen, aber dieser schwieg, und als der König mit der Hand in das Geld fuhr, um einiges mitzunehmen, sprach der Schäfer voll Entrüstung über die kecke Tat: »Augenblicklich lass ab von dem, oder ich hau dir den Arm entzwei; denn merke dir's: Ich nehme nur das ungerecht erworbene Geld.«
Gleich darauf verließen beide das Schatzhaus, und vor der Tür desselben nahmen sie Abschied voneinander.
Da sprach der Schäfer zu dem vermeintlichen Schuhmacher: »Weil du arm warst, so wollte ich dich reich machen, aber kaum hast du den Glanz des Goldes gesehen, so wirst du auch schon habsüchtig. Geh von mir, erwarte nie mehr eine Unterstützung.«