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经典小说德语版:简爱-Sechzehntes Kapitel

时间:2013-11-02来源:互联网 字体:[ | | ]  进入德语论坛
(单词翻译:双击或拖选) 标签: Kapitel
Und der Tag kam. Beim ersten Morgengrauen erhob ich mich. Ein ober zwei Stunden war ich damit beschäftigt, die Sachen, die Schiebladen und Schränke in meinem Zimmer zu ordnen, um alles so zurückzulassen, wie es für die Dauer einer kurzen Abwesenheit sein mußte. Inzwischen hörte ich St. John sein Zimmer verlassen. An meiner Thür blieb er stehen; ich fürchtete, daß er anklopfen würde – nein; ein Streifen Papier wurde durch die schmale Spalte unter der Thür hereingeschoben. Ich nahm ihn auf. Er enthielt folgende Worte:
»Gestern abend hast du mich zu plötzlich verlassen. Wenn du nur noch ein wenig länger geblieben wärest, so hättest du deine Hand endlich auf das Kreuz des Christen, die Krone des Engels gelegt. Wenn ich heute über vierzehn Tage zurückkehre, erwarte ich deinen klaren, endgiltigen Entschluß, Inzwischen wache und bete, daß du nicht in Versuchung fällst: der Geist, hoffe ich, ist willig, aber das Fleisch, sehe ich, ist schwach. Jede Stunde werde ich für dich beten! Der deine, St. John.«
»Mein Geist,« entgegnete meine Seele, »will das thun, was recht ist, und mein Fleisch, hoffe ich, ist stark genug, den Willen des Himmels zu vollbringen, wenn ich erst einmal jenen Willen deutlich erkannt habe. Auf jeden Fall wird es stark genug sein, zu suchen – zu fragen – einen Ausweg aus dieser Wolke des Zweifels zu suchen und das Tageslicht der Gewißheit zu finden.«
Wir hatten den ersten Juni; aber der Morgen war kalt und wolkig, der Regen schlug hart an meine Fenster, Ich hörte wie die Hausthür geöffnet wurde, und St. John hinausging. Als ich zum Fenster hinausblickte, sah ich, wie er durch den Garten ging. Er nahm den Weg über das nebelige Moorland in der Richtung von Whitcroß – dort mußte er den Postwagen treffen.
»In wenigen Stunden werde ich dir auf jener Spur folgen, Vetter,« dachte ich, »auch ich muß in Whitcroß einen Postwagen erwarten. Auch ich muß Menschen in England aufsuchen und sehen, bevor ich es für immer verlasse.«
Bis zum Frühstück waren es noch zwei Stunden. Die Zwischenzeit füllte ich damit aus, daß ich leise in meinem Zimmer auf- und abging und über die Vision nachdachte, welche meinen Plänen ihre gegenwärtige Richtung gegeben hatte. Ich rief mir jene seltsame innere Empfindung ins Gedächtnis zurück, denn ich war imstande, sie mit all ihrer unbeschreiblichen Wundersamkeit zurückzurufen. Ich erinnerte mich der Stimme, die ich vernommen; wiederum fragte ich, woher sie gekommen sein könne, doch vergeblich wie zuvor. Sie schien in mir gewesen – nicht in der äußeren Welt. Ich fragte, ob es ein bloßer nervöser Eindruck gewesen – eine Täuschung? Ich konnte weder begreifen noch glauben, es war mehr wie eine Inspiration gewesen. Die wundersame Erschütterung meiner Sinne war gekommen wie das Erdbeben, welches die Grundvesten von Paulus' Gefängnis erschütterte; sie hatte die Thore der Zelle meiner Seele geöffnet und ihre Ketten gelöst – sie hatte sie aus ihrem Schlafe geweckt, aus welchem sie zitternd, lauschend, voll Entsetzen aufgefahren; dann schlug dreimal ein vibrierender Schrei an mein ängstliches Ohr; ich hatte ihn in meinem bebenden Herzen vernommen, in meiner erregten Seele, die weder fürchteten noch zagten, sondern voll Freude jauchzten über den Erfolg einer einzigen Anstrengung, die sie unabhängig von der Last des Fleisches hatten machen dürfen.
»Ehe viele Tage vergangen sind,« sagte ich, als ich mit meinem Sinnen zu Ende war, »werde ich etwas wissen von ihm, dessen Stimme mich gestern abend zu rufen schien. Briefe haben sich als unwirksam erwiesen – jetzt tritt persönliche Nachfrage an ihre Stelle.«
Beim Frühstück verkündete ich Diana und Mary, daß ich eine Reise antreten würde und wenigstens vier Tage abwesend sein könne.
»Allein, Jane?« fragten sie.
»Ja, es ist, um Auskunft über eine Person zu bekommen, über welche ich seit längerer Zeit in Unruhe schwebe.« Sie hätten mir erwidern können, was sie ohne Zweifel auch dachten, daß sie geglaubt, ich habe außer ihnen keine Freunde; denn dessen hatte ich sie ja in der That auch oft versichert; aber in ihrem echten, natürlichen Zartgefühl enthielten sie sich jeder Bemerkung; nur Diana fragte mich, ob ich mich denn auch wohl genug fühle, um reisen zu können. Ich sähe seit einiger Zeit so leidend und blaß aus. Ich entgegnete ihr, daß ich nicht krank sei; daß nur eine bestimmte Seelenangst über mich gekommen sei, welche ich auch bald zu verscheuchen hoffe.
Es war leicht, meine weiteren Vorbereitungen zu treffen, denn ich wurde weder mit Fragen noch mit Vermutungen gequält. Nachdem ich ihnen einmal gesagt, daß ich meine Pläne für den Augenblick nicht näher erklären könne, fanden sie sich ruhig und gütig in das Schweigen, mit welchem ich sie zur Ausführung brachte; sie gewährten mir das Privilegium einer Entschließung, das ich unter den gleichen Umständen auch ihnen gewährt haben würde.
Es war drei Uhr nachmittags als ich Moor-House verließ und bald nach vier Uhr stand ich am Fuße des Wegweisers von Whitcroß, die Ankunft der Postkutsche erwartend, die mich nach dem fernen Thornfield führen sollte. Bei der Stille auf jenen einsamen Straßen und öden Hügeln hörte ich schon in weiter Entfernung das Rollen ihrer Räder. Es war derselbe Wagen, dem ich auf derselben Stelle an einem Sommerabend entstiegen war – hoffnungslos, einsam, lebensmüde! Er hielt an, als ich ihm ein Zeichen gab. Ich stieg ein – ohne gezwungen zu sein, für die Bequemlichkeit dieses Fortschaffungsmittels mein ganzes Vermögen wie damals hinzugeben. Als ich mich noch einmal wieder auf dem Wege nach Thornfield befand, war mir zu Mute wie der heimkehrenden Brieftaube.
Es war eine Reise von sechsunddreißig Stunden. An einem Dienstag Nachmittag war ich von Whitcroß abgefahren, und es war früh am Morgen des folgenden Donnerstags, als die Postkutsche anhielt, um die Pferde vor einem Wirtshause an der Landstraße zu tränken. Diese Schenke lag inmitten einer Scenerie, deren grüne Hecken und weite Felder und niedrige, bewaldete Hügel meinem Auge begegneten, wie die Züge eines einstmal geliebten Angesichts. Wie milde waren diese Züge, wie sanft diese Farben im Vergleich mit der herben, öden, nordischen Moorlandschaft von Morton! – Ja, diese Landschaft kannte ich; jetzt mußte ich dem Ziel meiner Reise nahe sein!
»Wie weit ist Thornfield noch von hier?« fragte ich den Hausknecht.
»Gerade noch zwei Meilen, Madam, wenn Sie den Weg über die Felder nehmen wollen.«
»Meine Reise ist nun zu Ende,« dachte ich in meinem Sinne. Ich stieg aus dem Postwagen, übertrug die Sorge für mein Gepäck dem Hausknecht, daß er es aufbewahre, bis es abgeholt würde; bezahlte den Fahrpreis, gab dem Postillon ein Trinkgeld und ging. Die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne fielen auf das Schild des Wirtshauses, und ich las in vergoldeten Buchstaben die Inschrift: »Zum Wappenschilde der Rochesters«. Mein Herz pochte heftig; ich war also schon auf dem Grund und Boden meines Herrn. Dann stand es plötzlich still, denn nun kam mir der Gedanke:
»Dein Herr und Gebieter selbst mag jenseit des brittischen Kanals sein! Was weißt du! Und dann, wenn er in Thornfield-Hall ist, dem du entgegeneilst – wer ist außerdem noch dort? Seine wahnsinnige Gattin! Und du hast nichts mit ihm zu schaffen; du darfst nicht mit ihm sprechen, dich nicht in seine Nähe wagen. All deine Mühe und Anstrengung sind umsonst gewesen – es wäre besser, wenn du nicht weitergingst,« sprach eine warnende, mahnende Stimme. »Bitte die Leute in der Schenke um Auskunft; sie können dir alles sagen, was du zu wissen brauchst, sie können all deine Zweifel mit einem Worte lösen. Geh hin zu jenem Manne und frag, ob Mr. Rochester daheim ist.«
Der Rat war vernünftig, und doch konnte ich es nicht über mich gewinnen, danach zu handeln. Ich fürchtete eine Antwort, die mich in Verzweiflung treiben würde. Den Zweifel verlängern hieß die Hoffnung verlängern. Ich mußte die Halle noch einmal unter dem Strahl ihres Sterns wiedersehen. Dort vor mir lag der Fußpfad. Das waren dieselben Felder, durch welche ich am Morgen meiner Flucht von Thornfield gelaufen war, blind, taub, wahnsinnig, mit einer rachsüchtigen Wut, die mich peitschte und verfolgte im Herzen. Ehe ich noch wohl wußte, welche Richtung ich am besten einschlüge, war ich schon mitten zwischen den Feldern. Wie schnell ich ging! Wie ich zuweilen sogar lief! Wie ich vorwärts blickte, um die ersten Wipfel des wohlbekannten Parks zu erspähen! Mit welchem Gefühl ich einzelne Bäume bewillkommte, die ich kannte: liebgewordene Aussichten auf Wiesen und Hügel!
Endlich erhoben der Park und das Gehölz sich vor mir. Düster lag der Krähenhorst da: ein lautes Krächzen unterbrach die Stille des Morgens. Ein seltsames Entzücken kam über mich: ich eilte vorwärts. Noch ein Feld zu durchkreuzen – einer gewundenen Heckengasse nachzugehen – und da lagen die Mauern des Hofes, die Wirtschaftsgebäude. Das Haus selbst war noch hinter dem Krähenhorst verborgen.
»Zuerst will ich es an der Vorderseite wiedersehen,« beschloß ich, »wo die kühnen Zinnen sofort einen erhabenen Eindruck auf das Auge machen, und wo ich das Fenster meines Herrn sehen kann. Vielleicht steht er an demselben – er pflegt früh aufzustehen. Vielleicht ergeht er sich jetzt auch im Obstgarten, oder auf der Terrasse vor dem Hause. Wenn ich ihn nur erblicken könnte! Nur für einen Augenblick! Wahrlich, wenn das wäre – könnte ich so wahnsinnig sein, zu ihm zu laufen? Ich kann es nicht sagen – ich bin meiner nicht sicher. Und wenn ich es thäte – was weiter? Gott segne ihn! – Was weiter? Wem geschähe ein Unrecht damit, wenn ich noch einmal für einen kurzen Augenblick die Lebenswonne kostete, die sein Blick in meine Adern gießt? – Ich bin wahnsinnig! Ich phantasiere! Vielleicht sieht er in diesem Moment die Sonne von einem Gipfel der Pyrenäen oder auf der stillen Südsee aufgehen.«
Ich war an der niederen Mauer des Obstgartens entlang gegangen, – jetzt wandte ich mich um die Ecke; gerade hier war eine Pforte, welche auf die Wiese hinausging zwischen zwei steinernen Pfeilern, welche von großen Steinkugeln gekrönt waren. Hinter einem Pfeiler hervor würde ich ruhig auf die volle Front des Herrenhauses blicken können. Mit großer Vorsicht streckte ich meinen Kopf vor, weil ich mich vergewissern wollte, ob die Vorhänge der Schlafzimmerfenster bereits zur Seite gezogen seien. Von diesem geschützten Standpunkt aus beherrschte ich sowohl die lange Vorderseite, wie die Fensterreihen und die Zinnen.
Vielleicht beobachteten mich die Krähen, welche ruhig durch die blauen Lüfte über mir segelten. Ich möchte wissen, was sie dachten! Sie müssen mich für sehr besorgt und scheu im Anfang, und dann nach und nach für sehr kühn und unbekümmert gehalten haben. Ein flüchtiger Blick – dann ein langes Hinstarren; nun ein Verlassen meines Winkels und ein Gang hinaus auf die Wiese. Darauf ein plötzliches Innehalten gerade vor der Front des Hauses, und ein kühner, langer Blick in jener Richtung. »Welche affektierte Scheu im Anfang!« mögen die alten Raben gefragt haben und »welche dumme Dreistigkeit jetzt?«
»Höre eine Erklärung, Leser!«
Ein Liebender findet seine Geliebte auf einer moosigen Bank eingeschlafen; er wünscht einen Blick auf ihr süßes Gesicht zu thun, ohne sie zu wecken. Leise schleicht er über das Gras, besorgt ein Geräusch zu machen; er hält inne – glaubend, daß sie eine Bewegung gemacht hat. Nicht um eine Welt möchte er von ihr gesehen sein: er zieht sich zurück. Alles ist still; er nähert sich ihr wiederum, er beugt sich über sie, ein luftiger Schleier ist über sie gebreitet; er hebt ihn auf, beugt sich tiefer hinab; jetzt genießen seine Augen die Vision der Schönheit im voraus – der warmen, blühenden, lieblichen, ruhenden Schönheit. Wie flüchtig war ihr erster Blick! Aber wie starr sie jetzt sind! Wie er zusammenschrickt! Wie er jetzt plötzlich und stürmisch die ganze Gestalt, die er vor einem kurzen Augenblick nicht mit einem einzigen Finger zu berühren wagte, mit beiden Armen umschlingt! Wie laut er einen Namen ruft, seine Last wieder sinken läßt und sie wild anstarrt! So packt und schreit und starrt er, weil er nicht länger zu fürchten braucht, die Geliebte durch einen Schrei, den er ausstößt, durch eine Bewegung, die er macht, zu wecken. Er glaubte, daß sie ruhig und friedlich schliefe – aber sie ist kalt und tot!
Mit zitternder Freude hatte ich den Blick auf ein stattliches Haus gerichtet: ich sah nur von Rauch geschwärzte Ruinen.
Es war nicht mehr nötig, mich hinter einem Thorpfeiler zusammen zu kauern! scheu nach den Fenstern der Schlafzimmer emporzublicken, aus Furcht, daß es beginnen könne sich hinter denselben zu regen! Es war nicht mehr nötig, dem Öffnen und Schließen von Thüren zu lauschen – mir einzubilden, daß ich menschliche Tritte auf der Terrasse oder den Kieswegen vernähme. Der Garten, der Park waren niedergetreten und verwüstet; das Portal gähnte mir in fürchterlicher Leere entgegen. Die Vorderseite des Hauses war so, wie ich sie einst im Traum gesehen, nur eine hohle Mauer, hoch und zerbrechlich aussehend, hier und da durch leere Fensterhöhlen unterbrochen. Kein Dach, keine Zinnen, keine Schornsteine – alles war in Trümmer gefallen.
Und überall herrschte die Ruhe des Todes, die Stille einer öden Wildnis!
Kein Wunder, daß auf Briefe, welche an Personen hierher gerichtet gewesen, niemals eine Antwort gekommen war; ebensogut hätte man Episteln nach dem Grabgewölbe einer Kirche senden können. Die rauchige Schwärze sagte mir, welchem Schicksal das Herrenhaus zum Opfer gefallen – durch Feuersbrunst war es vernichtet. Wie aber war diese entstanden? Welche Geschichte knüpfte sich an dieses Unglück? Welcher Verlust war außer dem von Mörtel und Marmor und Holz noch zu beklagen? Waren auch Menschenleben zerstört sowohl wie Eigentum? Und wenn – wessen Leben war zu beklagen? Furchtbare Frage! Hier war niemand, der mir hätte Antwort geben können. Kein Laut! kein stummes Zeichen!
Als ich zwischen den geborstenen Mauern und dem zerstörten Inneren des Hauses umher wanderte, wurde es mir klar, daß das unglückselige Ereignis nicht jüngeren Datums sein könne. Es schien mir, daß durch den hohlen Thorbogen bereits der Schnee eines Winters geweht sei; eisiger Winterregen war durch die leeren Fensterhöhlen gedrungen, denn zwischen den Trümmerhaufen zerstörten Hausrats schoß schon die Vegetation eines Frühlings empor; hier und dort wucherte Gras und Unkraut gar üppig zwischen den Steinen und herabgestürzten Balken. Und oh! wo war inzwischen der unglückliche Besitzer dieser Ruine? In welchem Lande? Unter welchen Verhältnissen? Unwillkürlich wanderten meine Blicke zu dem altersgrauen Kirchturm dicht hinter dem großen Einfahrtsthor, und ich fragte: Liegt er neben Damer de Nochester und teilt mit ihm die Ruhe seines engen Marmorhauses?«
Und doch mußte ich irgendwo Antwort auf diese Fragen erhalten. Nirgends konnte ich eine solche erhalten als in dem Wirtshause und dorthin begab ich mich denn nach einiger Zeit zurück. Der Wirt selbst brachte mir das bestellte Frühstück ins Wohnzimmer. Ich bat ihn, die Thür zu schließen und Platz zu nehmen. Nachdem er dies gethan, wußte ich aber kaum, wie ich beginnen sollte, ein solches Entsetzen empfand ich vor den möglichen Antworten, Und doch hatte das Schauspiel des Grauens, welches ich soeben verlassen, mich schon auf eine jammervolle Geschichte vorbereitet. Der Wirt war ein anständig aussehender Mann in mittleren Jahren.
»Sie kennen Thornfield-Hall natürlich?« gelang es mir endlich hervorzubringen.
»Ja, Madam, ich habe mich dort einmal aufgehalten.«
»In der That?« Aber nicht zu meiner Zeit, dachte ich, denn mir bist du ein Fremder.
»Ich war der Kellermeister des verstorbenen Mr. Rochester.«
Des verstorbenen! Mit voller Wucht war der Schlag auf mich gefallen, dem ich solange ausgewichen war.
»Des verstorbenen!« stieß ich endlich mühsam hervor. »Ist er denn tot?«
»Ich meine den Vater des jetzigen Mr. Edward,« erklärte er.
Ich atmete wieder auf. Mein Blut begann wieder zu cirkulieren. Diese Worte hatten mir doch die Gewißheit gegeben, daß Mr. Edward – mein Mr. Rochester (Gott segne ihn, wo er auch sein mochte!) am Leben war, kurzum, daß er der »jetzige Herr« war. Belebende Worte! Mir war, als könne ich alles mit anhören, was jetzt noch kommen sollte – wie furchtbar die Enthüllungen auch sein mochten. Jetzt war ich verhältnismäßig wieder ruhig geworden. Er lag nicht im Grabe! Nun hätte ich es ertragen, wenn man mir erzählt hatte, daß er auf den Antipoden sei.
»Wohnt Mr. Rochester jetzt auch in Thornfield-Hall?« fragte ich, obgleich ich im voraus wußte, welcher Art die Antwort sein müsse. Ich wünschte aber eine direkte Frage in Bezug auf seinen Aufenthalt zu vermeiden.
»Nein, Madam, ach nein! Dort wohnt jetzt niemand. Ich vermute, daß Sie in dieser Gegend fremd sind, sonst würden Sie wissen, was sich im vorigen Herbst zugetragen hat; – Thornfield-Hall ist nur noch eine Ruine, gerade um die Erntezeit brannte es gänzlich ab. Ein furchtbares Unglück! solch eine ungeheure Menge wertvollen Eigentums zerstört. Von den Möbeln konnte fast nichts gerettet werden. Das Feuer brach mitten in der Nacht aus, und ehe die Spritzen von Millcote ankamen, war das ganze Gebäude ein Flammenmeer. Es war ein grauenhafter Anblick. Ich war selbst dabei.«
»Mitten in der Nacht!« murmelte ich. Ja, das war die verhängnisvolle Stunde für Thornfield!
»Weiß man, wie es entstanden ist?« fragte ich.
»Man vermutete es, Madam, man vermutete es. In der That, ich könnte wohl sagen, daß es ohne Zweifel festgestellt ist. Vielleicht wissen Sie nicht,« fuhr er fort, indem er seinen Stuhl näher an den Tisch rückte und im Flüsterton sprach, »daß eine Dame, – eine – eine Wahnsinnige im Hause eingesperrt war?«
»Ich habe etwas darüber gehört.«
»Sie war unter sehr strenger Bewachung, Madam; ja, viele Jahre hindurch wußten die Leute nicht einmal etwas Bestimmtes über ihr Dasein. Niemand sah sie; nur durch das Gerücht wußte man, daß irgend jemand im Herrenhause verborgen gehalten werde, es war jedoch schwer zu vermuten, wer oder was es sei. Sie sagten, Mr. Edward habe sie aus der Fremde mitgebracht, und viele glaubten, sie sei nur seine Geliebte gewesen. Aber vor ungefähr einem Jahre passierte etwas Sonderbares – etwas sehr Sonderbares.«
Ich fürchtete jetzt meine eigene Geschichte mit anhören zu müssen. Deshalb versuchte ich, ihn zur Hauptsache zurückzuführen.
»Und diese Dame?«
»Diese Dame, Madam, erwies sich als Mr. Rochesters Gattin! Diese Entdeckung wurde auf die seltsamste Weise herbeigeführt. Im Herrenhause war ein junges Mädchen, die Gouvernante, und Mr. Rochester –
»Aber das Feuer?« unterbrach ich ihn.
»Das kommt gleich, Madam – und Mr. Rochester verliebte sich in sie. Die Dienstboten sagten, daß sie in ihrem ganzen Leben keinen so verliebten Menschen gesehen hätten wie ihn. Beständig war er hinter ihr her. Sie pflegten ihm aufzupassen – Sie wissen, Madam, Dienstboten thun das nun einmal – und er hielt mehr von ihr als von irgend etwas Anderem auf der Welt, Außer ihm fand jedoch niemand sie hübsch. Sie war ein kleines unbedeutendes Ding, sagten sie, fast wie ein Kind. Ich selbst habe sie nie gesehen, aber Leah, das Stubenmädchen, hat mir von ihr erzählt. Leah hat sie sehr lieb gehabt, Mr. Rochester war ungefähr vierzig Jahre alt, und diese Gouvernante noch nicht zwanzig. Und Sie wissen wohl, wenn Leute in seinen Jahren sich in junge Mädchen verlieben, so sind sie oft wie behext. Nun also kurz und gut, er wollte sie heiraten.«
»Diesen Teil der Geschichte können Sie mir ja ein andermal erzählen,« sagte ich, »aber ich habe einen ganz besonderen Grund, weshalb ich die Geschichte der Feuersbrunst hören möchte. Vermutete man denn, daß diese Wahnsinnige – Mrs. – Mrs. Rochester die Hand dabei im Spiel hatte?«
»Sie haben es getroffen, Madam; es ist ganz bestimmt, daß sie, und keine andere, als sie, das Haus angezündet hat. Sie hatte ein Weib, das sie bewachen sollte, Mrs. Poole mit Namen, eine ganz geschickte Person in ihrer Art, und ganz vertrauenswürdig; aber sie hatte einen Fehler – einen Fehler, den beinahe alle alten Weiber und Krankenwärterinnen haben, sie hielt sich eine eigene Brantweinflasche und nahm dann und wann einen Tropfen über den Durst. Es ist verzeihlich, denn sie hatte ein schweres Leben; aber dennoch war es gefährlich; denn wenn Mrs. Poole nach ihrem Brantwein fest eingeschlafen war, so nahm die wahnsinnige Frau, die so listig und verschlagen war wie eine Hexe, ihr den Schlüssel aus der Tasche, schlich aus der Thür und wanderte im Hause umher und richtete alles Unheil, das ihr in den Kopf kam, an. Die Leute sagen, daß sie ihren eigenen Gatten beinahe einmal in seinem Bette verbrannt hat; aber ich weiß nicht, ob das wahr ist. Jedoch an diesem Abend steckte sie zuerst die Vorhänge in dem Zimmer, welches dem ihren zunächst lag, an; und dann kroch sie hinunter in das erste Stockwerk und schlich sich in das Zimmer, das einst der Gouvernante gehört hatte – (es war, als hätte sie eine Ahnung von dem gehabt, was sich zugetragen, und haßte das arme Mädchen nun) – und zündete dort das Bett an. Zum Glück schlief niemand darin. Die Gouvernante war zwei Monate früher fortgelaufen; und obgleich Mr. Rochester sie suchte, als wenn sie das kostbarste Juwel auf Erden gewesen, so konnte er doch nicht ein einziges Wort über sie erfahren. Und nun wurde er wild – ganz wild in seinem Ungemach. Er war niemals ein heftiger Mann gewesen; nachdem er sie aber verloren hatte, wurde er geradezu gefährlich. Er wollte ganz allein sein. Die Haushälterin, Mrs. Fairfax, schickte er weit fort zu ihren Verwandten; aber er handelte anständig, denn er hat ihr für ihr ganzes Leben eine hübsche Jahresrente ausgesetzt. Aber sie verdiente es auch, denn sie war eine herzensgute Frau. Miß Adele, seine Mündel, die ebenfalls im Hause war, wurde in ein Institut geschickt. Er brach jeden Verkehr mit den benachbarten Edelleuten ab und lebte im Herrenhause wie ein Eremit.«
»Was! er hat England nicht verlassen?«
»England verlassen? Gott segne Sie, nein! Er ist nicht mehr über die Schwelle des Hauses gekommen, ausgenommen bei Nacht, wenn er wie ein Geist im Park und im Obstgarten umherlief und tobte als wäre er von Sinnen. Und meiner Meinung nach war er das auch. Denn Sie konnten keinen lustigeren, kühneren, frischeren Herrn als ihn sehen, bevor das kleine Ding von Gouvernante ihm in den Weg kam. Er war weder ein Spieler, noch ein Trinker; er kümmerte sich nicht um die Pferdegeschichten, wie soviele es thun. Er war auch nicht besonders schön; aber er hatte Mut und einen festen Willen, wie ihn nur jemals ein Mann besaß. Sehen Sie, ich habe ihn seit seinen Knabenjahren gekannt, und was mich anbetrifft, so habe ich oft gewünscht, Miß Eyre wäre im tiefsten Meer ertrunken, ehe sie nach Thornfield-Hall kam.«
»Mr. Rochester war also zu Hause, als das Feuer ausbrach?«
»Ja, gewiß war er das; und er ging hinauf in die Dachkammern, als oben und unten schon alles brannte, und rettete die Dienerschaft aus ihren Betten und half ihnen selbst hinunter, und dann ging er noch einmal zurück, um seine wahnsinnige Gattin aus ihrer Zelle zu holen. Da riefen sie ihm zu, daß sie auf dem Dache stehe; und da stand sie auch und schlug mit den Armen um sich, oben auf den Zinnen, und dabei schrie sie, daß man sie eine Meile weit gehört hat. Ich habe sie mit meinen eigenen Augen und Ohren gesehen und gehört. Sie war eine große, starke Frau und hatte langes, schwarzes Haar, wir sahen es im Winde flattern, während die Flammen schon an ihr empor schlugen. Ich sah es, und noch viele andere haben es gesehen, wie Mr. Rochestcr durch das Oberlicht auf das Dach stieg; wir hörten ihn rufen: Bertha! Bertha! Wir sahen, wie er sich ihr näherte; und da, Madam, stieß sie einen furchtbaren Schrei aus, that einen Sprung – und im nächsten Augenblick lag sie zerschmettert auf der Steinrampe der Terrasse.«
»Tot?«
»Tot? Ah, so tot wie die Steine, auf denen ihr Gehirn und ihr Blut verspritzt waren.«
»Großer Gott!«
»Das mögen Sie wohl sagen, Madam, es war fürchterlich!«
Er schauderte.
»Und dann?« fragte ich.
»Nun Madam, dann brannte das Haus bis auf den Grund nieder; es stehen nur noch einige Mauerreste.«
»Sind noch mehr Menschenleben verloren?«
»Nein. Aber es wäre vielleicht besser gewesen!«
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Armer Mr. Edward!« rief er aus, »daß ich das noch würde erleben müssen, hatte ich nicht gedacht. Einige sagen, das sei die gerechte Strafe, weil er seine erste Heirat geheim gehalten und eine zweite Frau nehmen wollte, während die erste noch lebte. Aber mir thut er doch von Herzen leid.«
»Aber Sie sagten ja, daß er lebt!« rief ich aus.
»Ja, ja, er lebt. Aber manche meinen, daß es besser für ihn, wenn er tot wäre.«
»Weshalb? Wie?« Das Blut erstarrte mir fast in den Adern.
»Wo ist er?« fragte ich. »Ist er in England?«
»Ja, ja, er ist in England; er kann ja gar nicht von England fort; er sitzt hier fest!«
Welche Todesqual für mich! Und dieser Mann schien entschlossen, sie nach Möglichkeit zu verlängern.
»Er ist stockblind,« sagte er endlich. »Ja, ja. er ist stockblind, der arme Mr. Edward.«
Ich hatte Schlimmeres befürchtet. Ich hatte gefürchtet, baß er wahnsinnig geworden. Dann nahm ich all meine Kraft zusammen und fragte, wie dies Unglück geschehen.
»Sein eigner Mut war Schuld daran und wenn man so will, seine Gutherzigkeit, Madam; er wollte das Haus nicht eher verlassen, als bis jeder vor ihm hinausgeschafft war. Als er dann endlich die große Treppe hinunterkam, nachdem Mrs. Rochester sich von den Zinnen herabgestürzt hatte, da gab es einen großen Krach – und alles brach zusammen. Er wurde zwar lebend unter den Ruinen hervorgezogen, aber schwer verletzt; ein Balken war so gefallen, daß er ihn teilweise geschützt hatte; aber ein Auge war ihm ausgeschlagen und eine Hand so vollständig zerschmettert, daß Mr. Carter, der Wundarzt, sie sofort amputieren mußte. Das andere Auge war sehr entzündet und er verlor auch auf diesem die Sehkraft. Jetzt ist er ganz hilflos, – ganz hilflos, in der That, blind und ein Krüppel.«
»Wo ist er? Wo wohnt er jetzt?«
»In Ferndean, in einem Herrenhause auf einem seiner Landgüter, dreißig Meilen von hier. Ein öder, trauriger Aufenthalt.«
»Wer ist bei ihm?«
»Der alte John und sein Weib. Er wollte sonst niemanden um sich dulden. Sie sagen, er sei ganz gebrochen.«
»Haben Sie irgend einen Wagen?«
»Wir haben eine Chaise, Madam, eine sehr schöne Chaise.«
»Lassen Sie augenblicklich anspannen, und wenn Ihr Postknecht mich heute vor Dunkelwerden noch nach Ferndean bringen kann, so werde ich Ihnen sowohl wie ihm den doppelten Fahrpreis zahlen.« 
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