Oma kam zu Besuch. Michelle freute sich schon sehr, denn sie hatten sich seit ein paar Wochen nicht mehr gesehen.
»Ich bringe dir auch was Schönes mit.«, hatte Oma versprochen.
Was das wohl sein würde? Michelle war neugierig und gleichzeitig aufgeregt. Vielleicht war es ja eine übergroße Wasserpistole zum Ärgern oder ein schnelles Skateboard.
Am Nachmittag klingelte es dann an der Tür. Sofort stürmte ein kleines Mädchen durch den Flur.
»Oma, Oma. Endlich bist du.«
Michelle freute sich und grinste über das ganze Gesicht.
»Was hast du mir denn mitgebracht?«, fragte sie.
Oma war von ihrer Enkelin ganz überrascht und fühlte sich etwas überrumpelt.
»Aber nicht so schnell, mein Kind. Lass mich doch erstmal rein kommen.«
Also gingen sie gemeinsam ins Esszimmer und setzten sich zum Kuchen essen an den großen Tisch. Mama reichte heißen Kaffee für die Großen und kalten Kakao für Michelle. Papa verteilte den Kuchen auf den Tellern.
»So, dann will ich dich mal nicht länger auf die Folter spannen.«, sagte Oma und drückte ihrer Enkelin ein Geschenk in die Hand.
Michelle nahm es dankend entgegen und riss sofort das bunte Papier auf. Doch dann wurde ihre Laune schlechter.
»Ein Pulli?«
Oma hatte Stolz in den Augen.
»Den habe ich selbst gestrickt, extra mit Pferd, weil du Tiere doch so magst.«
Tiere? Michelle mochte Skateboards und Fahrräder. Autos fand sie auch prima. Aber das?
Nun hielt sie einen rosa Pullover mit einem weißen Pferd darauf in den Händen.
»Wenn ich den in der Schule anziehe, lachen mich doch alle aus. Auf Pferde steht doch nur meine Cousine Melanie.«, dachte sie sich und wünschte, Oma hätte einen besseren Geschmack.
Von Mama bekam sie einen Mitleidsblick.
»Da hat sich Oma aber wirklich viel Mühe gegeben. Zieh doch mal, ob er dir passt.«
Michelle verzog das Gesicht und schlüpfte dann widerwillig in den Pulli.
»Der ist mir viel zu weit.«, hörte man ihre dumpfe Stimme durch den Stoff hindurch.
»Ach, das macht doch nichts, mein Kind. Da wächst du schon noch rein.«, sagte Oma.
»Aber behalt ihn ruhig heute an. Ich finde dich richtig süß darin.«
Michelle verdrehte die Augen und stützte ihren Kopf enttäuscht auf ihre Hände.
»Was meinst du, Süße, willst du nicht nach draußen gehen und etwas spielen?«, schlug Mama plötzlich vor.
»Hier drinnen bei uns langweilst du dich doch sonst nur.«
Das war eine glänzende Idee. Michelle sprang auf, schnappte sich ihr altes Skateboard und war eine Minute später auf dem Gehweg. Sie sah sich um und gab Gas. Sie fuhr immer hin und her und hatte eine Menge Spaß.
»Was spielt die Kleine denn da draußen?«, fragte Oma.
Sie stand auf und sah aus dem Fenster.
»Ist das nicht so ein Rollbrett für Jungs? Ich habe noch nie ein Mädchen mit so einem Ding gesehen.«
In diesem Moment fuhr Michelle zu dicht an einer Hecke vorbei. Ein kleiner Faden des neuen Pullis blieb an einem Ast hängen. Nach und nach löste sich das Strickwerk immer weiter auf. Innerhalb weniger Sekunden war der Rücken frei und nun verschwand auch noch das Vorderteil und die Arme.
Oma rannte sofort nach draußen und rief ihrer Enkelin nach. Doch es war bereits zu spät. Den ganzen Gehweg entlang lag nun ein langer Faden in rosa und weißer Farbe.
»Oh je.«, seufzte Oma.
»Ich glaube, ein Strickpullover ist doch nicht das richtige für so ein quirliges Mädchen. Das nächste Mal kaufe ich dir etwas Robustes aus dem Laden.«
Damit war dann auch Michelle zufrieden.
»Aber bitte ohne Tiere, Oma.«