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Buddenbrooks-Sechster Teil-Sechstes Kapitel

时间:2022-03-21来源:互联网 字体:[ | | ]  进入德语论坛
(单词翻译:双击或拖选) 标签: Sechster Teil
Dunst lag über der Stadt, aber Herr Longuet, Mietkutschenbesitzer in der Johannisstraße, der um acht Uhr in eigener Person einen gedeckten, aber an allen Seiten offenen Gesellschaftswagen in der Mengstraße vorfuhr, sagte: »In 'ner lütten Stund' is de Sünn durch«, und somit konnte man beruhigt sein.
 
Die Konsulin, Antonie, Herr Permaneder, Erika und Ida Jungmann hatten miteinander gefrühstückt und fanden sich nun einer nach dem anderen reisefertig auf der großen Diele ein, um Gerda und Tom zu erwarten. Frau Grünlich, in cremefarbenem Kleide mit einer Atlaskrawatte unterm Kinn, sah trotz der verkürzten Nachtruhe ganz vortrefflich aus; Zagen und Fragen schienen in ihr ein Ende gefunden zu haben, denn ihre Miene, während sie im Gespräch mit dem Gaste langsam die Knöpfe ihrer leichten Handschuhe schloß, war ruhig, sicher, fast feierlich … Sie hatte die Stimmung wiedergefunden, die ihr aus früheren Zeiten her wohlbekannt war. Das Gefühl ihrer Wichtigkeit, der Bedeutsamkeit der Entscheidung, die ihr anheimgestellt war, das Bewußtsein, daß abermals ein Tag gekommen sei, der es ihr zur Pflicht mache, mit ernstem Entschluß in die Geschichte ihrer Familie einzugreifen, erfüllte sie und machte ihr Herz höher schlagen. Diese Nacht hatte sie im Traume die Stelle in den Familienpapieren vor Augen gesehen, an der sie die Tatsache ihrer zweiten Verlobung zu vermerken gedachte … diese Tatsache, die jenen schwarzen Flecken, den die Blätter enthielten, tilgte und bedeutungslos machte, und nun freute sie sich mit Spannung auf den Augenblick, wo Tom erscheinen und sie ihn mit ernsthaftem Nicken begrüßen würde …
 
Etwas verspätet, denn die junge Konsulin Buddenbrook war nicht gewohnt, so früh ihre Toilette zu beenden, traf der Konsul mit seiner Gattin ein. Er sah gut und munter aus in seinem hellbraunen, kleinkarierten Anzug, dessen breite Reverse den Rand der Sommerweste sehen ließen, und seine Augen lächelten, als er Tonys unvergleichlich würdevolle Miene gewahrte. Aber Gerda, deren ein wenig morbide und rätselhafte Schönheit einen seltsamen Gegensatz zu der hübschen Gesundheit ihrer Schwägerin bildete, zeigte durchaus keine Sonntags- und Ausflugsstimmung. Wahrscheinlich hatte sie nicht ausgeschlafen. Das satte Lila, das die Grundfarbe ihrer Robe ausmachte und in höchst eigenartiger Weise mit dem Dunkelrot ihres schweren Haares zusammenklang, ließ ihren Teint noch weißer, noch matter erscheinen; tiefer und dunkler als sonst lagerten in den Winkeln ihrer nahe beieinander liegenden braunen Augen bläuliche Schatten … Kalt bot sie ihrer Schwiegermutter die Stirn zum Kusse, reichte Herrn Permaneder mit ziemlich ironischem Ausdruck die Hand, und als Frau Grünlich bei ihrem Anblick die Hände zusammenschlug und mit lauter Stimme ausrief: »Gerda, o Gott, wie schön bist du wieder –!« antwortete sie lediglich mit einem ablehnenden Lächeln.
 
Sie hegte eine tiefe Abneigung gegen Unternehmungen wie die heutige: zumal im Sommer, und nun gar am Sonntag. Sie, deren Wohnräume meistens verhängt, im Dämmerlicht lagen, und die selten ausging, fürchtete die Sonne, den Staub, die festtäglich gekleideten Kleinbürger, den Geruch von Kaffee, Bier, Tabak … und über alles in der Welt verabscheute sie die Erhitzung, das Derangement. »Mein lieber Freund«, hatte sie beiläufig zu Thomas gesagt, als die Ausfahrt nach Schwartau und dem »Riesebusch« verabredet worden war, damit der Münchener Gast auch ein wenig von der Umgebung der alten Stadt kennenlerne – »du weißt: wie Gott mich gemacht hat, bin ich auf Ruhe und Alltag angewiesen … In diesem Falle ist man für Anregung und Abwechselung nicht geschaffen. Nicht wahr, ihr dispensiert mich …«
 
Sie würde ihn nicht geheiratet haben, wenn sie nicht bei solchen Dingen im wesentlichen seiner Zustimmung sicher gewesen wäre.
 
»Ja, lieber Gott, du hast natürlich recht, Gerda. Daß man sich bei derartigen Sachen amüsiert, ist meistens bloß Einbildung … Aber man macht sie eben mit, weil man vor den anderen und sich selbst nicht gern als Sonderling erscheinen möchte. Diese Eitelkeit hegt jeder, du nicht?… Man gerät sonst leicht in einen Schein von Vereinsamung und Unglück und büßt an Achtung ein. Und dann noch eins, liebe Gerda … Wir alle haben Ursache, dem Herrn Permaneder ein bißchen den Hof zu machen. Ich zweifle nicht, daß du die Situation übersiehst. Es entwickelt sich da etwas, und es wäre schade, ganz einfach schade, käme es nicht zustande …«
 
»Ich sehe nicht ein, lieber Freund, inwiefern meine Gegenwart … aber gleichviel. Da du es wünschest, so sei es. Lassen wir dies Vergnügen über uns ergehen.«
 
»Ich werde dir aufrichtig verbunden sein.« –
 
Man trat auf die Straße hinaus … Wahrhaftig, schon jetzt begann die Sonne durch den Morgendunst zu dringen; sonntäglich läuteten die Glocken von Sankt Marien, und Vogelgezwitscher erfüllte die Luft. Der Kutscher zog den Hut, und mit dem patriarchalischen Wohlwollen, das Thomas manchmal ein bißchen in Verlegenheit brachte, nickte die Konsulin ein überaus herzliches »Guten Morgen, lieber Mann!« zu ihm hinauf. »Also eingestiegen denn nun, ihr Lieben! Es wäre Zeit zur Frühpredigt, aber heut' wollen wir Gott in seiner freien Natur mit unseren Herzen loben, nicht wahr, Herr Permaneder?«
 
»Is scho recht, Frau Konsul.«
 
Und man kletterte nacheinander über die beiden Blechstufen durch das schmale Hintertürchen in den Wagen hinein, der zehn Personen gefaßt haben würde, und machte es sich auf den Polstern bequem, die – ohne Zweifel zu Ehren Herrn Permaneders – blau und weiß gestreift waren. Dann klinkte das Türchen ins Schloß, Herr Longuet schnalzte mit der Zunge und stieß unterschiedliche Ho- und Hürufe aus, seine muskulösen Braunen zogen an, und das Gefährt rollte die Mengstraße hinunter, entlang der Trave, am Holstentore vorbei, und später nach rechts auf der Schwartauer Landstraße dahin …
 
Felder, Wiesen, Baumgruppen, Gehöfte … und man suchte in dem immer höheren, dünneren, blaueren Dunst nach den Lerchen, deren Stimmen man vernahm. Thomas, der Zigaretten rauchte, sah aufmerksam um sich, wenn man an Getreide vorüberkam, und zeigte Herrn Permaneder, wie es stand. Der Hopfenhändler war in einer wahrhaft jugendlichen Laune, hatte seinen grünen Hut mit dem Gemsbart ein wenig schief gesetzt, balancierte seinen Stock mit dem ungeheuren Horngriff auf seiner weißen und breiten Handfläche und sogar auf der Unterlippe, ein Kunststück, welchem, obgleich es beständig mißlang, besonders von seiten der kleinen Erika lauter Beifall zuteil ward, und wiederholte mehrere Male: »Die Zugspitz' wird's halt net sein, aber a weng kraxeln wermer doch, und a Hetz wermer ham, a Gaudi a sakrisches, gelten's, Frau Grünlich?!«
 
Dann begann er mit vielem Temperament von Bergpartien mit Rucksack und Eispickel zu erzählen, wofür ihn die Konsulin mit mehreren bewundernden »Dausend!« belohnte, und bedauerte dann aus irgendeinem Gedankengange heraus mit bewegten Worten die Abwesenheit Christians, von dem er gehört habe, daß er gar so ein lustiger Herr sei.
 
»Unterschiedlich«, sagte der Konsul. »Aber bei solchen Gelegenheiten ist er unvergleichlich, das ist wahr. – Wir werden Krebse essen, Herr Permaneder!« rief er aufgeräumt. »Krebse und Ostseekrabben! Sie haben schon bei meiner Mutter ein paarmal davon gekostet, aber mein Freund Dieckmann, der Besitzer der Restauration ›Zum Riesebusch‹, führt sie stets in hervorragender Qualität. Und Pfeffernüsse, die berühmten Pfeffernüsse dieser Gegend! Oder ist ihr Ruf bis an die Isar noch nicht gedrungen? Nun, Sie werden sehen.«
 
Frau Grünlich ließ zwei- oder dreimal den Wagen halten, um am Chausseerande Mohn- und Kornblumen zu pflücken, und jedesmal beteuerte Herr Permaneder mit wahrer Wildheit, ihr dabei behilflich sein zu wollen; da er sich aber vor dem Ein- und Aussteigen ein wenig fürchtete, so unterließ er es dennoch.
 
Erika jubelte über jede Krähe, die aufflog, und Ida Jungmann, die wie immer beim sichersten Wetter einen langen, offenen Regenmantel nebst Regenschirm trug, stimmte als eine richtige Kinderpflegerin, die auf die kindlichen Stimmungen nicht nur äußerlich eingeht, sondern sie ebenso kindlich mitempfindet, mit ihrem ungenierten und etwas wiehernden Lachen ein, so daß Gerda, die sie nicht hatte in der Familie grau werden sehen, sie wiederholt einigermaßen kalt und erstaunt betrachtete …
 
Man war im Oldenburgischen. Buchenwaldungen kamen in Sicht, der Wagen fuhr durch den Ort, über das Marktplätzchen mit seinem Ziehbrunnen, gelangte wieder ins Freie, rollte über die Brücke, die über das Flüßchen Au führt und hielt endlich vor dem einstöckigen Wirtshaus »Zum Riesebusch«. Dies war an der einen Seite eines flachen Platzes mit Grasflächen, sandigen Wegen und ländlichen Beeten gelegen, und jenseits dieses Platzes erhob sich amphitheatralisch aufsteigend der Wald. Die einzelnen Stufen waren durch rauh angelegte Treppen verbunden, zu denen man hochliegende Baumwurzeln und vorspringendes Gestein benutzt hatte, und auf den Etagen, zwischen den Bäumen, waren weiß gestrichene Tische, Bänke und Stühle aufgeschlagen.
 
Buddenbrooks waren keineswegs die ersten Gäste. Ein paar wohlgenährte Mägde und sogar ein Kellner in fettigem Frack marschierten eilfertig über den Platz und trugen kalte Küche, Limonaden, Milch und Bier zu den Tischen hinauf, an denen, wenn auch in weiteren Abständen, schon mehrere Familien mit Kindern Platz genommen hatten.
 
Herr Dieckmann, der Wirt, in gelbgesticktem Käppchen und Hemdärmeln, trat persönlich an den Schlag, um den Herrschaften beim Aussteigen behilflich zu sein, und während Longuet beiseite fuhr, um auszuspannen, sagte die Konsulin: »Wir machen nun also zunächst einen Spaziergang, guter Mann, und möchten dann, nach einer Stunde oder anderthalb, ein Frühstück haben. Bitte, lassen Sie uns drüben servieren … aber nicht zu hoch; auf dem zweiten Absatz dünkt mich …«
 
»Strengen Sie sich an, Dieckmann«, fügte der Konsul hinzu. »Wir haben einen verwöhnten Gast …«
 
Herr Permaneder protestierte. »I ka Spur! A Bier und a Kaas …«
 
Allein das verstand Herr Dieckmann nicht, sondern er begann mit großer Geläufigkeit: »Allens, was da is, Herr Kunsel … Krebse, Krabben, diverse Wurst, diverse Käse, geräucherten Aal, geräucherten Lachs, geräucherten Stör …«
 
»Schön, Dieckmann, Sie werden das schon machen. Und dann geben Sie uns – sechs Gläser Milch und ein Seidel Bier, wenn ich nicht irre, Herr Permaneder, wie?…«
 
»Einmal Bier, sechsmal Milch … Süße Milch, Buttermilch, dicke Milch, Sattenmilch, Herr Kunsel …«
 
»Halb und halb, Dieckmann; süße Milch und Buttermilch. In einer Stunde also.«
 
Und sie gingen über den Platz.
 
»Zunächst liegt es uns nun ob, die Quelle zu besuchen, Herr Permaneder«, sagte Thomas. »Die Quelle: das heißt die Quelle der Au, und die Au ist das kleine Flüßchen, daran Schwartau liegt und daran im grauen Mittelalter ursprünglich unsere Stadt gelegen war, bis sie niederbrannte – sie wird wohl nicht sehr durabel gewesen sein, wissen Sie – und an der Trave wieder aufgebaut wurde. Übrigens knüpfen sich schmerzliche Erinnerungen an den Namen des Flüßchens. Als Jungen fanden wir es witzig, uns einander in den Arm zu kneifen und zu fragen: Wie heißt der Fluß bei Schwartau? Worauf man natürlich, weil's wehtat, wider Willen den Namen rief … Da!« unterbrach er sich plötzlich, zehn Schritte von dem Anstieg entfernt; »wir sind überholt worden. Möllendorpfs und Hagenströms.«
 
In der Tat, dort oben auf der dritten Etage der waldigen Terrasse saßen die hauptsächlichsten Mitglieder dieser beiden vorteilhaft liierten Familien an zwei zusammengerückten Tischen und speisten unter angeregten Gesprächen. Der alte Senator Möllendorpf präsidierte, ein blasser Herr mit weißen, dünnen, spitzen Kotelettes; er war zuckerkrank. Seine Gattin, geborene Langhals, hantierte mit ihrer langgestielten Lorgnette, und nach wie vor umstand das graue Haar unordentlich ihren Kopf. Ihr Sohn war da, August, ein blonder junger Mann von wohlsituiertem Äußeren und Gatte Julchens, der geborenen Hagenström, welche, klein, lebhaft, mit großen, blanken, schwarzen Augen und beinahe ebenso großen Brillanten an den Ohrläppchen, zwischen ihren Brüdern Hermann und Moritz saß. Konsul Hermann Hagenström begann sehr stark zu werden, denn er lebte vortrefflich und man sagte sich, daß er gleich morgens mit Gänseleberpastete beginne. Er trug einen rötlich blonden kurzgehaltenen Vollbart, und seine Nase – die Nase seiner Mutter – lag auffallend platt auf der Oberlippe. Doktor Moritz, mit flacher Brust und gelblichem Teint, zeigte in lebhaftem Gespräch seine spitzigen, lückenhaften Zähne. Beide Brüder hatten ihre Damen bei sich, denn auch der Rechtsgelehrte war seit mehreren Jahren verheiratet, und zwar mit einem Fräulein Puttfarken aus Hamburg, einer Dame mit butterfarbenem Haar und übermäßig leidenschaftslosen, augenscheinlich anglisierenden, aber außerordentlich schönen und regelmäßigen Gesichtszügen, denn Doktor Hagenström hätte es mit seinem Rufe als Schöngeist nicht vereinbaren können, ein häßliches Mädchen zu ehelichen. Schließlich waren noch die kleine Tochter von Hermann Hagenström und der kleine Sohn von Moritz Hagenström zugegen, zwei weißgekleidete Kinder, die schon jetzt sogut wie miteinander verlobt waren, denn das Huneus-Hagenströmsche Vermögen sollte nicht verzettelt werden. – Alle aßen Rührei mit Schinken.
 
Man grüßte sich erst, als Buddenbrooks in geringer Entfernung an der Gesellschaft vorüberstiegen. Die Konsulin neigte ein wenig zerstreut und gleichsam verwundert den Kopf, Thomas lüftete den Hut, indem er die Lippen bewegte, als sagte er irgend etwas Verbindliches und Kühles, und Gerda verbeugte sich fremd und formell. Herr Permaneder aber, angeregt durch das Steigen, schwenkte unbefangen seinen grünen Hut und rief mit lauter und fröhlicher Stimme: »Wünsch' recht an guat'n Morg'n!« – Worauf die Senatorin Möllendorpf ihr Lorgnon zur Hand nahm … Tony ihrerseits zog ein wenig die Schultern empor, legte den Kopf zurück, suchte trotzdem das Kinn auf die Brust zu drücken und grüßte gleichsam von einer unabsehbaren Höhe herab, wobei sie genau über Julchen Möllendorpfs breitrandigen und eleganten Hut hinwegblickte … In dieser Minute setzte sich ihr Entschluß endgültig und unerschütterlich in ihr fest …
 
»Gott sei Lob und tausend Dank, Tom, daß wir erst in einer Stunde frühstücken! Ich möchte mir von diesem Julchen nicht gern auf den Bissen sehen lassen, weißt du … Hast du beachtet, wie sie grüßte? Beinahe gar nicht. Dabei war meiner unmaßgeblichen Ansicht nach ihr Hut ganz unmäßig geschmacklos …«
 
»Na, was den Hut betrifft … Und mit dem Grüßen warst du wohl auch nicht viel entgegenkommender, meine Liebe. Übrigens ärgere dich nicht; das macht Falten.«
 
»Ärgern, Tom? Ach nein! Wenn diese Leute meinen, sie seien die ersten an der Spritze, so ist das zum Lachen und weiter nichts. Was ist für ein Unterschied zwischen diesem Julchen und mir, wenn ich fragen darf? Daß sie keinen Filou, sondern bloß einen ›Duschack‹ zum Manne bekommen hat, wie Ida sagen würde, und wenn sie einmal in meiner Lage wäre im Leben, so würde es sich ja erweisen, ob sie einen zweiten finden würde …«
 
»Was besagt, daß du deinerseits einen finden wirst?«
 
»Einen Duschack, Thomas?«
 
»Sehr viel besser als ein Filou.«
 
»Es braucht weder das eine noch das andere zu sein. Aber darüber spricht man nicht.«
 
»Richtig. Wir bleiben auch zurück. Herr Permaneder steigt mit Elan …«
 
Der schattige Waldweg wurde eben, und es dauerte gar nicht lange, bis sie die »Quelle« erreicht hatten, einen hübschen, romantischen Punkt mit einer hölzernen Brücke über einem kleinen Abgrund, zerklüfteten Abhängen und überhängenden Bäumen, deren Wurzeln bloßlagen. Sie schöpften mit einem silbernen, zusammenschiebbaren Becher, den die Konsulin mitgebracht hatte, aus dem kleinen, steinernen Bassin gleich unterhalb der Austrittsstelle und erquickten sich mit dem frischen, eisenhaltigen Wasser, wobei Herr Permaneder einen kleinen Anfall von Galanterie hatte, indem er darauf bestand, daß Frau Grünlich ihm den Trunk kredenzte. Er war voll Dankbarkeit, wiederholte mehrmals: »A, des is fei nett!« und plauderte umsichtig und aufmerksam sowohl mit der Konsulin und Thomas als mit Gerda und Tony und sogar mit der kleinen Erika … Selbst Gerda, die bislang unter fliegender Hitze gelitten und in einer Art von stummer und starrer Nervosität einhergegangen war, begann nun aufzuleben, und als man nach einem beschleunigten Rückwege wieder vor dem Wirtshause anlangte und sich auf der zweiten Stufe der Waldterrasse an einem überreichlich besetzten Tische niederließ, war sie es, die es in liebenswürdigen Wendungen bedauerte, daß Herrn Permaneders Abreise so nahe bevorstehe: jetzt, wo man einander ein wenig kennengelernt, wo es zum Beispiel ganz leicht zu beobachten sei, daß auf beiden Seiten immer seltener Miß- und Nichtverständnisse des Dialektes wegen unterliefen … Sie könne die Behauptung vertreten, daß ihre Freundin und Schwägerin Tony zwei- oder dreimal mit Virtuosität »Pfüaht Gott!« gesagt habe …
 
Herr Permaneder unterließ es, auf das Wort »Abreise« irgendeine bestätigende Antwort zu geben, sondern widmete sich vorderhand den Leckerbissen, von denen die Tafel strotzte, und die er jenseits der Donau nicht alle Tage bekam.
 
Sie verzehrten die guten Sachen mit Muße, wobei die kleine Erika sich beinahe am meisten über die Servietten aus Seidenpapier freute, die ihr unvergleichlich schöner schienen als die großen leinenen zu Hause, und von denen sie mit Erlaubnis des Kellners sogar einige zum Andenken in die Tasche steckte; und dann saß, während Herr Permaneder mehrere tiefschwarze Zigarren zum Biere und der Konsul seine Zigaretten rauchte, die Familie mit ihrem Gaste noch längere Zeit beisammen und plauderte; – bemerkenswert aber war, daß niemand mehr der Abreise des Herrn Permaneder gedachte und daß überhaupt die Zukunft völlig unberührt gelassen ward. Vielmehr tauschte man Erinnerungen aus, besprach die politischen Ereignisse der letzten Jahre, und Herr Permaneder berichtete, nachdem er über einige achtundvierziger Anekdoten, die die Konsulin ihrem verstorbenen Gatten nacherzählte, sich vor Lachen geschüttelt hatte, von der Revolution in München und von Lola Montez, für welche Frau Grünlich sich unbändig interessierte. Dann aber, als allgemach die erste Stunde nach Mittag vorüber war, als Erika, ganz erhitzt und bepackt mit Gänseblumen, Wiesenschaumkraut und Gräsern, von einem Streifzug mit Ida zurückkehrte und die Pfeffernüsse in Erinnerung brachte, die noch einzukaufen seien, brach man zu einem Gang in den Ort hinunter auf … nicht bevor die Konsulin, deren Gäste heut alle waren, mit einem gar nicht kleinen Goldstück die Rechnung beglichen hatte.
 
Vorm Gasthaus ward Order gegeben, daß in einer Stunde der Wagen bereitstehen solle, denn man wollte in der Stadt vor Tisch noch ein wenig ruhen können; und dann wanderten sie langsam, denn die Sonne brannte auf den Staub, den niedrigen Häusern des Fleckens zu.
 
Gleich nach der Au-Brücke ordnete sich ungezwungen und von selbst die Reihenfolge, die dann während des Weges innegehalten ward: Voran nämlich war Mamsell Jungmann, vermöge ihrer langen Schritte, neben der unermüdlich springenden und nach Kohlweißlingen jagenden Erika, dann folgten miteinander die Konsulin, Thomas und Gerda und zuletzt, in einigem Abstande sogar, Frau Grünlich mit Herrn Permaneder. Vorn war es laut, denn das kleine Mädchen jubelte, und Ida stimmte mit ihrem eigentümlich tiefen, gutmütigen Wiehern ein. In der Mitte schwiegen alle drei, denn Gerda war wegen des Staubes aufs neue in eine nervöse Verzagtheit verfallen, und die alte Konsulin sowohl wie ihr Sohn waren in Gedanken. Auch hinten war es still … aber nur scheinbar, denn Tony und der Gast aus Bayern unterhielten sich gedämpft und intim. – Wovon sprachen sie? Von Herrn Grünlich …
 
Herr Permaneder hatte die treffende Bemerkung gemacht, daß Erika »fei« ein gar zu liebes und hübsches Kind sei, daß sie aber trotzdem der Frau Mama fast gar nicht ähnlich sehe; worauf Tony geantwortet hatte: »Sie ist ganz der Vater, und man kann sagen: nicht zu ihrem Schaden, denn äußerlich war Grünlich ein Gentleman – alles, was wahr ist! So hatte er goldfarbene Favoris; völlig originell; ich habe nie wieder dergleichen gesehen …«
 
Und dann erkundigte er sich, obgleich Tony ihm schon bei Niederpaurs in München die Geschichte ihrer Ehe ziemlich genau erzählt hatte, noch einmal genau nach allem und erfragte eingehend und mit einem ängstlich teilnehmenden Blinzeln alle Einzelheiten bei dem Bankerott …
 
»Er war ein böser Mensch, Herr Permaneder, sonst hätte Vater mich ihm nicht wieder weggenommen, das können Sie mir glauben. Nicht alle Menschen haben auf Erden immer ein gutes Herz, das hat das Leben mich gelehrt, wissen Sie, so jung wie ich für eine Person, die seit zehn Jahren Witwe oder etwas Ähnliches ist, noch bin. Er war böse, und Kesselmeyer, sein Bankier, der obendrein so albern war wie ein junger Hund, war noch böser. Aber das soll nicht heißen, daß ich mich selbst für einen Engel halte und aller Schuld bar erachte … mißverstehen Sie mich nicht! Grünlich vernachlässigte mich, und wenn er einmal bei mir saß, so las er die Zeitung, und er hinterging mich und ließ mich beständig in Eimsbüttel sitzen, weil ich in der Stadt von dem Morast hätte erfahren können, darin er steckte … Aber ich bin auch nur eine schwache Frau und habe meine Fehler und bin ganz sicher nicht immer richtig zu Werke gegangen. Zum Beispiel gab ich meinem Mann durch Leichtsinn und Verschwendungssucht und neue Schlafröcke Grund zu Sorge und Klage … Aber eins darf ich hinzufügen: ich habe eine Entschuldigung, und die besteht darin, daß ich ein Kind war, als ich heiratete, eine Gans war ich, ein dummes Ding. Glauben Sie zum Beispiel, daß ich ganz kurze Zeit vor meiner Verlobung auch nur gewußt hätte, daß vier Jahre früher die Bundesgesetze über die Universitäten und die Presse erneuert worden seien? Schöne Gesetze übrigens!… Ach, ja, es ist wahrhaftig so sehr traurig, daß man nur einmal lebt, Herr Permaneder, daß man das Leben nicht noch einmal anfangen kann; man würde so manches geschickter anfassen …«
 
Sie schwieg und blickte gespannt auf den Weg nieder; sie hatte ihm, nicht ohne Geschick, einen Anhaltspunkt gegeben, denn die Erwägung lag gar nicht fern, daß ein ganz neues Leben zu beginnen zwar unmöglich, der Wiederbeginn einer neuen, besseren Ehe aber doch nicht ausgeschlossen sei. Allein Herr Permaneder ließ die Gelegenheit vorübergehen und beschränkte sich darauf, mit heftigen Worten auf Herrn Grünlich zu schelten, wobei die Fliege über seinem kleinen, runden Kinn sich sträubte …
 
»Der fade Kerl, der z'widre! Den wann i dahier hätt', den Hund, den ausg'schamten, der wann net a Watschen dawischen tät' …«
 
»Pfui, Herr Permaneder! Nein, damit müssen Sie aufhören. Wir sollen vergeben und vergessen, und die Rache ist mein, spricht der Herr … fragen Sie nur Mutter. Bewahre … ich weiß nicht, wo Grünlich sich aufhält, und wie es ihm ergangen ist im Leben; aber ich wünsche ihm alles Gute, wenn er es auch vielleicht nicht verdient hat …«
 
Sie waren im Ort und standen vor dem kleinen Häuschen, in dem der Bäckerladen sich befand. Beinahe, ohne es zu wissen, waren sie stehengeblieben, und ohne sich Rechenschaft davon zu geben, hatten sie mit ernsten und abwesenden Augen Erika, Ida, die Konsulin, Thomas und Gerda gebückt durch die lächerlich niedrige Ladentür verschwinden sehen: so vertieft waren sie in ihr Gespräch, obgleich sie bis jetzt nichts als überflüssige und alberne Dinge geredet hatten.
 
Neben ihnen war ein Zaun, und daran lief ein langes, schmales Beet entlang, auf dem ein paar Reseden wuchsen und dessen lockere, schwarze Erde Frau Grünlich, geneigten und etwas erhitzten Hauptes, ungeheuer eifrig mit der Spitze ihres Sonnenschirms pflügte. Herr Permaneder, dessen grünes Hütchen mit dem Gemsbart in die Stirn geglitten war, stand dicht bei ihr und beteiligte sich hie und da vermittels seines Spazierstockes an dem Umgraben des Beetes. Auch er ließ den Kopf hängen; aber seine kleinen, hellblauen, verquollenen Augen, die ganz blank geworden und sogar ein wenig gerötet waren, blickten von unten herauf mit einem Gemisch von Ergebenheit, Betrübtheit und Spannung zu ihr empor, und mit ebendemselben Ausdruck überhing der ausgefranste Schnauzbart seinen Mund …
 
»Und da haben's jetzt wohl«, sagte er, »a damische Furcht vor der Eh' und wollen's nimmer noch amal versuchen, gelten's nei, Frau Grünlich …?«
 
Wie ungeschickt! dachte sie. Das muß ich ja bestätigen?… Sie antwortete: »Ja, lieber Herr Permaneder, ich bekenne Ihnen offen, daß es mir schwer fallen würde, noch einmal jemandem mein Jawort fürs Leben zu erteilen, denn ich bin belehrt worden, wissen Sie, was für ein furchtbar ernster Entschluß das ist … und dazu bedürfte es der festen Überzeugung, daß es sich um einen wirklich braven, einen edlen, einen herzensguten Mann handelt …«
 
Hierauf erlaubte er sich die Frage, ob sie ihn für einen solchen Mann halte, worauf sie antwortete: »Ja, Herr Permaneder, dafür halte ich Sie.«
 
Und dann folgten noch ganz wenige leise und kurze Worte, in denen das Verlöbnis enthalten war, und für Herrn Permaneder die Erlaubnis, sich zu Hause an die Konsulin und Thomas zu wenden …
 
Als die übrigen Mitglieder der Gesellschaft, bepackt mit mehreren großen Düten voll Pfeffernüssen, wieder im Freien erschienen, ließ der Konsul seine Augen diskret über die Köpfe der beiden hinwegschweifen, denn sie waren in starker Verlegenheit: Herr Permaneder ohne Versuch, das zu verbergen, Tony unter der Maske einer fast majestätischen Würde.
 
Man beeilte sich, den Wagen zu gewinnen, denn der Himmel hatte sich bedeckt und Tropfen fielen.
 
*
 
Wie Tony angenommen, hatte ihr Bruder bald nach Herrn Permaneders Erscheinen genaue Erkundigungen über seine Lebensstellung eingezogen, die als Resultat ergeben hatten, daß X. Noppe & Comp. eine etwas beschränkte aber durchaus solide Firma sei, die im gemeinsamen Wirken mit der Aktienbrauerei, der Herr Niederpaur als Direktor vorstand, einen hübschen Gewinn erzielte, und daß, im Verein mit Tonys 17000 Kuranttalern, Herrn Permaneders Anteil für ein gutbürgerliches Zusammenleben ohne Luxus ausreichen würde. Die Konsulin war unterrichtet darüber, und in einem ausführlichen Gespräche zwischen ihr, Herrn Permaneder, Antonie und Thomas, welches gleich am Abend des Verlobungstages im Landschaftszimmer stattfand, wurden ohne Hindernis alle Fragen geregelt: auch in betreff der kleinen Erika, welche auf Tonys Wunsch und mit dem gerührten Einverständnis ihres Verlobten ebenfalls nach München übersiedeln sollte.
 
Zwei Tage später reiste der Hopfenhändler ab – »weil der Noppe sonst schimpfen tät'« –, aber schon im Monat Juli traf Frau Grünlich wiederum in seiner Vaterstadt mit ihm zusammen: gemeinsam mit Tom und Gerda, die sie für vier oder fünf Wochen nach Bad Kreuth begleitete, während die Konsulin mit Erika und der Jungmann an der Ostsee verblieb. Übrigens hatten die beiden Paare in München bereits Gelegenheit, das Haus zu besichtigen, das Herr Permaneder in der Kaufinger Straße – ganz in der Nähe also der Niederpaurs – anzukaufen im Begriffe war, und dessen größten Teil er zu vermieten gedachte; ein ganz merkwürdiges, altes Haus, mit einer schmalen Treppe, die gleich hinter der Haustür schnurgerade und ohne Absatz und Biegung wie eine Himmelsleiter in den ersten Stock hinanführte, woselbst man erst nach beiden Seiten über den Korridor zurückschreitend zu den nach vorn gelegenen Zimmern gelangte …
 
Mitte August kehrte Tony nach Hause zurück, um sich während der nächsten Wochen der Sorge für ihre Aussteuer zu widmen. Vieles zwar war noch aus der Zeit ihrer ersten Ehe vorhanden, aber es mußte durch Neuankäufe ergänzt werden, und eines Tages langte aus Hamburg, woher manches bezogen ward, sogar ein Schlafrock an … nicht mit Sammet freilich, sondern diesmal nur mit Tuchschleifen garniert.
 
Zu vorgeschrittener Herbstzeit traf Herr Permaneder wieder in der Mengstraße ein; man wollte die Sache nicht länger verzögern …
 
Was die Hochzeitsfeierlichkeiten anging, so verliefen sie genau, wie Tony es erwartet und nicht anders gewünscht hatte: Es wurde nicht viel Aufhebens davon gemacht. »Lassen wir den Pomp«, sagte der Konsul; »du bist wieder verheiratet, und es ist ganz einfach, als hättest du niemals aufgehört, es zu sein.« Nur wenige Verlobungskarten waren versandt worden – daß aber Julchen Möllendorpf, geborene Hagenström, eine erhalten hatte, dafür hatte Madame Grünlich gesorgt –, von einer Hochzeitsreise ward abgesehen, weil Herr Permaneder »so a Hetz'« verabscheute und Tony, vor kurzem vom Sommeraufenthalt zurückgekehrt, schon die Reise nach München zu weit fand, und die Trauung, die diesmal nicht die Säulenhalle, sondern die Marienkirche zum Schauplatze hatte, fand in engem Familienkreise statt. Tony trug mit Würde die Orangeblüten statt der Myrten, und Hauptpastor Kölling predigte mit etwas schwächerer Stimme als ehemals, aber noch immer in starken Ausdrücken über Mäßigkeit.
 
Christian kam von Hamburg, sehr elegant gekleidet und ein wenig angegriffen, aber lustig aussehend, erzählte, daß sein Geschäft mit Burmeester »tip-top« sei, erklärte, daß Klothilde und er sich wohl erst »da oben« verheiraten würden – »das heißt: Jeder für sich!…« und kam viel zu spät zur Kirche, weil er dem Klub einen Besuch abgestattet hatte. onkel Justus war sehr gerührt und zeigte sich so kulant wie stets, indem er den Neuvermählten einen außerordentlich schönen, schwersilbernen Tafelaufsatz verehrte … Er und seine Frau hungerten zu Hause beinahe, denn die schwache Mutter bezahlte dem längst enterbten und verstoßenen Jakob, der sich, wie verlautete, augenblicklich in Paris aufhielt, nach wie vor von ihrem Wirtschaftsgelde die Schulden. – Die Damen Buddenbrook aus der Breitenstraße bemerkten: »Nun, hoffentlich hält es diesmal.« Wobei das Unangenehme der allgemeine Zweifel war, ob sie dies wirklich hofften … Sesemi Weichbrodt jedoch erhob sich auf die Zehenspitzen, küßte ihren Zögling, die nunmehrige Frau Permaneder, mit leicht knallendem Geräusch auf die Stirn und sagte mit ihren herzlichsten Vokalen: »Sei glöcklich, du gutes Kend!« 
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