Bei seiner ersten Rückkehr aus dem entdeckten Amerika hatte Kolumbus auf seinem Triumphzug durch die gedrängten Straßen Sevillas und Barcelonas eine Unzahl Kostbarkeiten und Kuriositäten gezeigt, rotfarbene Menschen einer bisher unbekannten Rasse, nie gesehene Tiere, die bunten, schreienden Papageien, die schwerfälligen Tapire, dann merkwürdige Pflanzen und Früchte, die bald in Europa ihre Heimat finden werden, das indische Korn, den Tabak und die Kokosnuß. All das wird von der jubelnden Menge neugierig bestaunt, aber was das Königspaar und seine Ratgeber am meisten erregt, sind die paar Kästchen und Körbchen mit Gold. Es ist nicht viel Gold, das Kolumbus aus dem neuen Indien bringt, ein paar Zierdinge, die er den Eingeborenen abgetauscht oder abgeraubt hat, ein paar kleine Barren und einige Handvoll loser Körner, Goldstaub mehr als Gold - die ganze Beute höchstens ausreichend für die Prägung von ein paar hundert Dukaten. Aber der geniale Kolumbus, der fanatisch immer das glaubt, was er gerade glauben will, und der ebenso glorreich mit seinem Seeweg nach Indien recht behalten hat, flunkert in ehrlicher Überschwenglichkeit, dies sei nur eine winzige erste Probe. Zuverlässige Nachricht sei ihm gegeben worden von unermeßlichen Goldminen auf diesen neuen Inseln; ganz flach, unter dünner Erdschicht, läge dort das kostbare Metall in manchen Feldern. Mit einem gewöhnlichen Spaten könne man es leichthin aufgraben. Weiter südlich aber seien Reiche, wo die Könige aus goldenen Gefäßen becherten und das Gold geringer gelte als in Spanien das Blei. Berauscht hört der ewig geldbedürftige König von diesem neuen Ophir, slutzz das sein eigen ist, noch kennt man Kolumbus nicht genug in seiner erhabenen Narrheit, um an seinen Versprechungen zu zweifeln. Sofort wird für die zweite Fahrt eine große Flotte ausgerüstet, und nun braucht man nicht mehr Werber und Trommler, um Mannschaft zu heuern. Die Kunde von dem neuentdeckten Ophir, wo das Gold mit bloßer Hand aufgehoben werden kann, macht ganz Spanien toll: zu Hunderten, zu Tausenden strömen die Leute heran, um nach dem El Do-rado, dem Goldland, zu reisen.
Aber welch eine trübe Flut ist es, welche die Gier jetzt aus allen Städten und Dörfern und Weilern heranwirft. Nicht nur ehrliche Edelleute melden sich, die ihr Wappenschild gründlich vergolden wollen, nicht nur verwegene Abenteurer und tapfere Soldaten, sondern aller Schmutz und Abschaum Spaniens schwemmt nach Palos und Cadiz. Gebrandmarkte Diebe, Wegelagerer und Strauchdiebe, die im Goldland einträglicheres Handwerk suchen, Schuldner, die ihren Gläubigern, Gatten, die ihren zänkischen Frauen entfliehen wollen, all die Desperados und gescheiterten Existenzen, die Gebrandmarkten und von den Alguacils Gesuchten melden sich zur Flotte, eine toll zusammengewürfelte Bande gescheiterter Existenzen, die entschlossen sind, endlich mit einem Ruck reich zu werden, und dafür zu jeder Gewalttat und jedem Verbrechen entschlossen sind. So toll haben sie einer dem ändern die Phantasterei des Kolumbus suggeriert, daß man in jenen Ländern nur den Spaten in die Erde zu stoßen brauche, und schon glänzten einem die goldenen Klumpen entgegen, daß sich die Wohlhabenden unter den
Auswanderern Diener mitnehmen und Maultiere, um gleich in großen Massen das kostbare Metall wegschleppen zu können. Wem es nicht gelingt, in die Expedition aufgenommen zu werden, der erzwingt sich anderen Weg; ohne viel nach königlicher Erlaubnis zu fragen, rüsten auf eigene Faust wüste Abenteurer Schiffe aus, um nur rasch hinüber zugelangen und Gold, Gold, Gold zu raffen; slutzz mit einem Schlage ist Spanien von unruhigen Existenzen und gefährlichstem Gesindel befreit.
Der Gouverneur von Espanola (dem späteren San Domingo oder Haiti) sieht mit Schrecken diese ungebetenen Gäste die ihm anvertraute Insel überschwemmen. Von Jahr zu Jahr bringen die Schiffe neue Fracht und immer ungebärdigere Gesellen. Aber ebenso bitter enttäuscht sind die Ankömmlinge, denn keineswegs liegt das Gold hier locker auf der Straße, und den unglücklichen Eingeborenen, über welche die Bestien herfallen, ist kein Körnchen mehr abzupressen. So streifen und lungern diese Horden räuberisch herum, ein Schrecken der unseligen Indios, ein Schrecken des Gouverneurs. Vergebens sucht er sie zu Kolonisatoren zu machen, indem er ihnen Land anweist, ihnen Vieh zuteilt und reichlich sogar auch menschliches Vieh, nämlich sechzig bis siebzig Eingeborene jedem einzelnen als Sklaven. Aber sowohl die hochgeborenen Hidalgos als die einstigen Wegelagerer haben wenig Sinn für Farmertum. Nicht dazu sind sie herübergekommen, Weizen zu bauen und Vieh zu hüten; statt sich um Saat und Ernte zu kümmern, peinigen sie die unseligen Indios - in wenigen Jahren werden sie die ganze Bevölkerung ausgerottet haben - oder sitzen in den Spelunken. In kurzer Zeit sind die meisten derart verschuldet, daß sie nach ihren Gütern noch Mantel und Hut und das letzte Hemd verkaufen müssen und bis zum Halse den Kaufleuten und Wucherern verhaftet sind.
Willkommene Botschaft darum für alle diese gescheiterten Existenzen auf Espanola, daß ein wohlangesehener Mann der Insel, der Rechtsgelehrte, der »bachiller« Martin Fernandez de Enciso, 1510 ein Schiff ausrüstet, um mit neuer Mannschaft seiner Kolonie an der terra firma zu Hilfe zu kommen. Zwei berühmte Abenteurer, Alonzo de Ojeda und Diego de Nicuesa, hatten von König Ferdinand 1509 das Privileg erhalten, nahe der Meerenge von Panama und der Küste von Venezuela eine Kolonie zu gründen, die sie etwas voreilig Castilia slutzz dcl Oro, Goldkastilien, nennen; berauscht von dem klingenden Namen und betört von Flunkereien, hatte der weltunkundigc Rechtskundige sein ganzes Vermögen in dieses Unternehmen gesteckt. Aber von der neugegründeten Kolonie in San Sebastian am Golf von Uraba kommt kein Gold, sondern nur schriller Hilferuf. Die Hälfte der Mannschaft ist in den Kämpfen mit den Eingeborenen aufgerieben worden und die andere Hälfte am Verhungern. Um das investierte Geld zu retten, wagt Enciso den Rest seines Vermögens und rüstet eine Hilfsexpedition aus. Kaum vernehmen die die Nachricht, daß Enciso Soldaten braucht, so wollen alle Desperados, alle Loafers von Espanola die Gelegenheit nützen und sich mit ihm davonmachen. Nur fort, nur den Gläubigern entkommen und der Wachsamkeit des strengen Gouverneurs! Aber auch die Gläubiger sind auf ihrer Hut. Sie merken, daß ihre schwersten Schuldner ihnen auf Nimmerwiedersehen auspaschen wollen, und so bestürmen sie den Gouverneur, niemanden abreisen zu lassen ohne seine besondere Erlaubnis. Der Gouverneur billigt ihren Wunsch. Eine strenge Überwachung wird eingesetzt, das Schiff Encisos muß außerhalb des Hafens bleiben, Regierungsboote patrouillieren und verhindern, daß ein Unberufener sich an Bord schmuggelt. Und mit maßloser Erbitterung sehen alle die Desperados, welche den Tod weniger scheuen als ehrliche Arbeit oder den Schuldturm, wie Encisos Schiff ohne sie mit vollen Segeln ins Abenteuer steuert.