Pinocchio hoffte, seinen armen Vater rechtzeitig zu finden und schwamm die ganze Nacht. Und es war eine grausame Nacht. Es regnete ohne Unterlass, hagelte, donnerte und blitzte, dass es zeitweise taghell wurde.
Als der Morgen dämmerte, erspähte Pinocchio einen Landstreifen. Es war eine Insel. Mit seiner letzten Kraft schwamm er gegen die Wogen an. Vergeblich! Da kam eine Sturzwelle angerollt und schleuderte ihn mit großer Wucht ans Ufer.
Pinocchio rappelte sich auf und mit ihm beruhigte sich auch das Meer und die Sonne blitzte durch die Wolken. Er spähte, ob Geppetto in seinem kleinen Boot zu erkennen war, doch so sehr er sich auch anstrengte, er sah nichts.
Bei der Vorstellung, er könne ganz allein auf der Insel sein, wurde ihm angst und bange. Da entdeckte er in einiger Entfernung einen Delfin und rief: "Hallo, Herr Fisch, darf ich sie etwas fragen?"
"Selbstverständlich", antwortete der höfliche Delfin.
Pinocchio erkundigte sich, ob die Insel bewohnt wäre. Dann fiel ihm ein, dass so ein Delfin viel herumkommt und wollte wissen, ob er seinen Vater nicht gesehen hätte.
Der höfliche Fisch erklärte, dass der alte Mann bestimmt vom schrecklichen Walfisch verschlungen worden war, der seit längerem die Gewässer unsicher machte.
"Ist er sehr groß, dieser Walfisch?", fragte Pinocchio zitternd.
"Um dir eine Vorstellung zu machen, sage ich dir, dass er größer wie ein fünfstöckiges Haus ist. Sein Maul ist so riesig, dass eine ganze Eisenbahn mit Lokomotive bequem darin Platz findet."
"Du meine Güte!", rief Pinocchio entsetzt und verabschiedete sich schnell von dem freundlichen Delfin. Eilig schlug er den Weg ein, den ihm der nette Fisch zuvor erklärt hatte. Bald kam er im "Dorf der fleißigen Bienen" an. Pinocchio erkannte schnell, dass ein Faulenzer wie er an einem solchen Ort nichts zu suchen hatte.
Der Hunger plagte ihn und er fragte einen Mann, der einen schweren Kohlewagen zog, nach einem Groschen. Der Köhler bot ihm sogar vier Groschen an, wenn er ihm half den Wagen nach Hause zu ziehen.
"Ich muss mich schon sehr wundern", erwiderte Pinocchio beleidigt, "merken Sie nicht, dass ich kein Packesel bin? Solch einen Wagen habe ich noch niemals gezogen."
Der Köhler schlug Pinocchio vor gegen seinen Hunger zwei Scheiben seines Hochmutes abzuschneiden und diese zu essen. Pinocchio zuckte die Schultern und wartete ab.
Wenige Minuten später kam ein Maurer. Es vollzog sich dasselbe Spiel. Der Maurer bot Pinocchio fünf Groschen gegen ehrliche Arbeit, aber unser Holzbengel hatte darauf keine Lust.
Schließlich erschien eine hübsche, junge Frau mit zwei Krügen voller Wasser. Pinocchio bat sie um einen Schluck Wasser.
"Trink nur, mein Kind", sagte die junge Frau.
Pinocchio sog sich voll, wie ein Schwamm. Dann jammerte er, dass er großen Hunger litt. Die Schöne Frau schlug ihm vor, einen Wasserkrug für sie zu tragen. Zu Hause bekäme er ein schönes Stück Brot und leckeren Blumenkohl. Zum Nachtisch hätte sie ein Likörbonbon.
Den Verlockungen dieses Leckerbissens konnte Pinocchio nicht widerstehen. Er nahm sich einen der schweren Krüge und trug ihn auf dem Kopf zum Haus der jungen Frau.
Pinocchio durfte an einem gedeckten Tisch Platz nehmen und schlang das ihm servierte Essen in Windeseile herunter. Als er seiner Wohltäterin danken wollte, blieb ihm der noch volle Mund offen stehen. Dieses Gesicht kannte er doch… und die Haare, sie waren so blau, wie die der guten Fee.
"Oh, liebe gute Fee! Bist du es? Wenn du wüsstest, wie viel ich um dich geweint habe." Tränen erstickten seine Stimme. Er warf sich auf die Erde und umklammerte die Knie der geheimnisvollen Frau.
Zuerst bestritt die Frau, dass sie die gute Fee sei. Aber bald konnte sie das Versteckspiel nicht mehr in die Länge ziehen.
"Wie hast du Schelm mich nur erkannt. Als du mich verlassen hast, war ich ein Mädchen und jetzt bin ich eine Frau und könnte deine Mutter sein."
"Ich habe dich so lieb. Mein Herz hat es mir verraten. Nun habe ich endlich eine Mutter, wie jedes normale Kind. Aber wie bist du so schnell gewachsen?"
"Das bleibt mein Geheimnis!"
"Oh, bitte verrate es mir. Ich möchte auch wachsen. Seit ich auf der Welt bin, bin ich noch keinen Zentimeter größer geworden."
"Aber eine Holzpuppe kann doch nicht wachsen. Sie bleibt immer gleich!"
"Ich habe es so satt, eine Holzpuppe zu sein. Es wird Zeit, dass ich ein Mensch werde."
"Eines Tages wirst du einer werden. Aber du musst erst ein braver und gehorsamer Junge sein. Gute Jungen lernen fleißig um später eine angemessene Arbeit zu bekommen. Außerdem darf man nicht lügen und muss gerne zur Schule gehen."
"Mir macht Schule Bauchweh. Aber von heute an will ich mich bessern. Ich verspreche ein guter Junge zu werden und meinem Vater nur noch Freude zu bereiten. Wo mag der arme Geppetto nur sein?"
"Ich weiß es nicht. Aber ich bin mir sicher, du wirst ihn wieder in deine Arme schließen."
Pinocchios Freude über diese Worte war übergroß. Er küsste sie und nannte sie von nun an Mutter. Die Fee erklärte ihm, dass er ab morgen in die Schule gehen werde und später ein Handwerk erlernen solle.
Erst wand sich Pinocchio noch, denn die Aussicht zu arbeiten und fleißig zu sein, stimmte ihn nicht gerade vergnügt. Doch dann dachte er an das Versprechen der guten Fee. Er wollte nicht länger eine Holzpuppe sein. Also gelobte er:
"Ich werde lernen, ich werde arbeiten und ich werde alles tun, was du mir sagst. Ich will ein richtiger Junge werden!"