Palazzo Borghese war jetzt meine Heimat; ich wurde mit größerer Milde und Freundlichkeit behandelt. Einigemal kam zwar der alte belehrende Ton, die verletzende leichte Weise gegen mich aufzutreten wieder zum Vorschein, aber ich wußte, sie meinten es so gut mit mir.
In den wärmsten Monaten verließen sie Rom, ich war allein in dem großen Palast; gegen den Winter kamen sie zurück und ich verwuchs wieder mehr und mehr mit den alten Verhältnissen. Man vergaß, daß auch ich älter geworden, daß ich nicht länger das Kind von der Campagna war, welches jedes gesprochene Wort für einen Glaubensartikel hielt, noch der Schüler der Jesuitenschule, der immer und immer erzogen werden mußte.
Wie eine mächtige See, auf der Welle sich an Welle reihte, liegt ein Zeitraum von sechs Jahren vor mir; gottlob, ich bin nicht darin untergegangen! Du, der du mir bei der Erzählung der Abenteuer meines Lebens folgst, fliege schnell darüber hinfort! In wenigen Strichen will ich dir den Eindruck des Ganzen zu geben suchen: es war der Kampf meiner geistigen Erziehung, ich war der Geselle, den man als Lehrburschen behandelte, damit er als Meister auftreten könnte.
Ich galt für einen vortrefflichen Menschen von großem Talent, aus dem etwas werden könnte, und alle nahmen sich meiner Erziehung an. Meine Abhängigkeit gab denen, zu welchen ich in diesem Verhältnisse stand, die Erlaubnis dazu, meine Gutmütigkeit allen andern. Lebhaft und tief fühlte ich das Bittere meiner Stellung und doch trug ich sie. Es war eine Erziehung!
Eccellenza klagte über meinen Mangel an Gründlichkeit; es half nichts, wie viel ich auch studierte, ich saugte doch nur aus den Büchern den süßen Honig, der mir für meinen Kram paßte. Die Freunde des Hauses und meine Gönner taxierten mich lediglich nach dem Ideale ihres Interesses, und ich konnte also bei einem solchen Vergleiche nur verlieren. Der Mathematiker behauptete, ich hätte zu viel Phantasie, zu wenig Besonnenheit; der Gelehrte, ich beschäftigte mich nicht genug mit der lateinischen Sprache. Der Politiker fragte mich in Gegenwart der Gesellschaft beständig nach politischen Neuigkeiten, in welchen ich nicht zu Hause war, und er fragte nur, um mich Armen zu kränken. Ein junger Nobile, der nur für sein Reitpferd lebte, jammerte über meine Unwissenheit in allen Sportangelegenheiten, und stimmte mit den andern ein Miserere darüber an, daß ich mehr Interesse für mich selbst als für seine Pferde hätte. Eine adelige Freundin des Hauses, die durch ihren Rang und eine seltene Suffisance in den Ruf gekommen war sehr klug und kritisch zu sein, im Grunde genommen aber durchaus nicht den Verstand besaß, dessen sie sich rühmte, erbot sich meine Gedichte in Bezug auf ihre Schönheit und Form durchzusehen, verlangte sie jedoch auf gebrochenem Papiere zugesandt. Habbas Dahdah hielt mich für ein Talent, das einst etwas versprochen hätte, indes längst erstorben war. Die ersten Tänzer der Stadt verachteten mich, weil ich im Ballsaal keine Figur zu machen verstand, der Grammatiker, weil ich einen Punkt setzte, wo er nur einen Semikolon anwandte, und Francesca sagte, ich würde dadurch verdorben, daß man zu viel aus mir machte, weshalb sie mich mit Ernst und Strenge erziehen müßte. Jeder spritzte seinen Gifttropfen auf mein Herz, ich fühlte, daß dasselbe verhärten oder verbluten mußte.
Das Edle, das Schöne, ergriff und entzückte mich bei jedem Dinge. In ruhigen Augenblicken dachte ich oft an alle meine Erzieher und dann kam es mir vor, als ob sie in der ganzen Natur und dem Weltleben, für welche mein Herz und meine Seele lebten, mir nur als fleißige Arbeitsleute gegenüberständen. Die Welt selbst war mir ein hübsches Mädchen, die nach Geist, Gestalt und Kleidung meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Aber der Schuhmacher sagte: »Betrachten Sie doch nur Ihre Schuhe! Sie sind ganz ausgezeichnet, die bilden ihren Hauptschmuck!« Der Schneider rief: »Nein, dieser Rock! Sehen Sie doch nur, was für ein Schnitt! Der allein muß Sie beschäftigen! Gehen Sie auf die Farbe, auf die Nähte ein, studieren Sie ihn aus dem Grunde!« »Nein!« schrie der Friseur, »diese Flechte müssen Sie analysieren, ihr müssen Sie sich hingeben!« »Die Sprache ist doch mehr!« rief der Sprachlehrer. »Nein, die Haltung!« sagte der Tanzmeister. »Du guter Gott!« seufzte ich, »Das Ganze ist es, was mich ergreift; ich sehe das Schöne wohl in jeder Einzelheit, aber ich kann nicht Schneider oder Schuhmacher werden, um mich ihnen anzubequemen. Mein Beruf ist, die Schönheit des Ganzen zu erfassen. Ihr guten Männer und Weiber, seid mir deshalb nicht böse und verurteilt mich nicht!« – »Das ist ihm zu niedrig, nicht hoch genug für seinen poetischen Geist!« spotteten sie alle. Kein Tier ist doch so grausam wie der Mensch! Wäre ich reich und unabhängig gewesen, wie schnell würden sich dann die Farben geändert haben. Alle waren sie klüger, gründlicher und vernünftiger als ich. Ich lernte verbindlich lächeln, wo ich hätte weinen können, mich bücken, wo ich geringschätzte, lernte aufmerksam auf das leere Geschwätz der Thoren lauschen, Verstellung, Bitterkeit und Lebensüberdruß waren die Früchte der Erziehung, die die Umstände und die Menschen mir zu geben übernommen hatten. Man wies stets auf meine Mängel hin, sollte es denn durchaus keine geistige gute Seiten an mir geben? Ich selbst mußte dieselben aufsuchen, mußte sehen, sie geltend zu machen. Man lenkte meine Gedanken auf mein eignes Ich und warf mir darauf vor, daß ich mich beobachtete.
Der Politiker nannte mich Egoist, weil ich mich nicht einzig und allein mit seinem Kram beschäftigte; ein junger Dilettant der Aesthetik, ein Verwandter der Borghesen, lehrte mich, wie ich denken, dichten und urteilen müßte, und zwar immer in einer Weise, daß jeder Fremde sehen konnte, er wäre der Edelmann, der den Hirtenknaben unterrichtete, den Armen, welcher über seine Herablassung doppelt dankbar sein müßte. Der, welcher sich für die Pferde, und einzig und allein für diese interessierte, sagte, ich wäre der eitelste Mensch, weil ich nicht ausschließlich für seine Pferde ein Auge hatte. Waren nicht etwa sie alle Egoisten? Oder hatten sie recht? Vielleicht! Ich war ein armes Kind, für welches man so viel gethan hatte. Aber hatte mein Name nicht Adel, so besaß ihn doch mein Geist, und tief fühlte ich jede kleinste Demütigung. Ich, der ich mich mit ganzer Seele den Menschen angeschlossen hatte, wurde nun wie Loths Frau zur Salzsäule verwandelt. Trotz erhob sich in meiner Seele. Auf Augenblicke regte sich mein geistiges Bewußtsein, und in seinen Fesseln erwachte ein Hochmutsteufel, der auf die Thorheiten meiner klugen Lehrer herniederblickte und mir voller Eitelkeit in das Ohr raunte: Dein Name wird leben und genannt werden, wenn alle diese vergessen sind oder nur durch dich in der Erinnerung leben, als deine Umgebung, als die bittern Tropfen, die in deinen Lebensbecher fielen! Dann dachte ich an Tasso, an die eitle Leonora, den stolzen Hof von Ferrara, dessen Adel jetzt allein an Tassos Namen geknüpft ist; ihr Schloß war nur ein Trümmerhaufen, das Dichtergefängnis ein Wallfahrtsort. Ich fühlte selbst, wie eitel mein Herz schlug, aber bei der Erziehungsweise, welche man mit mir einschlug, mußte es so werden oder verbluten. Milde und Aufmunterung würden mein Herz rein, meine Seele voller Liebe bewahrt haben. Jedes freundliche Lächeln, jedes freundliche Wort war ein Sonnenstrahl, der eine Eiswurzel der Eitelkeit schmolz, aber es fielen mehr Gifttropfen als Sonnenstrahlen in mein Leben.
Ich war nicht mehr gut, wie ich früher gewesen war, doch hieß ich noch immer ein ausgezeichneter, ein vortrefflicher Mensch; mein Geist studierte Bücher, die Natur, die Welt und mich selbst, und doch sagte man: er will nichts leinen! Diese Erziehung dauerte sechs Jahre, ja sieben kann ich sagen; aber schon gegen Ende des sechsten Jahres entstand eine Art Wellenbewegung auf meinem Lebenssee. Diese sechs langen Jahre enthielten zwar manche erzählenswerte Begebenheiten, manche, die hervorragender sind als einige der früheren, deren ich erwähnt habe, aber alle flossen doch in einen einzigen Gifttropfen zusammen, den jedes Talent, welches weder Gold noch Familie besitzt, wie den Atemzug kennt und empfindet.
Ich war Abbate und hatte als Improvisator eine Art Namen in Rom, denn in der Academia Tiberina hatte ich improvisiert und Gedichte vorgetragen und immer den stürmischsten Beifall geerntet, allein Francesca hatte auch recht, alles, was dort vorgelesen, wurde beklatscht. Habbas Dahdah spielte eine der ersten Rollen in der Academia, das heißt, er war derjenige, welcher am meisten sprach und schrieb, alle seine Kollegen behaupteten, er wäre zu einseitig, mißgünstig und ungerecht, und doch duldeten sie ihn unter sich, und er schrieb und schrieb. Er hatte meine, wie er sie nannte, Wasserfarbenstücke durchblättert, aber die geringe Spur von Talent, die er einmal, als ich mich in der Schule vor seiner Meinung in den Staub beugte, bei mir gefunden hatte, wäre gleich in der Geburt erstorben, meine Freunde müßten verhindern, daß nichts von meinen Dichtungen, die nur poetische Mißgeburten wären, an das Tageslicht käme; das Unglück wäre, meinte er, daß große Genies in jugendlichem Alter geschrieben hätten, und deshalb bildete ich mir ein, ich müßte es auch thun.
Nie hörte ich von Annunziata; sie schwebte als eine Tote vor mir, die im Augenblicke des Todes ihre Hand zermalmend auf mein Herz gelegt hatte, damit es für jede schmerzliche Berührung desto empfindlicher würde. Mein Aufenthalt in Neapel, alle Erinnerungen von dort, glichen einem versteinernden Medusenhaupte der Schönheit. Wenn der heiße Scirocco blies, erinnerte ich mich der milden Luft bei Pästum, erinnerte ich mich Laras und der strahlenden Grotte, in welcher ich sie gesehen hatte. Wenn ich wie ein Schulknabe vor meinen männlichen und weiblichen Erziehern stand, stieg die Erinnerung an den Beifall in der Räuberhöhle wie in dem großen Theater San Carlo in mir auf. Wenn ich fremd in einer Ecke stand, dachte ich an Santa, die ihre Arme nach mir ausstreckte und seufzte: »Töte mich, aber verlaß mich nicht!« Es waren sechs lange lehrreiche Jahre, ich war nun sechsundzwanzig Jahr.
Flaminia, die kleine Abbedisse, wie man sie genannt hatte, Francescas und Fabianis Tochter, welche der heilige Vater schon von der Wiege auf zur Himmelsbraut geweiht, hatte ich nicht gesehen, seitdem ich mit ihr auf meinem Arme tanzte und ihr lustige Bilder zeichnete, Sie wurde im Nonnenkloster in der Quattro Fontane erzogen, aus welchem sie nie herauskam; Fabiani hatte sie ebenfalls sechs lange Jahre nicht gesehen, nur Francesca durfte als Mutter und Frau dieselbe sehen. Sie war, wie man sich erzählte, körperlich schon völlig entwickelt, und die frommen Schwestern hatten ihren Geist zu derselben Reife gebracht. Nach alter Sitte sollte die kleine Abbedisse jetzt auf einige Monate zu ihren Eltern nach Hause zurückkommen, sollte alle Lust und Freude der Welt genießen, um darauf ihr und ihnen auf ewig Lebewohl zu sagen. Selbst könnte sie dann, hieß es wohl, zwischen der lärmenden Welt und dem stillen Kloster wählen, aber schon von den Spielen des Kindes mit den wie Nonnen angezogenen Puppen an bis zu der Erziehung im Kloster war ja alles geschehen, um ihre Seele und ihre Gedanken auf letzteres zu richten.
Oft dachte ich, wenn ich durch die Quattro Fontane, worin das Kloster lag, ging, an das freundliche Kind, mit dem auf dem Arme ich getanzt hatte, dachte, wie verändert es jetzt sein müßte, wie still es jetzt hinter den engen Mauern lebte. Ein einziges Mal war ich auch in der Kirche des Klosters gewesen und hatte den Gesang der Nonnen hinter dem Gitter gehört. Mich beschäftigte der Gedanke, ob die kleine Abbedisse wohl mit unter ihnen säße, doch wagte ich nicht zu fragen, ob die Kostgänger am Gesange und der Kirchenmusik teilnähmen. Eine Stimme klang wunderbar hoch, klar und wehmütig aus den übrigen hervor; sie ähnelte auffallend Annunziatas, ich glaubte sie wieder zu hören; und alle Erinnerungen aus jener Zeit erwachten von neuem in meiner Seele.
»Nächsten Montag kommt unsere kleine Abbedisse!« sagte Eccellenza. Eine merkwürdige Sehnsucht ergriff mich, sie wieder zu sehen, Sie war, ebenso wie ich, ein gefangener Vogel; sie nahmen ihn aus dem Bauer, um ihn mit einem Faden um den Fuß die Freiheit in Gottes Natur genießen zu lassen.
An der Mittagstafel sah ich sie zum erstenmal wieder. Sie war, wie man mir vorher gesagt hatte, ziemlich entwickelt, aber etwas bleich, und beim ersten Blick würde schwerlich jemand sie hübsch genannt haben, allein es lag eine wahre Herzensgüte auf ihren Zügen ausgeprägt, eine wunderbare Sanftmut war über ihr Gesicht ausgegossen.
Bei Tische waren nur einige der nächsten Verwandten zugegen. Niemand sagte ihr, wer ich war. Sie schien mich nicht zu erkennen, aber mit einer Freundlichkeit, an die ich nicht gewohnt war, antwortete sie mir auf die wenigen Worte, welche ich sagte. Ich fühlte, daß sie keinen Unterschied unter uns machte und auch mich in das Gespräch hineinzog. Sie muß mich gewiß nicht erkennen, dachte ich.
Sie waren alle aufgeräumt, erzählten Anekdoten und komische Züge aus dem Tagesleben, und die kleine Abbedisse lachte. Das flößte mir Mut ein, ich gab ebenfalls einige Wortspiele zum besten, welche gerade damals eine große Rolle in mehreren Kreisen der Stadt spielten. Aber nur die Kleine lachte, bei den andern verlor sich das Lächeln, sie sagten, wie man dergleichen nur erzählen könnte. Ich versicherte, daß man sich in Rom fast überall sonst darüber amüsierte.
»Das ist ja nur Wortgeklingel,« sagte Francesca. »Wie kann man an solcher Oberflächlichkeit Vergnügen finden! Was doch alles ein Menschenhirn beschäftigen kann!«
Es beschäftigte mich in der That sehr wenig, aber ich wollte doch auch das Meinige zur Munterkeit beitragen, und was ich erzählte, kam mir recht drollig vor und galt auch überall dafür. Ich wurde verstimmt und schwieg.
Am Abend erschienen einige Fremde, ich hielt mich bescheiden zurück. Ein zahlreicher Kreis hatte sich um den vortrefflichen Perini gesetzt. Er war in meinem Alter, aber Edelmann. Munter und in Wahrheit unterhaltend, besaß er alle mögliche gesellschaftliche Talente, Man wußte, daß er amüsant und witzig war, und fand es deshalb auch in allen seinen Worten. Ich stand in einiger Entfernung und hörte, wie alle lachten, besonders Eccellenza. Ich trat näher, und was vernahm ich! Die Wortspiele, die ich heute Mittag so unglücklich gewesen war zuerst vorzutragen, erzählte jetzt Perini abermals. Er ließ weder etwas fort noch setzte er etwas zu, gab sie vielmehr mit denselben Worten und Mienen wieder wie ich und sie lachten alle.
»Das ist sehr komisch!« rief Eccellenza, und klatschte in die Hände. »Sehr komisch! Nicht wahr?« sagte er zu der kleinen Abbedisse, die an seiner Seite stand und lachte.
»Ja, das kam mir heut' Mittag schon so vor, als es uns Antonio erzählte!« erwiderte sie. Es lag durchaus keine Bitterkeit in dieser Erklärung, sie gab sie mit ihrer natürlichen Milde. Ich hätte ihr zu Füßen fallen können.
»O, das ist köstlich!« sagte Francesca von den Wortspielen.
Mein Herz klopfte stark; ich trat an das Fenster hinter die langen Vorhänge und atmete die frische Luft.
Ich habe diesen kleinen Zug angeführt; jeder Tag, welcher folgte, brachte ähnliche; aber die kleine Abbedisse war ein liebenswürdiges Kind, welches mir mit Freundlichkeit und Liebe in die Augen schaute, als wollte es mich um Verzeihung für die Sünden anderer gegen mich bitten. Ich war auch zu schwach; ich besaß Eitelkeit genug, aber keinen Stolz. Das lag doch gewiß in meiner armen Geburt, in meiner ersten Erziehung, in meiner Abhängigkeit und dem unglückseligen Dankbarkeitsverhältnisse, in welchem ich beständig gestanden hatte. Stets erinnerte ich mich dessen, was ich meiner Umgebung zu verdanken hatte, und das band meine Zunge, verhinderte die Entschlüsse meines Stolzes. Es war zwar edel, verriet aber immer Schwäche.
In eine unabhängige Stellung konnte ich, so wie die Dinge jetzt standen, durchaus nicht kommen. Mein Pflichtgefühl, meine Gewissenhaftigkeit erkannten sie alle an, aber doch sagten sie, ein Genie wäre zu ernsten Geschäften nicht tauglich. Ich hatte zu viel Geist dazu, versicherten diejenigen, welche höflich gegen mich waren. Meinten sie wirklich, was sie sagten, wie schlecht beurteilten sie dann einen Mann von Geist! Ich hätte verhungern können, wäre Eccellenza nicht gewesen. Wie viel Dankbarkeit war ich ihm deshalb nicht schuldig!
Zu dieser Zeit hatte ich gerade ein großes Gedicht »David« vollendet; meine ganze Seele war darin ausgeströmt. Unter der beständigen Erziehung, unter der fortwährenden Erinnerung an meine Flucht nach Neapel, an die dortigen Abenteuer und an den unglücklichen Ausgang meiner ersten starken Liebe hatte mein ganzes Wesen in den letzten Jahren Tag für Tag eine stärkere poetische Richtung genommen: in einzelnen Augenblicken stand das ganze Leben wie ein poetisches Gedicht vor mir, in welchem ich selbst eine Rolle hatte, nichts kam mir unbedeutend und alltäglich vor, selbst mein Schmerz, die mir zugefügte Unbill war Poesie. Es war meinem Herzen ein Bedürfnis, sich in Tönen zu ergießen, und in David fand ich einen Stoff, der meiner Stimmung entsprach. Ich fühlte lebhaft das Vortreffliche in dem, was ich geschrieben hatte, und meine Seele war Dankbarkeit und Liebe, denn in Wahrheit kann ich behaupten, nie sang oder dichtete ich eine Strophe, die mir gelungen vorkam, ohne mich mit kindlichem Danke an den ewigen Gott zu wenden, der meine Seele mit seiner Gnade erfüllt und ihr den Dichtergeist eingehaucht hatte. Ich war glücklich über mein Gedicht und hörte mit frömmerem Sinne alles mit an, was ich als eine Unbilligkeit gegen mich ansah, indem ich dachte: Wenn sie dies hören, dann werden sie fühlen, welch Unrecht sie mir thun, sie werden mir mit doppelter Liebe entgegenkommen. Mein Gedicht war fertig, kein irdisches Auge außer dem meinigen hatte es bisher gesehen. Wie ein vatikanischer Apollo, ein unentweihtes Schönheitsbild, nur von Gott und mir gekannt, stand es vor mir. Ich freute mich auf den Tag, an dem ich es in der Academia Tiberina vorlesen konnte. Aber eines Tages, an einem der ersten nach der Ankunft der kleinen Abbedisse, waren Francesca und Fabiani so mild und freundlich gegen mich, daß ich kein Geheimnis vor ihnen haben konnte. Ich erzählte von meinem Gedichte und sie sagten: »Aber wir müssen es doch zuerst hören,« Ich war bereit dazu, obschon nicht ohne eine Art Herzklopfen, nicht ohne eine eigentümliche Angst. Am Abende, wo ich es vorlesen sollte, stattete gerade Habbas Dahdah einen Besuch ab. Francesca bat ihn zu bleiben und mir die Ehre zu erweisen, meiner Vorlesung beizuwohnen. Nichts konnte mir unangenehmer sein, kannte ich doch seine Bitterkeit, seinen Neid und sein böses Blut, während schon die andern nicht sonderlich begeistert für mich waren. Doch die Zuversicht auf die Vorzüglichkeit meines Werkes flößte mir eine Art Mut ein. Die kleine Abbedisse sah ganz glückselig aus, sie freute sich darauf meinen David zu hören. Als ich auf dem Theater San Carlo auftrat, klopfte mein Herz nicht stärker als jetzt, wo ich vor diesen Menschen saß. Dies Gedicht mußte ihr Urteil, ihre Weise, mich zu behandeln, völlig verändern; es war eine Art geistiger Operation, die ich an ihnen vornehmen wollte, und deshalb bebte ich. Ein natürliches Gefühl hatte mir eingegeben, nur das zu schildern, was ich selbst kannte. Davids Hirtenleben, womit das Gedicht begann, war den Erinnerungen meiner eigenen Kindheit in Domenicas Hütte entliehen.
»Aber das bist du ja selbst!« rief Francesca aus, »du selbst draußen in der Campagna!«
»Ja, das konnte man doch schon vorher wissen,« sagte Eccellenza, »er selbst muß stets dabei sein! Es ist wirklich ein eigenes Genie, das der Mensch besitzt! Bei allem Möglichen weiß er sich stets in den Vordergrund zu drängen.«
»Die Verse müßten ein wenig mehr gefeilt werden,« sagte Habbas Dahdah, »Ich rate zu der Horazischen Regel: laß es nur liegen, nur liegen und zur Reife kommen!«
Es war, als hätte man mich Aermsten schon auf meiner schönen Bildsäule zerschmettert. Ich las zwar noch einige Stanzen, aber kalte leichte Bemerkungen schwirrten um mich. Wo mein Herz sein eigenes Gefühl natürlich und ungezwungen ausgesprochen hatte, da hatte ich von einem andern Dichter entlehnt, wo meine Seele begeistert war, wo ich Aufmerksamkeit und Entzücken erwartet hatte, war man gleichgültig und machte kalte gewöhnliche Bemerkungen. Ich brach beim Schlusse des zweiten Gesanges ab, es war mir unmöglich weiter zu lesen. Mein Gedicht, welches so schön und geistig vor mir gestanden hatte, lag nun wie eine mißgestaltete Puppe, wie eine Befana mit Glasaugen und verzerrten Mienen ta. Es war, als hätte man Gift über mein Schönheitsbild gehaucht.
»Der David schlägt keine Philister tot,« sagte Habbas Dahdah. Im übrigen meinte man, es kämen recht artige Dinge darin vor; das Kindliche, das Gefühlvolle wüßte ich ganz niedlich auszudrücken. Ich stand schweigend und verneigte mich, wie der Verbrecher für ein gnädiges Urteil. »Die Horazische Regel,« raunte mir Habbas Dahdah zu, drückte mir aber sonst recht freundschaftlich die Hand und nannte mich Dichter. Jedoch einige Augenblicke darauf, als ich mich verlegen in eine Ecke drückte, hörte ich ihn zu Fabiani sagen, meine Arbeit wäre ein zur wahren Verzweiflung zusammengestoppeltes Machwerk.
Man verkannte mich und mein Werk, aber das konnte meine Seele nicht ertragen. Ich ging in den anstoßenden großen Saal, wo Feuer im Kamine brannte. Krampfhaft preßte ich das Gedicht in meinen Händen zusammen. Alle meine Hoffnung, alle meine Träume waren in einem Augenblicke vernichtet. Ich fühlte mich so unendlich klein, ein mißlungenes Abbild dessen, nach dessen Bilde ich geschaffen war. Was ich geliebt, an meine Lippen gedrückt, meine Seele eingeatmet hatte, meinen lebendigen Gedanken, warf ich von mir, hinein in den Kamin, mein Gedicht loderte in den glühenden Flammen auf.
»Antonio!« rief die kleine Abbebisse dicht neben mir und griff in das Feuer nach den brennenden Blättern. Bei der schnellen Bewegung glitt ihr Fuß aus, sie stürzte in das Feuer, es sah schrecklich aus. Sie stieß einen Schrei aus, ich stürzte mich über sie, richtete sie empor, das Gedicht war schon verzehrt, die andern kamen erschreckt herbei.
»Jesus Maria!« rief Francesca. Die kleine Abbedisse lag totenblaß in meinen Armen; sie hob den Kopf, lächelte und sagte zur Mutter: »Mein Fuß glitt aus! Ich habe mir etwas die Hand verbrannt; wäre Antonio nicht gewesen, würde es schlimmer ausgefallen sein!« Ich stand wie ein Sünder da und konnte nicht ein einziges Wort sagen. Sie hatte sich die linke Hand stark verbrannt, im ganzen Hause entstand eine lebhafte Bewegung. Man erfuhr nicht, daß ich mein Gedicht verbrannt hatte; ich erwartete, daß man mich später nach demselben fragen würde, aber da ich nicht davon anfing, wurde dasselbe auch von niemandem erwähnt. Von niemandem? Ja, von einer einzigen: von Flaminia, der kleinen Abbedisse. Ich sah in ihr des Hauses guten Engel. Bei ihrer Sanftmut, ihrem schwesterlichen Sinne kehrte öfter mein ganzes kindliches Vertrauen wieder zurück; ich war wie an sie gekettet. Mehr als vierzehn Tage war ihre Hand krank, aber es brannte auch in meinem Herzen.
»Flaminia, ich trage an dem Ganzen die Schuld!« sagte ich eines Tages zu ihr, als ich allein bei ihr saß. »Um meinetwillen leiden Sie diese Schmerzen.«
»Antonio,« erwiderte sie, »schweige um Gottes willen darüber! Laß niemand auch nur ein einziges Wort davon hören. Du thust dir ja selbst unrecht; mein Fuß glitt aus, es hätte weit unglücklicher ablaufen können, wärest du nicht gewesen. Ich muß dir ja danken, und das fühlt auch Vater und Mutter. Sie haben dich sehr lieb, Antonio, mehr als du glaubst.«
»Ich verdanke ihnen alles,« versetzte ich; »jeden Tag überhäufen sie mich mit neuen Wohlthaten.«
»Rede nicht davon, Antonio, sie haben ihre eigene Manier dich zu behandeln, aber sie denken nun einmal, daß sie die richtige ist. Du weißt nicht, wie viel Gutes mir Mutter von dir erzählt hat. Wir haben ja alle Fehler, Antonio, du selbst« – sie stockte – »ja wie konntest du nur so böse sein, das schöne Gedicht zu verbrennen?«
»Es verdiente nichts Besseres,« erwiderte ich; »ich hätte es schon längst in das Feuer werfen sollen.«
Flaminia schüttelte den Kopf. »Es ist eine schlimme böse Welt,« versetzte sie; »ja es war bei den Schwestern in dem stillen freundlichen Kloster weit besser.«
»Ja,« rief ich, »unschuldig und gut, wie Sie, bin ich nicht; mein Herz erinnert sich weit öfter des bittern Tropfen, als jedes Labetrunkes des Segens, den man mir reicht.«
»In meinem lieben Kloster war es weit besser als hier, wo ihr mich doch auch alle liebt,« sagte sie öfter, wenn wir allein waren. Meine ganze Seele neigte sich zu ihr, denn ich empfand es, sie war meines Gefühls, meiner Unschuld guter Engel. Ich glaubte bei den andern eine größere Delikatesse, eine größere Milde in Worten und Blicken gegen mich zu bemerken und schrieb dies Flaminias Einflusse zu.
Sie sprach so gern mit mir von demjenigen, was mich am meisten beschäftigte: von der Poesie, der herrlichen göttlichen Poesie, und ich erzählte ihr von den großen Meistern, und oft erfüllte mich Begeisterung und meine Lippen wurden beredt. Sie saß mit gefalteten Händen wie ein Engel der Unschuld dabei und schaute mir ins Auge.
»Wie glücklich du doch bist, Antonio!« sagte sie, »glücklich vor Tausenden, und doch scheint es mir ängstlich, in dem Grade der Welt anzugehören, wie du, wie jeder Dichter es muß. Wie viel Gutes kann dein Wort nicht wirken, aber auch wie viel Böses!« Sie äußerte ihre Verwunderung darüber, daß die Dichter beständig von irdischem Kampf, von irdischem Treiben singen. Sie meinte, daß ein Prophet Gottes, was ein Sänger doch wäre, nur von dem ewigen Gott und von der Himmelsfreude singen müßte.
»Aber der Dichter besingt Gott in seinen Geschöpfen,« erwiderte ich; »ich verherrliche ihn in dem, was er zu seiner eigenen Verherrlichung hervorbrachte.«
»Ich verstehe das nicht,« sagte Flamina,, »ich fühle klar, was ich sagen möchte, finde aber die Worte dafür nicht. Den ewigen Gott, das Göttliche in seiner Welt und in unserm eigenen Herzen sollte der Dichter zum Ausdruck bringen, sollte uns an Gottes Vaterherz führen und nicht in die wilde Welt hinaus.« Und sie fragte mich, welche Empfindung eines Dichters Brust erfüllte, was sich in einem regte, wenn man improvisierte. Ich erklärte ihr diesen geistigen Gesundheitszustand, so gut es mir möglich war.
»Die Gedanken, die Ideen,« sagte sie, »ja, das verstehe ich wohl. Sie werden in der Seele geboren, stammen von Gott, das kennen wir alle; aber die schönen Verse, die Art und Weise, in der man dieses Bewußtsein ausdrückt, das verstehe ich nicht.«
»Haben Sie nicht,« fragte ich, »mitunter im Kloster einen oder den andern schönen Psalm oder eine heilige Legende gelernt, die in Versen geschrieben waren? Oft, wenn Sie am wenigsten daran dachten, ist durch eine oder die andere Veranlassung eine Idee in Ihnen aufgetaucht, durch welche die Erinnerung an dieses oder jenes Gedicht geweckt würde; Sie haben es dann zu Papier bringen können. Der Vers, der Reim selbst, hat Ihre Erinnerung lebendiger gemacht und unwillkürlich auf das Folgende gelenkt, während der Gedanke, der Inhalt klar vor Ihnen stand. So geht es auch dem Improvisator und dem Dichter, mir wenigstens. Oft kommt es mir vor, als seien es Erinnerungen, Wiegengesänge aus einer andern Welt, die in meiner Seele erwachen und die ich wiederholen muß.«
»Wie oft habe ich nicht etwas Aehnliches gefühlt!« entgegnete Flaminia, »ohne imstande zu sein es auszusprechen. Welch wunderbare Sehnsucht ergriff mich oft, ohne daß ich selbst wußte wonach! Es kam mir deshalb oft vor, als ob ich in diese wilde Welt hier gar nicht hineingehörte. Alles erschien mir wie ein großer seltsamer Traum! darum sehne ich mich auch wieder nach meinem Kloster, nach meiner kleinen Zelle. Ich weiß nicht, wie es zugeht, Antonio, aber dort sah ich im Traume so häufig meinen Bräutigam Jesus und die heilige Jungfrau. Jetzt kommen sie seltener zu mir, ich träume von so viel weltlicher Pracht und Freude, von so viel Bösem. Ich bin gewiß nicht mehr so gut wie bei den Schwestern. Weshalb soll ich nun so lange fort sein von ihnen? Weißt du was, Antonio, ich will dir beichten! Ich bin nicht mehr unschuldig, ich will mich so gern putzen, und es macht mir Freude, wenn sie sagen, daß ich schön bin. Im Kloster sagte man mir, nur die Kinder der Sünde dächten an dergleichen.«
»O, wäre mein Herz doch so unschuldig, wie das Ihrige!« rief ich, verneigte mich vor ihr und küßte ihr die Hand. Sie erzählte mir, daß sie sich noch recht gut erinnerte, wie ich mit ihr auf dem Arme getanzt und ihr Bilder gezeichnet hätte.
»Welche Sie zerrissen, wenn Sie sie angesehen hatten,« versetzte ich.
»Das war häßlich von mir; wurdest du dann nicht böse auf mich?«
»Die Menschen haben mir die besten Bilder meines Herzens zerrissen, und ich bin doch nicht böse auf sie,« sagte ich, und sie streichelte mir zärtlich die Wangen. Immer teurer und teurer wurde sie meinem Herzen, welches ja von allen in der Welt zurückgestoßen wurde; sie allein war liebevoll und teilnehmend.
In den beiden wärmsten Monaten übersiedelten sie alle nach Tivoli. Ich durfte sie begleiten; gewiß war Flaminia die Veranlassung. Die herrliche Natur, die reichen Olivenhaine und brausenden Wasserfälle ergriffen meine Seele, wie das Meer sie ergriff, als ich es zum erstenmal bei Terracina erblickte. Ich fühlte mich unendlich glücklich, daß ich dem staubigen Rom, der versengten Campagna, der drückenden Hitze hatte entfliehen können. Die frische Luft und die Berge mit ihren dunklen Olivenhainen riefen die Lebensbilder aus Neapel wieder in meiner Seele wach.
Gern und oft ritt Flaminia mit ihrem Kammermädchen auf ihren Eseln durch die Gebirgsthäler bei Tivoli und ich durfte sie begleiten. Flaminia hatte viel Sinn für das malerisch Schöne in der Natur; ich mußte den Versuch machen einige Scenen der reichen Umgebung für sie abzunehmen: die unendliche Campagna, an deren Horizonte sich die Peterskirche erhob, die üppigen Berghalden mit dichten Olivenhainen und Weingärten, und Tivoli selbst, welches auf hohem Felsen lag, unter dem sich Wasserfall an Wasserfall schäumend in den Abgrund stürzte.
»Es sieht aus,« sagte Flaminia, »als ob die ganze Stadt auf losen Felsenstücken stände, die das Wasser einmal mit sich reißen könnte. Oben in den Straßen läßt man sich nichts davon träumen, leichtsinnig hüpft und springt man über einem offenen Grabe.«
»Das thun wir ja immer,« erwiderte ich. »Es ist weise und glücklich, daß es unseren Augen verhüllt ist. Die brausenden Wasserströme, die wir hier hinabstürzen sehen, haben etwas Beängstigendes, aber um wie viel entsetzlicher muß es nicht unter Neapel aussehen, wo das Feuer wirbelt, wie hier das Wasser!«
Ich erzählte ihr darauf vom Vesuv, meiner Wanderung hinauf, erzählte von Herculanum und Pompeji, und sie sog jedes Wort von meinen Lippen. Zu Hause mußte ich ihr noch mehr von der Herrlichkeit jenseits der Sümpfe erzählen.
Das Meer konnte sie sich nicht recht vorstellen, denn sie hatte es nur von den höchsten Bergspitzen aus wie ein Silberband am Horizont gesehen. Ich erklärte ihr, es wäre, als wenn Gottes Himmel ausgespannt über der Erde läge, und sie faltete ihre Hände und sagte: »Gott hat doch die Welt unendlich schön gemacht.«
»Deshalb muß man sich auch nicht von der Herrlichkeit seiner Werke abwenden und sich nicht in ein finsteres Kloster einmauern!« hätte ich gern gesagt, wagte es aber nicht.
Wir standen eines Tages neben dem alten Sibyllentempel und sahen auf die beiden großen Wasserfälle hinab, welche wie Wolken in den Abgrund stürzten. Eine Säule von Wasserstaub stieg hoch zwischen den dunklen Bäumen in die blaue Luft empor. Die Sonnenstrahlen schienen auf die Säule und bildeten einen Regenbogen. In der Felsenhöhle über der kleineren Kaskade hatte ein Schwarm Tauben seine Nester; in großen Kreisen flogen sie unter uns über die brausende Wassermasse fort, die in ihrem Falle sich in Schaum auflöste.
»Wie wunderbar schön!« rief Flaminia, »improvisiere nun auch vor mir, Antonio!« fuhr sie fort, »sage mir jetzt ein Gedicht über das, was du siehst!«
Ich dachte an die Träume meines Herzens, die sich alle wie der Strom hier vor mir aufgelöst hatten, und ich gehorchte ihr und sang: Das Leben brauste wie der Strom dahin, aber nicht jeder Tropfen sog Sonnenlicht ein, nur über das Ganze, über die Menschheit im ganzen, neigte sich die Schönheitsglorie hinab.
»Nein, ich will nichts Trauriges hören,« sagte Flaminia; »wenn es dir nicht wirklich Freude macht, sollst du nicht vor mir singen! ich weiß nicht, wie es zugeht, Antonio, aber dich betrachte ich durchaus nicht wie die andern Herren, die ich kenne. Dir kann ich alles sagen, was ich denke, du scheinst mir ebenso nahe zu stehen, wie mein Vater und meine Mutter.«
Ich besaß ihr Vertrauen in eben so hohem Grade, wie sie das meinige. So vieles bewegte sich in meiner Seele; mein Herz sehnte sich danach, sich mitzuteilen. Eines Abends erzählte ich ihr etwas aus meinen Kinderjahren, von der Wanderung in den Katakomben, von dem Blumenfeste in Genzano und dem Tode meiner Mutter, als Eccellenzas Pferde über uns hinfort stürmten. Davon hatte sie nie gehört.
»O Gott!« sagte sie, »dann sind wir ja an deinem Unglücke schuld, armer Antonio!« Sie ergriff meine Hand und schaute mir betrübt ins Auge. Für die alte Domenica äußerte sie viel Interesse, fragte, ob ich sie fleißig besuchte und ich schämte mich eingestehen zu müssen, daß ich in den letzten Jahren höchstens zweimal bei ihr draußen gewesen wäre; in Rom hätte ich sie jedoch oft gesehen und dann stets mein kleines Vermögen mit ihr geteilt, was freilich nicht der Rede wert gewesen wäre.
Sie bat mich, ihr immer mehr zu erzählen; ich teilte ihr darauf mein ganzes Jugendleben mit, erzählte von Bernardo und Annunziata, und sie sah mir mit ihrem unendlich frommen Blick bis in die Seele hinein. Die Nähe der Unschuld lenkte meine Worte. Ich erzählte von Neapel, selbst die Schattenseiten berührte ich, aber leicht, mit sehr leisen Andeutungen, und doch schauderte sie über das, was ich erzählte, schauderte vor Santa, der Schönheitsschlange in meinem Paradiese.
»Nein, nein!« rief sie, »dort möchte ich niemals hin! Nicht das Meer, nicht der brennende Berg kann all die Sünde und Abscheulichkeit aufwiegen, welche die große Stadt in sich birgt. Du bist gut und fromm, deshalb hat die Madonna dich beschirmt.«
Ich dachte an das Bild der Mutter Gottes, welches von der Wand hinabgestürzt war, als meine Lippen die Santa berührten, aber das konnte ich Flaminia nicht erzählen. Ob sie mich dann wohl noch gut und fromm genannt haben würde? Ich war ein Sünder, wie alle übrige; die Umstände, die Gnade der Mutter Gottes hatten über mir gewacht. Im Augenblicke der Versuchung war ich schwach, wie alle, die ich kannte.
Lara gewann sie unaussprechlich lieb. »Ja,« sagte sie, »als dein Geist in Gottes Himmel war, konnte nur sie zu dir kommen! Ich kann sie mir so recht lebhaft vorstellen, kann mir genau die blaue strahlende Grotte vorstellen, wo du sie zuletzt sahest.« Annunziata mochte sie weniger leiden. »Wie konnte sie den häßlichen Bernardo lieben? Ich wünschte gar nicht, daß sie gerade deine Frau würde. Ein Frauenzimmer, das sich vor ein ganzes Publikum hinstellen kann, ein Frauenzimmer – –! Ja ich vermag es nicht ganz deutlich auszusprechen, was ich meine – –! Ich erkenne recht wohl, wie schön, wie klug sie war, wie viele Vorzüge sie vor andern Frauen hatte, aber trotzdem würde ich nicht wünschen, daß sie dich besäße. Da war Lara ein besserer Schutzengel für dich.«
Ich mußte ihr von meiner Improvisation erzählen, und sie meinte, es hätte in dem großen Theater weit schrecklicher sein müssen, als in der Räuberhöhle mitten im Gebirge. Ich zeigte ihr den diario di Napoli, in welchem die Kritik über mein erstes Auftreten stand. Wie oft hatte ich sie seitdem nicht gelesen!
Es machte ihr Vergnügen alles zu sehen, was dort in dem Blatte aus der fremden Stadt stand. Mit einem Male blickte sie zu mir auf und rief: »Aber du hast mir ja gar nicht gesagt, daß Annunziata zu derselben Zeit in Neapel war wie du! Hier steht es, sie will morgen auftreten, also an dem Tage deiner Abreise.«
»Annunziata!« stammelte ich und starrte in das Blatt, welches ich so oft gesehen, von dem ich aber freilich nie etwas anderes gelesen hatte, als eben das, was von mir darin stand. »Das habe ich wirklich nicht gesehen!« rief ich, und wir sahen schweigend einander an. »Gott sei Lob und Dank, daß ich sie nicht traf, sie nicht sah, hatte ich doch kein Anrecht auf sie!«
»Aber wenn es jetzt geschähe?« fragte Flaminia, »würde es dich nicht freuen?«
»Es würde mir Schmerz bereiten,« rief ich, »mein Leiden vermehren! Die Annunziata, welche mich einst begeisterte, welche noch in meiner Erinnerung idealisch vor mir steht, würde ich nicht wiederfinden. Sie würde mir ein neues Wesen sein, welches schmerzlich ein Andenken berührte, das ich vergessen muß, das ich als das Eigentum de« Todes betrachten muß! Sie ruht unter meinen Toten.«
Eine« Nachmittags, als es sehr heiß war, trat ich in den großen gemeinschaftlichen Saal, dessen Fenster von dichten grünen Schlingpflanzen beschattet waren. Flaminia stützte den Kopf auf die Hand und war eingeschlummert, es sah aus, als hätte sie die Augen nur zum Scherz geschlossen. Ihre Brust hob sich, sie träumte. »Lara!« sagte sie. Im Traume schwebte sie wahrscheinlich mit dem Traumbilde meines Herzens in jener strahlenden Welt, wo ich es zuletzt gesehen hatte. Ein Lächeln spielte um ihre Lippen. Sie schlug die Augen auf. »Antonio, du hier?« sagte sie, »ich habe geschlafen und geträumt! Weißt du wohl von wem?«
»Von Lara!« sagte ich, denn an sie hatte ich ebenfalls unwillkürlich denken müssen, als ich Flaminia mit geschlossenen Augen sah.
»Ich träumte von ihr,« versetzte sie. »Wir flogen beide über das große herrliche Meer, von dem du mir erzählt hast. Mitten im Wasser lag ein Berg, auf welchem du so traurig saßest, wie du es oft sein kannst. Sie forderte mich auf, mit ihr zu dir hinabzufliegen, aber die Luft hielt mich in der Höhe zurück, und bei jedem Flügelschlage, den ich that, um ihr zu folgen, wich ich nur in größere Ferne. Aber als ich glaubte, es lägen tausend Meilen zwischen uns, war sie an meiner Seite und du ebenfalls.«
»So sammelt der Tod uns alle!« erwiderte ich. »Der Tod ist doch reich, er besitzt alles, was unserm Herzen am liebsten ist.« Ich sprach mit ihr von allen meinen lieben Toten, auch von denen meines Herzens, meiner Liebe, und oft kehrten wir zu denselben Erinnerungen zurück.
Da fragte sie mich, ob ich auch ihrer gedenken würde, wenn wir uns trennten. Bald wäre sie ja im Kloster, wäre Nonne, Christi Braut, dann könnten wir einander nie mehr sehen.
Ein tiefer Schmerz ergriff mich bei dem Gedanken daran, ich fühlte recht lebhaft, wie teuer mir Flaminia geworden war.
Als sie eines Tages mit ihrer Mutter und mir im Park der Villa d'Este spazieren ging, der wegen seiner hohen Cypressen berühmt ist, wandelten wir durch die lange Allee, welche von künstlichen Springbrunnen gebildet wird. Hier lag ein in ärmliche Lumpen gehüllter Bettler und reinigte den Weg von dem hervorsprießenden Grase. Ich gab ihm einen Paolo, Flaminia lächelte ihn freundlich an und gab ihm gleichfalls einen.
»Madonna lohne es der jungen Eccellenza und ihrer schönen Braut!« lief er uns nach.
Francesca lachte laut auf, mir ging es siedend heiß durch das Blut; ich hatte nicht den Mut, Flaminia anzusehen. In meiner Seele war ein Gedanke erwacht, den ich nicht einmal gewagt hatte vor mir selbst zu entschleiern. Langsam, aber stetig, war Flaminia immer mehr mit meinem Herzen verwachsen; ich fühlte es nur zu tief, es mußte verbluten, sollten wir uns trennen. Sie war die einzige, an die sich meine Seele noch klammerte, die einzige, der meine Gedanken und Gefühle sich liebevoll zuneigten. War dies Liebe? Liebte ich sie? Das Gefühl, welches Annunziata in meiner Seele geweckt hatte, war völlig verschieden; selbst die Erscheinung Laras, die Erinnerung an sie, hatte ein diesem weit verwandteres Gefühl in mir hervorgerufen. Geist und Schönheit rissen mich bei Annunziata hin; das ideal Schöne blendete mich bei dem ersten Anblicke Laras, der mein Herz höher schlagen ließ. Nein, so war meine Liebe zu Flaminia nicht! Es war nicht die wilde brennende Leidenschaft; es war Freundschaft, des Bruders lebhafteste Freundschaft. Ich kannte das Verhältnis, in dem ich zu ihrer Familie stand, das Los, welches ihr von derselben bestimmt war, und verzweifelte, denn ich konnte mich nicht von ihr trennen, sie war mir mein Alles, mein Liebstes in dieser Welt. Aber ich fühlte nicht den Wunsch, sie an mein Herz zu drücken, Küsse auf ihre Lippen zu hauchen, worauf bei Annunziata mein ganzes Sinnen gerichtet war, wozu mich bei dem blinden, mir völlig fremden Mädchen eine unsichtbare Macht trieb.
»Die junge Eccellenza und ihre schöne Braut!« wie der Bettler gerufen hatte, hallte beständig in meiner Seele wieder. Jeden Wunsch suchte ich Flaminia an den Augen abzusehen, wie ein Schatten hing ich an ihr. Wenn die andern zugegen waren, wurde ich verstimmt und traurig. Ich fühlte die tausend Bande, die mich fesselten und bedrückten; ich wurde still und zerstreut, nur ihr gegenüber wurde ich beredt. Sie war mir so lieb und wert, und sie sollte ich verlieren!
»Antonio!« sagte sie, »du bist krank, oder es ist dir etwas geschehen, was ich nicht wissen soll. Weshalb? Darf ich es nicht erfahren?« Mit ganzer Seele hing sie an mir; ich wollte ihr ein lieber treuer Bruder sein, und doch ging all mein Reden beständig darauf aus, ihre Gedanken auf diese Welt zu lenken. Ich erzählte, wie ich selbst einmal hätte Mönch werden wollen, und wie unglücklich ich, falls es geschehen, dann geworden wäre, denn früher oder später verlangte das Herz sein Recht.
»Dagegen werde ich,« erwiderte sie, »mich glücklich, sehr glücklich fühlen, wenn ich wieder zu den frommen Schwestern zurückkomme. Bei ihnen erst bin ich wahrhaft daheim! Oft werde ich dann der Zeit gedenken, wo ich draußen in der Welt war, werde an alles denken, was du mir erzählt hast, werde deiner gedenken und wie gut du gegen mich gewesen bist. Es wird ein schöner Traum sein, schon jetzt erscheint mir alles traumartig. Ich werde beten für dich, beten, daß dich die böse Welt nie verderben möge, daß du recht glücklich werdest, daß du die Welt mit deinen Gesängen erfreuest und daß du fühlest, wie gut der liebe Gott gegen dich und uns alle ist.«
Da traten mir die Thränen in die, Augen, ich seufzte tief: »Dann bekommen wir uns nie mehr zu sehen.«
»O ja, bei Gott und der Madonna,« entgegnete sie und lächelte fromm. »Dort wirst du mir Lara zeigen! Dort erhält sie auch ihr Augenlicht! Ach ja! bei der Madonna ist es doch am besten.«
Wir übersiedelten wieder nach Rom; in einigen Wochen sollte Flaminia, wie ich sie miteinander es verabreden hörte, nach dem Kloster zurück – und bald darauf den Schleier nehmen. Mein Herz brach fast vor Schmerz, und doch mußte ich meinen Kummer verbergen. Wie einsam und öde mußte es hier nicht werden, wenn sie uns verließ, wie fremd und verlassen mußte ich dann nicht wieder dastehen! Was war das nicht für ein Herzenskummer – ich suchte ihn zu verbergen – munter zu sein, ein ganz anderer zu sein, als ich war.
Sie redeten von der Entfaltung aller möglichen Pracht bei ihrer Einweihung, als wenn es ein Freudenfest wäre. Aber war es denn auch nur möglich, daß sie wirklich von uns gehen konnte? Bethört hatte sie ihre Sinne, bethört ihren Verstand. Das schöne lange Haar sollte ihr abgeschnitten, das Leichengewand über die Lebende gebreitet werden, sie sollte die Totenglocke läuten hören, und erst nach dem symbolischen Begräbnisse als Himmelsbraut auferstehen. Ich redete mit Flaminia darüber, bat sie mit Todesangst, sich dessen bewußt zu werden, was sie thäte, wenn sie so gewissermaßen in ihr eigenes Grab hinabstiege.
»Laß niemand hören, was du sagst, Antonio!« sagte sie mit einem Ernste, den ich nie bei ihr gehört hatte. »Die Welt hält dich allzu fest! Sieh mehr auf das Himmlische!« Sie errötete wie Blut, ergriff meine Hand, als hätte sie zu hart geredet und sagte mit der rührendsten Milde: »Du wirst mich ja doch nicht betrüben wollen, Antonio!«
Da sank ich ihr zu Füßen. Wie eine Heilige stand sie vor mir; meine ganze Seele klammerte sich an sie. Wie viele Thränen weinte ich nicht des Nachts. Meine heftige Neigung zu ihr erschien mir wie eine Sünde, war sie doch die Braut der Kirche. Täglich sah ich sie, täglich lernte ich sie höher schätzen. Wie eine Schwester redete sie zu mir, sah mir ins Auge, reichte mir die Hand, sagte, ich müßte sie stets recht lieb haben. Krampfhaft verbarg ich vor allen Dingen die Todesnacht, die meine Seele umdüsterte, und es gelang mir, man bemerkte sie nicht. Gott sende dem Herzen, welches so leidet, wie das meinige litt, den Tod! Der Augenblick der Trennung stand in schrecklicher Gestalt vor mir; deshalb flüsterte mir ein böser Geist in das Ohr: »Du liebst sie!« und ich liebte sie ja doch nicht, wie ich Annunziata geliebt hatte, mein Herz klopfte nicht so, wie damals, als meine Lippen Laras Stirn berührten. »Sage Flaminia, daß du ohne sie nicht leben kannst; sie hängt ja doch an dir, wie eine Schwester am Bruder! Sage, daß du sie liebst! Eccellenza und die ganze Familie wird dich verdammen, dich in die Welt hinausstoßen! Aber mit ihr verlierst du ja auch alles. Die Wahl ist leicht!«
Wie oft schwebte nicht das Geständnis auf meinen Lippen, aber mein Herz bebte, ich verstummte. Es war ein Fieber, das mein Blut, meine Gedanken erregte.
Im Palaste wurden alle Vorbereitungen zu einem glänzenden Balle, einem Blumenfeste für das Opferlamm, getroffen. Ich sah sie in der reichen, prächtigen Tracht, sie war unendlich liebreizend.
»Sei nun heiter und fröhlich, wie die anderen!« flüsterte sie mir zu. »Es betrübt mich, dich traurig zu sehen! Oft werde ich gewiß um deinetwillen an die Welt zurückdenken, wenn ich in meinem Kloster sitze, und es ist Sünde, Antonio! Versprich mir, daß du heiterer werden willst. Versprich mir, daß du dem Vater und der Mutter verzeihen willst, wenn sie ein wenig hart gegen dich sind! Sie meinen es weit besser mit dir. Versprich mir, daß du nicht so viel an die Bitterkeit der Welt denken willst, und sei immer gut und fromm, wie du es jetzt bist, dann darf ich gewiß deiner denken, gewiß für dich beten, und die Madonna ist gut und gnädig.«
Ihre Worte klangen wie Todesseufzer in meinem Herzen. Ich sehe sie noch den letzten Abend, ehe sie uns verließ. Sie war vollkommen ruhig, sie küßte ihren Vater und die alte Eccellenza und sprach von dem Abschiede, als gälte es nur eine Trennung von wenigen Tagen.
»Sage nun auch Antonio Lebewohl!« forderte sie Fabiani auf; er war gerührt, die anderen schienen es nicht zu sein. Schnell trat ich auf sie zu und neigte mich, um ihr die Hand zu küssen.
»Antonio!« sagte sie; ihre Stimme war sanft und weich, die Thränen brachen mir aus den Augen. »Werde glücklich!« sagte sie.
Ich weiß selbst nicht, am liebsten hätte ich mich losgerissen; zum letztenmal blickte ich ihr in das fromme, sanfte Antlitz.
»Lebewohl!« sagte sie, und doch kam nicht ein Ton über ihre Lippen; sie neigte sich über mich, küßte mich auf die Stirn und sagte: »Dank für alle deine Liebe, mein teurer Bruder!«
Mehr weiß ich nicht; ich befand mich außerhalb des Saales, war auf meinem Zimmer, wo ich mich ausweinen konnte. Es war, als ob eine Welt unter mir versunken wäre.
– – Und ich sah sie wieder! Als die Zeit erfüllt war, sah ich sie wieder. Die Sonne schien warm und freundlich. Ich sah, wie Flammia in all ihrer reichen Pracht und Herrlichkeit von Mutter und Vater an den Altar geführt wurde, hörte den Gesang, gewahrte die große Menschenmasse rings um mich her, aber deutlich steht nur das bleiche sanfte Antlitz vor mir; ein Engel war es, der mit den Priestern vor dem Hochaltare kniete. Ich sah, wie sie ihr den kostbaren Schleier vom Kopfe nahmen und das üppige Haar über ihre Schultern hinabfloß, ich hörte, wie die Schere es abschnitt. Sie zogen ihr die reichen Kleider aus, sie legte sich auf die Totenbahre, das Leichentuch und die schwarzen Decken mit den Totenköpfen wurden über sie gebreitet. Die Kirchenglocken läuteten zum Begräbnis, man stimmte den Trauergesang für die Tote an. Ja, tot war sie, begraben für diese Welt. Da« schwarze Gitter vor dem Chorgang des Klosters erhob sich, die Schwestern standen in ihren weißen Festgewändern da und sangen der neuen Schwester das Willkommen der Engel entgegen, der Bischof reichte ihr die Hand, die Tote stand aus ihrem Grabe als Himmelsbraut auf. Elisabeth hieß sie jetzt. Ich sah den letzten Blick, welchen sie über die Versammlung hingleiten ließ; darauf reichte sie der nächsten Schwester die Hand und trat in das lebendige Grab des Lebens hinein. – Das schwarze Gitter fiel! – Ich sah noch ihre Umrisse, den letzten Zipfel ihres Kleides – und sie war verschwunden.