Wer sich mit der italienischen Mafia anlegt, muss mutig sein - meinen die einen. Andere würden sagen: lebensmüde! Mutig, aber gar nicht lebensmüde war der Jurist Giovanni Falcone. Autorin: Prisca Straub
Er revolutionierte Italiens Ansehen in der Welt. Wenigstens vorübergehend. Der sogenannte Maxi-Prozess von Palermo, der mit den Worten begann: "Dies ist ein Prozess wie jeder andere, selbst wenn er alle Dimensionen sprengt!" Und in der Tat: Damit die Verhandlungen gegen die sizilianische Cosa Nostra überhaupt beginnen konnten, musste Ende der 1980er-Jahre ein Verhandlungsgebäude der Extraklasse neben das alte Staatsgefängnis gesetzt werden. Ein Bunker aus Stahlbeton. Raketensicher. Im Gerichtsaal - ein Gemeinschaftskäfig für fast 500 Angeklagte. Vor dem Eingang ein Panzer - Tag und Nacht - 22 Monate lang.
8.000 Seiten Anklageschrift
Die Anklageschrift von mehr als 8.000 Seiten stammt von Giovanni Falcone. Der am 18. Mai 1939 in Palermo geborenen Jurist hatte den Maxi-Prozess jahrelang akribisch vorbereitet - und ihm war Unvorstellbares gelungen: Er hatte nicht nur abenteuerliche finanzielle Transaktionen offengelegt, sondern sogar Mafia-Bosse zum Reden gebracht. Kronzeugen der Superlative, die bereit waren, das eiserne Gebot der Schweigepflicht zu brechen. Abend für Abend sitzt ganz Italien atemlos vor den Fernsehgeräten - und die ehemaligen Bosse, zurechtgestutzt in den Käfigen des Rechtstaats. Als der Maxi-Prozess 1987 endet - mit Gefängnisstrafen von insgesamt fast 3.000 Jahren - ist das der Höhepunkt von Falcones beruflicher Laufbahn. Gleichzeitig macht es aus dem Chefankläger einen Todeskandidaten.
3.000 Jahre Knast
War es noch während des Prozesses in Palermo erstaunlich ruhig gewesen, beginnt jetzt eine beispiellose Mordserie. Die Cosa Nostra reguliert die Gewaltkriminalität wie mit einem Thermostat. Nachdem es ihr nicht möglich gewesen war, den Prozessverlauf in ihrem Sinne zurechtzurücken, wird der erste Zeuge nur wenige Stunden nach Urteilsverkündung auf offener Straße liquidiert. Dutzende werden folgen.
Und Star-Ermittler Falcone? Er stürzt sich in Arbeit wie ein Süchtiger. Sammelt weiter Belastungsmaterial und führt mit seiner Frau ein abgeschottetes, kugelsicheres Dasein. Drohanrufe, Todesankündigungen - die üblichen Zeichnungen von Särgen flattern über seinen Schreibtisch. Falcone nimmt sie kaum zur Kenntnis. Ein erster Anschlag auf ihn, eine Bombe in einer harmlos am Strand liegenden Badetasche, kann gerade noch vereitelt werden.
Doch eines hatte Falcone unterschätzt: Dass ihm der italienische Staat so massiv in den Rücken fallen würde: Nachsicht und Hafterleichterungen für die sizilianischen Bosse - nur zwei Jahre nach dem Maxi-Prozess ist von den Hunderten verurteilter Krimineller nur noch ein Bruchteil hinter Gittern. Die übrigen leben haftverschont in teuren Privatkliniken - lassen ihr angebliches Asthma behandeln - und von den Betten aus die Puppen tanzen.
Die Bombe, die Giovanni Falcone im Mai 1992 schließlich das Leben kostet, verwandelt die Autobahn zum Flughafen von Palermo in eine Kraterlandschaft. Falcone war gerade mit dem Regierungsflugzeug aus Rom eingetroffen - und niemandem war der Trupp verkleideter Bauarbeiter aufgefallen, der eine 500 Kilo-Sprengladung in den Drainageröhren unter der Fahrbahn deponiert hatte. Mit der Kraft eines ausbrechenden Vulkans schleudert die Explosion die gesamte Eskorte in die Luft. Neben dem 53-jährigen Falcone sterben drei Leibwächter -
und seine Frau. Nachkommen hatte der Mafia-Jäger keine. Aus gutem Grund. "Man sollte Kinder in die Welt setzen", hatte er seiner Frau bei der Heirat erklärt, - "keine Waisen!"