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Buddenbrooks-Zehnter Teil-Zweites Kapitel

时间:2022-04-12来源:互联网 字体:[ | | ]  进入德语论坛
(单词翻译:双击或拖选) 标签: Zehnter Teil
Niemals vermochte Thomas Buddenbrook mit dem Blicke matten Mißmutes, mit dem er den Rest seines eigenen Lebens erwartete, auch in die Zukunft des kleinen Johann zu sehen. Sein Familiensinn, dieses ererbte und anerzogene, rückwärts sowohl wie vorwärts gewandte, pietätvolle Interesse für die intime Historie seines Hauses hinderte ihn daran, und die liebevolle oder neugierige Erwartung, mit der seine Freundschaft und Bekanntschaft in der Stadt, seine Schwester und selbst die Damen Buddenbrook in der Breiten Straße seinen Sohn betrachteten, beeinflußte seine Gedanken. Er sagte sich mit Genugtuung, daß, wie aufgerieben und hoffnungslos auch immer er selbst für seine Person sich fühlte, er angesichts seines kleinen Erbfolgers stets belebender Zukunftsträume von Tüchtigkeit, praktischer und unbefangener Arbeit, Erfolg, Erwerb, Macht, Reichtum und Ehren fähig war … ja, daß an dieser einen Stelle sein erkaltetes und künstliches Leben zu warmem und aufrichtigem Sorgen, Fürchten und Hoffen wurde.
 
Wie, wenn er selbst noch dereinst auf seine alten Tage, von einem Ruhewinkel aus, den Wiederbeginn der alten Zeit, der Zeit von Hannos Urgroßvater, erblicken dürfte? War diese Hoffnung denn so gänzlich unmöglich? Er hatte die Musik als seine Feindin empfunden; aber hatte es denn in Wirklichkeit eine so ernste Bewandtnis damit? Zugegeben, daß die Liebe des Jungen zum freien Spiele ohne Noten von einer nicht ganz gewöhnlichen Veranlagung Zeugnis gab, – im regelrechten Unterrichte bei Herrn Pfühl war er keineswegs außerordentlich weit vorgeschritten. Die Musik, das war keine Frage, war der Einfluß seiner Mutter, und kein Wunder, daß während der ersten Kinderjahre dieser Einfluß überwogen hatte. Aber die Zeit begann, da einem Vater Gelegenheit gegeben wird, auch seinerseits auf seinen Sohn zu wirken, ihn ein wenig auf seine Seite zu ziehen und mit männlichen Gegeneindrücken die bisherigen weiblichen Einflüsse zu neutralisieren. Und der Senator war entschlossen, keine solche Gelegenheit unbenutzt zu lassen.
 
Hanno, nun elfjährig, war zu Ostern ebenso wie sein Freund, der kleine Graf Mölln, mit genauer Not und zwei Nachprüfungen, im Rechnen und in der Geographie, nach Quarta versetzt worden. Es stand fest, daß er die Realklassen besuchen sollte, denn daß er Kaufmann werden und dereinst die Firma übernehmen mußte, war selbstverständlich, und Fragen seines Vaters, ob er Lust zu seinem künftigen Berufe in sich verspüre, beantwortete er mit Ja … einem einfachen, etwas scheuen Ja ohne Zusatz, das der Senator durch weitere drängende Fragen ein wenig lebhafter und ausführlicher zu machen suchte – und zwar meistens vergebens.
 
Hätte Senator Buddenbrook zwei Söhne besessen, so hätte er den Jüngeren ohne Frage das Gymnasium absolvieren und studieren lassen. Aber die Firma verlangte einen Erben, und abgesehen hiervon glaubte er dem Kleinen eine Wohltat zu erweisen, wenn er ihn der unnötigen Mühen mit dem Griechischen überhob. Er war der Meinung, daß das Realpensum leichter zu bewältigen sei, und daß Hanno, mit seiner oft schwerfälligen Auffassung, seiner träumerischen Unaufmerksamkeit und seiner körperlichen Zartheit, die ihn allzuoft nötigte, die Schule zu versäumen, in den Realklassen ohne Überanstrengung schneller und ehrenvoller vorwärts kommen werde. Sollte der kleine Johann Buddenbrook einstmals das leisten, wozu er berufen war und was die Seinen von ihm erhofften, so mußte man vor allem darauf bedacht sein, seine nicht eben kräftige Konstitution durch Rücksichtnahme einerseits und durch rationelle Pflege und Abhärtung andererseits zu festigen und zu heben …
 
Mit seinem braunen Haar, das er jetzt seitwärts gescheitelt und schräg von seiner weißen Stirn zurückgebürstet trug, das aber dennoch danach strebte, sich in weichen Locken tief über die Schläfen zu schmiegen, mit seinen langen, braunen Wimpern und seinen goldbraunen Augen stach Johann Buddenbrook auf dem Schulhof und auf der Straße trotz seines Kopenhagener Matrosenanzuges stets ein wenig fremdartig unter den hellblonden und stahlblauäugigen, skandinavischen Typen seiner Kameraden hervor. Er war in letzter Zeit ziemlich stark gewachsen, aber seine Beine in den schwarzen Strümpfen und seine Arme in den dunkelblauen, bauschigen und gesteppten Ärmeln waren schmal und weich wie die eines Mädchens, und noch immer lagen, wie bei seiner Mutter, die bläulichen Schatten in den Winkeln seiner Augen, – dieser Augen, die, besonders wenn sie seitwärts gerichtet waren, mit einem so zagen und ablehnenden Ausdruck dareinblickten, während sein Mund sich noch immer auf jene wehmütige Art geschlossen hielt, oder während Hanno nachdenklich die Zungenspitze an einem Zahne scheuerte, dem er mißtraute, mit leichtverzerrten Lippen und einer Miene, als fröre ihn …
 
Wie man von Doktor Langhals erfuhr, der jetzt die Praxis des alten Doktor Grabow gänzlich übernommen hatte und Hausarzt bei Buddenbrooks war, hatte Hannos unzulänglicher Kräftezustand sowie die Blässe seiner Haut ihren triftigen Grund, und dieser bestand darin, daß der Organismus des Kleinen leider die so wichtigen roten Blutkörperchen in nicht genügender Anzahl produzierte. Dieser Unzuträglichkeit zu steuern aber gab es ein Mittel, ein ganz vortreffliches Mittel, das Doktor Langhals in großen Mengen verordnete: Lebertran, guter, gelber, fetter, dickflüssiger Dorschlebertran, der aus einem Porzellanlöffel zweimal täglich zu nehmen war; und auf entschiedenen Befehl des Senators sorgte Ida Jungmann mit liebevoller Strenge dafür, daß dies pünktlich geschah. Anfangs zwar erbrach sich Hanno nach jedem Löffel, und sein Magen schien den guten Dorschlebertran nicht beherbergen zu können; aber er gewöhnte sich daran, und wenn man gleich nach dem Niederschlucken ein Stück Roggenbrot mit angehaltenem Atem im Munde zerkaute, so ward der Ekel ein wenig beruhigt.
 
Alle übrigen Beschwerden waren ja nur Folgeerscheinungen dieses Mangels an roten Blutkörperchen, »sekundäre Erscheinungen«, wie Doktor Langhals sagte, indem er seine Fingernägel besah. Allein auch diesen sekundären Erscheinungen mußte unnachsichtig zu Leibe gegangen werden. Um die Zähne zu behandeln, zu füllen und gegebenen Falles zu extrahieren, dazu wohnte Herr Brecht mit seinem Josephus in der Mühlenstraße; und um die Verdauung zu regulieren, gab es Rizinusöl auf der Welt, gutes, dickes, silberblankes Rizinusöl, welches, aus einem Eßlöffel genommen, wie ein schlüpfriger Molch durch die Kehle glitschte und das man drei Tage lang roch, schmeckte, im Schlunde spürte, wo man ging und stand … Ach, warum war das alles doch so unüberwindlich widerlich? Ein einziges Mal – Hanno hatte recht krank zu Bette gelegen, und sein Herz hatte sich besondere Unregelmäßigkeiten zuschulden kommen lassen – war Doktor Langhals mit einer gewissen Nervosität zur Verschreibung eines Mittels geschritten, das dem kleinen Johann Freude gemacht und ihm so unvergleichlich wohlgetan hatte: und das waren Arsenikpillen gewesen. Hanno fragte in der Folge oftmals danach, von einem beinahe zärtlichen Bedürfnis nach diesen kleinen, süßen, beglückenden Pillen getrieben. Aber er erhielt sie nicht mehr.
 
Lebertran und Rizinusöl waren gute Dinge, aber darin war Doktor Langhals vollständig mit dem Senator einig, daß sie allein nicht hinreichten, den kleinen Johann zu einem tüchtigen und wetterfesten Manne zu machen, wenn er selbst nicht das Seine dazu täte. Da waren zum Beispiel, geleitet von dem Turnlehrer Herrn Fritsche, die Turnspiele, die zur Sommerszeit allwöchentlich draußen auf dem »Burgfelde« veranstaltet wurden und der männlichen Jugend der Stadt Gelegenheit gaben, Mut, Kraft, Gewandtheit und Geistesgegenwart zu zeigen und zu pflegen. Aber zum Zorne seines Vaters legte Hanno nichts als Widerwillen, einen stummen, reservierten, beinahe hochmütigen Widerwillen gegen solche gesunde Unterhaltungen an den Tag … Warum hatte er so gar keine Fühlung mit seinen Klassen- und Altersgenossen, mit denen er später zu leben und zu wirken haben würde? Warum hockte er beständig nur mit diesem kleinen, halb gewaschenen Kai zusammen, der ja ein gutes Kind, aber immerhin eine etwas zweifelhafte Existenz und kaum eine Freundschaft für die Zukunft war? Auf irgendeine Weise muß ein Knabe sich das Vertrauen und den Respekt seiner Umgebung, die mit ihm aufwächst und auf deren Schätzung er für sein ganzes Leben angewiesen ist, von Anfang an zu gewinnen wissen. Da waren die beiden Söhne des Konsuls Hagenström: vierzehn- und zwölfjährig, zwei Prachtkerle, dick, stark und übermütig, die in den Gehölzen der Umgegend regelrechte Faustduelle veranstalteten, die besten Turner der Schule waren, schwammen wie Seehunde, Zigarren rauchten und zu jeder Schandtat bereit waren. Sie waren gefürchtet, beliebt und respektiert. Ihre Cousins, die beiden Söhne des Staatsanwaltes Doktor Moritz Hagenström andererseits, von zarterer Konstitution und sanfteren Sitten, zeichneten sich auf geistigem Gebiete aus und waren Musterschüler, ehrgeizig, devot, still und bienenfleißig, bebend aufmerksam und beinahe verzehrt von der Begier, stets Primus zu sein und das Zeugnis Numero Eins zu erhalten. Sie erhielten es und genossen die Achtung ihrer dümmeren und fauleren Genossen. Was aber mochten, ganz abgesehen von seinen Lehrern, seine Mitschüler von Hanno halten, der ein höchst mittelmäßiger Schüler war und obendrein ein Weichling, welcher allem, wozu ein wenig Mut, Kraft, Gewandtheit und Munterkeit gehörte, scheu aus dem Wege zu gehen suchte? Und wenn Senator Buddenbrook, auf dem Wege zu seinem Ankleidezimmer, an dem »Altan« in der zweiten Etage vorüberging, so hörte er aus dem mittleren der drei dort oben gelegenen Zimmer, das Hannos war, seitdem er zu groß geworden, bei Ida Jungmann zu schlafen, die Töne des Harmoniums oder Kais halblaute und geheimnisvolle Stimme, die eine Geschichte erzählte …
 
Was Kai betraf, so mied er die »Turnspiele«, weil er die Disziplin und gesetzmäßige Ordnung verabscheute, die dabei beobachtet werden mußte. »Nein, Hanno«, sagte er, »ich gehe nicht hin. Du vielleicht? Hol's der Geier … Alles, was einem Spaß dabei machen würde, das gilt nicht.« Solche Redewendungen wie »Hol's der Geier« hatte er von seinem Vater; Hanno aber antwortete: »Wenn Herr Fritsche einen Tag nach etwas anderem röche als nach Schweiß und Bier, so ließe sich über die Sache reden … Ja, nun laß das nur, Kai, und erzähle weiter. Das mit dem Ringe, den du aus dem Sumpfe holtest, war noch lange nicht fertig …« »Gut«, sagte Kai; »aber wenn ich winke, so mußt du spielen.« Und Kai fuhr fort zu erzählen.
 
Durfte man ihm glauben, so war er vor einiger Zeit bei schwüler Nacht und in fremder, unkenntlicher Gegend einen schlüpfrigen und unermeßlich tiefen Abhang hinabgeglitten, an dessen Fuße er im fahlen und flackernden Schein von Irrlichtern ein schwarzes Sumpfgewässer gefunden hatte, aus dem mit hohl glucksendem Geräusch unaufhörlich silberblanke Blasen aufgestiegen waren. Eine aber davon, die, nahe dem Ufer, beständig wiedergekehrt war, sooft sie zersprungen, hatte die Form eines Ringes gehabt, und diese hatte er nach langen, gefahrvollen Bemühungen mit der Hand zu erhaschen verstanden, worauf sie nicht mehr zerplatzt war, sondern sich als glatter und fester Reif hatte an den Finger stecken lassen. Er aber, der mit Recht diesem Ringe ungewöhnliche Eigenschaften zugetraut hatte, war mit seiner Hilfe den steilen und schlüpfrigen Abhang wieder emporgelangt und hatte unweit davon in rötlichem Nebel ein schwarzes, totenstilles und ungeheuerlich bewachtes Schloß gefunden, in das er eingedrungen war und in dem er, immer mit Hilfe des Ringes, die dankenswertesten Entzauberungen und Erlösungen vorgenommen hatte … In den seltsamsten Augenblicken aber griff Hanno auf seinem Harmonium süße Akkordfolgen … Auch wurden, standen nicht unüberwindliche szenische Schwierigkeiten im Wege, diese Erzählungen mit Musikbegleitung auf dem Puppentheater dargestellt … Zu den »Turnspielen« aber ging Hanno nur auf ausdrücklichen und strengen Befehl seines Vaters, und dann begleitete ihn der kleine Kai.
 
Es war nicht anders mit dem Schlittschuhlaufen zur Winterszeit und mit dem Baden in der hölzernen Anstalt des Herrn Asmussen, unten am Fluß, im Sommer … »Baden! Schwimmen!« hatte Doktor Langhals gesagt. »Der Junge muß baden und schwimmen!« Und der Senator war vollständig damit einverstanden gewesen. Was aber hauptsächlich Hanno veranlaßte, sich vom Baden sowohl wie vom Schlittschuhlaufen und von den »Turnspielen«, sobald es nur immer anging, fernzuhalten, war der Umstand, daß die beiden Söhne des Konsuls Hagenström, die sich an allen diesen Dingen ehrenvoll beteiligten, es auf ihn abgesehen hatten und, obgleich sie doch in dem Hause seiner Großmutter wohnten, keine Gelegenheit versäumten, ihn mit ihrer Stärke zu demütigen und zu quälen. Sie kniffen und verhöhnten ihn bei den »Turnspielen«, sie stießen ihn in den Schneekehricht auf der Eisbahn, sie kamen im Schwimmbassin mit bedrohlichen Lauten durch das Wasser auf ihn zu … Hanno versuchte nicht zu entfliehen, was übrigens wenig nützlich gewesen wäre. Er stand da, mit seinen Mädchenarmen, bis zum Bauche in dem ziemlich trüben Wasser, auf dessen Oberfläche hie und da grüne Gebilde von Pflanzen, sogenanntes Gänsefutter, umhertrieben, und sah mit zusammengezogenen Brauen, einem finsteren Senkblick und leicht verzerrten Lippen den beiden entgegen, die, sicher ihrer Beute, mit langen, schäumenden Sprungschritten daherkamen. Sie hatten Muskeln an den Armen, die beiden Hagenströms, und damit umklammerten sie ihn und tauchten ihn, tauchten ihn recht lange, so daß er ziemlich viel von dem unreinlichen Wasser schluckte und lange nachher, sich hin und her wendend, nach Atem rang … Ein einziges Mal ward er ein wenig gerächt. Gerade als ihn nämlich eines Nachmittags die beiden Hagenströms unter die Wasserfläche hielten, stieß der eine von ihnen plötzlich einen Wut- und Schmerzensschrei aus und hob sein eines fleischiges Bein empor, von dem das Blut in großen Tropfen rann. Neben ihm aber kam Kai Graf Mölln zum Vorschein, welcher sich auf irgendeine Weise das Eintrittsgeld verschafft hatte, unversehens unter Wasser herbeigeschwommen war und den jungen Hagenström gebissen – mit allen Zähnen ins Bein gebissen hatte, wie ein kleiner wütender Hund. Seine blauen Augen blitzten durch das rötlich-blonde Haar, das naß darüber hing … Ach, es erging ihm schlecht für seine Tat, dem kleinen Grafen, und übel zugerichtet stieg er aus dem Bassin. Allein Konsul Hagenströms starker Sohn hinkte doch beträchtlich, als er nach Hause ging …
 
Nährende Mittel und körperliche Übungen aller Art – das war die Grundlage von Senator Buddenbrooks sorgenden Bemühungen um seinen Sohn. Nicht minder aufmerksam aber trachtete er danach, ihn geistig zu beeinflussen und ihn mit lebendigen Eindrücken aus der praktischen Welt zu versehen, für die er bestimmt war.
 
Er fing an, ihn ein wenig in das Bereich seiner zukünftigen Tätigkeit einzuführen, er nahm ihn mit sich auf Geschäftsgänge, zum Hafen hinunter und ließ ihn dabeistehen, wenn er am Kai mit den Löscharbeitern in einem Gemisch von Dänisch und Plattdeutsch plauderte, in den kleinen, finsteren Speicherkontoren mit den Geschäftsführern konferierte oder draußen den Männern einen Befehl erteilte, die mit hohlen und langgezogenen Rufen die Kornsäcke zu den Böden hinaufwanden … Für Thomas Buddenbrook selbst war dieses Stück Welt am Hafen, zwischen Schiffen, Schuppen und Speichern, wo es nach Butter, Fischen, Wasser, Teer und geöltem Eisen roch, von klein auf der liebste und interessanteste Aufenthalt gewesen; und da Freude und Teilnahme daran sich bei seinem Sohne von selbst nicht äußerten, so mußte er darauf bedacht sein, sie zu wecken … Wie hießen nun die Dampfer, die mit Kopenhagen verkehrten? Najaden … Halmstadt … Friederike Oeverdieck … »Nun, daß du wenigstens diese weißt, mein Junge, das ist schon etwas. Auch die anderen wirst du dir noch merken … Ja, von den Leuten, die da die Säcke hinaufwinden, heißen manche wie du, mein Lieber, weil sie nach deinem Großvater getauft sind. Und unter ihren Kindern kommt häufig mein Name vor … und auch der von Mama … Man schenkt ihnen dann jährlich eine Kleinigkeit … So, an diesem Speicher gehen wir vorüber und reden nicht mit den Männern; da haben wir nichts zu sagen; das ist ein Konkurrent …«
 
»Willst du mitkommen, Hanno?« sagte er ein andermal … »Ein neues Schiff, das zu unserer Reederei gehört, läuft heute nachmittag vom Stapel. Ich taufe es … Hast du Lust?«
 
Und Hanno gab an, daß er Lust habe. Er ging mit und hörte die Taufrede seines Vaters, sah zu, wie er eine Champagnerflasche am Bug zerschellte und blickte mit fremden Augen dem Schiffe nach, welches die gänzlich mit grüner Seife beschmierte schiefe Ebene hinab und in das hoch aufschäumende Wasser glitt …
 
An gewissen Tagen des Jahres, am Palmsonntag, wenn die Konfirmationen stattfanden, oder am Neujahrstage, unternahm Senator Buddenbrook zu Wagen eine Tournee von Visiten in einer Reihe von Häusern, denen er gesellschaftlich verpflichtet war, und da seine Gattin es vorzog, sich bei solchen Gelegenheiten mit Nervosität und Migräne zu entschuldigen, so forderte er Hanno auf, ihn zu begleiten. Und Hanno hatte auch hierzu Lust. Er stieg zu seinem Vater in die Droschke und saß stumm an seiner Seite in den Empfangszimmern, indem er mit stillen Augen sein leichtes, taktsicheres und so verschiedenartiges, so sorgfältig abgetöntes Benehmen gegen die Leute beobachtete. Er sah zu, wie er dem Oberstleutnant und Bezirkskommandanten Herrn von Rinnlingen, welcher beim Abschied betonte, er wisse die Ehre dieses Besuches sehr wohl zu schätzen, mit liebenswürdiger Erschrockenheit einen Augenblick den Arm um die Schulter legte; wie er an anderer Stelle eine ähnliche Bemerkung ruhig und ernst entgegennahm und sie an einer dritten mit einem ironisch übertriebenen Gegenkompliment abwehrte … Alles mit einer formalen Versiertheit des Wortes und der Gebärde, die er ersichtlich gern der Bewunderung seines Sohnes produzierte und von der er sich unterrichtende Wirkung versprach.
 
Aber der kleine Johann sah mehr, als er sehen sollte, und seine Augen, diese schüchternen, goldbraunen, bläulich umschatteten Augen beobachteten zu gut. Er sah nicht nur die sichere Liebenswürdigkeit, die sein Vater auf alle wirken ließ, er sah auch – sah es mit einem seltsamen, quälenden Scharfblick –, wie furchtbar schwer sie zu machen war, wie sein Vater nach jeder Visite wortkarger und bleicher, mit geschlossenen Augen, deren Lider sich gerötet hatten, in der Wagenecke lehnte, und mit Entsetzen im Herzen erlebte er es, daß auf der Schwelle des nächsten Hauses eine Maske über ebendieses Gesicht glitt, immer aufs neue eine plötzliche Elastizität in die Bewegungen ebendieses ermüdeten Körpers kam … Das Auftreten, Reden, Sichbenehmen, Wirken und Handeln unter Menschen stellte sich dem kleinen Johann nicht als ein naives, natürliches und halb unbewußtes Vertreten praktischer Interessen dar, die man mit anderen gemein hat und gegen andere durchsetzen will, sondern als eine Art von Selbstzweck, eine bewußte und künstliche Anstrengung, bei welcher, anstatt der aufrichtigen und einfachen inneren Beteiligung, eine furchtbar schwierige und aufreibende Virtuosität für Haltung und Rückgrat aufkommen mußte. Und bei dem Gedanken, man erwarte, daß auch er dereinst in öffentlichen Versammlungen auftreten und unter dem Druck aller Blicke mit Wort und Gebärde tätig sein sollte, schloß Hanno mit einem Schauder angstvollen Widerstrebens seine Augen …
 
Ach, das war die Wirkung nicht, die Thomas Buddenbrook von dem Einfluß seiner Persönlichkeit auf seinen Sohn erhoffte! Unbefangenheit vielmehr, Rücksichtslosigkeit und einen einfachen Sinn für das praktische Leben in ihm zu erwecken, auf nichts anderes waren all seine Gedanken gerichtet.
 
»Du scheinst gern gut zu leben, mein Lieber«, sagte er, wenn Hanno eine zweite Portion Dessert oder eine halbe Tasse Kaffee nach dem Essen erbat … »Da mußt du ein tüchtiger Kaufmann werden und viel Geld verdienen! Willst du das?« Und der kleine Johann antwortete: »Ja.«
 
Dann und wann, wenn die Familie beim Senator zu Tische gebeten war und Tante Antonie oder onkel Christian nach alter Gewohnheit sich über die arme Tante Klothilde lustig zu machen und in der ihr eigenen langgedehnten und demütig-freundlichen Sprache mit ihr zu reden begannen, so konnte es geschehen, daß Hanno, unter der Einwirkung des unalltäglich schweren Rotweines, einen Augenblick auch seinerseits in diesen Ton geriet und sich mit irgendeiner Mokerie an Tante Klothilde wandte. Dann lachte Thomas Buddenbrook – ein lautes, herzliches, ermunterndes, fast dankbares Lachen, wie ein Mensch, dem eine hocherfreuliche, heitere Genugtuung zuteil geworden ist, ja, er fing an, seinen Sohn zu unterstützen und selbst in die Neckerei einzustimmen: und doch hatte er sich eigentlich seit Jahr und Tag dieses Tones gegen die arme Verwandte begeben. Es war so billig, so gänzlich gefahrlos, seine Überlegenheit über die beschränkte, demütige, magere und immer hungrige Klothilde geltend zu machen, daß er es trotz aller Harmlosigkeit, die dabei herrschte, als gemein empfand. Mit Widerstreben empfand er es so, mit jenem verzweifelten Widerstreben, das er alltäglich im praktischen Leben seiner skrupulösen Natur entgegensetzen mußte, wenn er es wieder einmal nicht fassen, nicht darüber hinwegkommen konnte, wie es möglich sei, eine Situation zu erkennen, zu durchschauen und sie dennoch ohne Schamempfindung auszunutzen … Aber die Situation ohne Schamgefühl auszunutzen, sagte er sich, das ist Lebenstüchtigkeit!
 
Ach, wie froh, wie glücklich, wie hoffnungsvoll entzückt er über jedes geringste Anzeichen dieser Lebenstüchtigkeit war, das der kleine Johann an den Tag legte! 
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