Zehn Jahre waren ins Land gegangen, doch noch immer sann Brunhild darüber nach, warum ihr Mann seine Schwester an solch einen – in ihren Augen – unwürdigen Mann verheiratet hatte. Hinzu kam noch, dass sie überhaupt nicht verstand, warum Sigfrid sich nicht wie alle anderen Lehnsherren Gunthers verhielt. Er war nie zu Gast am Hofe und nahm auch andere Pflichten eines Lehnsmanns nicht wahr.
Lange Zeit flüchtete sich König Gunther in Ausreden. Eines Tages aber wollte Brunhild mehr wissen, wollte endlich eine Antwort auf ihre Frage und schlug deshalb Gunther vor, zur nächsten Sonnenwende ein großes Fest zu feiern. So geschah es dann tatsächlich auch.
Natürlich waren auch Kriemhild und Sigfrid unter den Gästen. Wie es sich für den König von Xanten gehörte, zog er mit prächtigem Gefolge in Worms ein, was Brunhild schon einmal mächtig eifersüchtig werden ließ. Wie konnte sich ein Lehnsmann nur so erdreisten, dachte sie hasserfüllt.
Als sie aber am elften Tage des Festes vor dem Gottesdienst die Worte Kriemhilds vernahm: „Schau ihn dir nur an, meinen Mann, wie er da prächtig vor allen anderen Helden einherschreitet und ihm niemand im Kampfe ebenbürtig ist“, da war es vollends aus mit Brunhilds Beherrschung: „Wie kannst du so etwas sagen“, fauchte sie Kriemhild an, „wo doch dein Mann nur der Lehnsmann meines Mannes ist! Deshalb muss er ihm den Vortritt lassen.“
Kriemhild wollte diese Worte nicht gelten lassen. Und so entbrannte ein heftiger Streit der Königinnen, der immer lautstarker ausgetragen wurde. Die beiden Frauen trennten sich schließlich im Zorn und gingen anschließend jede alleine mit ihren Jungfrauen zum Gottesdienst, was viele Anwesende erstaunte, denn immerhin hatte man bis zu diesem Zeitpunkt die Königinnen immer einträchtig beieinander gesehen.
Als Kriemhild vor Brunhild die Kirche betreten wollte, fuhr die Königin der Burgunden aus der Haut: „Bleib stehen, Kriemhild! Du wirst es ja wohl nicht wagen, vor der Ehefrau des Königs deines Mannes das Gotteshaus betreten zu wollen. Das geziemt sich nicht!“
Diese Worte waren zu viel für die schöne Kriemhild. Wütend und voller Zorn offenbarte sie nun Brunhild, dass es vor zehn Jahren gar nicht Gunther gewesen sei, der sie, die starke Königin der Isländer, besiegt hatte, sondern ihr eigener Mann, Sigfrid! Brunhild brach in Tränen aus und schritt – hoch erhobenen Hauptes und ohne ein weiteres Wort zu verlieren – an Kriemhild vorbei in die Kirche.
Erst nach dem Gottesdienst stellte sie die Königin aus Xanten zur Rede. Ob Kriemhild Beweise habe für ihre ungeheuerlichen Anschuldigungen, wollte sie wissen. Da überreichte ihr Kriemhild Gürtel und Ring, die Sigfrid Brunhild in jener Nacht abgenommen hatte, in der er Gunther im Gemach der Eheleute zur Seite gestanden hatte.
Welche eine Schmach für Königin Brunhild! Als Hagen von Tronje seine Königin so bitterlich am Boden zerstört sah, gelobte er, sich an Sigfrid zu rächen, der das Geheimnis um die Brautwerbung gar an seinem eigenen Weib erzählt hatte! Um die Rache erfolgreich ausgehen zu lassen, ersann er eine List: Er ließ falsche Boten nach Worms reiten, die von einem nahenden Krieg mit den Dänen und Sachsen berichteten.
Als Sigfrid von der drohenden Gefahr hörte, erklärte er sich gleich bereit, mit den Männern von König Gunther in den Kampf zu reiten. Das tat er ja schließlich nicht zum ersten Mal! Als das Heer ausrücken wollte, ging Hagen zu Kriemhild, um sich auch von ihr zu verabschieden. Da sprach Kriemhild: „Hagen, bitte rächt nicht an meinem Mann, was ich Königin Brunhild angetan habe. Ich hätte nie etwas sagen dürfen, aber ich tat es aus Wut.“ Hagen von Tronje gelobte, das Leben des Königs von Xanten schützen zu wollen - was auch geschehe!
Nun offenbarte ihm Kriemhild, dass Sigrid nur an einer einzigen Stelle seines Körpers verwundbar sei, nämlich dort, wo beim Bad im Drachenblut das Lindenblatt gelegen hatte. Hagen horchte auf. „Dann markiert doch bitte deutlich die Stelle auf seinem Gewand“, antwortete Hagen, „dann kann ich immer ganz genau im Kampf auf diese Stelle achten!“ Und weil die Königin nicht wusste, welches falsche Spiel Hagen spielte, tat sie, wie er ihr gesagt hatte.
Als jedoch das Heer ausziehen wollte, kam ganz unverhofft die Botschaft, die feindlichen Truppen seien abgezogen. So beschlossen die Männer, stattdessen im Wasgenwald eine Jagd zu veranstalten. Kriemhild verabschiedete sich unter Tränen von Sigfrid, denn sie hatte geträumt, dass zwei wilde Eber Sigfrid anfallen würden und sich dann das Gras rot färben würde. In ihren Augen also kein gutes Omen für den bevorstehenden Ausritt.
Die Jagd selbst gestaltete sich als sehr erfolgreich. Vor allen Dingen Sigfrid machte gute Beute und erlegte zudem mit bloßer Hand einen Bären, was ihm bei seinen Jagdkollegen schon viel Respekt einbrachte. Nach den Mühen des Tages setzte man sich zu einem gemeinsamen Mahl zusammen. Es wurden reichlich Speisen aufgetischt, doch der Wein fehlte. Hagen behauptete, der sei aus Versehen in den Spessart geschickt worden, was natürlich nicht stimmte.
Und er behauptete weiterhin, dass er ganz in der Nähe eine Quelle kennen würde, aus der man reichlich Wasser schöpfen könnte. Hagen, Sigfrid und Gunther verabredeten dorthin einen Wettlauf, und obwohl Sigfrid als einziger Speer und Schild bei sich trug, gelangte er zuerst zum Wasser. Aber er wartete, wollte er doch König Gunther gerne den Vortritt beim Trinken lassen. Als der König der Burgunden sich über die Quelle beugte, nutze Hagen die Möglichkeit, seiner Rache zu frönen.
Er stieß den Speer, den Sigfrid, um zu trinken, achtlos zur Seite gestellt hatte, dem Recken genau dort in den Rücken, wo Kriemhild Sigfrids verwundbare Stelle aufgezeichnet hatte. Das Blut spritze aus der tiefen Wunde, so dass selbst Hagen davon befleckt wurde.
Sigfrid konnte nicht fassen, wie ihm geschah. Rasend vor Wut stürzte er seinem eigenen Mördern nach, ergriff den Schild und hieb damit auf Hagen ein. Doch die Kräfte des Sterbenden ließen schnell nach. Er sank zu Boden und tat seinen letzten Atemzug. Hagens Rache war erfüllt.
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