In tiefem Dunkel kam ich zu mir, gequält von Schmerzen, an Händen und Füßen gefesselt, betäubt von vielen fremdartigen Geräuschen. Die ganze Welt hob sich bald taumelnd in die Höhe, bald sauste sie taumelnd hinab. Ich brauchte eine ganze Weile, bis mir klar wurde, dass ich im Rumpf des Schiffes lag, und der Wind offenbar zu Sturmstärke angewachsen war.
Als ich meine traurige Lage voll begriff, überfielen mich schwärzeste Verzweiflung, eine tiefe Reue über meine grenzenlose Torheit und ein leidenschaftlicher Zorn gegen meinen Oheim. Dann schwanden mir abermals die Sinne.
Als ich wieder ins Leben zurückkehrte, kam zu allen anderen Übeln auch noch die Seekrankheit hinzu. Ich hatte keinerlei Zeitmaß. Tag und Nacht glichen einander in der stinkenden Höhle des Schiffsbauches. Schließlich schlief ich ein.
Eine Handlaterne leuchtete mir ins Gesicht, und ich erwachte. Vor mir stand ein kleiner Mann von etwa dreißig Jahren, mit grünen Augen und einem blonden Haarschopf. "Nun", sagte er, "wie geht's?"
Ich antwortete mit einem Stöhnen. Der Besucher fühlte meinen Puls und begann, die Wunden an meinem Kopf zu waschen und zu verbinden. Dabei meinte er: "Das war ein böser Streich, mein Junge! Nur Mut! Das war ein schlechter Anfang! Versuche du etwas besseres daraus zu machen! Hast du schon was gegessen?"
Ich wollte kein Essen. Da gab er mir etwas Branntwein und ließ mich wieder allein.
Als er das nächste Mal kam, war die Seekrankheit fast vorbei, aber mir war sehr schwindlig. Überdies schmerzten alle meine Glieder, und die Fesseln brannten wie Feuer. Ratten waren mir zuweilen über's Gesicht gelaufen. Diesmal folgte dem Grünäugigen der Kapitän. "Da, seht selbst", sagte der erste, "hohes Fieber, keine Esslust, kein Licht, keine Speise! Ich will, dass der Junge aus dieser Höhle herauskommt auf das Vorderdeck!"
"Was Ihr wollt, Sir, das geht niemanden weiter an als Euch selbst", antwortete der Kapitän. "Ich kann Euch sagen, was geschehen wird: Hier ist er, und hier bleibt er!"
"Sicher seid Ihr angemessen dafür bezahlt worden", sagte der andere, "aber ich habe nicht mehr bekommen als meinen Lohn als zweiter Offizier. Für etwas anderes bin ich nicht bezahlt worden!"
"Wenn Ihr nicht so viel trinken würdet, hätte ich keine Klagen über Euch, Mister Riach. Wir müssen wieder an Deck!", fügte er in schärferem Ton hinzu und setzte seinen Fuß auf die Leiter.
Aber Mister Riach packte ihn am Ärmel. "Vielleicht seid Ihr angemessen bezahlt worden für diesen Menschenmord!"
Mit blitzenden Augen wandte sich Hoseason um. "Was soll das heißen? Was sind das für Reden? Mister Riach, ich bin dreimal mit Euch über den Teich gefahren. In dieser Zeit solltet Ihr mich kennen gelernt haben! Ich bin hart, meinetwegen, aber was Ihr da sagt - pfui! Ihr meint wirklich, der Bursche müsste sterben?"
"Jawohl, muss er!", sagte Riach.
"Gut, Sir", rief Hoseason, "bringt ihn, wohin Ihr Lust habt!"
Der Kapitän kletterte die Leiter hinauf. Ich hatte während der ganzen Unterhaltung wortlos auf meinem Platz gelegen. Ich hatte dabei bemerkt, dass der Steuermann etwas angetrunken war, aber vielleicht könnte er sich noch als wertvoller Freund erweisen.
Fünf Minuten später waren meine Fesseln durchgeschnitten. Ein Mann lud mich auf den Rücken, trug mich auf's Vorderdeck und legte mich in eine Koje auf ein paar Decken. Endlich sah ich Tageslicht! Ich befand mich in menschlicher Gesellschaft! In anderen Schlafkojen saßen die Leute von der Freiwache rauchend oder lagen schlafend. Der Tag war ruhig, der Wind günstig, die Luke stand offen, und das liebe Tageslicht fiel herein. Einer von den Leuten brachte mir einen Heiltrunk, den Riach zubereitet hatte. Er sagte, ich solle ruhig liegen, dann würde es mir bald besser gehen.
So lag ich viele Tage. Ich gewann meine Gesundheit wieder und lernte meine Mitfahrenden kennen. Sie waren eine raue Bande, wie Matrosen es meist sind. Einige von ihnen waren mit Piraten zur See gefahren und hatten schreckliche Dinge gesehen. Manche waren von den Schiffen des Königs desertiert und trugen deshalb den Galgenstrick um den Hals. Alle waren auf ein bloßes Wort hin mit dem Knüttel zur Hand, auch ihren besten Freunden gegenüber.
Doch kaum war ich ein paar Tage mit ihnen zusammen, so schämte ich mich wegen meines raschen Urteils über sie. Kein Mensch ist ganz schlecht, jeder hat seine eigenen Fehler und Vorzüge, und meine Schiffsmannschaft bildete da keineswegs eine Ausnahme. Rau waren sie sicher und wahrscheinlich auch schlecht, aber sie hatten dabei viele gute Seiten. Manchmal waren sie sogar freundlich, und eine gewisse Ehrlichkeit war ihnen nicht fremd.
Ein etwa vierzigjähriger Mann war darunter, der stundenlang an meiner Koje saß und mir von seiner Frau und seinem Kind erzählte. Er war ein Fischer, der sein Boot verloren hatte und nun gezwungen war, als Matrose zu dienen.
Etwas Gutes, das sie mir erwiesen, war, dass sie mir mein Geld zurückgaben, das sie schon unter sich aufgeteilt hatten. Zwar war es nun etwa ein Drittel weniger als zuvor, doch ich freute mich sehr darüber. Vielleicht würde es noch einmal wichtig für mich sein!
Das Schiff sollte nach den beiden Carolina segeln, wo ich als weißer Sklave auf einer Plantage verkauft werden sollte. Zu diesem Schicksal hatte mich mein Oheim verurteilt.
Ransome, der Schiffsjunge, kam zuweilen zu mir. Bald rieb er sich in wortloser Qual ein paar zerschlagene Knochen, bald tobte er über die Härte und Grausamkeit des Mister Shuan. Aber die Leute zeigten höchste Achtung vor dem Obermaat, der ihrer Meinung nach der einzige Seemann auf der ganzen Kiste war. Wenn er nüchtern wäre, sei er gar nicht so übel.
Wirklich bestand ein merkwürdiger Unterschied zwischen unseren beiden Steuerleuten: Riach war mürrisch, unfreundlich und abweisend, wenn er nicht getrunken hatte. Shuan aber tat keiner Fliege was zuleide, außer wenn er trank.
Während unserer Fahrt versuchte ich, einen besseren Menschen aus Ransome zu machen. Er solle an Land leben und etwas lernen. Wenn er gerade mal wieder verletzt war, weinte er bitterlich und schwor wegzulaufen. Aber wenn er ein Glas Schnaps bekommen hatte, spottete er über meine Überredungskünste. Den Schnaps bekam er von Mister Riach. Einige der Matrosen lachten über die dummen Reden, die Ransome dann hielt, aber nicht alle.
Die ganze Zeit über hatte die ‚Covenant' mit Gegenwinden zu kämpfen. Sie rollte auf und ab in den Wellen, so dass die Luke fast dauernd geschlossen blieb und im Vorderdeck nur das Licht der hin und her schwingenden Laterne war. Die Stimmung der Leute wurde immer schlechter. Es gab Gebrumm und Streit den ganzen Tag. Was sollte ich aber sagen? Mir war auch jetzt noch nicht erlaubt, auch nur den Fuß an Deck zu setzen! Man kann sich wohl denken, wie ungeduldig ich mir die Veränderung meiner Situation wünschte.
Als Mister Riach einmal in angeheitertem Zustand war, setzte er sich zu mir. Ich verpflichtete ihn zu Verschwiegenheit und erzählte meine ganze Geschichte. Er erklärte, dass er mir nach Kräften helfen wolle. Ich sollte Papier, Feder und Tinte bekommen, sollte ein paar Zeilen an Mister Campbell und ein paar an Mister Rankeillor schreiben; und Mister Riach war sich sicher, dass die Hilfe der beiden mich durchbringen und mir zu meinen Rechten verhelfen werde.
Er sagte mir auch, dass ich nicht der Einzige bin, dem Unrecht widerfahren sei. "Sieh mich an! Ich bin ein Herrensohn und ein halb gelernter Arzt. Und was bin ich hier? Hoseasons Narr!"