Der Kasperlemann in Wutzelheim kriegte seine Pfennige nicht, und er kehrte den Wutzelheimer Kindern erbost den Rücken. Ehe die am nächsten Morgen aufstanden, war der Kasperlemann samt seinem Budchen, das er auf einen Eselkarren geladen hatte, schon auf und davon gezogen. Weg war er. Niemand wußte wohin, niemand hatte ihn wegfahren sehen. In Wutzelheim sagten sie, so etwas tue man doch nicht, wenn einer einmal zum Schützenfest komme, dann müsse er auch bis zum Schluß bleiben. Aber alles Reden half nichts, der Kasperlemann war weg und blieb weg. Die Kinder fuhren für ihre Pfennige Karussell, das war auch lustig.
Unterdessen aber rollte des Kasperlemanns Wäglein dem Schlosse zu, in dem die schöne Gräfin Rosemarie wohnte. Der Graf von Singerlingen hatte nämlich einen Boten geschickt, der Kasperlemann möchte flink dorthin kommen. Mit Prunk und Pracht sollte die Hochzeit gefeiert werden, der Herzog wollte dazu kommen, und um den Gästen einen Spaß zu bereiten, hatte der Graf von Singerlingen gemeint, ein Kasperlespiel wäre sehr lustig und unterhaltsam.
In acht Tagen sollte die Hochzeit stattfinden. Die schöne Rosemarie ging mutterseelenallein durch den Wald, der sich östlich vom Schlosse hinzog. Sie dachte traurig daran, daß sie nun den alten Grafen von Singerlingen heiraten sollte und doch den Geiger Michael von Herzen liebhatte. In den Bäumen sangen die Vögel,
die feinen, zarten Waldblumen drehten alle dem schönen Mädchen ihre Gesichtchen zu, und die hohen Bäume rauschten; wie ein liebes, lindes Trösten klang es. Ach, dachte Rosemarie, wenn mir doch jemand helfen möchte! Ich bin so mutterseelenallein in der Welt. Sie setzte sich auf einen umgeschlagenen Baumstamm und begann bitterlich zu weinen.
Da kam ein Wanderbursch vorbei, der sang vergnügt vor sich hin:
„Nur tapfer sein,
Nur net verzagt!
Der Sonne Schein
Blinkt wieder, wenn’s tagt.
Trallalala, Trallalala!
Meine Fiedel soll klingen
Lieblich und fein,
Ein Lied will ich singen
Wie’s Waldvögelein.
Trallalala, Trallalala!
Drum zieh ich hinaus,
Die Fiedel zieht mit;
Im Wald steht ein Haus,
Da sag’ ich meine Bitt’.
Trallalala, Trallalala!“
Auf einmal entdeckte der Wanderbursch die schöne Rosemarie, und er fragte mitleidig: „Warum weint Ihr, schönes Fräulein?“
„Weil mir das Herz weh tut,“ antwortete Rosemarie. „Aber sage, wohin ziehst du? Wo ist das Haus im Walde, und was für eine Bitte wirst du dort sagen?“
„Ei,“ erwiderte der Wanderbursch, „mir tut’s arg leid, daß Euch das Herz weh tut, schöne Gräfin! Aber wartet nur, ich werde kommen und Euch helfen. Ich ziehe ins Waldhaus, das liegt hinter dem Herzogtum; dort wohnt der Meister Severin, der kann allen Instrumenten eine Seele geben, zu dem will ich meine Fiedel bringen. Und der Herr Michael ist dort, der der allerberühmteste Geiger ist, den will ich bitten, er soll mir zeigen, wie man so wunderschön spielt. Und dann komme ich zurück und spiele Euch etwas vor; da werdet Ihr froh werden und wieder lachen.“
Rosemarie seufzte nur bei diesen Worten, und sie fing noch bitterlicher zu weinen an. Dem Wanderburschen tat sie arg leid, und er dachte: Ich will flink laufen, damit meine Fiedel eine Seele bekommt und ich die arme schöne Rosemarie recht trösten kann. Und er rannte spornstreichs davon, um nur ja recht schnell in das Waldhaus zu kommen.
In seinem Eifer sah der Wanderbursch gar nicht, daß die schöne Gräfin Rosemarie nur noch bitterlicher weinte. Er lief wie ein Hase, und als er auf der Landstraße eine schnelle Post fahren sah, sprang er hinten auf und dachte: So komme ich gewiß heute noch ins Waldhaus.
Ein bißchen länger dauerte es aber doch. Die Post hielt sehr lange an einem Wirtshaus, und erst am zweiten Tag kam er nach Protzendorf. Dort fragte er den ersten besten, der ihm begegnete, nach dem Weg, der zum Waldhaus führe. Das war nun gerade der Schäfer Damian. Der schrie gleich los: „Ich leid’s net, ich hab’s versprochen, das Kasperle zu beschützen.“ Und er hob drohend seinen langen Schäferstab gegen den Wanderbursch.
Der dachte: Ei, bei dem Schäfer scheint’s nicht richtig zu sein! Und weil er keinen so langen Stock hatte, lief er flink davon.
So kam er schneller an die Grenze, als Damian dachte. Und weil er gerade im Laufen war, lief er auch an der Schildwache vorbei, ehe die sich noch recht besonnen hatte, wer wohl der Wanderer sein könnte.
Nachher rief der Landjäger, der Wache stand, flink einen zweiten aus dem Häuschen heraus, und alle beide schrien: „Hollahe, nicht davonlaufen!“ aber da war der Wanderbursch schon am Waldhaus.
Vor dem Waldhaus schlug Kasperle Purzelbaum, einen, noch einen, schnell und schneller. Der Wanderbursch blieb verdutzt stehen, und auf einmal schlug ihm Kasperle mit seinem Bein an die Nase.
„Au!“ schrie der Wanderbursch und hielt sich seine Nase fest.
„Au!“ kreischte Kasperle und steckte seinen Fuß in den Mund.
Beide schauten sich an, und beide fragten zu gleicher Zeit: „Wer bist du denn?“
Kasperle, der nun schon wußte, es war besser, keinem Fremden zu sagen, er sei ein echtes, rechtes Kasperle, grinste nur, der Wanderbursch aber erzählte: „Ich heiße Jörgel und suche den Meister Severin und Herrn Michael.“
„Hach!“ schrie Kasperle. „Wo kommste denn her?“
„Von weit her,“ sagte Jörgel. „Aber weißt du, vor ein paar Wochen hab’ ich einen Kasperlemann gesehen, dessen Kasperle sah genau so aus wie du.“
„Hach!“ schrie Kasperle wieder und schnitt ein fürchterliches Gesicht. „Dumm, dumm wenn du nichts weiter gesehen hast!“
„Ei, was bist du für ein frecher kleiner Kerl!“ rief Jörgel gekränkt. „Nennst mich dumm, und dabei bin ich noch einmal so lang wie du und gewiß noch einmal so gescheit wie du. Und gesehen habe ich schon allerlei, gestern zum Beispiel im Walde die schöne Gräfin Rosemarie. Die saß da und weinte, und sie sagte, ihr Herz täte ihr weh. Na, ist das auch dumm?“
Kasperle gab keine Antwort. Er streckte sich auf einmal lang aus, lag da ganz steif, verdrehte die Augen, und dem Jörgel wurde himmelangst. Er wollte schon ins Waldhaus laufen und Hilfe holen, denn er dachte: Der schnurrige kleine Kerl stirbt hier unversehens auf der Waldwiese. Doch da richtete sich Kasperle auf und rief:
„Bleib hier und kein Wort darfste von Rosemarie sagen! O jegerl, o jegerl, ich armes, armes Kasperle! Nun muß ich es doch tun.“
Und flugs fing das Kasperle so schrecklich zu heulen an, daß es alle im Waldhaus hörten. Michele und die schöne Frau Liebetraut kamen gleich angerannt, und die dachten gar, der Wanderbursch hätte Kasperle etwas zuleide getan. Michele schalt heftig auf den armen Jörgel ein, doch da schrie Kasperle: „Er hat nichts getan. O jemine, o jemine, mein Bäuchle, mein Bäuchle!“
Da hob Frau Liebetraut das Kasperle empor, trug es in das Haus, legte es in sein Bett, und das törichte Kasperle klagte nur immer: „Mein Bäuchle tut weh, mein Bäuchle!“ Und dabei war es doch sein kleines Kasperleherz, das ihm vor lauter Mitgefühl so bitter weh tat. Er wollte ja so gern Michele und der schönen Rosemarie helfen, wußte auch, wie er es wohl anfangen könnte, aber — aber schwer war es, sehr, arg schwer.
Kasperle lag in seinem Bett und heulte. Jörgel saß unten und Herr Severin fing an, auf seiner Geige zu spielen. Das klang süß und fein durch das Haus, und dann nahm Michael die Geige und spielte darauf, und da schwiegen die Vögel im Walde, die Bäume stellten das Rauschen ein, alles lauschte, so lieblich und zart zugleich klang es.
Kasperle hörte das Spielen, und plötzlich kletterte er aus seinem Bett heraus und ging an des Michele Schreibzeug. Der mußte oft Briefe in die Welt senden, und er hatte einen ganzen Berg Briefpapier daliegen. Von diesem suchte sich Kasperle den allerschönsten Bogen heraus, und weil er, seit er in Waldrast in die Schule gegangen war, etwas schreiben konnte, fing er an, einen Brief zu schreiben. Auf, ab, kreuz, quer — die Buchstaben standen da wie die Halme eines Roggenfeldes, wenn Hagel darüber hingegangen ist. Zuletzt malte Kasperle mit ungeheuren Buchstaben seinen Namen darunter, und dann war der Brief fertig.
Kleckslein gab es etliche. Wen störte das? Kasperle nicht. Der tat den Brief in einen Umschlag und verbarg ihn in seinem Wämslein. Und dann ging er auf Kasperleart die Treppe hinab, er schlug einen Purzelbaum und war schneller unten, als ein Sperling fliegt.
Weil alle im Hause auf Micheles Spiel hörten, achtete niemand auf das Kasperle. Das flitzte davon; heidi! weg war es. Es rannte durch den Wald, den Weg entlang, der nach Protzendorf führte. Fein sorgsam hielt es sich aber im Gebüsch verborgen, und als es endlich Stimmen hörte, kletterte es flink auf eine hohe Tanne. Von dort aus erblickte Kasperle das neue Grenzwächterhaus; er sah zwei Grenzwächter vor der Türe sitzen, die redeten miteinander und schauten immer nach rechts und nach links, um heute ja niemand mehr zu verpassen.
Kasperle nahm den Brief, wickelte ihn um einen Stein, den er sich mitgenommen hatte, knotete sein Taschentuch darum und warf alles den Grenzwächtern vor die Füße.
Bums! fiel das Päckchen vor beiden nieder. Die schauten sich verdutzt um, sie sahen aber niemand und nichts. Kasperle war rasch von der Tanne halb heruntergeglitscht. Er konnte aber gerade noch die beiden Wächter sehen. Die knoteten das Tüchlein auf, fanden den Brief und lasen erstaunt: „An Härzog Aukuhst Ehrasssmuhs fon Kasperle.“
„Potztausend!“ riefen beide. „Das ist aber mal ein dummer Streich!“ Weil Kasperle den Umschlag nicht geschlossen hatte, konnten sie auch lesen, was in dem Brief stand.
„Hähr Härzog iich Kasperle wil bai diech gomen un fiel Schbaasen magen wen Krefin Rohsemarie heurathen dut main Freund Michele. Un ich reisse niemalen auhs, nuhr wen du sackst: gäh sum Teifele Kasperle. Dan gäht Kasperle — ahber for immer. Schmaise auch ainen Briff übber die Gränze miht dain Wort. Dann gomd bästimt
Kasperle.“
„Je, je, je! Ist das nun ein richtiger Brief, oder ist’s ’n Schabernack?“ meinte der eine Wächter, und der andere brummelte: „Hm, hm, so’n Geschreibe könnte schon ein Kasperle fertig bringen!“
Und dann legten alle beide die Finger an die Nasen und überlegten, ob sie den Brief dem Herzog bringen sollten.
„Ja,“ sagte der eine.
„Nein,“ rief der andere.
„Recht — nein,“ antwortete der erste.
„Recht — ja,“ erwiderte der zweite.
Da rief der erste wieder ja und der zweite wieder nein, und schließlich nahmen sie ein langes und ein kurzes Holz und zogen. Der erste zog das lange, und da fiel es beiden ein, sie hatten gar nicht ausgemacht, ob das lange oder das kurze Holz ja sein sollte.
Das Gestreite ging noch eine Weile hin und her, und es wäre viele Tage wohl noch so gegangen, wenn nicht der Bauer Strohkopf aus Protzendorf gekommen wäre. Den hielten die beiden Wächter für einen absonderlich klugen Mann, und sie legten ihm Kasperles Brief vor und fragten: „Hat das Kasperle geschrieben?“
Der Bauer Strohkopf nahm den Brief, las ihn bedächtig einmal, noch einmal, denn das Lesen war ihm eine mühsame Sache, und endlich legte er den Finger an die Stirn, schaute die beiden Wächter mitleidig an und sagte: „Na, da steht doch Kasperle darunter, also muß er doch den Brief geschrieben haben!“
„Aber,“ rief der eine Wächter und legte wieder den Finger an die Nase, „wenn sich doch jemand einen Spaß gemacht hätte?“
„Aber es steht doch Kasperle darunter!“ Der Bauer Strohkopf lachte, es klang, als rassle eine alte Pauke. „Dumm, dumm, dumm! So schlecht kann wohl überhaupt niemand schreiben, wie der Brief geschrieben ist,“ rief er. Ach, lieber Himmel, und dabei konnte der Bauer selbst kaum schreiben!
Aber die Grenzwächter sagten, sie glaubten, er habe recht, und einer von ihnen sollte den Brief zu dem Herzog tragen. Der ältere rief: „Allemal der Älteste.“
„Nä,“ rief der Bauer, „der Jüngste muß es sein, er hat die flinksten Beine!“
Wieder sagten die beiden, der Bauer Strohkopf wäre doch erstaunlich klug, und der dicke Bauer grinste und versprach ihnen, er würde ihnen einen Schinken schicken, so sehr hatte ihm die Rede der Grenzwächter geschmeichelt.
Der jüngere Wächter lief nun mit dem Bauer nach Protzendorf, denn der wollte ihm einen Wagen geben, damit er schneller zum Herzog käme, und er rannte so flink, daß der dicke Bauer kaum nachkommen konnte und unterwegs meinte, es wäre doch besser gewesen, den älteren zu nehmen.
Das alles hörte Kasperle nicht, aber er sah den Grenzwächter rennen, und sein kleines Kasperleherz bebte vor Angst. Zu dem Herzog gehen, vor dem er sich so schrecklich fürchtete, es war wirklich sehr schwer! Und tiefbetrübt rutschte er von der großen Tanne herab und schlich sich in das Waldhaus zurück.
Der Wächter fuhr unterdessen mit dem Bauer Strohkopf in das Land hinein. Dem war es auf einmal eingefallen, wenn er mitführe, könnte er gar noch eine Belohnung erhalten. Die beiden langten ganz spät am Abend am Schloß der Gräfin Rosemarie an, und der Wächter sagte: „Hier rasten wir.“
„Ja,“ brummte der Bauer und dachte bei sich: Ich fahr’ allein weiter, denn dann sage ich dem Herzog zuerst die Botschaft. Es war dumm, daß ich den Wächter mitnahm.
Dieser ging in das Schloß, um zu fragen, ob man ihm wohl gestatte, im Heuschober zu schlafen, und drinnen erfuhr er, der Herzog sei gerade angekommen. Er lief eiligst hinaus, sah den Bauer wer weiß wohin fahren, ließ ihn ziehen und sagte drinnen gewichtig: „Ich bringe einen Brief von Kasperle.“
„Bewahr’ mich vor dein Ungetüm!“ rief die alte Liesetrine. „Raus, raus! Mit einem, der Kasperle kennt, will ich nichts zu schaffen haben.“
Da wäre beinahe der Wächter mit seinem schönen Kasperlebrief noch hinausgeworfen worden. Er erhob aber seine Stimme laut und schrie so heftig, daß es durch das ganze Schloß hallte: „Ich komme von Kasperle, ich komme von Kasperle, Kaaasperle!“
Das hörte ein Diener des Herzogs, der sagte es dem zweiten Kammerdiener, der wieder sagte es dem ersten Kammerdiener, der sagte es einem Kammerherrn, der sagte es dem Oberhofmeister, und der sagte es schließlich dem Herzog.
Und gerade plagte den Herzog August Erasmus das Zipperlein, als er von Kasperles Brief erfuhr. Da ließ er sehr geschwinde den Wächter kommen, und der übergab ihm den Brief. Der Herzog las und schüttelte den Kopf, und er reichte den Brief seinem Oberhofmeister. Der las und schüttelte auch den Kopf. Der Kammerherr aber, der dann den Brief zu lesen bekam, schüttelte den Kopf, ohne zu lesen. Da sagte der Herzog: „Merkwürdig!“ und alle im Zimmer sagten auch: „Merkwürdig!“
Der Wächter mußte nun erzählen, wie er den Brief gefunden hatte, und er sagte: „Er ist gewißlich von Kasperle; der Bauer Strohkopf sagt’s auch.“
„Dummkopf!“ brummte der Herzog, der es unschicklich fand, in seiner Gegenwart von einem Bauern zu reden, der Strohkopf hieß.
„Strohkopf heißt er, halten zu Gnaden!“ Der Wächter dachte, der Herzog habe ihn nicht richtig verstanden. Da rief der wieder ärgerlich: „Dummkopf!“
„Strohkopf, halten zu Gnaden!“ Puff, stieß ein Kammerherr den Wächter an, er solle stille sein.
„Esel!“ schrie der Herzog. „Geh er hinaus! Ich muß mich mit meinem ersten Minister beraten, was ich tun soll.“
Da rannte der Wächter hinaus und schrie schon an der Türe: „Der Herr Minister soll zum Herzog kommen!“
„Esel!“ brüllte der Herzog.
„Der Herr Minister Esel soll zum Herzog kommen!“ brüllte der Wächter, der nicht anders meinte, als dies sei der Name des Ministers. Er selbst hielt sich für so klug, daß er nicht dachte, jemand, selbst ein Herzog, könnte ihn Dummkopf oder Esel schelten.
Der gute Minister aber wollte gerade in sein Bett steigen, als sich draußen das Geschrei erhob. Er erschrak darob so sehr, daß er wieder aus seinem Bette herausfiel und in der Verwirrung seinen Rock als Hose nahm und die Hose als Jacke anziehen wollte. Zuletzt kam er aber doch in seine Sachen, er ging in des Herzogs Zimmer, und der hielt ihm Kasperles Brief hin.
„Ich will das Kasperle haben,“ rief der Herzog. „Meinetwegen mag die Gräfin Rosemarie in acht Tagen den Geiger Michael heiraten.“
„Und der Graf von Singerlingen?“ fragte der Minister.
„Der kriegt eine Prinzessin. Ich habe doch noch meine base Gundolfine, die will gerne einen Mann, und ich mag sie nicht heiraten. Der Graf von Singerlingen tut mir schon den Gefallen und heiratet sie. Nun soll geschwind an Kasperle geschrieben werden, wenn er zum Hochzeitstag mit seinem Michael hierherkommt, dann erhält der die Gräfin Rosemarie und ich mein Kasperle. Aber das ist ein großes, großes Geheimnis!“
Wutsch! legten alle den Finger auf den Mund, und ein Diener lief hinaus, um den Wächter zu suchen, damit der nichts verrate. Er fand ihn, als der gerade der alten Liesetrine von Kasperles Brief erzählte. Eben wollte er sagen: „Der Geiger soll die Gräfin Rosemarie heiraten,“ da schlug ihm der Diener mit der Hand auf den Mund. Das klatschte tüchtig, und der Wächter brachte kein Wörtlein heraus. Der Diener schleppte ihn zum Herzog, und dort hatte der Minister gerade den Brief fertig geschrieben. Der lautete:
„Wir Herzog August Erasmus VI. von Himmelhoch sagen Dir, Kasperle, daß alles vergeben und vergessen sein soll, was Du einstmals Unnützes getan hast, auch daß Du Uns vor zwölf Jahren einen Geldsack auf den Bauch geworfen hast, wenn Du fortan so lange in Unseren Diensten sein willst, bis Wir sagen: ‚Scher Dich zum Teufel!‘ Alsdann magst Du zum Teufel gehen. Sei in vier Tagen mit dem Geiger Michael hier, er soll dann die Gräfin Rosemarie heiraten. Hältst Du Uns aber zum Narren, dann wehe Dir, Kasperle, dann ergeht es Dir ganz schlimm! So ist mein Wort.“
„Punktum!“ sagte der Herzog und klebte ein dickes, großes Siegel unter den Brief. Den bekam der Wächter, und der dachte, es gäbe nun auch eine Belohnung, aber die gab es nicht; der Herzog sagte, erst müsse er Kasperle haben.
Da zog der Wächter ab, und weil es eine mondhelle Nacht war, ging er gleich zurück. Als er ein Weilchen gewandert war, kam der Bauer Strohkopf hinter ihm her. Der hatte im nächsten Ort erfahren, daß der Herzog bei der schönen Gräfin Rosemarie weile. Nun war er arg wütend, denn im Schloß hatte man ihn nicht einmal eingelassen. Der Herzog lag schon im Bett und der Wächter war unterwegs.
„He, hollahe!“ schrie der Bauer Strohkopf. Er dachte: Nun erfahre ich doch etwas! Aber klatsch! da hielt sich der Landjäger die Hand vor den Mund, und der gute Strohkopf konnte fragen, soviel er wollte, er erfuhr kein kleines Wort.
Mitfahren tat sein Genosse schon, und von des Bauern Schinkenbroten schmauste er auch, aber reden tat er nichts, fiel ihm nicht ein! Und in Protzendorf sprang er sehr geschwinde vom Wagen und lief davon, und er vergaß sogar das Dankeschönsagen. Na, manierlich war das wirklich nicht!