Die Tage waren für Wolfsblut reich an neuen Erfahrungen. Während Kische angebunden blieb, rannte er neugierig lernend umher. Er beobachtete die Menschen und lernte, ihnen Gehorsam zu leisten. Kamen sie, so ging er ihnen aus dem Weg; riefen sie, so eilte er zu ihnen; drohten sie, so duckte er sich und hießen sie ihn gehen, so entfernte er sich schleunigst. Er wusste, dass hinter jedem ihrer Wünsche Macht lauerte, die ihm sehr weh tun konnte.
Rasch lernte er die Gewohnheiten des Lagers kennen. Er begriff, wie gierig und ungerecht die älteren Hunde waren, wenn ihnen Fleisch oder Fisch hingeworfen wurde. Er erkannte, dass bei den Menschen die Männer meist gerecht, die Kinder grausam und die Frauen gutmütig waren.
Aber der Fluch seines Lebens wurde Liplip. Älter, größer und stärker als Wolfsblut hatte er ihn zum Gegenstand seiner Verfolgung ausersehen. Sobald er sich von seiner Mutter wegbewegte, erschien Liplip und heftete sich an seine Fersen, knurrte ihn an, schnappte nach ihm und wenn niemand in der Nähe war, stürzte er auf Wolfsblut los und zwang ihn zum Kampf. Daraus ging Liplip stets als Sieger hervor, was ihn sehr amüsierte, aber was für Wolfsblut zur Qual wurde.
Sein Mut war zwar dadurch ungebrochen, aber sein Charakter veränderte sich. Er wurde verdrossen und bissig, und die Verfolgungen machten ihn noch wilder als er ohnehin schon war. Die freundliche, spielerische Zeit der Jugend war für ihn schon vorüber, da es sein Feind nie erlaubte, dass er mit den anderen jungen Hunden im Lager umhertollte.
Endlich kam der Tag, wo Grauer Biber nicht mehr befürchten musste, dass Kische weglaufen würde. Nun durfte auch sie wieder frei herumlaufen, was Wolfsblut entzückte. Er begleitete sie munter durch das Lager und brauchte dabei endlich keine Angst mehr vor seinem Peiniger zu haben.
Später an diesem Tag wanderten Mutter und Sohn eine Strecke in den Wald hinein. Wolfsblut lockte Kische vorwärts, denn der Fluss, die Höhle und der stille Wald riefen ihn. Er wünschte, dass sie mitkäme, winselte flehend und rannte spielerisch ins Gebüsch. Die Mutter hörte, was ihn im Wald rief, aber sie hörte auch den Ruf des Lagers. Endlich kehrte sie um und trabte langsam zurück. Traurig trottete Wolfsblut hinterher.
In der Wildnis ist die Zeit, in der eine Mutter für ihre Kinder sorgt, nur kurz und unter der Herrschaft der Menschen wird sie noch kürzer. Eines Tages sah er, wie die Mutter in Drei Adlers Boot gebracht wurde. Er versuchte ihr zu folgen, allerdings warf ihn ein Schlag des Indianers an Land zurück. Als das Boot vom Land abstieß, wurde seine Angst, die Mutter zu verlieren, so groß, dass er ins Wasser sprang und hinterher schwamm. Grauer Biber rief ihn zurück, aber Wolfsblut schien taub. Wütend bestieg sein Herr ein Boot und hob ihn beim Nacken aus dem Wasser und verabreichte ihm eine derbe Tracht Prügel. Wolfsblut wimmerte vor Schmerzen und Angst. Als Grauer Biber schließlich von ihm ließ, versetzte er ihm noch einen Stoß mit dem Fuß. Da blitzte in dem jungen Wolf seine Natur auf, und er schlug die Zähne in den Mokassin seines Herrn.
Nichts waren die Prügel, die er vorher erhalten hatte, im Vergleich zu denen, die er jetzt bekam. Der Zorn des Grauen Biber war schrecklich. Er gebrauchte nicht nur seine Hand, sondern auch das harte, hölzerne Ruder. Als sie ans Ufer kamen, schleuderte ihn der Graue Biber an Land, wo er schwer zu Boden fiel. Liplip, der alles gesehen hatte, stürzte auf ihn los, warf ihn um und bearbeitete ihn mit seinen Zähnen. Wolfsblut war zu hilflos, um sich zu verteidigen. In dieser Situation sah er, was menschliche Gerechtigkeit bedeutet, denn Grauer Biber kam zurück und schleuderte Liplip durch die Luft.
Nachts dachte Wolfsblut traurig an seine Mutter. Zu gern wäre er in die freie Natur gelaufen. Aber mit der Zeit lernte er, wie er sich gegenüber Grauer Biber zu verhalten hat und bekam keine Schläge mehr. Dieser verlangte von ihm streng unbedingten Gehorsam, beschützte ihn dafür aber gegenüber den anderen Hunden, wenn er ihm ein zusätzliches Stück Fleisch gab. Das Leben im Lager war oft ein Elend für ihn, aber andererseits wurde es ihm immer lieber.