Vor langer Zeit lebte auf der Lorelei, einem Felsen am Rhein, ein wunderschönes junges Mädchen. Es hatte eine liebliche Stimme, die alle Menschen verzauberte. Immer wenn sie eines ihrer Lieder sang, dann blieben die Menschen sprachlos stehen, um der faszinierenden Stimme zu lauschen.
Alles hätte so schön sein könne, doch leider ließen sich auch die Fischer auf dem Rhein von dem Gesang der Jungfrau in den Bann ziehen. Und so achteten sie nicht mehr auf die Felsen, die den Rhein an dieser Stelle ganz besonders gefährlich machen, und versanken mit ihren Schiffen mitsamt Mann und Maus in den Fluten des Flusses.
Dabei mochte das Mädchen die Fischer ganz besonders gerne. Nur ihnen zeigte sie sich, kein anderer Mensch wusste, wie schön und liebreizend sie war. Die Fischer waren es schließlich, die die Geschichte von der schönen Jungfrau weit hinaus in die Welt trugen.
So kam es, dass auch der Sohn des Pfalzgrafen von diesem einzigartigen Mädchen, von ihrer Schönheit, ihrem Liebreiz und ihrer wundervollen Stimme hörte, aber auch von den tragischen Ereignissen auf dem Wasser. Und er beschloss sofort, diesem Spuk ein Ende zu bereiten.
Eines Abends zog er also aus, setzte sein Boot auf den Rhein und ruderte zu der Stelle, die ihm die Fischer mitgeteilt hatten. Einen von ihnen hatte der Grafensohn mitgenommen. Als sie nun an die Stelle kamen, wo der Lorelei-Felsen lag, da rief der Fischer: „Seht dort. Dort oben sitzt sie. Hört Ihr ihre Stimme?“ Da sah auch der junge Adelige die schöne Frau, die am Rande des Felsen saß und ihre goldenen Haare kämmte. Dabei sang sie ein trauriges Lied.
Es dauerte nur wenige Minuten, da war der junge Mann der Jungfrau hoffnungslos verfallen. Er befahl dem Fischer das Boot an Land zu rudern. Aber als er selbst an Land springen wollte, da rutsche er unglücklich aus und versank - wie schon viele Männer vor ihm - in den Fluten des Rheins. Nie wieder hat jemand den Sohn des Pfalzgrafen gesehen...
Als der Vater von dem großen Unglück erfuhr, da wurde er sehr zornig. Er befahl einem seiner Soldaten, die Frau - tot oder lebendig - zu ihm zu bringen. Der versprach es und zog schon am folgenden Abend zur Lorelei aus. Tatsächlich schaffte es dieser Mann, den Felsen unversehrt zu erklimmen. Oben saß die schöne Frau mit einer Bernsteinkette in der Hand, sah ihn erwartungsvoll an und fragte schließlich: „Was möchtest du von mir?“
„Natürlich dich, du Zauberin“, rief der Angesprochene. „Ich befehle dir, dich sofort in die Fluten des Rheins zu stürzen, du hast Unglück über das Heim unseres Pfalzgrafen gebracht.“ Da lachte die Jungfrau, warf die Bernsteinkette in den Fluss hinunten und rief: „Vater, Vater, geschwind, geschwind die weißen Rosse schick deinem Kind es will reiten mit Wogen und Wind.“
Kaum hatte sie das Letzte Wort ausgesprochen, da bäumten sich zwei mächtige weiße Wellen im Rhein auf, brachen über dem Felsen, auf dem das schöne Mädchen saß, zusammen und zogen es mit sich in die Tiefe des Flusses, wo sie verschwand.
Nie wieder hat ein Mensch die Jungfrau von der Lorelei gesehen.
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