Stellt euch Pinocchios Freude vor, endlich frei zu sein. Schnurstracks machte er sich auf den Weg zum Häuschen der guten Fee.
Das regnerische Wetter hatte die Straße in einen wahren Sumpf verwandelt, in den man bis zu den Knien versank. Aber Pinocchio kämpfte sich durch, gequält von der Sehnsucht nach seinem Vater und seiner Schwester mit den dunkelblauen Haaren.
Auf dem Weg schwor er sich, ab jetzt ein ordentlicher und gehorsamer Junge zu werden, und bereute, dass er auf die gut gemeinten Ratschläge der anderen nicht gehört hatte.
Während er so nachgrübelte, hielt er plötzlich an und sprang vier Sätze zurück. Was hatte ihn so erschrocken? Eine dicke Schlange lag quer über der Straße und versperrte den Weg. Ihre Haut war giftgrün und ihre Augen flammten wie Feuer.
Pinocchio schlotterten die Knie und machte sich wie gelähmt auf den Rückzug. Nach mehr als einem halben Kilometer ließ er sich erschöpft auf einem Steinhaufen nieder um abzuwarten, dass die Schlange den Weg endlich wieder freigab.
Er wartete eine Stunde, zwei Stunden, drei Stunden; aber die Schlange bewegte sich nicht. Von weitem erkannte er das rötliche Flackern ihrer Feueraugen. Da redete sich Pinocchio Mut zu, näherte sich ihr auf wenige Schritte, und mit süßer Stimme säuselte er: "Entschuldigen Sie, Frau Schlange, aber würden Sie mir den Gefallen tun und ein wenig zur Seite rücken, damit ich vorbeikann?"
Nichts rührte sich.
"Sie müssen nämlich wissen, Frau Schlange, dass ich nach Hause zu meinem Vater möchte, der schon sehnsüchtig auf mich wartet. Erlauben Sie mir, dass ich weiterlaufen darf?"
Aber statt einer Antwort, wurde die bisher sehr lebhafte Schlange unbeweglich und starr und schloss ihre Augen.
"Ob sie wirklich tot ist?", fragte Pinocchio. Ohne Zeit zu verlieren, versuchte er über die Schlange zu klettern. Doch diese schoss plötzlich wie eine Sprungfeder nach oben. Pinocchio fiel zurück, stolperte und landete kopfüber im Straßenschlamm. Nur noch seine Beine strampelten wild in der Luft.
Als die Schlange dies sah, fing die herzhaft an zu lachen. Sie lachte und lachte und konnte gar nicht mehr aufhören. Bei diesem Lachkrampf platzte ihr eine Ader in der Brust und sie starb wirklich.
Also machte sich Pinocchio weiter auf den Weg zum Haus der guten Fee. Unterwegs quälte ihn schrecklicher Hunger. Er lief in einen Weinberg um sich ein paar frische Muskatellertrauben zu pflücken. Hätte er das nur nicht getan!
Kaum war er zwischen den Reben anbekommen, fühlte er, wie seine Beine von zwei schneidenden Eisen zusammengepresst wurden. Der arme Pinocchio war in ein Fangeisen geraten, das ein Bauer aufgestellt hatte, um die Marder von seinen Hühnerställen fern zu halten.
Wie man sich denken kann, begann Pinocchio zu weinen und zu brüllen. Aber keine lebende Seele hörte ihn. Es wurde Nacht.
Das Fangeisen zersägte beinahe seine Beine und Pinocchio war einer Ohnmacht nahe. Da hörte er leise Schritte. Es war der Besitzer des Weinberges, der nachsehen wollte, ob ein Marder in die Falle gegangen war. Sein Erstaunen war groß, als er im Schein seiner Laterne erkannte, dass nicht ein Marder sondern eine Holzpuppe in der Falle saß.
"Ach, du elender Dieb - du stiehlst also meine Hühner!"
"Nein, das war ich nicht", schluchzte Pinocchio. "Ich hatte nur so großen Hunger und wollte mir ein paar Trauben holen."
"Wer Trauben stiehlt, stiehlt auch Hühner! Dir werde ich eine Lehre erteilen!", schrie der Bauer zornig, öffnete die Fangeisen und trug Pinocchio am Genick nach Hause. Vor der Scheune angekommen, warf er ihn auf den Boden und sprach:
"Es ist spät und ich werde nun zu Bett gehen. Gerade heute ist mein Hund gestorben; du wirst ab sofort seinen Platz einnehmen und mir als Wachhund dienen!"
Gesagt, getan. Er legte Pinocchio ein schweres Halsband um und zog es so fest, dass Pinocchio nicht herausschlüpfen konnte. An dem Halsband war eine lange Eisenkette, die an der Mauer festgemacht war. In der Hundehütte lag Stroh, das dem verstorbenen Hofhund die vergangen vier Jahre als Lager gedient hatte. Der Bauer ermahnte Pinocchio zu bellen, sollten sich Diebe heranschleichen.
Dann ging er ins Haus und der arme Pinocchio blieb zusammengekauert vor der Hundehütte zurück; vor Hunger, Kälte und Angst - mehr tot als lebendig.
Wieder bereute Pinocchio seine Taten und sehnte sich nach Geppetto. Dann kroch er in die Hundehütte und schlief ein.