„Bimmelimbim, hollahe, ich bin da!“ so rief unverdrossen ein Mann, der vor einem kleinen, mit einem roten Vorhang verhüllten Kasperletheater stand. Das Budchen befand sich auf einem großen Platz, auf dem es noch viele andere Buden gab, denn in dem Städtchen Wutzelheim war Schützenfest; dazu waren Karussellmänner und Schaubudenleute von weither gekommen. Um das Kasperlebudchen herum drängten sich die Kinder. Es sollte, so wurde gesagt, ein besonders lustiges Kasperle sein, das da spielte, und das
Zusehen war billig. Für einen Pfennig konnte man lange stehen, und manchmal konnte man sogar ausreißen, ohne den Pfennig zu bezahlen. Aber das taten nur wenige, die meisten gaben gewichtig ihren Pfennig hin, man mußte doch Kasperle belohnen.
Immer wieder tönte das Bimmelimbim des Budenbesitzers, immer mehr Kinder liefen herzu. Endlich ging der rote Vorhang auf, und Kasperle steckte seine große, große Nase heraus und fragte: „Seid ihr alle da?“
„Ja!“ scholl es im Chor.
„Hm!“ Kasperle seufzte, schwang ein Beinchen über die Brüstung und fragte trübselig: „Ihr denkt nun wohl, ich werde kaspern?“
„Ja,“ schrien die Kinder, und ein paar Ungeduldige drängten: „Fang doch an, sonst müssen wir zum Abendbrot nach Hause!“ Es war aber erst drei Uhr nachmittags, und das Kasperle lachte etwas. „Abwarten und Tee trinken!“ rief es. „Erst muß ich euch eine Geschichte erzählen. Wollt ihr sie wissen?“
„Ja, ja,“ ertönte es von unten herauf.
„Na, dann paßt mal auf! Glaubt ihr, daß ich lebendig bin?“
Die Kinder lachten, ein paar kleine sagten schüchtern ja, die größeren aber riefen alle: „Nä, du bist von Holz“ — „Von Blech,“ rief sogar ein Mädel.
„So,“ brummte Kasperle, „na, das glaube ich doch nicht!“ Dabei schlug er mit seinen hölzernen Armen und Beinen an die Bretterwand des Budchens. Es krachte laut, und die Kinder schrien alle: „Das klingt wie Holz, du bist von Holz.“
„So, gut, also ich bin von Holz. Es gibt aber ein ganz putzlebendiges Kasperle, glaubt ihr das?“
„Nä,“ brüllten wieder die Kinder, „so was gibt’s nicht.“
„Doch, so etwas gibt’s, und das Kasperle sieht aus wie ich, nur ist es viel, viel größer, so groß wie der da.“ Und Kasperle streckte seinen Holzarm aus und zeigte auf Gottfried Schlippermilch, der etwa acht Jahre alt war.
„Nä,“ schrie Gottfried entrüstet, „das ist nicht wahr! Ich bin nicht wie ’n Kasperle.“
„Doch, es ist wahr, und nun kommt meine Geschichte.“
„Nä, das ist nicht wahr!“ Gottfried war sehr entrüstet, daß er Ähnlichkeit mit einem Kasperle haben sollte, und seine Kameraden mußten ihm erst ein Weilchen gut zureden, bis er schließlich sich beruhigte und still wurde.
Kasperle beugte sich weit vor und begann: „Ja, denkt euch, es gibt ein lebendiges, flinkes, lustiges Kasperle, und das wohnt seit vielen Jahren in einem Waldhaus. Das Häuschen gehört einem Kasperleschnitzer, der auch mich geschnitzt hat, und darum sehe ich so aus wie das putzlebendige Kasperle.“
„I nä!“ schrien ein paar Buben erstaunt, und Kasperle nahm flink eine alte Kartoffel und warf sie dem dicken Hansjörg an die Nase. Klatsch! Das knallte nur so.
„Stille sein!“ schrie Kasperle. „Was ich erzähle, ist wahr!“
Hansjörg rieb sich erschrocken seine Nase, und er klappte vor lauter Angst seinen Mund nun gar nicht mehr zu, doch auch die andern schwiegen ein wenig erschrocken, und Kasperle fuhr fort zu erzählen: „Das lebendige Kasperle hat einmal ewig lange geschlafen, vielleicht achtzig Jahre und noch länger. Da hat es in einem alten Schrank gesteckt, und niemand wußte es. Meister Friedolin, der Kasperleschnitzer, aber hat eines Tages in dem Schrank herumgekramt und dabei das schlafende Kasperle entdeckt. Wie das ans Licht gekommen ist, ist’s aufgewacht.“
„Was hat’s denn da gemacht?“ Ein Stimmlein klang hell aus dem Kindergewühl heraus, und diesmal warf Kasperle keine Kartoffel, es drohte nur mit seiner steifen Holzhand, gab aber doch Antwort. „Dummheiten hat’s gemacht, nichts wie Dummheiten. Das Waldhaus hat es bald auf den Kopf gestellt, und dann ist es ausgerissen.“
Viele Ahs und Ohs ertönten. Die Kinder sahen sich um, ob gar das Kasperle hierher ausgerissen wäre, ein paar Buben aber schrien laut: „Das ist fein!“ — „Potz Wetter! Was sagt ihr da?“ schrie Kasperle empört. „Fein, fein! Na, ich danke. Frech war es, so frech wie eure Nasen. Und wie hat sich das Kasperle aufgeführt, o jegerle! Erst ist’s in ein Dorf gelaufen, — Protzendorf heißt es — nachdem es ein paar Büblein Hosen und Jacke weggenommen, hat sich dort als Gänsejunge verdingt und dabei die armen Gänse halb tot gehütet; dann hat es den braven Schäfer Damian und seinen Bruder Florian schlimm geärgert, und nachher ist’s wieder ausgerissen.“
„Fein!“ schrien wieder ein paar Buben. Diesmal warf Kasperle wütend ein paar trockene Kienäpfel von oben herab. Klatsch, klatsch! Einen bekam Drehers Frieder an die Nase, der andere hopste auf drei Köpfen herum, immer von einem zum andern.
„Das ist frech!“ schrien sie wieder.
„Ih, frech war Kasperles Ausreißen!“ zeterte oben das Kasperle. „Und frech war es, was er dann tat. Dem Grafen von Singerlingen ist er hinten auf den Wagen aufgesprungen; so ist er mit in ein Schloß gefahren, dort ist er in die Schlagsahne gefallen und hat sich in des Herzogs, unseres Herzogs, Bett gelegt.“
„Fein!“ schrien wieder ein paar Buben, aber da drohte Kasperle: „Ihr werdet eingesperrt.“
Da verstummten die Schreier flink, und Kasperle erzählte weiter: „Unser guter Herzog August Erasmus war damals bei dem Grafen von Markfeld zu Gaste, eine Hochzeit wurde im Schloß gefeiert, und da hat das Kasperle herumgespukt. Die kleine Gräfin Rosemarie — sie ist jetzt eine schöne junge Dame und wird nächstens einen Grafen heiraten — hat den kleinen Unnützling aus Mitleid erst in ihr Puppenbett gesteckt, dann ihm geholfen, daß er ausreißen konnte.“
„Fein, fein!“ brüllten wieder die Kinder. Da wurde Kasperle wütend, er schrie: „Potztausend! Das hättet ihr wohl auch getan?“
„Ja, ja!“ jauchzten die Kinder. „Er soll nur kommen, wir helfen ihm schon!“
Einige Augenblicke war Kasperle muckstill; der Kasperlemann, der hinter dem roten Vorhang stand, fuhr sich mit seinem schwefelgelben Schnupftuch über das Gesicht. Er ärgerte sich. „So ist nun das Kindervolk! Da reise ich von Jahrmarkt zu Jahrmarkt, bin auf Schützenfesten, überall und immer, wenn ich erzähle: ‚Kasperle ist ausgerissen‘, schreien die dummen Kinder: ‚Fein, fein!‘ — Haue müßten sie alle haben!“
„Kasperle soll weiterreden,“ verlangten die Kinder vor dem Budchen.
Da ließ der Kasperlemann das hölzerne Kasperle wieder zappeln. Er steckte aber selbst seinen Kopf heraus und erzählte weiter: „Trotzdem die Landjäger aufpaßten, gelang es dem schlimmen lebendigen Kasperle doch, zu entkommen. Hoch hinauf in die Berge in das Dorf Waldrast hat er sich geflüchtet, und der Schullehrer dort hat sich seiner gar liebreich angenommen. Aber als Dank hat Kasperle nichts wie Dummheiten gemacht.“
„Was hat er denn getan?“ Hansjörg drängte sich ganz vor, und klatsch! schlug ihm Kasperle mit dem Bein an die Nase.
„Au!“ Hansjörg brüllte, die andern schrien: „Sei doch still! Wir wollen hören, wie’s weiter geht. Was hat Kasperle gemacht?“
„Nichts als Unsinn, und vor allem hat er die base Mummeline im Schulmeisterhaus schlimm geärgert. Die hat aber herausgekriegt, daß es mit dem Kasperle nicht richtig war, und da sind Landjäger nach Waldrast gekommen, die haben Kasperle fangen wollen, denn der Herr Herzog August Erasmus hatte eine hohe Belohnung dem versprochen, der Kasperle fangen würde.“
„O jemine! Die haben ihn wohl gefangen?“
„I bewahre! Stille doch, Kinder! Ausgerissen ist — —“
„Hurra, hurra!“
Der Kasperlemann ärgerte sich mehr und mehr, die Kinder jauchzten immer lauter, und von den andern Buden schauten die Leute neugierig herüber. „Beim Kasperle geht’s mal wieder lustig zu,“ sagten sie.
„Stille, Kinder! Sonst erzähle ich nicht weiter,“ schrie der Kasperlemann.
„Ach ja doch, bitte, bitte, wohin ist Kasperle gelaufen?“
„Erst auf den Kirchturm; da hat er die Glocken geläutet, so daß sie alle im Dorf gedacht haben, es brenne, und in der Verwirrung und in der Dunkelheit ist — ritsch ratsch! — das Kasperle ausgerissen.“
„Hurra, Kasperle soll leben!“
„Tut er ja auch,“ brummte der Kasperlemann. „Und gut hat er dann eine Weile gelebt; in des Herzogs Jagdschloß hat er beinahe die Räucherkammer leergegessen mit seinem Freund, dem Geißbuben Michele. Das Michele hat dem Kasperle in das Schloß hinein geholfen, und als da der Herzog August Erasmus unversehens gekommen ist, hat sich Kasperle in eine verborgene Kammer geflüchtet, und alle im Schloß haben gedacht, es spuke ein Gespenst darin.“
„Uje, das ist aber fein! Ich will auch mal Gespenst sein,“ schrie Hansjörg.
„Ich auch, ich auch! Gespenst sein, ist fein,“ echote es. „Morgen spielen wir Gespenster!“
„Wie hat er es denn als Gespenst gemacht?“
Das schwätzte laut vor dem Budchen durcheinander, und der Kasperlemann brummte: „So dumm bin ich nicht, euch das zu verraten. Wer spukt, kriegt was auf den Hosenboden, und nun still! Wer redet, bekommt einen Nasenstüber.“
Da waren die Kinder wieder muckstill, und der Kasperlemann erzählte weiter: „Na, kurz und gut, sie haben es im Schloß herausgekriegt, wo das Gespenst war, und da hat es Kasperle mit der Angst gekriegt und ist durch einen geheimen Gang entflohen. Vorher aber hat der Bösewicht dem Herzog noch einen schweren Geldbeutel auf den Magen geworfen.“
„War Geld drinnen?“ Hansjörg riß seinen Mund wieder sperrangelweit auf, und der Kasperlemann brummte: „Schafskopf, natürlich! Von was wäre er sonst schwer gewesen! Wer jetzt aber noch ein Wort dazwischenredet, muß drei Pfennige zahlen.“
„Ich hab’ nur einen Pfennig!“ jammerte Minchen Hirsebrei.
„Na, dann halt den Schnabel! — Also, hört zu! Das Michele hat dann Kasperle wieder geholfen. Der ist ausgerissen, und wißt ihr, wohin er geraten ist?“
„Nä!“ schrien die Kinder.
„Nach Torburg.“
„Wir wollen ihn sehen, wir wollen ihn sehen!“ kreischten die Kinder; Torburg lag im Tal; nur eine Stunde weit war es von Wutzelheim entfernt.
„Donnerwetter, bleibt doch da!“ Der Kasperlemann erschrak ordentlich. Alle Kinder wollten davonlaufen, und er saß dann da und hatte keine Pfennige.
„Er ist ja nicht mehr dort,“ rief er darum schnell.
„Ach so!“ jammerten die Wutzelheimer Kinder enttäuscht.
„Wo ist er dann?“ Hansjörg drängte sich wieder ganz nahe an das Budchen, und klitsch! bekam er einen Backenstreich, aber tüchtig. Kasperle schlug mit seinem Holzbein derb zu, und Hansjörg brach in ein Jammergeheul aus: „Ich sag’s meinem Vater! Ich sag’s meiner Mutter, Kasperle hat mir gehaut!“
„Sei doch nicht dumm!“ Die andern Kinder zerrten Hansjörg, der davonlaufen wollte, zurück, und der Kasperlemann fuhr zu erzählen fort: „Also, in Torburg wohnte ein alter Gärtner, Meister Helmer, in einem wunderschönen Garten, der nahm das Kasperle als Gärtnerburschen an. Dort hat er ein Weilchen gelebt, bis ich eines Tages nach Torburg kam und erfuhr, Kasperle sei dort. Nun hatte der Herzog August Erasmus eine noch höhere Belohnung ausgesetzt; die wollte ich mir verdienen und Kasperle fangen und —“
„Pfui!“ Bums sauste ein Holzpantoffel in die Kasperlebude hinein, schlug dem hölzernen Kasperle ein Stück von seiner Nase ab und traf des Kasperlemannes Bauch. Da schrie der nun auch und jammerte laut. Fritze Dünnebein aber, der den Pantoffel geworfen hatte, reckte sich stolz auf: „Warum haste Kasperle fangen wollen!“ brüllte er. „Das war böse.“
„Du Dummkopf!“ Der Holzpantoffel kam zurück, aber er traf Fritze nicht; der fing ihn auf, steckte wieder seinen Fuß hinein und sagte patzig: „Ich geb’ dir keinen Pfennig, weil du Kasperle gefangen hast.“
„Dumm, dumm, dumm!“ schrie der Kasperlemann. „Ich hab’ ihn doch nicht gefangen! Da ist nämlich der Meister Severin gekommen, ein Geiger und Instrumentenmacher, der allen Instrumenten eine Seele geben kann, der hat ritsch, ratsch das Kasperle genommen und es in einen schwarzen Kasten gesteckt und es in das Waldhaus zurückgetragen.“
„Hurra, das ist fein! Der Meister Severin gefällt uns,“ brüllten die Kinder. Hansjörg aber fragte bedächtig: „Und wo ist’s Kasperle nu?“
„Na, im Waldhaus!“
„Immer noch?“
„Ja, freilich! Jetzt hat er Angst; wenn er nämlich von des Herzogs Landjäger erwischt wird, ergeht es ihm übel. Dann wird er ins Loch gesteckt.“
„Er soll dort bleiben,“ kreischten die Kinder.
„Nein, er soll nicht dort bleiben,“ rief der Kasperlemann grimmig, „ich will ihn fangen. Unser guter Herzog August Erasmus hat jetzt immer so arg das Zipperlein, und er möchte einen solchen Spaßmacher haben, der ihm die Langeweile vertreibt; da hat er die Belohnung erhöht, er will gern das Kasperle haben.“
Die Kinder sahen sich an. Na, als Spaßmacher im herzoglichen Schloß leben, das mußte doch für ein Kasperle ganz lustig sein. Sie fragten etwas erstaunt: „Geht Kasperle net hin?“
„I bewahre, fällt ihm nicht ein! Der fürchtet sich vor dem Herzog und bleibt im Waldhaus bei Meister Friedolin und Mutter Annettchen.“
„Und der Meister Severin?“
„Der lebt auch im Waldhaus. Der hat die schöne Liebetraut geheiratet, Meister Friedolins Pflegetochter. Alle leben sie vergnügt zusammen, und unser Herzog kann das Kasperle nicht fangen.“
Das erschien den Kindern doch seltsam. Ein Herzog, der Landjäger hatte, der konnte doch Kasperle aus dem Waldhaus holen lassen, wenn er wußte, wo er war. Hansjörg fragte darum: „Warum holt er ihn net?“
„Weil das Landhaus im Lande des Fürsten Johann Jakob Joseph Jeremias XXXIX. steht, und das ist unsers Herzogs Feind. Der sagt: ‚Kasperle kann bleiben, wo er ist, der Herzog August Erasmus soll ihn nicht bekommen.‘“
„Und das Michele?“ fragte Minchen Hirsebrei mit feinem Stimmlein. „Hütet das noch die Geißen?“
„Dumm, dumm, dumm!“ Der Kasperlemann schüttelte sich ärgerlich. „Die Geschichte, die ich euch erzählt habe, ist geschehen, als ihr alle noch kaum auf der Welt gewesen seid. Das Michele ist inzwischen groß und stattlich geworden und ein weltberühmter Geiger. Meister Severin hat ihm eine Geige geschenkt, die eine wunderbar zarte Seele hat, und dann hat er ihn unterrichtet. Jetzt reist Michele von Land zu Land, er spielt an Königshöfen und in großen Städten und —“
Da schwieg der Kasperlemann auf einmal und die Kinder brüllten: „Und, und, was ist und?“
„Ach, papperlapapp, das versteht ihr nicht! Jetzt gebt mal eure Pfennige her! Die Geschichte ist aus.“ „Nä, noch net!“ Hansjörg stellte sich breitbeinig vor das Budchen hin und fragte: „Ich muß noch wissen, ob nun Kasperle auch so groß wie Michele geworden ist.“
„Unsinn, du Quatschpeter! Ein Kasperle wächst nicht, das bleibt immer nur so groß wie ein kleiner Junge,“ brummte der Kasperlemann. „Nun raus mit den Pfennigen!“
„Leben die Leute in Waldrast noch?“ rief Fritz Dünnebein.
„Freilich, freilich, selbst die base Mummeline!“
„Und wen heiratet die Gräfin Rosemarie?“ Ein kleines blondes Mädelchen, das Agathchen Morgenschön, stellte sich auf die Fußspitzen, damit es unter den langen Buben auch gesehen werde. „Die schöne junge Gräfin Rosemarie heiratet den Grafen von Singerlingen,“ brummte der Kasperlemann. „Der ist freilich schon ein bißchen alt für sie, aber weil ihre Eltern gestorben sind, will der Herzog, der ihr Vormund ist, sie verheiraten. Sie will den Grafen gar nicht gern, aber sie muß ihn halt nehmen.“ Da hielt sich Agathchen Morgenschön das Schürzlein vor die Augen, sie brach in Tränen aus und rief klagend: „Die arme, arme Gräfin Rosemarie!“
„Ach, potz Wetter, laß das Geflenne! Was geht dich die Gräfin Rosemarie an!“ schrie der Kasperlemann. „Raus mit den Pfennigen!“
Da erhob sich plötzlich auf dem Platz ein lauter Lärm, Stimmen schwirrten auf: „Haltet ihn, haltet ihn!“ Und da es keinen Löwen in Wutzelheim zu halten gab, mußte es jemand anders sein. Die Kinder drehten sich alle blitzschnell um, da sahen sie, wie sich ein Affe von Bude zu Bude schwang. Der war aus der Tierbude entflohen.
„Haltet ihn, haltet ihn!“ ertönte es wieder.
Der Affe saß auf einem Leinwanddach und grinste von oben herab. Da vergaßen die Kinder alle miteinander den Kasperlemann und sein Kasperle, sie vergaßen aber auch, ihre Pfennige zu zahlen, sie rannten alle nach der Bude hin, auf der das Äffchen saß; selbst Agathchen Morgenschön vergaß die liebliche Gräfin Rosemarie, die den alten Grafen von Singerlingen heiraten mußte.
Vergeblich rief der Kasperlemann den Kindern nach: „Meine Pfennige, meine Pfennige!“
Husch, husch, war der Platz vor dem Budchen leer. Verdutzt sah der Kasperlemann den Kindern nach.
„Das ist doch ein unnützes Gesindel, dies Kindervolk!“ brummte er ärgerlich. „Alle meine schönen Pfennige sind futsch.“ Er nahm seine Klingel und ließ sie laut tönen: „Bimmlimbim, bimmelimbim!“
Aber ach, du lieber Himmel, keine Bubenbeine, keine Mädelfüße kamen angelaufen! Über den weiten Platz hin tönte das Rufen und Schreien: „Haltet ihn, haltet ihn, fangt den Affen!“
Der sprang von Bude zu Bude, geriet schließlich an die Kletterstange und kletterte hinauf. Hurra, da wollten gleich zehn Buben ihm nach, aber der Mann neben der Kletterstange wehrte ab. „Gemach, gemach, immer langsam voran! Hansjörg, klettere du zuerst!“
Da kletterte Hansjörg, und als er beinahe oben war, warf ihm der Affe einen oben angebundenen Groschenwecken platsch ins Gesicht.
Da verlor Hansjörg das Gleichgewicht und sauste samt dem Wecken von oben herunter.
Fritze Dünnebein und Klaus Brenner ging es nicht besser. Ein Bube nach dem andern versuchte sein Heil, aber auf einmal besann sich oben das Äfflein und ließ Gottfried Schlippermilch, der vorher sehr wichtig getan und gesagt hatte: „Ich schaff’s schon,“ ziemlich nahe kommen, dann ritsch, ratsch! fuhr es dem Buben in die Haare, daß es dem himmelangst wurde. Er schrie und zappelte, und als ihn das Äffchen los ließ, plumpste er wie ein dicker, reifer runder Apfel von oben herab, mitten in die Zuschauer hinein.
Da lag auf einmal nicht Gottfried allein am Boden, sondern noch etliche andere auch, sogar der dicke Herr Bürgermeister saß unversehens da. Der schalt weidlich über den Affen und die Buben, aber er wußte auch nicht, wie der Affe herunterzuholen war. Darum sagte er, der Nachtwächter müsse sich unten an die Stange stellen und aufpassen, die ganze Nacht hindurch; wenn der Affe Hunger bekäme, würde er schon herabkommen.
Das fanden alle sehr gescheit. Einstweilen blieben freilich noch die Kinder an der Stange stehen und warteten, bis ihnen ihre Mäglein knurrten, als säße in jedem ein hungriger Wolf. Da rannten sie geschwinde heim. Der Kasperlemann ließ wieder seine Klingel ertönen, aber die Pfennige blieben alle in den Kindertaschen stecken. Es war schon schlimm. Und dabei ahnte der Kasperlemann nicht einmal, daß die Kinder von seiner schönen Geschichte sagten: „Sie ist ja gar nicht wahr! Er hat uns nur etwas vorgeflunkert; ein lebendiges Kasperle das gibt es ja gar nicht!“
Nur Agathchen Morgenschön lief zur Bude hin und wollte ihren Pfennig abgeben, aber da hatte schwuppdewupp der Kasperlemann gerade zugeschlossen. Ganz bitterböse war er und dachte: Daran ist nur das unnütze lebendige Kasperle schuld! Na, wenn ich das erst fange!
Es gab nämlich wirklich ein richtiges lebendiges Kasperle, und der Kasperlemann hatte den Kindern eine wahre Geschichte erzählt. Wenn sie es auch nicht glaubten, wahr war die Geschichte doch.